Als Mutterinstinkt – maternal instinct – bezeichnet man eher umgangssprachlich die typische Hinwendung einer Mutter zu ihren Kindern, wobei man darunter im engeren Sinne eine vor allem durch die Geburt eingeleitete besonders starke Gefühlsbindung zu den leiblichen Kindern versteht. Oft wird der Mutterinstinkt durch die besondere Verbindung zwischen Mutter und Kind beschrieben, die ab der Befruchtung oder gar schon ab dem Kinderwunsch entsteht. Mütterliches Verhalten wird aber auch von den gesellschaftlichen und kulturellen Gegebenheiten beeinflusst und durch individuelle Erfahrungen geprägt.
Man vermutet, dass der Mutterinstinkt evolutionär entstanden ist und bei manchen Säugetierarten, besonders bei Primaten, die eine lange Entwicklungszeit der Kinder haben, der Arterhaltung und sozialen Lernprozessen dient. Alle Säugetiermütter zeigen mütterliches Verhalten oder Instinkte, aber das bedeutet nicht, dass jede Gebärende automatisch zu mütterlichem Verhalten bereit ist und ihren Nachwuchs zu versorgen. In der Regel sind es eher die Schwangerschaftshormone, die Mütter dazu bringen, sich um ihre Neugeborenen zu kümmern, wobei Mütter nach der Geburt nach und nach auf verschiedene Reize reagieren. Aus wissenschaftlich Perspektive ist der Mutterinstinkt nichts anderes als ein Versuch der Natur, Frauen dazu zu bringen, sich Tag für Tag und Nacht für Nacht um ihren Nachwuchs zu kümmern, d. h., das Neugeborene mit höchstem Einsatz zu beschützen. Interessanterweise ist diese enge Bindungsbeziehung nicht vom Tag der Geburt an einfach da, sondern entsteht erst durch komplexe Interaktionen zwischen Mutter und Kind.
Oxytocin ist an der Regulierung des sozialen Verhaltens einschließlich des elterlichen Verhaltens bei einer Vielzahl von Lebewesen beteiligt, indem Oxytocin soziale Verhaltensweisen auslöst, indem es an Oxytocin-Rezeptoren in verschiedenen Arealen des Gehirns andockt. Bisher gab es jedoch keine eindeutigen Belege für die Annahme, dass sich das Oxytocin-System im Gehirn von Frauen und Männern unterscheidet. Sharma et al. (2019) identifizierten bei Mäusen nun eine Region im Hypothalamus, die sich bei Männchen und Weibchen deutlich voneinander unterscheidet, denn nur weibliche Tiere verfügen dort über Gehirnzellen, die für den Botenstoff Oxytocin sensibel sind. Während Mäuseweibchen über zahlreiche Neuronen mit Oxytocin-Rezeptoren in diesem Areal verfügten, kamen solche Zellen bei den Männchen dort so gut wie gar nicht vor. Diese Zellen besaßen zusätzlich Rezeptoren für das weibliche Geschlechtshormon Östrogen, wobei sich in Abwesenheit des weiblichen Sexualhormons die Neuronen keine Oxytocin-Rezeptoren mehr bildeten. Die Ergebnisse belegen demnach, dass die Expression von Oxytocin-Rezeptoren spezifisch weiblich ist und von Östrogen abhängt. Diese auf Oxytocin reagierenden Neuronen in dieser Region des Hypothalamus spielen also eine wichtige Rolle für die weibliche Physiologie und das weibliche Verhalten, allen voran für den Mutterinstinkt. Man vermutet, dass dieser Zusammenhang nicht nur für Mäuse gilt, sondern für alle Säugetiere, die mütterliche Fürsorge zeigen, einschließlich des Menschen.
Mütterliche Säugetiere zeigen eine erhöhte Motivation, sich um ihre Nachkommen zu kümmern, aber die zugrundeliegenden neuromolekularen Mechanismen sind noch ungeklärt. Aus früheren Studien ist bekannt, dass eine bestimmte Region im Hypothalamus (medial preoptic area) eine zentrale Rolle bei der Nachwuchspflege spielt, wobei Oxytocin in diesem Areal das Verhalten von Müttern und Vätern gegenüber ihren Jungen reguliert. Yoshihara et al. (2021) haben nun festgestellt, dass in dieser Region Nervenzellen mit einem bestimmten Protein-Rezeptor (Calcinotin) bei zu Jungmüttern gewordenen Mäusen viel häufiger sind als bei anderen Weibchen oder Männchen. Wenn man diese Areale bei Jungmüttern blockiert, stellen diese die Nachwuchspflege ein, etwa indem sie mit dem Nestbau aufhören und weggelaufenen Nachwuchs nicht wieder zurückholten. Diese Daten deuten darauf hin, dass diese Neuronen sowohl für mütterliches Fürsorgeverhalten erforderlich sind und dass eine Hochregulierung der Signalübertragung zumindest teilweise die mütterliche Fürsorge vermittelt, möglicherweise über eine veränderte Konnektomik dieser spezifischen Neuronen nach der Geburt. Eine Überprüfung, ob diese Ergebnisse auch auf den Menschen übertragen werden können, ist aus experimentalpsychologischer Sicht wohl eher schwierig zu bewerkstelligen.
Trotz des in unserer Kultur tiefliegenden Glaubens, dass Frauen auf einzigartige Weise darauf gepolt sind, Kinder zu wollen, ist der Gedanke eines Mutterinstinkts ein Mythos. Beweise für die Theorie, dass Frauen von Natur aus dazu tendieren, Kinder zu haben, sind wenn überhaupt sehr rar.
Amy Blackstone
Es gibt keinen wissenschaftlichen Beweis, dass es einen Mutterinstinkt gibt, der automatisch in Frauen den Wunsch weckt, Kinder zu haben, Frauen emotionaler macht, ihnen eine höhere Fähigkeit zum Hegen und Pflegen gibt oder sie besser dazu ausstattet, Kinder aufzuziehen als Männer.
Maria Vicedo-Castello
Literatur
Glat, Micaela, Gundacker, Anna, Cuenca Rico, Laura, Czuczu, Barbara, Ben-Simon, Yoav, Harkany, Tibor & Pollak, Daniela D. (2022). An accessory prefrontal cortex–thalamus circuit sculpts maternal behavior in virgin female mice. The EMBO Journal, doi:10.15252/embj.2022111648
Sharma, K., LeBlanc, R., Haque, M., Nishimori, K., Reid, M. M. & Teruyama, R. (2019). Sexually dimorphic oxytocin receptor-expressing neurons in the preoptic area of the mouse brain. PLoS ONE, doi:10.1371/journal.pone.0219784.
Vicedo-Castello, Maria (2005). The Maternal Instinct: Mother Love and the Search for Human Nature. Harvard University.
Stangl, W. (2022, 11. November). Mütterliches Fürsorgeverhalten kann erlernt werden. Stangl notiert ….
https:// notiert.stangl-taller.at/gehirnforschung/muetterliches-fuersorgeverhalten-kann-erlernt-werden/
Yoshihara et al. (2021). Calcitonin receptor signaling in the medial preoptic area enables risk-taking maternal care. Cell Reports, 35, 109-204.