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Big-Five-Persönlichkeitsmodell

    Die systematische Erforschung der grundlegenden Persönlichkeitsdimensionen begann mit Eysenck und Cattell, wobei die Festlegung auf fünf relativ stabile Dimensionen nach umfangreicher Forschung und Sichtung aller bisherigen Studien u.a. durch Goldberg (1981) und Costa & McCrae (1985) erfolgte. Dabei wurde über einen gänzlich anderen Zugang  (lexikalischer Ansatz) zum Teil unabhängig voneinander eine umfassende Persönlichkeitsbeschreibung entwickelt. Ausgangspunkt waren hier nicht biologische bzw. physiologische oder psychiatrische Überlegungen wie bei Eysenck, sondern die Sprache. In verschiedenen Ländern weltweit wurden Versuche unternommen, aus Wörterbüchern persönlichkeitsbeschreibende Begriffe (Adjektiva) zu extrahieren, diese großen Personengruppen zur Selbst- als auch zur Fremdbeurteilung vorzulegen, und aus diesen Daten wiederum mittels Faktorenanalyse grundlegende Persönlichkeitsdimensionen zu extrahieren. Dabei zeigten sich auch interkulturell übereinstimmend immer wieder fünf Faktoren – manchmal auch als „Ocean-Modell“ bezeichnet -, die auch in verschiedenen Untersuchungen (auch in verschiedenen Kulturen) immer wieder sehr ähnlich benannt werden:

    1. Openness – Offenheit für Erfahrungen, Kultur (Culture): Personen werden u. a. als kunstverständig, intellektuell, kultiviert und phantasievoll beschrieben – Die Skala reicht von traditionell und wenig neugierig bis sehr offen und experimentierfreudig.
    2. Conscientiousness – Gewissenhaftigkeit: u.a. sorgfältig, zuverlässig, genau, beharrlich – Die Skala reicht von wenig sorgfältig und gewissenhaft bis sehr sorgfäItig genau und gewissenhaft.
    3. Extraversion: u.a. gesprächig, freimütig, unternehmungslustig, gesellig – Die Skala reicht von in sich gekehrt (introvertiert) bis aus sich herausgehend, gesellig und expressiv.
    4. Agreeableness – Verträglichkeit: u.a. gutmütig, wohlwollend, freundlich, kooperativ – Die Skala reicht von sozial wenig angepasst bis sehr beliebt und verträglich.
    5. Neuroticism – Emotionale Stabilität vs. Neurotizismus: u.a. ausgeglichen, entspannt, gelassen, körperlich stabil – Die Skala reicht von emotional labil und ängstlich bis stabil und wenig ängstlich.

    Eselsbrücke: O – C – E – A – N

    Die zentralen Faktoren in diesem Modell sind dabei Neurotizismus und Extraversion, die schon 1947 von Hans Jürgen Eysenck beschrieben beschrieben wurden, wobei dieser auch erste Testverfahren zur Messung dieser Dimensionen entwickelte. Siehe dazu Persönlichkeit nach Eysenck

    Ein aktueller Test zur Messung der Big-Five-Persönlichkeitsdimensionen ist der NEOFFI (deutsche Fassung von Borkenau und Ostendorf), wobei die Normen aus dem Jahr 2003 stammen und auf einer relativ kleinen Stichprobe beruhen. Die Reliabilität des NEOFFI bewegt sich zwischen .71 und .85. bei 60 Items, d.h., bei jeweils 12 je Dimension.

    Wedel & Thomsen (2017) haben untersucht, ob es Eigenschaften gibt, die typisch für bestimmte Studienrichtungen sind. Für die Studie erhob man bei angehenden Studierenden in den Fächern VWL, BWL, Jus, Politikwissenschaften und Psychologie die „Big Five“ der Persönlichkeit (Neurotizismus, Extraversion, Offenheit, Gewissenhaftigkeit und Verträglichkeit). Es zeigte sich dabei, dass einige Persönlichkeitsmerkmale schon vor Studienbeginn und je nach Fach unterschiedlich stark ausgeprägt sind, denn so neigen angehende Studenten der Volks- oder Betriebswirtschaftslehre zu Selbstüberschätzung, Psychopathie und rücksichtslosem, manipulativem Verhalten. Diese Eigenschaften zählen zur Dunklen Triade, bestehend aus den Merkmalen Narzissmus, Psychopathie und Machiavellismus, die sich unter anderem in Egozentrismus und rücksichtslosem Verhalten äußern. Männliche Probanden hatten dabei bei allen Merkmalen der „Dunklen Triade“ signifikant höhere Werte als weibliche, doch innerhalb der Studienrichtungen gab es keine nennenswerten Geschlechtsunterschiede mehr, auch wenn der Frauenanteil stark variierte. Insgesamt war Psychologie die Fachrichtung mit der geringsten Neigung in den drei dunklen Persönlichkeitsmerkmalen, doch sind Psychologiestudierende viel neurotischer als Wirtschafts- und Politikwissenschaftsstudierende, sind aber auch verträglicher und offener. Weibliche Studien-Anwärterinnen zeigen im Durchschnitt einen höheren Wert an Neurotizismus, Verträglichkeit und Gewissenhaftigkeit. Offenbar prägt nicht erst das Studienumfeld die Studierende, sondern Wirtschaftsstudenten haben schon viel früher gelernt, ihre Ellbogen einzusetzen und sprichwörtlich über Leichen zu gehen, um ihre Ziele zu erreichen. Dieser Befund passt auch zu Forschungergebnissen über die Persönlichkeitsmerkmale von Menschen in den Chefetagen großer Firmen.

    Untersuchungen (Laajaj et al., 2019) zeigen, dass Persönlichkeitstests, die diese fünf Faktoren messen, nur in westlichen Industrieländern zuverlässig funktionieren, während sie etwa in Schwellen- und Entwicklungsländern weder passend noch zuverlässig sind. Es gibt übrigens den Begriff „WEIRD“, der eine Abkürzung von: westlich, gebildet/educated, industrialisiert, reich, demokratisch ist, um diese Testgruppen aus den westlichen Industrieländern zu charakterisieren. Man konnte auch zeigen, dass in Niedrig- und Mittellohnländern wie Ghana, Kolumbien, Serbien und Sri Lanka diese Tests nicht geeignet sind.

    Eine Untersuchung mit dem Konzept der Big Five (Offenheit, Gewissenhaftigkeit, Extraversion, Verträglichkeit, Neurotizismus) an einem großen Datensatz des Household, Income and Labour Dynamics in Australia (HILDA) Survey zeigte übrigens, dass es vier Ereignisse im Leben von Menschen gibt, die dies Persönlichkeit nachhaltig verändern können. Dabei handelt es sich um eine haushaltsbasierte Panelstudie, die Informationen über wirtschaftliches und persönliches Wohlbefinden, Arbeitsmarktdynamik und Familienleben sammelt.

    • Finanzielle Not: Wer einmal mit großen finanziellen Problemen zu kämpfen gehabt hat, wird dadurch im Schnitt extrovertierter und weniger gewissenhaft. Bei Männern beeinträchtigt Geldnot zusätzlich die emotionale Stabilität, was bei Frauen nicht der Fall ist.
    • Schwere Krankheit: Frauen, die mit einer plötzlichen Erkrankung oder Verletzung umgehen müssen, werden dadurch extrovertierter, und zwar dreimal so häufig wie Männer. Frauen macht es übrigens auch extrovertierter und offener, wenn eines ihrer Familienmitglieder krank wird, während bei Männern dieser Effekt ausbleibt. Dieses Ergebnis bestätigt, dass Frauen ihre Sorgen eher mit anderen teilen, wobei Männern die Angst im Weg steht, als schwach zu gelten.
    • Heirat: Eine Hochzeit macht Frauen im Durchschnitt emotional instabiler, d. h., sie werden im Schnitt weniger rücksichtsvoll und empathisch. Bei Männern hingegen gibt es durch eine Heirat keine Veränderung.
    • Ruhestand: Hier wird teilweise die grumpy old man-Hypothese bestätigt, dass Männer mit der Zeit unverträglicher, weniger rücksichtsvoll und empathisch werden, während sich Frauen im Alter wenig verändern. Man führt das auf den sinkenden Testosteronspiegelzurück.

    Kritik

    Die Diskussion über die Gültigkeit dieses Fünf-Faktorenmodells der Persönlichkeit kann noch nicht als abgeschlossen betrachtet werden; Befürworter führen an, dass die menschliche Sprache auch in ihrer Struktur die Struktur der Persönlichkeit gut repräsentieren sollte, weshalb es gerechtfertigt sei, aus der Sprache Persönlichkeitsmodelle zu entwickeln. Kritiker betonen, dass es bislang kaum Überlegungen zu möglichen biologischen Fundierungen der genannten Persönlichkeitskonstrukte gibt (mit Ausnahme der mit Eysenck übereinstimmenden Dimensionen Extraversion und Neurotizismus). Schließlich wurde von Eysenck kritisiert, dass Agreeableness und Conscientiousness eigentlich Unterfaktoren des Psychotizismus seien (umgekehrt gepolt). Lediglich der Faktor Openness oder Offenheit findet im Eysenck’schen Modell keine Entsprechung; Kritiker behaupten aber auch hier, dass Offenheit bzw. der Kulturfaktor nichts anderes sei als ein anderes, viel untersuchtes Merkmal der Persönlichkeitspsychologie, nämlich Intelligenz.

    Nach Ansicht von Isabel Thielmann finden sich mit moderneren Methoden immer wieder sechs Faktoren (Hexaco-Modell), was vermutlich daran liegt, dass die Computer, mit denen die Analysen damals durchgeführt wurden, noch eine zu geringe Rechenleistung hatten, sodass die Wissenschaftler die Adjektive teils im Voraus von Hand gruppierten. Dadurch sind Vorannahmen der Forscher in die Vorselektion eingeflossen, die das Endergebnis beeinflussten.


    Litchfield et al. (2017) haben die Persönlichkeit einer großen Stichprobe von Hauskatzen im Hinblick auf Persönlichkeitsmerkmale untersucht. Dabei wurde die Persönlichkeit von an die dreitausend Hauskatzen aus Südaustralien und Neuseeland von ihren Besitzern bewertet. Es wurden dabei ebenfalls fünf Persönlichkeitsfaktoren ermittelt: Neurotizismus, Extraversion, Dominanz, Impulsivität und Annehmlichkeit.

    • Ist Neurotizismus bei einer Katze stark ausgeprägt, verhält sie sich nervös, scheu und ängstlich, haben als Freigänger auch ein höheres Unfallrisiko. Bei schwacher Ausprägung ist das Tier eher gelassen, vertrauensvoll und selbstsicher.
    • Katzen mit hohen Werten im Faktor Extraversion sind neugierig und aktiv, während Tiere mit niedrigen Werten in diesem Bereich eher planlos und unentschlossen wirken.
    • Katzen mit hohen Werten im Faktor Dominanz verhalten sich aufdringlich bis aggressiv gegenüber Artgenossen und neigen dazu, diese zu mobben. Katzen mit niedrigen Dominanzwerten verhalten sich freundlich und sozial gegenüber Artgenossen und eignen sich gut zur Haltung in einer Gruppe.
    • Tiere mit niedrigen Werten im Faktor Impulsivität erscheinen berechenbar und kontrolliert, hängen stark an Routinen und sind meist unkompliziert, während Tiere mit hohen Werten als impulsiv, ablenkbar und launisch beschrieben werden, wobei sich das auch negativ auf Wohlbefinden und Gesundheit auswirken kann.
    • Der Faktor Verträglichkeit betrifft vor allem das soziale Verhalten gegenüber Menschen bewertet, wobei Katzen mit hohen Werten sich als freundlich und gesellig, kooperationsbereit und vertrauend erweisen, d. h., sie fühlen sich in ihrem Lebensraum und mit ihren Sozialpartnern wohl. Tiere mit niedrigen Werten gelten als einzelgängerisch und reizbar bis aggressiv gegenüber Menschen, wobei dieses Verhalten auch aufgrund von Schmerzen und Krankheiten auftreten kann.

    Es zeigte sich dabei weder ein Unterschied zwischen neuseeländischen und australischen Katzen, noch zwischen männlichen und weiblichen Tieren, nur ein gewisser Unterschied ergab sich in den Charakterzügen zwischen jüngeren und älteren Tieren, wobei jüngere Katzen kontaktfreudiger und weniger dominant zu sein schienen als ihre älteren Artgenossen.


    Übrigens: Die Bezeichnung des Big-Five-Persönlichkeitsmodells ist angelehnt an die Großen Fünf der afrikanischen Wildtiere: Löwe, Elefant, Nashorn, Büffel und Leopard. Vielleicht kann man ja den fünf Faktoren des Persönlichkeitsmodells jeweils eines dieser Tiere zuordnen 😉


    Literatur

    Laajaj, Rachid, Macours, Karen, Pinzon Hernandez, Daniel Alejandro, Arias, Omar, Gosling, Samuel D., Potter, Jeff, Rubio-Codina, Marta & Vakis, Renos (2019). Challenges to capture the big five personality traits in non-WEIRD populations. Science Advances, doi:10.1126/sciadv.aaw5226.
    Litchfield, Carla A., Quinton, Gillian, Tindle, Hayley, Chiera, Belinda, Kikillus, K. Heidy & Roetman, Philip (2017).
    The ‘Feline Five’: An exploration of personality in pet cats (Felis catus). PLOS ONE, 12, doi:10.1371/journal.pone.0183455.
    Vedel, A., Thomsen, D. K. (2017). The Dark Triad across academic majors. Personality and Individual Differences, 116, 86–91.
    http://web.utanet.at/stanglyc/psychoblogger/2006/01/fnf-faktorenmodell-der-persnlichkeit.html (06-12-12)
    http://psychologie-news.blogspot.co.at/2006/01/fnf-faktorenmodell-der-persnlichkeit.html (06-12-12)
    https://www.spektrum.de/news/big-five-sind-es-nur-fuenf-grosse-persoenlichkeitsfaktoren/1762632 (20-09-28)


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    Ein Gedanke zu „Big-Five-Persönlichkeitsmodell“

    1. schimelpiltz

      In einen neuen Studie von Stolz et al. (2023) wurde gezeigt, dass Persönlichkeitsmerkmale einen Einfluss auf die kognitive Alterung haben können. Dafür hat man die mit einem Fragebogen erfasste Persönlichkeitseigenschaft „Offenheit für Erfahrungen“ im Zusammenhang mit der kognitiven Hirnleistung untersucht. Es zeigte sich, dass ältere Erwachsene mit einer höheren Offenheit für Erfahrungen eine bessere Gedächtnisleistung aufwiesen, und diese Persönlichkeitseigenschaft einen psychologischer Schutzfaktor im kognitiven Altern darstellen könnte, indem sie zu einer besseren Erhaltung des Gedächtnisnetzwerks im Gehirn beiträgt.
      Stolz, C., Bulla, A., Soch, J., Schott, B. H. & Richter, A. (2023). Openness to Experience is associated with neural and performance measures of memory in older adults. Social Cognitive and Affective Neuroscience, 18, doi:10.1093/scan/nsad041.
      Stangl, W. (2023, 27. Oktober). Kognitives Altern und Persönlichkeit – Psychologie-News.
      https://psychologie-news.stangl.eu/4761/kognitives-altern-und-persoenlichkeit.

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