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Autopoiese

    Autopoiese ist ein Begriff aus dem Radikalen Konstruktivismus und bezeichnet die stärkste Form der Selbstreferenz, die beschreibt, dass das System nicht nur sein Verhalten, sondern überhaupt seine Existenz durch sich selbst erzeugt. Autopoiesis oder Autopoiese (altgriech. αυτος „selbst“ und ποιεω „schaffen, bauen“) ist der Prozess der Selbsterschaffung und Selbsterhaltung von Lebewesen oder lebenden Systemen. Der Begriff wurde von Humberto Maturana geprägt und später von Niklas Luhmann teilweise gegen den Einspruch Maturanas auf die Theorie sozialer Systeme übertragen. Zur Autopoiese gehören:

    • Selbstreferentialität : die eigenen Zustände werden intern gesteuert.
    • operative Geschlossenheit : das Gehirn z.B. nimmt nur eigene Zustandsveränderungen wahr, ein Reiz von außen initiiert Selbstveränderung, die dann wahrgenommen wird.
    • strukturelle Kopplung zur Umwelt: das System wählt seine Außenkontakte selbst aus.

    Lebewesen sind nach Maturana „autopoietische“ Systeme, Systeme, die sich permanent selbst erzeugen. Im Gegensatz dazu erzeugen „allopoietische“ Systeme stets etwas von sich selbst Verschiedenes; z.B. Maschinen, die nach den Plänen ihrer Erzeuger und Betreiber aus einem gegebenen Input einen bestimmten Output herstellen. Während die autopoietische Organisation im Sinne eines kausal in sich geschlossenen interaktionszyklus Lebewesen-Umwelt invariant erhalten werden muss, ist die Struktur konkreter lebendiger individuen (Pflanzen, Tiere, Menschen) plastisch, kann und muss sich verändern. Lebende Systeme müssen als autopoietische Systeme ihre eigene Struktur und damit die Interaktionsbeziehungen mit ihrer Umwelt ständig so gestalten, dass der Prozess der Autopoiese nicht gefährdet wird. Lebewesen sind daher kognitive Systeme, da ihre Interaktionsgeschichte in ständigem Strukturwandel zum Zwecke der Sicherung der Autopoiese besteht, und solcher Strukturwandel sich im jeweils gegebenen Strukturzustand des Systems als dessen Interaktionspotential, d.h. (über-)Lebenswissen und (über-)Lebenskönnen, verkörpert. Jedes autopoietische System ist als selbstreferentielles geschlossenes System ein strukturdeterminiertes System: seine Struktur- und Zustandsänderungen werden nicht von Merkmalen oder Ereignissen der Außenwelt determiniert, sondern ausschließlich vom jeweils gegebenen dynamischen Strukturzustand selbst. Ein lebendes System ist gegenüber seiner Außenwelt autonom. Merkmale und Ereignisse der Umwelt eines lebenden Systems können nur als Auslöser von Interaktionsprozessen wirken, deren Verlauf und Ergebnis aber nicht im einzelnen festlegen. Alle Aktivität eines autopoietischen Systems, also eines Lebewesens, ist daher systemabhängig und systembedingt, alles kognitive Verhalten eines individuums also subjektabhängig und subjektbedingt – aber nicht „subjektiv“ im negativen Bezug auf eine von außen gesetzte Norm „Objektivität“ oder„Rationalität“.  Es muss allerdings seine eigene Struktur und die Interaktionsbeziehungen mit der Umwelt ständig so gestalten, dass der Prozess der Autopoiese nicht gefährdet wird. Es lassen sich zahlreiche Beispiele dafür geben, dass Menschen ihre Wirklichkeit in streng subjektabhängiger Weise konstruieren. Menschen streiten sich nach langen Bemühungen um Verständigung immer noch um „richtig“ oder „falsch“ Gesehenes und Gehörtes, sehen und hören andererseits das scheinbar identische – ein Bild, ein Geräusch, eine Person, eine Situation – immer wieder „anders“, „neu“, ja sehen und hören oft genug Dinge, die gar nicht „da“ sind. Als strukturdeterminierte Systeme sind Menschen von außen prinzipiell nicht gezielt beeinflussbar, sondern reagieren immer im Sinne der eigenen Struktur. So kann man nicht steuern, wie Worte wirken, denn jeder liest, was er oder sie liest, dafür trägt der Autor keine Verantwortung!

    Nicht dieser Text legt fest, was Sie lesen, sondern Ihre Struktur, Ihre jeweilige Befindlichkeit. Dabei obliegt es jedoch allein mir, keinen Unsinn zu verzapfen, denn ich bin selbst verantwortlich für das, was ich schreibe – bloß bin ich nicht verantwortlich für das, was Sie lesen.

    Anmerkung: Wenn man manchen Menschen – auch manchen Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen – den hohen Grad an Rekurrenz im biologischen Gehirn bzw. Nervensystem erklärt, die weit über das bloße Zwischenspeichern von Information in Netzwerkschleifen hinausgeht, sind sie mehr als überrascht, denn es ist für das gelebte Leben im Alltag kaum nachvollziehbar, dass lebende bzw. autopoietische Systeme die Realität nicht abbilden, sondern in fast vollständiger informationeller Abgeschlossenheit von der Umwelt selbst erzeugen. Da das Gehirn in Milliarden von Jahren Koevolution zusammen mit der realen Welt entstanden ist, läuft die im Gehirn vorhandene und erzeugte Realität in fast vollständiger Resonanz mit der Umwelt ab. In diesem Resonanzzustand werden nur sehr geringe Informations- bzw. Energiemengen zwischen Gehirn und Umwelt ausgetauscht, dies lediglich in demjenigen Umfang, in dem sich relevante Teile der Umwelt von der im Gehirn permanent erzeugten Realität unterscheiden. Der hohe Grad an Rekurrenz im Gehirn dient einfach dazu, die im Gehirn vorhanden Realität, als relevanzbasiert komplexitätsreduziertes Abbild der realen Welt, autopoietisch aufrechtzuerhalten, sodass verhältnismäßig wenige Informationen, die in dieses rekurrente Netzwerk hineinkommen, genügen, um alle Sinneseindrücke in diese Weltsimulation aufzunehmen, die permanent im Gehirn stattfindet.

    Literatur

    Stangl, Werner (1989). Das neue Paradigma der Psychologie. Die Psychologie im Diskurs des Radikalen Konstruktivismus. Braunschweig: Friedr. Vieweg & Sohn.


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    2 Gedanken zu „Autopoiese“

    1. Klaus Rehberg

      „Ein lebendes System ist gegenüber seiner Außenwelt autonom.“ dieser letzte verallgemeinernde Satz ist grundsätzlich Falsch. Im Bezug auf das Gehirn kommuniziert dieses über seinen Körper und die Sinne mit der Umwelt. Es sind diese Signale die dann autonom nicht von der Außenwelt beeinflusst neuronale Prozesse die Teils Determiniert sind im Gehirn auslösen. Ohne den Output durch die Umwelt dieser spezifischen Information würde der Prozess anders oder gar nicht verlaufen. Daher kann man nicht von einem geschlossenen System sprechen zumal die Erhaltung des Gehirns (Nahrung, Wärme) vollkommen von der Außenwelt abhängig ist. Auch der Mensch ist ein lebendiges ökologisches Teilsystem von einem hochkomplexen Ganzen das mit der Außenwelt interagieren muß um zu leben. Ohne den stofflichen Austausch stirbt der Organismus. Und ohne sozialen Austausch würde jeder Mensch über kurz oder lang psychisch verkümmern. Richtig ist das Gehirn ist weitestgehend Autonom der Mensch selber nicht.
      (Kommentar in Originalorthografie; W. S.)

    2. Autopoiesis

      Der Begriff Autopoiesis bedeutet soviel wie Selbsttun oder Selbstgestaltung. Damit wird ein wesentlicher Aspekt der Autopoiesis angesprochen. Demnach dürfen nur Systeme als autopoietisch bezeichnet werden, die ihre Systemelemente selbst erzeugen. Alle Systemelemente müssen aus den vorhandenen Systemelementen entstehen. In diesem Zusammenhang spricht man von Zirkularität. Es werden keine Systemelemente aus der Umwelt in das System übernommen. Weiterhin müssen autopoietische Systeme abgeschlossen gegenüber der Umwelt sein. Damit ist gemeint, dass eine Strukturveränderung nur aus dem System selbst heraus entstehen kann. Nicht gemeint ist damit eine energetische oder informationelle Abgeschlossenheit gegenüber der Umwelt, denn Strukturänderungen auslösende Systemstörungen können durchaus durch Umwelteinflüsse erfolgen. Man bezeichnet diese Eigenschaft, dass eigene Zustände nur im System intern bestimmt werden, als Selbstreferentialität. Das System wählt durch die Festlegung der Systemgrenze den Umfang und die Art des Kontakts zur Umwelt. Diese Eigenschaft wird als strukturelle Koppelung bezeichnet und ersetzt die Input-Output-Beziehung der Kybernetik. Aufgrund dieser Interpretation der Systemgrenze ist das System nicht fähig Zustandsänderungen der Umwelt wahrzunehmen. Auf der anderen Seite kann ein externer Beobachter keine Aussagen über die interne Organisation des autopoietischen Systems treffen. Man bezeichnet dies als operative Geschlossenheit. Von Außen kann lediglich eine Betrachtung der Input-Output-Beziehung erfolgen. Welche internen Vorgänge für die Erzeugung eines Outputs bei einem bestimmten Input verantwortlich sind, ist nicht analysierbar. Das System entspricht damit einer Blackbox.

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