Eine exakte Definition des Begriffs „Reformpädagogik“, der bereits im 19.Jahrhundert erstmals in wissenschaftlicher Literatur auftaucht und bis heute vielen privaten Schulen – von Montessori bis Waldorf – zugrunde liegt, ist schwierig. Was die Schulen eint, ist der geringere Leistungsdruck für Schüler. Im Zentrum stehen – als Gegensatz zum „Drill“ autoritärer Bildungskonzepte – Selbstständigkeit und ein handlungsorientierter Unterricht. Auf Noten, starre Stundenpläne oder Sitzenbleiben wird meist verzichtet. Die Lehrerin bzw. der Lehrer gelten als Begleiter und Förderer.
Die Wurzeln: Ende des 19. und zu Anfang des 20. Jahrhunderts wehren sich einige Pädagogen gegen das autoritäre Denken der herkömmlichen Schulen, d. h., sie wollten den Geist der reinen Lernschule überwinden und riefen ein neue Form der Erziehung ins Leben: die Reformpädagogik.
Berühmte Vertreter dieser Erziehungsrichtung waren der Schweizer Johann Heinrich Pestalozzi, die heute eher sehr kritisch gesehene Italienerin Maria Montessori oder der Brite Alexander Sutherland Neil (Summerhill). Ziel aller Reformpädagogen war es, das Kind als Individuum zu achten und seine kreativen Kräfte zu wecken und zu fördern, um die Selbsttätigkeit der Kinder, das freie Gespräch und Lernen durch Handeln zu ermöglichen.
Zur älteren Reformpädagogik im weiteren Sinne zählen in diesem Sinne schon die von Comenius, Rousseau und dem Philanthropismus ausgehenden reformpädagogischen Ansätze der Anschauungspädagogik und Erlebnispädagogik. Sie wendet sich nicht nur gegen den klassischen Schulbetrieb, sondern auch gegen den Herbartianismus, dem man vorwarf, Herbarts Forderungen nach „eigener Beweglichkeit“ der Schüler und die emotionale Bildung ursprünglicher Werturteile an ästhetischen Beispielen vernachlässigt zu haben, weshalb von seinem Anliegen, über die Bildung des Intellekts den sittlichen Willen wecken zu wollen, nur noch ein starres Unterrichtsschema übriggeblieben sei.
Reformpädagogik im engeren Sinne meint jene Versuche, die sich Ende des 19. Jahrhunderts und im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts gegen die Lebensfremdheit und unterwerfenden Autoritarismus der vorherrschenden „Pauk- und Drillschule“ wandten. Anstelle einer Didaktik, die aus heutiger Sicht als Kindesmisshandlung und Entfremdung im Bildungssystem zu werten ist, wollten die Reformpädagogen über eine veränderte Bildungstheorie und Lerntheorie zu einer veränderten Didaktik gelangen, die in einem handlungsorientierten Unterricht vor allem die Selbsttätigkeit der Schüler in den Mittelpunkt stellt.
Reformpädagogische Ansätze nach 1945 werden häufig als Alternativpädagogik bezeichnet.
Anmerkung: Die Waldorfpädagogik und die Montessoripädagogik kann man nicht direkt vergleichen, denn die beiden Schularten unterscheiden sich sehr. Im Vergleich zur Reformpädagogik von Maria Montessori war die Waldorfpädagogik eher ein konservativer Rückschritt. Während es etwa in den Montessori-Schulen jahrgangsübergreifenden Unterricht gibt und die Schüler und Schülerinnen selbst entscheiden, was sie wann lernen wollen, steht in der Waldorfschule immer noch die Autorität der Lehrkraft im Mittelpunkt.
Teilweise herrschen in Kitas und Schulen noch Mythen vor, die aus der Reformpädagogik stammen. Neuere didaktische Konzepte und lernpsychologische Erkenntnisse schaffen es selten in die Praxis. Das hat damit zu tun, dass Gewohnheiten und eingeschliffene Praktiken so schwer zu ändern sind und viele Pädagogen sich auf ihre eigene Erfahrung aus der Schulzeit beziehen. Hier müssen wir in der Lehrerausbildung und -fortbildung ansetzen.
Michael Becker-Mrotzek
1. Definition
“Reformpädagogik ist eine Sammelbezeichnung für das Bestreben, Erziehung, Schule und Unterricht zu erneuern. Die historische Epoche der Reformpädagogik in Europa und den USA in der Zeit zwischen 1890 und 1933 setzt sich kritisch mit den damals existierenden Bildungs- und Schulformen auseinander und versucht, Bildungsbemühungen konsequent an den Bedürfnissen und Fähigkeiten des Kindes auszurichten“ (Riedl, 2004, S. 40).
2. Definition
“Unter der Bezeichnung Reformpädagogik befindet sich eine bunte, uneinheitliche und oftmals widersprüchliche Vielfalt von pädagogischen Ansätzen und Konzeptionen zur Erneuerung von Schule und Erziehung “ (Georg, 2009, S. 3).
3. Definition
Reformpädagogik beruht auf dem Bestreben zur Reform von Erziehung, Schule und Unterricht. Neue schulische Formen, wie zum Beispiel, Gesamtunterricht, Gruppenunterricht, Arbeitsgemeinschaften, Gymnastik, Schülermitverwaltung, Werken und neue Erziehungsfelder, sollen entwickelt werden (vgl. Bahr, 2008, S. 2).
4. Definition
“Der Begriff Reform stammt aus dem Neulateinischen und bedeutet Neuordnung bzw. Verbesserung. Die Reformpädagogik in Deutschland lässt sich als eine Epoche bezeichnen, die etwa um 1880 begann und noch bis in die Gegenwart andauert. Die ersten Anzeichen hierfür gab es in den Bewegungen der Kunsterziehung und der Arbeiter“ (Zocher, 2009, S. 3).
5. Definition
“Unter Reformpädagogik versteht man alle Theorien und Maßnahmen, deren Ziel eine Veränderung in Erziehung, Schule und Unterricht ist. Die Geschichte der Reformpädagogik beginnt mit dem Anspruch der Modernen, ihre Hochphase erlebt sie zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Ihre Grundkonzepte führen zu neuen schulischen Formen, die meist von privaten Schulträgern verwirklicht werden. Die Reformpädagogik ist eine internationale Strömung, die vor allem in der restlichen Welt anzutreffen ist, d.h. in Europa und dem USA“ (Baldes, 2003, S. 3).
Literatur
Bahr, J. (2008). Konzept zur individuellen Förderung von Schülerinnen und Schülern in den Fächern Mathematik und Musik. Norderstedt: Verlag Grin.
Baldes, C. (2003). Deutsche Reformpädagogik. Die pädagogische Bewegung am Beispiel dreier Schulkonzepte. Norderstedt: Verlag Grin.
Georg, P. (2009). Pädagogische Konzepte der Reformpädagogik. Flanagan und Makarenko. Norderstedt: Verlag Grin.
Riedl, A. (2004). Didaktik der beruflichen Bildung. Wiesbaden: Verlag Franz Steiner.
Zocher, S. (2009). Die Reformpädagogik am Beispiel der Laborschule Bielefeld. Norderstedt: Verlag Grin.