Auch mit 60 kann man aussehen wie mit 40,
nur dauert es etwas länger.
Karin Dor
Schönheit reicht, um ins Auge zu fallen.
Aber man braucht Charakter, um im Gedächtnis zu bleiben.
Coco Chanel
Dieses Gewese um Schönheit wird immer unerträglicher.
Die Menschen sollten sich mehr anstrengen, weniger dumm zu sein.
Vivienne Westwood
Als Schönheit bzw. physische Attraktivität bezeichnet man in der Psychologie ein kulturell überformtes Phänomen, das historisch als sehr wandelbar gilt, aber in der Zeit, in der es gilt, als Stereotyp mit oft weitreichenden Konsequenzen betrachtet werden muss. Bekanntlich werden schöne Menschen häufig besser behandelt als häßliche Menschen, man schreibt ihnen generell positivere Persönlichkeitseigenschaften zu wie Mut, Intelligenz, Selbstsicherheit und Freundlichkeit (Halo-Effekt), wobei solche Attributionen auch im Sinne einer sich selbsterfüllender Prophezeihungen wirken können. Daher haben es schöne Menschen oft leichter im Leben als wenig attraktive.
Die Erforschung der Schönheit bzw. Attraktivitätsforschung fokussiert neben körperlichen Merkmalen auch auf Wesenseigenschaften, die soziale Stellung, den beruflichen Erfolg, den materiellen Wohlstand und die Persönlichkeit der Menschen. Schönheitsforschung wird daher in zahlreichenDisziplinen betrieben, neben der Psychologie auch von den Neurowissenschaften, der Verhaltensforschung oder den Wirtschaftswissenschaften.
*** Hier KLICKEN: Das BUCH dazu! *** Nach Musalek (2017a, 2017b) ist das Schöne eine Urkraft der Natur und zentrale Lebenskraft, die alle menschlichen Handlungen und Empfindungen prägt. Schönheit bzw. das Erleben von Schönem sind Kraftquelle und Kraftstoff des Lebens. „Jener auf das Schöne ausgerichtete Wille, jenes Drängen, jene basale dunkle Kraft ist es, was uns dazu bringt, nicht nur zu überleben, sondern überhaupt als Menschen leben zu können – der Wille zum Schönen ist die aus dem Dunkeln kommende Urkraft des Lebens, die uns das Tor in einen lichtvollen Kosmos des als angenehm, freudvoll, begeisternd und genussreich Erlebten öffnet.“
*** Hier KLICKEN: Das BUCH dazu! *** Musalek rekonstruiert das Schöne als einen kreatürlichen Antriebsmotor der Natur, als eine „nie versiegende Kraftquelle“, der auch die Menschen ihre Kreativität und Schaffenskraft verdanken, um selbst wieder Schönes in die Welt zu setzen. Aus der Naturkraft des Schönen wird so eine Kulturkraft (Kosmopoesie). Erscheint in der technisierten und rationalisierten Gesellschaft das Schöne zunehmend verschüttet, geht es für Musalek unter Rückbesinnung auf die Urkraft des Schönen um die Erschaffung einer neuen Welt mittels der Kosmopoesie, die das Schöne wieder ins Zentrum der Gesellschaft und des Lebens jedes Einzelnen rückt.
Nach Urbatsch (2018) passen attraktive Menschen ihre Moralvorstellungen häufiger als andere an ihre jeweiligen Lebensumstände an, was bestätigt, dass Menschen im Grunde ethische Opportunisten sind, was vor allem für das Themenfeld Sexualität gilt. Attraktive Menschen halten Geschlechtsverkehr vor der Ehe eher für in Ordnung und auch der gleichgeschlechtlichen Ehe oder einem liberalen Abtreibungsrecht stimmen sie eher zu. Bei außerehelichen Beziehungen neigen sie dazu, diese nicht besonders verwerflich zu finden. Indirekt folgt daraus, dass unattraktive Menschen strengere sexuelle Moralvorstellungen vertreten, weil sie weniger Gelegenheiten zu körperlicher Nähe bekommen. Grundsätzlich empfinden Menschen Situationen als unfair und fragwürdig, in denen sie weniger als andere bekommen, und versuchen, diese Ungleichheit zu verändern, was auch in der Sexualität so sein könnte.
Die Wahrnehmung der körperlichen Attraktivität ist in den verschiedenen Kulturkreisen auch unterschiedlich, insbesondere in Bezug auf die Körpergröße und Körperform von Frauen. Boothroyd et al. (2020) haben Hypothesen untersucht, ob visuelle Medien westliche schlanke Ideale in andere Kulturkreise transportieren können. Sie lieferten dabei sowohl einen Querschnitts-, Längsschnitt- als experimentellen Nachweis mittels Feldforschung, dass die Medienexposition Veränderungen in der Wahrnehmung der weiblichen Attraktivität bewirken kann. Dabei wurde der Einfluss des Medienzugangs auf weibliche Körperideale in einer abgelegenen Region Nicaraguas überprüft, indem man Stichproben aus Dörfern (300 Männer und Frauen) mit und ohne regelmäßigen Fernsehzugang miteinander verglich. Es zeigte sich dabei, dass ein höherer Fernsehkonsum ein signifikanter Prädiktor für die Präferenz für schlankere, kurvigere Frauenfiguren ist. Während die erste Gruppe Frauen mit einem Body-Mass-Index von 22 am ansprechendsten fand, lag der durchschnittlich bevorzugte Body-Mass-Index bei der Vergleichsgruppe um fünf Punkte höher. Innerhalb eines Dorfes zeigten die Analysen über drei Jahre hinweg auch einen Zusammenhang zwischen dem erhöhten Fernsehkonsum und den Präferenzen für schlankere Figuren. Schließlich zeigt eine experimentelle Studie in zwei medienarmen Dörfern, dass sich der Kontakt mit Medienbildern von Modellen direkt auf die Ideale der Teilnehmerinnen und Teilnehmer auswirkte. In einer Befragung hatte man nämlich manchen Dorfbewohnern Fotos von sehr schlanken Frauen gezeigt, anderen hingegen Aufnahmen von Frauen mit deutlich mehr Körperfülle, wobei sich danach die Einstellung der Probanden und Probandinnen in Richtung des ihnen präsentierten Schönheitsideals verschob.
Während Menschen ein Gesicht sofort als attraktiv erkennen, ist es viel schwieriger zu erklären, was genau dann diese persönliche Anziehung definiert, wobei man annehmen kann, dass diese Anziehung von der impliziten Verarbeitung komplexer, kulturell und individuell definierter Merkmale abhängt. Nicht umsonst gibt es das Sprichwort, dass Schönheit immer im Gehirn des Betrachters liegt. Spape et al. (2021) haben nun eine Künstliche Intelligenz entwickelt, der es gelingt, nach einem Gehirnscan attraktive Gesichter zu generieren. Man erstellte dabei von Computern gestaltete Gesichter, angelehnt an Gesichter von Prominenten, und griff dabei auf ein kontradiktorisches neuronales Netzwerk zurück. In dem Versuch sollten die Probanden die generierten Gesichter nicht bewerten, sondern man erfasse mittels Elektroenzephalographie die Daten aus dem Gehirn der Probanden und ein Algorithmus eruierte, was jene Bilder gemeinsam hatten, auf die die meisten Probanden ansprachen. Aus den Gehirnwellen unmittelbar nach dem Sehen eines Gesichts konnte man erkennen, ob ein Gesicht als attraktiv angesehen wurde oder nicht. Diese Informationen verwendeten man nun, um eine Suche innerhalb des neuronalen Netzwerk-Modells (Face Space) zu steuern und einen Punkt zu triangulieren, der dem Attraktivitätsgefüge jedes einzelnen Teilnehmers entsprach. Während es einige Merkmale gab, die von den Teilnehmern allgemein bevorzugt wurden, da einige experimentell erzeugten Gesichter einander ähnlich sahen, erfasste man so auch die individuellen Präferenzen im Hinblick auf Attraktivität.
Was macht eine Landschaft schön?
Isik & Vessel (2021) haben herauszufinden versucht, wie das menschliche Gehirn vom bloßen Sehen einer mehr oder minder schönen Landschaft zu deren ästhetischer Bewertung gelangt. Die Versuchspersonen sahen sich eine Reihe von Videos natürlicher Landschaften an, während sie mit funktioneller Magnetresonanztomographie gescannt wurden, und berichteten sowohl über kontinuierliche Bewertungen des Genusses während der Videos als auch über ihre allgemeinen ästhetische Bewertungen nach jedem Video. Diese Ergebnisse deuten darauf hin, dass ästhetische Attraktivität per se nicht in gut charakterisierten merkmals- und kategorie-selektiven Regionen des visuellen Cortex repräsentiert ist, vielmehr kann man vermuten, dass die beobachteten Aktivierungen eine lokale Transformation von einer merkmalsbasierten visuellen Repräsentation zu einer Repräsentation von elementarem Affekt widerspiegeln, der durch informationsverarbeitende Mechanismen berechnet wird, die Abweichungen von den Erwartungen eines Beobachters erkennen. Wenn man also etwas sieht, das die eigenen Erwartungen übersteigt, erzeugen lokale Bereiche des Gehirns kleine Atome eines positiven Gefühls, wobei erst die Kombination zahlreicher solcher Überraschungssignale im gesamten visuellen System sich dann zu einer ästhetisch ansprechenden Erfahrung summiert. Das könnte auch erklären, wie Interaktionen mit der natürlichen Umgebung das menschliche Wohlbefinden beeinflussen können, etwa beim Waldbaden.
Wie kommt das Schönheitsempfinden zustande?
Aenne Brielmann und ihr Team vom Max-Planck-Institut für biologische Kybernetik in Tübingen wollen verstehen, wie das Schönheitsempfinden zustande kommt und welchen Einfluss die Gestaltung und die Umgebung auf das Wohlbefinden hat. Ein- und derselbe äußere Reiz kann im Gehirn unterschiedliche Reaktionen hervorrufen, denn ein Geräusch etwa gefällt dem einen, dem anderen aber nicht. Es geht also darum, wie ein bestimmter Input in einen Output wie Mögen oder Ablehnung umgewandelt wird, sodass man ein Modell entwickeln und trotz individueller Unterschiede Vorhersagen dazu machen, wie ein Reiz verarbeitet wird. Dabei hat man für diesen Vorgang eine Theorie in Form eines mathematischen Modells aufgestellt, mit dem man eines Tages vorhersagen kann, welche Dinge dA Gehirn besonders mag und welche Veränderungen in Im Lebensumfeld Gesundheit und Wohlbefinden steigern können.
Dieser Ansatz basiert darauf, dass das Gefühl, etwas zu mögen, bedeutet, dass ein Sinneseindruck für das sensorisches System gut ist, wobei gut in diesem Zusammenhang heißt, dass das Gehirn den Eindruck leicht verarbeiten kann und dieser ihm dabei hilft, vorherzusagen, ob es vergleichbare gute Eindrücke in der Zukunft machen kann. Wenn man eine für das Individuum angenehmere Möglichkeit wählt, entscheidet man sich also für eine Sinneserfahrung, die einfacher zu verarbeiten ist und aus der man etwas lernen kann. Dieser Belohnungscharakter bringt Menschen dann dazu, solche Erfahrungen immer wieder machen zu wollen.
Beispiel: Jedes Jahr besuchen Millionen von Menschen Barcelona und flanieren dort durch „Las Ramblas“, die angeblich schönste Straße der Welt. Was macht diese Straße so besonders? Warum empfinden so viele Menschen diesen Ort als schön? In der Architektur- und Designwelt gilt meist die Annahme, dass die Schönheit im Auge des Betrachters liegt. In der Wissenschaft weiß man jedoch mittlerweile, dass manche ästhetischen Vorlieben biologisch begründet sind.
Um das Empfinden visueller Schönheit zu erfassen und zu messen, setzte man dabei bewusst keine Fragebögen ein, denn diese spiegeln vor allem das wider, was Menschen aufgrund ihrer Prägung als angenehm und schön empfinden, weil etwa ihr Kunstverständnis oder die Gewöhnung an heutige Städte in die Antworten einfließen. Aenne Brielmann und ihr Team nutzen vielmehr die Technik des „Eye-tracking“, wobei sie mit Kameras das Blickfeld und die Augenbewegungen der Betrachter aufnehmen. Computerprogramme berechnen anschließend, wohin die Betrachter geschaut haben, denn mit dieser Methode kann man die unbewusste Aufmerksamkeit erfassen, die auch Vorlieben und Gefallen andeutet. Bekanntlich blicken schon Kleinkinder unbewusst auf angenehme Gegenstände und richten sogar ihren Körper auf solche Objekte aus.
Viele Studien haben bestätigt, dass Menschen Dinge mögen, die der Natur ähneln, wobei nicht nur das Aufgreifen natürlicher Elemente wie Sonnenlicht, Wasser und Pflanzen einen positiven Effekt darauf hat, wie man seine Umgebung empfindet, sondern auch abstrakte Merkmale können von der Natur abgeschaut werden. Das bekannteste dieser Merkmale ist das der Fraktalität, ein Prinzip, bei dem das Ganze seinen Bestandteilen ähnelt. Man findet fraktale Strukturen nicht nur in der Biologie, sondern auch in Musik und Mathematik. Ein Baum ist ein gutes Beispiel für ein fraktales Bauprinzip: Die Struktur eines Astes ähnelt dem des gesamten Baumes, die Teiläste wiederum dem Hauptast. Dieses Muster wiederholt sich in fortwährend kleinerer Form, bis hin zur Verzweigung der Blattadern, d. h., ein Baum ist also visuell anregend. Eye-Tracking-Experimente zeigen, dass Menschen auch eine Vorliebe für Fraktale in der Architektur besitzen, denn je mehr eine Fassade fraktalen Mustern entspricht, umso eher verweilen die Augen auf ihr. Tatsächlich beinhalten die meisten traditionellen Architekturstile solche fraktalen Elemente, während eine leere Beton- oder Glasfassade hingegen den Augen nichts zu bieten hat
Warum also finden Touristinnen und Touristen „Las Ramblas“ so schön? Weil die Straße dem Spaziergänger immer neue stimulierende Reize präsentiert. Ihre Architektur ist einfach zu verarbeiten aber gleichzeitig komplex genug, um weitere Lernerfahrungen zu sammeln – genauso, wie manche Menschen Spiele am stärksten motivieren, wenn sie nicht zu schwer und nicht zu leicht sind. Die aufeinanderfolgenden Reize von „Las Ramblas“ fördern einerseits die Fortbewegung, gleichzeitig sinken Anspannung und Stress. Diese positive Wirkung der Umgebung auf das Gehirn empfindet man also als schön, denn Schönheit verringert Stress und fördert das Wohlbefinden. Es ist also nicht verwunderlich, dass Menschen weniger gestresst sind, wenn sie in grüneren Stadtteilen leben oder arbeiten, wobei übrigens Kunst denselben Effekt hervorrufen kann.
*** Hier KLICKEN: Das BUCH dazu! *** Übrigens hat Thielsch (2017) gezeigt, dass auch die Schönheit von Websites im Sinne eines Halo-Effektes die Glaubwürdigkeit eines Webauftrittes steigert. Zwar bleibt der wichtigste Attraktor einer Website der Inhalt, doch kann eine optimale Gestaltung nicht nur die Attraktivität sondern eben auch die Glaubwürdigkeit der Inhalte erhöhen bzw. kann u. U. Schönheit die Rezipienten sogar darüber hinaus auch für eine eher geringe Benutzerfreundlichkeit entschädigen.
Siehe dazu auch das Attraktivitätsstereotyp.
Literatur
Boothroyd, L.G., Jucker, J.-L., Thornborrow, T. Barton, R., Burt, D.M. Evans, E.H. Jamieson, M. & Tovee, M.J. (2020). Television Consumption Drives Perceptions of Female Body Attractiveness in a Population Undergoing Technological Transition. Journal of Personality and Social Psychology, doi:10.1037/pspi0000224.
Brielmann, Aenne (2023). Das Geheimnis der Schönheit.
WWW: https://www.mpg.de/20647417/das-geheimnis-der-schoenheit?c=2191 (20-07-21)
Isik, A.I. & Vessel, E.A. (2021). From Visual Perception to Aesthetic Appeal: Brain Responses to Aesthetically Appealing Natural Landscape Movies. Frontiers in Human Neuroscience, 15 , doi:10.3389/fnhum.2021.676032.
Musalek, M. (2017a). Der Wille zum Schönen I. Als alles bestimmende Naturkraft. Parodos Verlag.
Musalek, M. (2017b). Der Wille zum Schönen II. Als Kulturgeschehen auf dem Weg zur Kosmopoesie. Parodos Verlag.
Thielsch, M. T. (2017). Ästhetik von Websites – Wahrnehmung von Ästhetik und deren Beziehung zu Inhalt, Usability und Persönlichkeitsmermalen. Pabst.
M. Spape, K. Davis, L. Kangassalo, N. Ravaja, Z. Sovijarvi-Spape & T. Ruotsalo (2021). Rain-computer interface for generating personally attractive images. IEEE Transactions on Affective Computing, doi: 10.1109/TAFFC.2021.3059043.
Urbatsch, R. (2018). Things are looking up: Physical beauty, social mobility, and optimistic dispositions. Social Science Research, 71, doi:10.1016/j.ssresearch.2018.01.006.
http://www.spektrum.de/lexikon/psychologie/schoenheit/13604 (16-11-14)
https://de.wikipedia.org/wiki/Attraktivit%C3%A4tsforschung (16-11-14)