Testosteron ist das wichtigste Männlichkeitshormon, das in den Hoden aus Cholesterin gebildet wird, und über das Blut in die verschiedenen menschlichen Organe wie Gehirn, Hoden, Prostata, Haarwurzeln, Muskeln und Knochen gelangt, wo es in den einzelnen Zellen an die Testosteronrezeptoren andocken und seine spezifischen Wirkungen entfalten kann.
Auch einige geschlechtsspezifische Unterschiede zwischen Frauen und Männern sind auf den Einfluss von Testosteron auf die Gehirnentwicklung zurückzuführen, wobei Testosteron einer der Faktoren dafür sein könnte, dass sich ein Gehirn typisch männlich oder typisch weiblich entwickelt.
Zu Beginn der Pubertät etwa im Alter von acht Jahren wird im Hypothalamus, dem Bereich des Zwischenhirns, in dem die vegetativen Funktionen des Körpers gesteuert werden, das luteinisierende Hormon (LH) produziert, das die Hirnanhangdrüse zur Hormonausschüttung stimuliert. Diese Hormone gelangen dann in den Blutkreislauf und lösen die unterschiedlichsten körperlichen Veränderungen aus, insbesondere in den Keimdrüsen, wodurch bei Knaben Samenzellen produziert werden und die Produktion des Sexualhormons Testosteron beginnt. Es gibt tageszeitliche Schwankungen des Testosteronwertes im Blut, außerdem kann durch Stress oder Sport eine vorübergehende Erniedrigung des Testosteronwertes auftreten. 2017 erschienen im Fachmagazin «Jama» die «T Trials», eine Folge von sieben Studien zu Testosteron, bei denen es vor allem um die Frage ging, ob ältere Männer Testosteronersatz nehmen sollen.
Nach neueren Untersuchungen („T-Senior Study: The effects of testosterone in older women“ der Monash University Melbourne) steigert Testosteron auch die verbale Lern- und Gedächtnisfähigkeit von Frauen in den Wechseljahren. Eine Studie zu den Wirkungen von Testosteron auf die Gedächtnisleistungen von Frauen in der Postmenopause, wurden 92 Frauen ein halbes Jahr täglich ein Gel auf den Oberarm gestrichen – der Versuchsgruppe ein Testosteron-Gel, der Kontrollgruppe ein Placebogel. Während und nach der Behandlung wurden die kognitiven Fähigkeiten der Frauen mittels eines computerbasierten Tests überprüft, bei dem Wörterlisten wiederholt werden mussten. Bei den Frauen mit dem Testosteronbehandlung konnte eine deutliche Verbesserung der Testleistung festgestellt werden.
Zu wenig Testosteron bei Männern – wie zu wenig Östrogen bei Frauen – fördert die Ausbildung einer Depression.
Macht Testosteron erfolgreicher?
Rund um Testosteron ranken sich sehr viele Mythen, wobei unbestritten ist, dass dieses Hormon eine Reihe biologischer Mechanismen reguliert, etwa die Bildung geschlechtsspezifischer Merkmale und den Aufbau von Muskeln, sodass Testosteron im Sport bekanntlich als Dopingmittel verwendet wird. Allerdings sind seine psychischen und in weiterer Folge gesellschaftlichen Auswirkungen weit weniger eindeutig. Bei Männern mit höherem sozioökonomischen Status wurde in früheren Untersuchungen ein höherer Testosteronspiegel beobachtet, wobei es aber unklar blieb, ob diese Zusammenhänge tatsächlich dadurch zustande kommen, dass Testosteron einen kausalen Einfluss auf den Status hat. Harrison et al. (2021) führten an einem großen Datensatz eine geschlechtsstratifizierte genomweite Assoziationsanalyse durch, um genetische Varianten zu identifizieren, die mit Testosteron in Verbindung stehen. Anhand der identifizierten Varianten führte man eine Mendelsche Randomisierungsanalyse des Einflusses von Testosteron auf die sozioökonomische Position, das Einkommen, den Beschäftigungsstatus, den Bildungsabschluss, auf die Gesundheit,einschließlich der selbst eingeschätzter Gesundheit, den Body-Mass-Index und auf das Risikoverhalten durch. Man fand dabei in den Daten wenig Hinweise darauf, dass Testosteron die sozioökonomische Stellung, die Gesundheit oder die Risikobereitschaft beeinflusst, vielmehr deuten die Ergebnisse eher darauf hin, dass es unwahrscheinlich ist, dass Testosteron einen bedeutenden Einfluss auf diese Ergebnisse bei Männern oder Frauen hat. Vielmehr kann man auch mit gutem Grund vermuten, dass Erfolg mit der Zeit den Testosteronspiegel steigen lässt.
Keine Auswirkungen auf die soziale Empathie
Die Fähigkeit, auf die mentalen Zustände anderer zu schließen (Mind Reading, Cognitive Empathy), ist für soziale Interaktionen unerlässlich, wobei frühere Studien berichteten, dass Testosteron diese kognitive Empathie bei gesunden Menschen beeinträchtigt. Nadler et al. (2019) untersuchten nun die Zuverlässigkeit und Verallgemeinerbarkeit dieses Befundes in zwei doppelblind placebokontrollierten Experimenten an jungen Männern, und fanden keinen Hinweis darauf, dass die kognitive Empathie – erfasst mittels Fragebögen und Verhaltenstests – durch die Testosteronverabreichung beeinträchtigt wird.
Testosteron verstärkt die Wirkung von Antidepressiva
Es ist bekannt, dass weibliche Geschlechtshormone einen starken Einfluss auf die Psyche haben, was sich etwa in Phänomenen wie dem „Baby-Blues“ nach der Geburt eines Kindes oder durch immer wiederkehrende Stimmungsschwankungen vor der Menstruation bemerkbar macht, aber auch das männliche Geschlechtshormon Testosteron hat Einfluss auf die Stimmung und das Gefühlsleben bis hin zur Libido. Bekanntlich leiden Männer in höherem Alter, wenn die Ausschüttung dieses Geschlechtshormons abnimmt, häufiger an Depressionen und einige Studien konnten bereits einen positiven Effekt einer Testosterongabe auf die Stimmung der Betroffenen nachweisen. Nun konnte nachgewiesen werden, warum, denn Testosteron erhöht die Anzahl von Serotonintransportern im menschlichen Gehirn, die bei der Gabe von Antidepressiva von Bedeutung ist. Am Beispiel einer Hormontherapie von Transsexuellen (Lanzenberger et al., 2013; Kranz et al., 2014), also Menschen, die das Gefühl haben, im falschen Körper zu leben und deshalb eine gegengeschlechtliche Hormontherapie erhalten, um ihr Erscheinungsbild an das jeweils andere Geschlecht anzupassen, konnte man nachweisen, dass der Serotonintransporter im Gehirn bereits nach vierwöchiger Testosterontherapie signifikant erhöht ist und dann weiter ansteigt. Auch konnte ein Zusammenhang zwischen Testosteron im Blut und der Serotonintransporterdichte nachgewiesen werden. Mit der Gabe von Testosteron kann man daher die möglichen Bindungsstellen für Antidepressiva im Gehirn erhöhen.
Testosteron beeinflusst das menschliche Entscheidungsverhalten
Testosteron stimuliert nicht nur männliche Sexualfunktionen, aggressives Verhalten und Ehrgeiz, sondern wirkt sich auch auf bestimmte Denkleistungen aus und beeinflusst Entscheidungsprozesse. So lösen Männer nach einer einmaligen Testosteronbehandlung Denkaufgaben eher schnell und impulsiv und zeigen dabei eine höhere Fehlerquote als eine Placebogruppe (Nave et al., 2018). Offenbar bewirkt der erhöhte Hormonspiegel, dass eine einmal getroffene spontane Entscheidung nicht mehr in Zweifel gezogen wird, weil die vermehrte Freisetzung von Testosteron offenbar in kritischen Situationen das Selbstvertrauen stärkt und damit auch die Überzeugung, richtig entschieden und gehandelt zu haben. Es bieten sich zwei Erklärungen an: Entweder hemmt Testosteron den Prozess, die Entscheidung nochmals zu überdenken, oder es stärkt das Gefühl des Rechthabens. Vielleicht handelt es sich um eine sinnvolle biologische Anpassung, wenn unter dem Einfluss eines erhöhten Testosteronspiegels schnelle intuitive Entscheidungen bevorzugt werden, auch wenn unklar ist, welche neurologischen Prozesse dabei ablaufen. Es gibt im präfrontalen Cortex Rezeptoren für Testosteron, sodass das Hormon daran andocken und die Hirnaktivitäten dadurch verändern könnte, die das Verhalten beeinflussen.
Testosteron beeinflusst nach Untersuchungen von Ou et al. (2021) offenbar auch die Großzügigkeit anderen Menschen gegenüber, denn in einer Studie behielten Probanden, denen zuvor Testosteron verabreicht worden war, bei Entscheidungsaufgaben mehr Geld für sich, während Teilnehmer aus einer Placebogruppe andere stärker bedachten. Möglicherweise verändert das Hormon bei der Gehirnaktivität die Verbindung zwischen Scheitel- und Schläfenlappen, die mit Rücksichtnahme in Verbindung gebracht wird. Testosteron führte zu egoistischeren Entscheidungen, insbesondere wenn es um Menschen geht, zu denen der Proband keine enge Beziehung hatte. Bei sehr nahestehenden Personen wie Eltern, Geschwistern oder Lebenspartnern entschieden sich Probanden aus beiden Gruppen häufiger zum Teilen, wobei sich die Teilnehmer unter erhöhtem Testosteroneinfluss geringfügig weniger großzügig zeigten. Ein deutlicher Unterschied zeigte sich hingegen bei weniger engen Kontakten, etwa Freunden, flüchtigen Bekannten oder Fremden. Allerdings haben an der Studie ausschließlich junge Männer zwischen 18 und 25 Jahren teilgenommen.
Testosteron im Jugendalter
Studien (Laube et al., 2017) zeigen übrigens, dass das impulsive Entscheidungsverhalten bzw. die generell erhöhte Impulsivität von Jugendlichen auf ein Ungleichgewicht in der Reifung des subcortikalen affektiven Netzwerkes und des cortikalen kognitiven Kontrollnetzwerks im Gehirn sowie ihrer Verbindungen zurückzuführen ist. Das affektive Netzwerk, insbesondere das Striatum, das an der Wahrnehmung und Bewertung von Belohnungen beteiligt ist, reift schneller als das Kontrollnetzwerk und seine Verbindungen, und erst mit zunehmendem Alter wird die Verbindung zum Kontrollnetzwerk stärker und Jugendliche lernen, sich zu gedulden und zukünftige Belohnungen wertzuschätzen. Man vermutet nach diesen Studien auch, dass Testosteron innerhalb dieser Netzwerke dieses Ungleichgewicht beeinflusst und somit die Anfälligkeit von Jugendlichen für impulsive Entscheidungen erklären könnte.
Kurioses zum Testosteron
Dieses Sexualhormon beeinflusst die Reaktion einer bestimmten Gruppe von Genen, die auch mit der Immunantwort des menschlichen Körpers zu tun hat. In einer Studie zeigte sich, dass Männer mit erhöhtem Testosteronspiegel eine schwächere Immunantwort haben, sodass Männer stärker an Erkältungskrankheiten leiden als Frauen. In verschiedenen Untersuchungen konnten Psychologen übrigens auch zeigen, dass der Umgang mit hohen Geldsummen den Testosteronwert ebenfalls steigen lässt.
In Durchschnitt haben Männer vergleichsweise kurze Zeigefinger und längere Ringfinger, wobei bei Frauen meist beide Finger ungefähr gleich lang sind bzw. der Zeigefinger sogar etwas länger als der Ringfinger. Verantwortlich für dieses Verhältnis zwischen Zeigefinger und dem Ringfinger ist unter anderem, wieviel Testosteron der Embryo in der Gebärmutter ausgesetzt war. Testosteron im Uterus lässt also die Ringfinger wachsen, d. h., langer Ringfinger im Vergleich zum Zeigefinger, viel Testosteron, kurzer Ringfinger, wenig Testosteron. Allerdings gibt es individuell betrachtet viele Ausnahmen oder sogar Unterschiede zwischen der rechten und linken Hand eines Menschen. Auch früher vermutete Zusammenhänge zwischen Fingerlänge und Persönlichkeit konnten nicht bestätigt werden.
Übrigens nennen die Amerikaner das Hormon Testosteron „Großes T„, das viel darüber aussagt, welche Fähigkeiten man diesem Botenstoff zuschreibt, denn Testosteron steht für Stärke, Libido, Muskeln und macht angeblich Männer erst zu Männern. Weil man nicht so gerne darüber spricht, vor allem wenn zu wenig davon vorhanden ist, ist deshalb ein einzelner Buchstabe doch praktischer als der vollständige Begriff 😉
Literatur
Harrison, Sean, Davies, Neil M., Howe, Laura D. & Hughes, Amanda (2021). Testosterone and socioeconomic position: Mendelian randomization in 306,248 men and women in UK Biobank. Science Advances, 7, doi:10.1126/sciadv.abf8257.
Kranz, Georg S., Wadsak, Wolfgang, Kaufmann, Ulrike, Savli, Markus, Baldinger, Pia Gryglewski, Gregor, Haeusler, Daniela, Spies, Marie, Mitterhauser, Markus, Kasper, Siegfried 6 Lanzenberger, Rupert (2014). High-Dose Testosterone Treatment Increases Serotonin Transporter Binding in Transgender People. Biological Psychiatry, doi: 10.1016/j.biopsych.2014.09.010.
Lanzenberger, R., Baldinger, P., Hahn, A., Ungersboeck, J., Mitterhauser, M., Winkler, D., Micskei, Z., Stein, P., Karanikas, G., Wadsak, W., Kasper, S. & Frey, R. (2013). Global decrease of serotonin-1A receptor binding after electroconvulsive therapy in major depression measured by PET. Molecular Psychiatry, 18, 93-100.
Laube, C., Suleiman, A., Johnson, M., Dahl, R. E., & van den Bos, W. (2017). Dissociable effects of age and testosterone on adolescent impatience. Psychoneuroendocrinology, 80, 162-169.
Nave, Gideon, Nadler, Amos, Zava, David & Camerer, Colin (2018). Single dose testosterone administration impairs cognitive reflection in men. Psychological Science.
WWW: https://www.researchgate.net/publication/316001989_Single_dose_testosterone_administration_impairs_cognitive_reflection_in_men (17-05-02)
Nadler, Amos, Camerer, Colin F., Zava, David T., Ortiz, Triana L., Watson, Neil V., Carré, Justin M. & Nave, Gideon (2019). Does testosterone impair men’s cognitive empathy? Evidence from two large-scale randomized controlled trials. Proceedings of the Royal Society B: Biological Sciences, doi: 10.1098/rspb.2019.1062.
Ou, Jianxin, Wu, Yin, Hu, Yang, Gao, Xiaoxue, Li, Hong & Tobler, Philippe N. (2021). Testosterone reduces generosity through cortical and subcortical mechanisms. Proceedings of the National Academy of Sciences, doi:10.1073/pnas.2021745118.
http://www.wissenschaft-aktuell.de/artikel/Testosteron_blockiert_Denkprozesse1771015590364.html (17-05-02)