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Schwangerschaftsdemenz – Stilldemenz

    Der populärwissenschaftliche Begriff Schwangerschaftsdemenz oder Stilldemenz – auch „Baby Brain“ oder „Pregnancy Brain“ – geht darauf zurück, dass manche Frauen während der Schwangerschaft oder in der Stillzeit von Gedächtniseinbußen berichten, wobei sich einige über die Gedächtnislücken amüsieren, während diese anderen ernsthafte Sorgen bereiten. Nach Studien berichten mehr als drei Viertel der Schwangeren von Gedächtniseinbußen und konnten sich in einem Experiment weniger gelernte Wörter merken als Frauen, die kein Kind erwarteten. Vorweg: Bei der Schwangerschaftsdemenz handelt es sich eher um einen Tunnelblick für das Kind, denn das Gehirn bereitet sich auf das Mutter-Sein vor und fokussiert darauf, nach der Geburt die Emotionen des Kindes besser erkennen und deuten zu können. Um Platz zu schaffen und das Gehirn neu zu verknüpfen, werden alte Verbindungen abgebaut und neue geknüpft, wobei die Reduzierung der grauen Gehirnmasse vergleichbar mit jenem Prozess ist, den Menschen in der Pubertät durchlaufen, denn auch hier werden neue Netzwerke im Gehirn erschlossen und andere abgebaut.

    Kurz vor der Geburt scheint vor allem das prospektive Gedächtnis beeinträchtigt zu sein, wobei man vermutet, dass die Ver­gess­lichkeit den jungen Müttern als Schutz vor Reiz­über­flutung dient, denn diese Vergesslichkeit könnte ihnen helfen, sich in der neuen Situation auf das Kind zu konzentrieren und eine gute Bindung zu ihm aufzu­bauen. Manche führen die Defizite auf den häufig unterbrochenen und weniger erholsamen Schlaf der Mütter zurück, während für andere Cortisol verantwortlich ist, denn durch eine hohe Cortisolkonzentration sterben im präfrontalen Cortex und im Hippocampus Neuronen ab. Vor allem, wenn der Level der Stresshormone dauerhaft erhöht ist, können diese durch ihren neurotoxischen Effekt auf das Gehirn Vergesslichkeit begünstigen, wobei äußere Faktoren, wie Ängste vor der Geburt oder der Verantwortung als Mutter, Probleme in der Partnerschaft oder im Beruf den Stresspegel zusätzlich erhöhen. Wenn sich neben der Vergesslichkeit auch Symptome wie Traurigkeit, Antriebslosigkeit oder Überforderung zeigen, können das Hinweise auf eine Depression sein, jedoch sind Schwangere aber nicht häufiger davon betroffen als andere Frauen, denn eine Depression kann zu jedem Zeitpunkt des Lebens auftreten. Auch Schlafstörungen beeinflussen die Konzentrations- und Merkfähigkeit, wobei besonders im letzten Schwangerschaftsdrittel der Bauchumfang einen ungestörten Nachtschlaf erschwert, den der Körper und das Gehirn aber zur Regeneration benötigen. Man kann daher in dieser Zeit versuchen, die Ausschüttung von Stresshormonen zu senken, in dem man für mehr Schlaf sorgt, die Planung des Alltags auch an den Partner abgibt und positiv in die Zukunft schaut.

    Letztlich sind aber die Begriffe Schwangerschaftsdemenz oder Stilldemenz irreführend, denn mit dem degenerativen Syndrom der Demenz haben solche leichten Erinnerungslücken nichts zu tun, denn das Gehirn werdender und junger Mütter funktioniert nur etwas anders, indem es auf die Mutter-Kind-­Beziehung optimiert scheint. Dieses Phänomen hat daher weder mit dem Stillen an sich noch mit einer echten Demenz etwas zu tun, sondern Schwangerschaft und Geburt bringen extreme Veränderungen des Hormonhaushaltes mit sich. Das Stress-Hormon Cortisol, das sowohl für die Milchproduktion als auch für die Vergesslichkeit verantwortlich ist, erreicht nach der Entbindung ein hohes Niveau. Eigene Bedürfnisse treten in dieser Zeit nach der Geburt meist in den Hintergrund, um den Anforderungen als Mutter gerecht zu werden, d. h., der Schlaf ist durch das regelmäßige Stillen gestört, häufig fehlen die Tiefschlafphasen, die für Konzentration und Regeneration von enormer Wichtigkeit sind. Da Schlafentzug die Leistungsfähigkeit des Gehirns beeinträchtigt, ist genügend Schlaf für die Mutter von größter Wichtigkeit, sodass es hilfreich ist, wenn das Baby direkt neben dem Elternbett schläft und von der Mutter im Liegen gestillt werden kann. Diese möglichen Probleme halten in der Regel längstens ein Jahr lang an, denn schläft das Kind erst einmal durch, pendelt sich alles wieder auf das normale Niveau ein.

    Weitere Untersuchungen (Hoekzema, et al., 2016) zeigen übrigens, dass im Gehirn von Frauen schon während der Schwangerschaft manche Teile des Gehirns offenbar zu dem Zweck abgebaut werden, damit sich der Rest  auf die kommenden Aufgaben besser vorbereiten kann, insbesondere die Regionen des präfrontalen Cortex und des Temporallappens, die beide zum Gedächtnis und zu Emotionen beitragen. Beide Areale werden in dieser Zeit möglicherweise in sich und mit anderen Arealen so neu verschaltet, um sich besser in einen anderen hineinzuversetzen zu können. Diese neuen Strukturen bleiben mindestens zwei Jahre lang erhalten, wobei es sich offenbar um eine Anpassung zum besseren Registrieren der Bedürfnisse eines Kindes geht. Die graue Masse bildete sich in genau jenen Regionen zurück, die besonders aktiv wurden, wenn die Mütter Ultraschallfotos ihrer Kinder im Mutterleib betrachteten. Der Prozess ähnelt teilweise den synaptischen Veränderungen bei Teenagern, bei denen das Gehirn schwächere Synapsen kappt, um Platz für effizientere neuronale Netzwerke zu schaffen.

    Studien am Mausmodell haben gezeigt, dass sowohl durch Kaiserschnitt geborene Tiere als auch jungfräuliche Mäuse, die Schwangerschaftshormonen ausgesetzt waren, elterliche Verhaltensweisen wie Nestbau und Interaktion mit den Jungen entwickelten. Jungfräuliche Mäuse, die keinen Hormonen ausgesetzt waren, interagierten nicht mit den Jungen und bauten auch keine Nester. In einer aktuellen Studie haben die Forscher herausgefunden, dass Mäuse bereits in der Spätschwangerschaft elterliches Verhalten zeigen, ohne dass dafür Kontakt zu den Jungen nötig ist: Die Schwangerschaftshormone Östrogen und Progesteron beeinflussen ein Netzwerk von Nervenzellen im Hypothalamus. Werden die Neuronen jedoch während der Schwangerschaft unempfindlich gegenüber den Hormonen gemacht, fehlt das elterliche Verhalten bei den Tieren, d.h. die Mäuse interagieren auch nach der Geburt nicht mit den Jungen. Dies deutet darauf hin, dass es eine kritische Phase während der Schwangerschaft geben könnte, in der die Hormone das Verhalten auslösen. Da ähnliche Prozesse auch im menschlichen Gehirn ablaufen, geht man davon aus, dass sich das Baby-Brain auch beim Menschen früher entwickelt als bisher angenommen (Stangl, 2021).

    Literatur

    Ehlert, U. (2015). Gedächtnis : Gibt es eine ­Art Schwangerschaftsdemenz? Gehirn & Geist.
    Henry, J. D., & Rendell, P. G. (2007). A Review of the Impact of Pregnancy on Memory Function. Journal of Clinical and Experimental Neuropsychology, 29, 793–803.
    Elseline Hoekzema, Erika Barba-Müller, Cristina Pozzobon, Marisol Picado, Florencio Lucco, David García-García, Juan Carlos Soliva, Adolf Tobeña, Manuel Desco, Eveline A Crone, Agustín Ballesteros, Susanna Carmona & Oscar Vilarroya (2016). Pregnancy leads to long-lasting changes in human brain structure. Nature Neuroscience, doi:10.1038/nn.4458.
    Meinlschmidt, G., Wippich, W., Ehlert, U. & Hellhammer, D. H. (2004). Selective Amnesic Effects of Oxytocin on Human Memory. Physiology & Behavior, 83, 31–38.
    Stangl, W. (2021, 31. Oktober). Baby Brain – gibt es das wirklich? Psychologie-News.
    https:// psychologie-news.stangl.eu/2145/baby-brain-gibt-es-das-wirklich.
    http://www.spiegel.de/gesundheit/schwangerschaft/schwangerschaftsdemenz-keine-demenz-nur-ein-anderer-fokus-a-1063623.html (15-11-19)


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    3 Gedanken zu „Schwangerschaftsdemenz – Stilldemenz“

    1. Martin Korte

      Direkt nach der Geburt, aber vor allem auch, wenn man zwei Kinder hat, eins vielleicht noch in den Windeln auf dem Arm, das andere rennt schon weg – das sind Situationen, die die Aufmerksamkeit voll auf die Situation richten und nicht darauf, in der Situation etwas abzuspeichern. Das heißt, unsere Aufmerksamkeit ist ständig geteilt zwischen dem, was wir selber tun, und der Beobachtung, was die Kinder gerade machen beziehungsweise den Alltag zu bewältigen. Bei geteilter Aufmerksamkeit ist es immer extrem schwierig, stabile Erinnerungen zu bilden.
      Quelle: https://www.swr.de/wissen/1000-antworten/warum-erinnern-muetter-die-kindheit-der-eigenen-kinder-schlecht-102.html

    2. Was hilft bei Stilldemenz?

      Ausreichend schlafen: Schlafmangel steht die ersten Wochen nach der Geburt auf dem Tagesplan. Ständig wirst du aus dem Schlaf geholt, weil dein Baby gestillt werden will. Was du da tun kannst, ist das Stillen (vor allem in der Nacht) so einfach wie möglich zu gestalten. Lass dein Baby in einem Beistellbettchen schlafen, sodass du nachts nicht aufstehen musst, sondern es einfach nur rüber heben und anlegen musst. Bleib beim Stillen liegen, lass das Licht aus und versuche anschließend, schnell wieder in den Schlaf zu finden. Versuche auch so oft wie möglich ein Nickerchen zu machen, wenn dein Baby schläft. Jede Tiefschlafphase hilft deinem Gedächtnis auf die Sprünge.
      Gesunde Ernährung: Kochen ist in den ersten Wochen nach der Geburt zwar schwierig, weil du alle Hände voll zu tun hast, doch auf eine ausgewogene und gesunde Ernährung solltest du nun besonders achten. Dein Körper braucht die Vitamine und Mineralien, die ihm durch das Stillen entzogen werden. Am besten kochst du schon vor der Entbindung vor und frierst die nährstoffreichen Gerichte ein. Manchmal reicht aber auch schon ein Salat und etwas Obst zwischendurch. Frag deinen Partner oder deine Partnerin oder Freunde und Familie um Unterstützung und bitte sie, etwas Frisches und Gesundes für dich zu kochen.
      Viel trinken: Auch wenn der Alltag stressig ist, vergiss bitte nicht, ausreicht zu trinken. Trinken fördert deine Gedächtnisleistung. Hab immer ein Glas Wasser griffbereit.
      Bewegung an der frischen Luft: Auch wenn es manchmal schwer mit Baby sein kann, ein langer Spaziergang an der frischen Luft tut dir gut und beugt Vergesslichkeit vor. Drehe hin und wieder eine Runde mit deinem Kind und dem Kinderwagen und die Bewegung und der Sauerstoff bringen dein Gehirn wieder in Gang.
      Gute Organisation: Gerade nun, da deine Konzentration etwas nachlässt und du schusseliger wirst, sollte dein Alltag gut organisiert sein. Trage deine wichtigen Termine wie die U-Untersuchungen in einen Terminkalender ein, stell dir Erinnerungen von Alexa oder anderen Sprachassistenten ein, lege wichtige Dinge wie Autoschlüssel, Portemonnaie und Co. immer auf denselben Platz und mach dir Notizen zu To-Dos, die du unbedingt noch erledigen musst.
      Hilfe vom Papa: Es sollte sich eigentlich von selbst verstehen, aber natürlich sollte der Vater im Alltag mithelfen. Natürlich musst du das Stillen übernehmen, aber für allen anderen Aufgaben sollte der Papa genauso zuständig sein wie du. Teilt euch die Aufgaben untereinander auf und wenn gerade mal Daddy-Zeit ist, kannst du dich ausruhen und schlafen.
      Quelle: https://www.jolie.de/leben/stilldemenz-alles-ueber-die-vergesslichkeit-nach-der-geburt-210817.html (22-06-19)

    3. Schwangere

      Hormonelle Einflüsse haben bekanntlich eine Wirkung auf das Gehirn, denn viele schwangere Frauen klagen über leichte Vergesslichkeit und sogar Verwirrtheit. Umgangssprachlich ist dann von Schwangerschaftsdemenz die Rede, wobei als mögliche Ursache die hormonellen Veränderungen im Körper diskutiert werden. Nicht weniger bedeutsam scheint aber auch die emotionale Situation zu sein, denn die werdende Mutter ist ganz auf das kleine Leben in ihrem Körper konzentriert, sodass Unwichtiges und wenig Bedeutsames schnell vergessen wird. Zudem ist die Zeit der Schwangerschaft häufig auch mit Stress verbunden. denn vieles muss organisiert und vorbereitet werden, also ein weiterer Einflussfaktor, der Gedächtnislücken während der Schwangerschaft begünstigen kann.

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