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Anosognosie

    Anosognosie bezeichnet das Nichtanerkennen einer Erkrankung wie etwa einer Lähmung durch die betroffene Person, d. h., sie verhält sich so, als existiere die Krankheit überhaupt nicht. Als Anosognosie bezeichnet man somit das Phänomen, dass ein Mensch die Einschränkung oder das Wegfallen einer Körperfunktion nicht beachtet oder nicht wahrhaben will und sich so verhält, als sei die krankhafte Störung nicht vorhanden.

    Meist handelt es sich um eine hirnorganisch bedingte Körperschemastörung, in deren Folge körperliche Defizite bzw. Erkrankungen nicht wahrgenommen werden können. Eine Anosognosie tritt meist als Folge von rechtshemisphärischer Parietallappenläsionen auf, etwa nach einem Hirninfarkt oder einer Gehirnblutung. Dabei wird die Existenz des Defizits seitens des Betroffenen nicht nur negiert sondern häufig durch Konfabulationen überspielt (s. u.).

    Nach neuesten Erkenntnissen spielt dabei die Inselregion eine wichtige Rolle. Die Inselrinde, auch Inselcortex oder Cortex insularis, ist ein Teil der Großhirnrinde, wobei zu jeder Hälfte des Großhirns eine Insel gehört. Während der vorgeburtlichen Entwicklung bleibt dieser Lappen im Wachstum relativ zurück und wird von den stark sich vergrößernden Frontallappen, Scheitellappen und Schläfenlappen überdeckt und in die Tiefe verlagert. Die funktionellen Leistungen der Inselrinde sind nicht vollständig geklärt, funktionell werden der Inselrinde Aufgaben bei der Wahrnehmung chemischer Reize (Geruchssinn, Geschmackssinn) und ihrer Integration mit dem vegetativen Nervensystem zugesprochen, wobei auch eine Beteiligung am akustischen Denken angenommen wird. Die Inselregion ist seit neuesten Erkenntnissen entscheidend für das Entstehen des Körperbewusstseins. Ist etwa die Inselregion von einer Schädigung betroffen, erkennen Menschen ihre Körperteile nicht mehr als ihre eigenen. Die Inselregion ist daher ein zentraler Teil des neuronalen Netzwerks, das den Menschen ein Bewusstsein für den eigenen Körper vermittelt, in ihr laufen alle Signale über den aktuellen Zustand zusammen, also Haltung, Temperatur, Schmerz oder Berührung. In der Inselregion werden die Signale außerdem mit Informationen aus der Umwelt zusammengebracht, sodass ein Gefühl für das eigene Ich in Raum und Zeit entsteht. Menschen mit einer Schädigung der Inselregion versuchen mitunter, den vermeintlich fremden Arm oder das Bein aus dem Bett zu werfen. Dieses Phänomen tritt oft mit einer der Unfähigkeit auf, die Versehrtheit des eigenen Körpers zu erkennen, d. h., Betroffene bemerken nicht, dass sie nach einem Infarkt halbseitig gelähmt sind, halten sich für gesund, obwohl die Tatsachen dagegensprechen. Konfrontiert man sie damit, versuchen sie es wegzuerklären, denn sie könnten ja in die Hände klatschen, hätten nur gerade keine Lust dazu. Noch erstaunlicher ist es, wenn manche Mensche aufgrund einer Hirnschädigung nicht mehr sehen können, ihre Blindheit aber nicht bemerken. Dieser Zustand verschwindet oft nach einiger Zeit von selbst wieder. Der Zugang zur Wirklichkeit lässt sich auch gezielt wiederherstellen, denn spült man den Gehörgang mit Wasser und reizt so Inselregion und umliegende Hirnareale, erkennen sie zumindest kurzzeitig ihre tatsächliche Lage. Menschen, bei denen diese Regionen geschädigt wurden, entwickeln teils bizarre Störungen, d. h., manche Menschen können etwa nach einem Schlaganfall Gegenstände nicht mehr erkennen, obwohl sie einwandfrei sehen können. Bei diesen Störungen funktioniert zwar die Wahrnehmung als solche, aber das Erkennen ist abhandenkommt. Andere Menschen können plötzlich visuelle Szenen nicht mehr deuten, denn treten davon Betroffene in einen Raum, erfassen sie zwar Herd, Kühlschrank und Esstisch, doch dass sie sich in einer Küche befinden, verstehen sie hingegen nicht.

    Literatur

    Hartmann, C. (2020). Woran erkennen wir Realität? ZEIT Wissen vom 18. Februar.


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