Ein Geburtstrauma ist ein zeitpunktspezifisches Trauma, das als körperlicher, psychischer oder seelischer Schaden beim Kind – aber auch bei der Mutter – während der Geburt entstanden ist. Die Geburt ist für Mutter und Kind eine Stresssituation, die eine Vielzahl an Komplikationen und Eingriffe mit sich bringen kann. Perinatale Traumata prägen sich in das Gedächtnis des Kindes, das sich noch immer entwickelt, ein, wodurch spätere Verhaltensmuster beeinflusst und die Persönlichkeit mitgeformt werden können. Geburtstrauma ist somit ein Sammelbegriff für zahlreiche Verletzungen, die in Rahmen einer Geburt auftreten können und in der überwältigenden Mehrzahl der Fälle auch ohne Therapie abklingen. Aber eine Geburt kann jedoch unterschiedlichste Komplikationen, wie etwa Sauerstoffmangel, Steckenbleiben des Kindes oder auch Blutungen der Mutter mit sich bringen, die den Einsatz von medizinischen Eingriffen notwendig machen. Zu nennen sind dabei etwa Medikamente, die wehenhemmend oder wehenfördernd sind, (Not-)Kaiserschnitte unter Vollnarkose oder Epiduralanästhesie oder die Anwendung von Geburtszange oder Saugglocke. Die Auswahl dieser Mittel durch Ärzte und Hebammen beeinflussen die Geburt von außen und kann das Ungeborene von seinem Geburtsweg abbringen, denn in jedem Fall wird über das Baby entschieden und es erlebt einen Verlust seiner Kontrolle. Auch die Behandlung und das Erleben des Neugeborenen direkt nach der Geburt können traumatische Folgen haben, etwa das sofortige Durchschneiden der Nabelschnur, das Absaugen, sämtliche Untersuchungen, sowie das Messen und Wiegen direkt nach Geburt. Besonders traumatisch ist vor allem auch die sofortige Trennung des Neugeborenen von der Mutter. Diesen Kontakt zur Mutter, der seit nun mehr neun Monaten ununterbrochen bestand, direkt nach der Geburt zu unterbrechen, beängstigt und verletzt das Neugeborene. Aber auch das Verhalten der Mutter gegenüber dem Kind direkt nach der Geburt kann zu traumatischen Erfahrungen führen, denn erlebt eine Frau eine für sie traumatische Geburt und fühlt sich dafür schuldig, dass sie nicht in der Lage war ihr Kind auf normale Weise und ohne medizinische Eingriffe zur Welt zu bringen, kann dies ihre Gefühle gegenüber dem Kind negativ beeinflussen (Emge, 2012).
Abzugrenzen ist der Begriff von dem psychologischen Konzept des Geburtsschocks. Während Psychologen vom Geburtstrauma sprechen, das körperliche und psychische Beschwerden auslösen kann, ist das Thema unter Medizinern umstritten. Die Geburt prägt das menschliche Urvertrauen, denn der Säugling hat eine Situation durchgestanden, die anstrengend und beängstigend war, aber er hat es geschafft. Generell ist man der Auffassung, dass die Geburt eine einschneidende Erfahrung im Leben jedes Menschen darstellt und eine wichtige Grundprägung für die weitere seelische Entwicklung darstellt.
Der Begriff wurde erstmals Otto Rank in die psychoanalytische Theorie eingeführt, größere Bedeutung erlangte der Begriff allerdings erst im Bereich der Körpertherapien (Körperarbeit nach Reich, Primärtherapie) und Atemtherapien (Rebirthing, Holotropes Atmen, Integratives Atmen). Zahlreiche Erfahrungsberichte aus diesen Bereichen stärken die Auffassung, dass Erinnerungen an sehr frühe Erlebnisse (z.B. erster Atemzug) gespeichern werden können, auch wenn die Gehirnentwicklung noch nicht entsprechend weit fortgeschritten ist. Therapeutische Erfolge der dieser Methoden sollen belegen, dass das Wiedererleben der Geburt in geeignetem Rahmen wichtige psychische Heilungsprozesse fördern kann.
Nach Ansicht der Transaktionsanalyse ist das Geburtstrauma das erste Gefühl, das im menschlichen Gehirn gespeichert wird. Vor seiner Geburt an lebt der Mensch in einer praktisch perfekten Umgebung. Daraus wird er dann durch die Geburt innerhalb kürzester Zeit in eine für ihn fremde, kalte und ungemütliche Umgebung befördert. Für kurze Zeit ist der Säugling abgeschnitten, abgetrennt, allein gelassen, beziehungslos. Der erste Mensch, der den Säugling aufnimmt und sich um ihn kümmert, beendet diese für ihn erschreckende Situation.
Geburt als Trauma der Mutter
Eine Geburt kann für viele Frauen eine schwere Bürde sein, die sie danach durch ihr Leben schleppen, wobei Frauen immer wieder berichten, dass sie in ihrem Umfeld häufig auf Unverständnis stoßen, wenn sie von Problemen bei der Geburt erzählen. Schätzungen der Internationalen Gesellschaft für prä- und perinatale Psychologie und Medizin zufolge erleben rund 20 bis 50 Prozent der Frauen die Geburt ihres Kindes als belastend, schwierig oder sogar traumatisch.
Einen entscheidenden Grund für diese Entwicklung liegt in den klischeehaften Bildern, mit denen Frauen in Hochglanzmagazinen oder in Wohlfühlblogs überflutet werden, denn dort wird die Geburt allzu oft als sanftes und wunderschönes Ereignis dargestellt, was bei manchen Frauen falsche Erwartungen erzeugt. Eine Geburt ist aber immer mit harter Arbeit und Schmerzen verbunden, worauf man die Frauen vorbereiten und dafür stärken muss, ihren Empfindungen auch Ausdruck zu verleihen. Für viele Frauen sind besonders medizinische Eingriffe ohne Erklärung oder mangelnde Begleitung äußerst problematisch, d. h., noch immer erleben Mütter Gewalt bei der Geburt ihrer Kinder. Bei einer komplizierten Geburt gibt es immer wieder Momente, in denen es auf jede Sekunde ankommt, um das Leben der Mutter und des Neugeborenen zu schützen. Selbstzweifel der Mütter, die Geburt nicht gemeistert zu haben, Bindungsstörungen zum Kind bis hin zur Posttraumatischen Belastungsstörung können die Folge sein.
Literatur
Emge, S. (2012). Geburtstrauma – emotionale und psychische Folgen für das Kind in der frühen Kindheit. Hochschule Darmstadt: Fachbereich Gesellschaftswissenschaften und Soziale Arbeit.
Grof, S. (1991). Geburt, Tod und Transzendenz. Neue Dimensionen in der Psychologie. Reinbek: Rowohlt.
Janov, A. (1993). Der neue Urschrei. Fortschritte in der Primärtherapie. Frankfurt: Fischer.
Rank, Otto (1998). Das Trauma der Geburt und seine Bedeutung für die Psychoanalyse. Gießen: Psychosozial-Verlag.
https://www.zdf.de/nachrichten/panorama/hilfetelefon-schwierige-geburt-trauma-100.html (20-06-29)