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Heuristik

    Als Heuristik  oder heuristisches Vorgehen bezeichnet man in der Psychologie eine einfache Denkstrategie für effizientere Urteile und Problemlösungen, die meist schneller, aber auch fehleranfälliger ist als ein Algorithmus. Eine Heuristik ist demnach eine kognitive Daumenregel, die ein Urteil und eine Entscheidung auf der Basis von nur wenigen Informationen ermöglicht. So ist etwa die Annahme, dass das Wetter morgen genauso wie heute wird, eine Heuristik, mit der man häufig richtig liegt und für die man lediglich aus dem Fenster schauen muss.

    Wenn in der Psychologie also die Rede von Heuristiken ist, dann sind damit einfache Denkstrategien, Faustregeln oder mentale Abkürzungen gemeint, um mit begrenztem Wissen und wenig Zeit zu schnellen Urteilen und Entscheidungen zu kommen. Das menschliche Gehirn greift in der Regel auf Heuristiken zurück, um mit einfachen Mitteln komplexe Sachverhalte und Probleme schnell lösen zu können, wobei die Problemlösung mittels Heuristiken damit zwar schneller, jedoch gleichzeitig auch deutlich fehleranfälliger ist als eine systematische und logische Vorgehensweise.

    Heuristik bezeichnet also ganz allgemein ein Verfahren, um Probleme zu lösen. Da Menschen im Alltag Anstrengungen gern aus dem Weg gehen, nutzen sie häufig Heuristiken, um sich das Nachdenken einfacher zu machen, also Hilfsmittel wie Eselsbrücken oder das Smartphone, das in manchen Situationen Menschen dabei hilft, kognitive Anstrengungen zu vermeiden, etwa indem man nicht in seinem eigenen Gedächtnis kramt sondern einfach googelt. Dadurch wird Wissen immer oberflächlicher, denn wenn man sich beim Erinnern eines Namens oder einer Erklärung Mühe geben muss, dann hilft diese Anstrengung auch, vorhandene alte Gedächtnisinhalte abermals zu festigen und diese Informationen langfristiger im Gedächtnis zu behalten, denn jeder bewusste Abruf einer Erinnerung festigt die Verbindungen zwischen den Neuronen, die am Enkodieren und Abrufen dieses Wissens beteiligt waren. Siehe auch mental shortcut.

    Menschen benutzen etwa zum Ziehen von Schlüssen bei sozialen Interaktionen Heuristiken, die gelegentlich zu Schlußfehlern führen. So etwa die Repräsentativitätsheuristik, denn wenn man etwa neue Menschen kennenlernt, sucht man anhand der ersten Beobachtungen ein Stereotyp aus früheren Erfahrungen, zu dem die neue Person zu passen scheint. Man schließt dann oft fälschlich, dass auch andere Eigenschaften des Stereotyps auf diesen Menschen zutreffen.

    Ebenfalls häufig zu finden ist auch die Verfügbarkeitsheuristik: Bei der Verfügbarkeitsheuristik handelt es sich um eine Urteilsheuristik, die dann zum Einsatz kommt, wenn die Häufigkeit oder die Wahrscheinlichkeit eines Ereignisses bzw. einer Kategorie beurteilt werden soll, dem oder der Urteilenden jedoch die Zeit, die Möglichkeit oder der Wille fehlt, dafür auf genaue Daten zurückzugreifen. Um dennoch zu einem Häufigkeits- oder Wahrscheinlichkeitsurteil zu gelangen, erfolgt meist eine Schätzung danach, wie leicht man sich an entsprechende Beispiele dieses Ereignisses oder dieser Kategorie erinnern kann.  Die relative Wichtigkeit oder Häufigkeit von Ereignisse wird dabei vor allem dann falsch eingeschätzt, da es bei dem weniger häufigen besonders leicht gelingt, sich Beispiele davon ins Bewusstsein zu rufen. So überschätzen die meisten Menschen die Wahrscheinlichkeit eines Mordes oder eines Flugzeugabsturzes, weil sie in den Medien so überproportional gut mit Informationen darüber versorgt werden. Testpersonen schätzten z.B. die Anzahl englischer Wörter, die mit k beginnen höher ein als die Anzahl englischer Wörter, die ein k als dritten Buchstaben haben. Letztere fallen einem nicht so leicht ein, sind aber objektiv betrachtet doppelt so häufig. Das Versagen der normalerweise nützlichen Verfügbarkeitsheuristik passiert nicht nur aufgrund eines allgemeinen Erfahrungshintergrundes, sondern oft auch situationsabhängig: Wenn man mit einer Sache gerade vor kurzem Kontakt hatte, ist diese geistig leicht zugänglich und wird als wichtiger oder häufiger eingestuft als ihr zukäme. Aus diesem Grund haben persönliche Begegnungen mit Menschen, die ihre Meinung äußern, oft so einen großen Einfluß auf persönliche Entscheidungen, denn das Erlebnis der persönlichen Begegnung ist intensiv und ihr Inhalt deshalb besonders leicht verfügbar. Das Problematische an einem solchen Vorgehen ist, dass es sich hierbei um eine illusorische Korrelation handelt, da die mentale Verfügbarkeit von Beispielen mit der tatsächlichen Häufigkeit eines Ereignisses nicht kausal zusammenhängt, sodass es in der Folge zu stark verzerrten Urteilen, Meinungen und Weltbildern kommt. Persönliche Erfahrungen besitzen eine deutlich höhere mentale Verfügbarkeit und wiegen deutlich schwerer als Erlebnisse, als die Erlebnisse anderer Personen, denn so wird etwa ein gerichtliches Fehlurteil, von dem man persönlich betroffen ist, das Vertrauen in das Justizsystem stärker untergraben als ein ähnliches Ereignis, das man jedoch nur den Medien entnimmt. Bei der Verfügbarkeitsheuristik ist daher nicht die Anzahl der Beispiele ausschlaggebend, sondern die Leichtigkeit, mit der entsprechende Beispiele einfallen.

    Die Häufigkeit und Wahrscheinlichkeit von Ereignissen werden insbesondere durch die Medienberichterstattung und emotionale Intensität von Nachrichten verzerrt, denen man ausgesetzt ist. Dies kann dazu führen, dass man bestimmte Risiken maßlos überschätzt, nur weil Medien verstärkt darüber berichtet haben. So ziehen öffentliche Ereignisse wie Korruptionsskandale von Politikern oder Scheidungen bei Prominenten eine starke Aufmerksamkeit auf sich, wodurch diese sich leicht aus dem Gedächtnis abrufen lassen und in der Folge die Häufigkeit von Korruptionsskandalen bei Politikern oder von Scheidungen von Prominenten überschätzt wird. Manche dramatische Ereignisse wie Flugzeugabstürze, über die in den Medien ausführlich berichtet wird, führen zu einer temporären hohen mentalen Verfügbarkeit, wodurch die Häufigkeit von Flugzeugabstürzen und das Risiko von Flugreisen maßlos überschätzt wird, obwohl sich das extrem geringe statistische Risiko dabei nicht verändert hat.

    Eine im Alltag häufige zu findende Heuristik ist der Regressionsfehlschluß: Auf ein Lob nach einer extrem guten Leistung folgt oft eine schwächere Leistung, während auf Kritik nach einer extrem schlechten Leistung meistens eine bessere Leistung folgt. Kann man daraus schließen, dass Lob demotiviert und Kritik motiviert? Man kann, und man tut das auch dauernd, doch es ist falsch, denn in Wirklichkeit sind beide Ereignisse, die Verbesserung als auch die Verschlechterung, schlicht und einfach sehr wahrscheinlich, denn eine extrem gute oder schlechte Leistung ist so weit vom Mittelwert entfernt, dass fast immer die nächste Leistung näher am Mittelwert liegen wird. Dieser Regressionsfehlschluss ist eine spezielle Form des Versagens der Verfügbarkeitsheuristik.


    1.    Definition
    „Heuristik, die; – [zu griech. heurískein = finden, entdecken]: Lehre, Wissenschaft von den Verfahren, Probleme zu lösen; methodische Anleitung, Anweisung zur Gewinnung neuer Erkenntnisse;“ (Brockhaus Lexikonredaktion, 1995, S. 1568).

    2.  Definition
    „Heuristiken sind kognitive >>Eilverfahren<<, die bei der Reduzierung des Bereichs möglicher Antworten oder Problemlösungen nützlich sind, indem sie >>Faustregeln<< als Strategien anwenden“ (Zimbardo, 1995, S. 371).

    3.  Definition
    Unter Heuristik versteht man die Wissenschaft, die die Gesetzmäßigkeiten und die Methodik der Rechercheprozesse bei einer Aufgabenlösung untersucht und die, indem sie die Anzahl der möglichen Lösungsansätze dieser Aufgabe auf ein Minimum reduziert oder in gewissem Maße einschränkt, die Lösungszeit im Vergleich zu den bekannten Methoden in der Forschertätigkeit verkürzt, z.B. durch die Methode der blinden Lösungswahl oder durch Methoden, die in den klassischen axiomatischen Kalkülen gebräuchlich sind (vgl. Albrecht & Asser, 1978, S. 200).

    4.  Definition
    Im Lexikon der Psychologie wird die Heuristik als Erfindungskunst, als Anleitung zum Gewinnen neuer Erkenntnisse und als produktive Hintergrundannahmen, die den produktiven Horizont eines Wissens- und Forschungsgebietes ausmachen, bezeichnet. Weiters ist die Heuristik in der Denkpsychologie der Oberbegriff für alle Verfahren und Strategien, die zur Annäherung an die Lösung eines Problems führen (vgl. Bertelsmann Lexikonredaktion, 1995, S. 174).

    5.  Definition
    Im Gegensatz zum Algorithmus stellt eine Heuristik eine Lösungsmöglichkeit dar, die, einer Daumenregel ähnlich, zu einer Problemlösung eingesetzt werden kann, ohne eine Lösung zu garantieren. Als Beispiel kann das Schachspiel herangezogen werden. Eine gute Heuristik dabei ist, das Mittelfeld zu kontrollieren, wobei dies kein Rezept zum Sieg ist, sondern lediglich eine Gewinnchancensteigerung (vgl. Wessells, 1990, S. 356).

    6. Definition

    Von griechisch heuriskein = finden, entdecken, bezeichnet eine gewisse Erfinderkunst. Die Lehre von den Verfahren oder Probleme zu lösen. Es werden Wissenschaften, Beweise oder Widerlegungen gefunden. Außerdem arbeitet die Heuristik unter anderem mit Vermutungen, Analogien, Generalisierungen, Arbeitshypothesen und auch mit Modellen von Zusammenhängen (vgl. Meyers, 1974, S. 819).

    7. Definition

    Im Bereich der kognitiven Psychologie findet man den Begriff der räumlichen Heuristik. „Neue kognitionswissenschaftliche Forschungsansätze zeigen, dass die räumliche Heuristik bei der Organisation von einfachen Problemen bis hin zu komplexen Problemszenarien, das menschliche Wahrnehmen signifikant entlasten und verbessern kann“ (Frensch & Funke, 2006, S. 73).

    8. Definition

    Heuristik beschreibt Suchverfahren und Findermethoden, für die es keine festen Vorschriften gibt. Dazu ein Beispiel: „Den Aktionsbaum beschneiden bedeutet für den Problemlöser alle Zweige entfernen, die ohnehin nicht zur Lösung führen, dafür aber die Aufmerksamkeit auf jene Zweige zu richten, die ihn einer Lösung näher bringen. Ein solches Verfahren führt von einer systematischen Variation zu einer planmäßig auswählenden Variation“ (Schönpflug & Schönpflug, 1989, S. 230).

    9. Definition

    In Bezug auf die Psychologie für Wirtschaftswissenschaftler bedeuten Heuristiken, dass der Alltagsmensch auf wahrscheinlichkeitstheoretische Abwägungen verzichtet und dass er das Prognostizieren auf eigene handliche Denkschritte reduziert. Außerdem werden verschiedene beachtenswerte statistische Hintergrundinformationen vernachlässigt (vgl. Franke & Kühlmann, 1990, S. 203).

    10. Definition

    Psychologisch betrachtet wird die Heuristik als eine kognitive Strategie betrachtet, die bei der Lösung einer komplizierten Schlussfolgerungsaufgabe oft als Vereinfachung, sozusagen als Patentlösung verwendet wird (vgl. Gerrig & Zimbardo, 2004, S. 374).


    Ein Beispiel für ein heuristisches Modell in der Psychologie ist etwa das der Basisemotionen nach Plutchik, der die Emotionen auf einem zweidimensionalen Kreis an anordnete, wobei qualitativ ähnliche Emotionen nebeneinander liegen und entgegengesetzte Emotionen einander gegenüberliegen:

    Literatur

    Albrecht, E. & Asser, G. (1978). Wörterbuch der Logik. Leipzig: VEB Verlag Enzyklopädie.
    Franke, J. & Kühlmann, T. M. (1990). Psychologie für Wirtschaftswissenschaftler. Landsberg/Lech: Verlag moderne industrie AG & Co.
    Frensch, P. A. & Funke, J. (2006). Handbuch der Allgemeinen Psychologie – Kognition. Göttingen: Verlag Hogrefe GmbH & Co. KG.
    Gerrig, R. J. & Zimbardo, P. G. (2004). Psychologie, 16. Auflage. München: Verlag Pearson Education.
    Meyers Enzyklopädisches Lexikon, elfter Band. (1974). Mannheim: Verlag Bibliographisches Institut AG.
    Ohne Autor (1995). In Lexikon-Institut Bertelsmann (Hrsg.). Lexikon der Psychologie (S. 174). Gütersloh: Bertelsmann Lexikon Verlag.
    Ohne Autor (1995). In F.A. Brockhaus GmbH (Hrsg.). Brockhaus Enzyklopädie gluc-reg (S. 1568). Mannheim: Brockhaus GmbH.
    Schönpflug, W. & U. (1989). Psychologie: Allgemeine Psychologie und ihre Verzeigungen in der Entwicklungs-Persönlichkeits- und Sozialpsychologie. München: Verlag Psychologie Verlags Union.
    Prechelt, L. (1999). Sozialpsychologische Aspekte des Verhaltens.
    WWW: http://page.mi.fu-berlin.de/prechelt/swt2/node20.html (99-11-11)
    Stangl, W. (2021). Emotion Psychologische Erklärungsmodelle und Theorien. [werner stangl]s arbeitsblätter.
    WWW: https://arbeitsblaetter.stangl-taller.at/EMOTION/Emotion.shtml (2021-06-15).
    Wessells, M. (1990). Kognitive Psychologie. Basel: E. Reinhardt.
    Zimbardo, P.G. (1995). Psychologie. Berlin Heidelberg: Springer-Verlag.
    https://www.lajkonik-content.de/verkaufspsychologie/verfuegbarkeitsheuristik/ (22-09-09)


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