Schlafträgheit – sleep inertia – bezeichnet in der Psychologie den Zustand vorübergehender Beeinträchtigung kognitiver und motorischer Funktionen unmittelbar nach dem Erwachen aus dem Schlaf. Dieser Zustand ist durch eine reduzierte Aufmerksamkeit, verlangsamte Reaktionszeiten, eingeschränkte Entscheidungsfähigkeit und ein allgemeines Gefühl geistiger Benommenheit gekennzeichnet. Schlafträgheit stellt eine Übergangsphase zwischen Schlaf und vollem Wachbewusstsein dar und kann je nach Schlafstadium, aus dem man erwacht, der Schlafdauer und der individuellen Schlafqualität unterschiedlich stark ausgeprägt sein (Tassi & Muzet, 2000). Schlafträgheit ist dabei ein normaler, funktional relevanter Bestandteil des menschlichen Schlaf-Wach-Zyklus, der zeigt, dass der Übergang vom Schlaf zum wachen Bewusstsein kein abruptes, sondern ein graduelles, neurophysiologisch gesteuertes Phänomen ist.
Physiologisch wird Schlafträgheit mit einer verzögerten Reaktivierung bestimmter Hirnareale, insbesondere des präfrontalen Cortex, in Verbindung gebracht. Während andere Regionen des Gehirns bereits aktiv sind, bleibt dieser Bereich, der für Planung, Urteilsvermögen und Arbeitsgedächtnis zuständig ist, noch teilweise im „Schlafmodus“. Bildgebende Studien zeigen, dass diese neuronale Asynchronie mehrere Minuten bis zu einer halben Stunde anhalten kann (Balkin & Badia, 1988; Groeger, Lo, Burns, & Dijk, 2011).
Die Dauer und Intensität der Schlafträgheit werden von verschiedenen Faktoren beeinflusst. Besonders stark tritt sie auf, wenn Menschen aus dem Tiefschlaf (Slow-Wave-Schlaf) geweckt werden oder wenn der Schlaf abrupt unterbrochen wird. Auch Schlafmangel, unregelmäßige Schlafzeiten und Schichtarbeit können die Schlafträgheit verstärken (Ferrara & De Gennaro, 2000). Umgekehrt zeigen Studien, dass ein kurzer Mittagsschlaf (Powernap) von etwa 10 bis 20 Minuten meist nur eine geringe Schlafträgheit hervorruft, während längere Nickerchen, die in tiefere Schlafstadien übergehen, den Effekt deutlich verstärken können (Hayashi, Ito, & Hori, 1999).
In der Alltagspsychologie und Arbeitsforschung ist Schlafträgheit besonders relevant, wenn Menschen unmittelbar nach dem Erwachen wichtige Entscheidungen treffen oder komplexe Aufgaben bewältigen müssen. So kann etwa das Aufstehen eines Piloten, Arztes oder Feuerwehrmanns aus dem Bereitschaftsschlaf zu deutlich reduzierter Leistungsfähigkeit führen, was sicherheitsrelevante Folgen haben kann (Van Dongen, Price, Mullington, Szuba, & Dinges, 2001). Auch im Alltag kann Schlafträgheit zu riskanten Situationen führen, etwa beim Autofahren kurz nach dem Aufwachen oder bei der Bedienung von Maschinen.
Zur Minderung von Schlafträgheit werden verschiedene Strategien empfohlen, darunter eine allmähliche Lichtexposition nach dem Aufwachen, leichte körperliche Aktivität, der Konsum von Koffein sowie das Einhalten regelmäßiger Schlafrhythmen. Forschungsergebnisse legen nahe, dass die Kombination aus hellem Licht und Bewegung besonders effektiv ist, um den Übergang in den Wachzustand zu beschleunigen (Jewett, Wyatt, Ritz-De Cecco, Khalsa, Dijk, & Czeisler, 1999).
Literatur
Balkin, T. J., & Badia, P. (1988). Relationship between sleep inertia and sleepiness: Cumulative effects of four nights of sleep disruption/restriction on performance following abrupt nocturnal awakenings. Biological Psychology, 27(3), 245–258.
Ferrara, M., & De Gennaro, L. (2000). The sleep inertia phenomenon during the sleep–wake transition: Theoretical and operational issues. Aviation, Space, and Environmental Medicine, 71(8), 843–848.
Groeger, J. A., Lo, J. C., Burns, C. G., & Dijk, D. J. (2011). Effects of sleep inertia after daytime naps vary with executive load and time of day. Behavioral Neuroscience, 125(2), 252–260.
Hayashi, M., Ito, S., & Hori, T. (1999). The effects of a 20-min nap at noon on sleepiness, performance and EEG activity. International Journal of Psychophysiology, 32(2), 173–180.
Jewett, M. E., Wyatt, J. K., Ritz-De Cecco, A., Khalsa, S. B. S., Dijk, D. J., & Czeisler, C. A. (1999). Time course of sleep inertia dissipation in human performance and alertness. Journal of Sleep Research, 8(1), 1–8.
Tassi, P., & Muzet, A. (2000). Sleep inertia. Sleep Medicine Reviews, 4(4), 341–353.
Van Dongen, H. P. A., Price, N. J., Mullington, J. M., Szuba, M. P., & Dinges, D. F. (2001). Cumulative sleepiness, mood disturbance, and psychomotor vigilance performance decrements during a week of sleep restricted to 4–5 hours per night. Sleep, 24(3), 265–271.