Speed watching

Speedwatching, auch Speed Viewing, beschreibt das Konsumieren audiovisueller Inhalte – etwa Filme, Serien, Vorlesungen oder Podcasts – bei erhöhter Wiedergabegeschwindigkeit. Diese Praxis hat sich im digitalen Alltag vieler Menschen etabliert und wird durch zahlreiche Plattformen wie YouTube, Netflix oder Podcast-Apps aktiv unterstützt. Typische Einstellungen erlauben eine Wiedergabe mit dem 1,25- bis 2-fachen Tempo, in manchen Fällen sogar darüber hinaus. Im Zentrum dieser Entwicklung steht vor allem der Wunsch nach Zeitersparnis in einer Medienlandschaft, die durch eine beinahe unüberschaubare Fülle an Inhalten geprägt ist. Hauptsächlich bezieht sich Speed watching auf den Konsum von Serien in den neuen Streamingportalen wie Netflix mit doppeltem Abspieltempo, wobei es darum geht, dass wer doppelt so schnell schaut, auch doppelt so viele Folgen schafft. Meist nutzt man in diesen Schnellvideos die Untertitel, um dem Geschehen zu folgen.

Speed watching ist analog zu speed reading (Bücher) und speed listening (Podcasts) zu betrachten, wobei angeblich das Gehirn dabei schrittweise an die doppelte Abspielgeschwindigkeit gewöhnt werden kann. Jemand, der die „Gilmore Girls“ oder „Westworld“ zuerst mit 1,2-facher und dann 1,5-facher Geschwindigkeit betrachtet, schafft irgendwann auch die zweifache oder sogar noch größere Geschwindigkeit. Dabei helfen Video-Player wie VLC und diverse Erweiterungen für Internet-Browser.

Allerdings lassen sich Filme oder Hörbücher auch verlangsamen (slow watching, slow listening), wobei viele ältere Menschen langsam Gesprochenes besser verstehen und so Nachrichten aus den Mediatheken oder Spielfilmen besser folgen können, zumal dadurch auch Untertitel länger eingeblendet bleiben. Gerade wenn Formulierungen anspruchsvoll sind, wie bei Nachrichten oder Filmen, kann ein etwas langsameres Abspielen auf Faktor 0,9 oder 0,8 daher durchaus die Verständlichkeit erhöhen. Auch Jüngere profitieren vom langsameren Abspielen, wenn sie auf Youtube eine Anleitung ansehen möchten, um etwa ein Lied auf dem Klavier oder der Gitarre nachzuspielen oder ihre Fremdsprachenkenntnisse durch Filme mit der originalen Tonspur verbessern wollen.

Angeblich sollen auch Lernende von dieser Technik profitieren können, wenn sie Lernvideos der Universität oder der Schule etwas schneller abspielen, wobei sich damit nicht nur in der gleichen Zeit mehr Lernmaterial sichten lässt, kann es auch den Lernerfolg insgesamt verbessern. Dabei stellt sich allerdings die Frage, wie sich diese Beschleunigung auf das Verstehen, Erinnern und Lernen auswirkt. Studien zeigen, dass das Verarbeiten schneller abgespielter Inhalte bis zu einer gewissen Grenze durchaus möglich ist – ohne nennenswerte Einbußen bei der kognitiven Verarbeitung. Insbesondere die doppelte Wiedergabegeschwindigkeit gilt als Schwelle, bei der das Text- und Bildverständnis weitgehend erhalten bleibt (Rogowsky et al., 2020). Ein möglicher Erklärungsansatz liegt in der erhöhten geistigen Wachheit: Durch das gesteigerte Tempo wird das Gehirn stärker gefordert, was wiederum die Aufmerksamkeit bündeln und die Konzentration fördern kann (Korte, 2024). Neurobiologe Martin Korte betont, dass schnelles Abspielen die Gefahr des gedanklichen Abschweifens reduziere – ein Effekt, der insbesondere beim passiven Medienkonsum nicht zu unterschätzen sei.

Für das Lernen bedeutet das: Speedwatching kann unter bestimmten Bedingungen eine sinnvolle Methode sein, insbesondere wenn es darum geht, sich auf Prüfungen vorzubereiten, Inhalte zu überblicken oder auswendig zu lernen. Eine 2023 erschienene Metaanalyse im Educational Psychology Review wertete 24 Studien aus und kam zu dem Schluss, dass das Verständnis bis zu einer Geschwindigkeit von 2,0-fach stabil bleibt, bei 2,5-facher Geschwindigkeit jedoch signifikant einbricht (Yuan et al., 2023). Der Grund liegt in den Kapazitätsgrenzen des Arbeitsgedächtnisses, das nur eine begrenzte Menge an Informationen simultan verarbeiten kann.

Zugleich zeigen sich altersabhängige Unterschiede: Während jüngere Menschen – insbesondere Studierende – beim Speedwatching teils sogar bessere Lernerfolge erzielen als bei normaler Geschwindigkeit, sinkt bei älteren Erwachsenen (über 60 Jahre) das Textverständnis bereits bei 1,5-facher Geschwindigkeit deutlich. In Studien wurde ein Verlust von bis zu einem Drittel der aufgenommenen Inhalte beobachtet (Yuan et al., 2023). Die Ursachen dürften sowohl in altersbedingten Veränderungen der kognitiven Leistungsfähigkeit als auch in der geringeren Medienerfahrung dieser Altersgruppe liegen. Erfreulicherweise deuten Forschungsergebnisse darauf hin, dass sich auch ältere Menschen an das beschleunigte Format gewöhnen können – wenn auch mit erhöhter Trainingszeit.

Gleichzeitig mahnen Expertinnen und Experten zur bewussten und reflektierten Nutzung. Speedwatching sollte kein Standardmodus werden, sondern gezielt für bestimmte Inhalte und Kontexte eingesetzt werden. Besonders bei komplexen Themen, die tiefgreifendes Verstehen und langfristige Speicherung im Langzeitgedächtnis erfordern, empfiehlt sich ein gemäßigteres Lerntempo. Unterstützend wirkt dabei das Anfertigen handschriftlicher Notizen – ein bewährtes Mittel, um Inhalte tiefer zu verankern, unabhängig vom Lerntempo oder Alter (Mueller & Oppenheimer, 2014).

Allerdings bedeutet stundenlanges Schauen und Lernen in hoher Abspielgeschwindigkeit Stress für das Gehirn, und zwar umso mehr, je komplexer das Thema ist. Wer das sehr häufig tut, muss damit rechnen, dass sein Aggressionspotenzial durch die unbewusste ständige Überforderung des Gehirns steigt. Langfristig können auch Schlafrhythmus- und -qualität gestört werden, aber auch Kopfschmerzen treten häufiger auf. Allmählich entwickelt sich auch eine Diskrepanz zur realen Welt, denn diese läuft nun einmal langsamer ab als ein mit Faktor 2,0 abgespielter Film. Betroffene entwickeln dadurch schneller Langeweile, sind ungeduldiger und entwickeln einen Druck, möglichst bald wieder in ihre schnellere Serienwelt zurückzukehren.

Literatur

Korte, M. (2024). Was beim Lernen im Gehirn passiert. Technische Universität Braunschweig.
Mueller, P. A., & Oppenheimer, D. M. (2014). The Pen Is Mightier Than the Keyboard: Advantages of Longhand Over Laptop Note Taking. Psychological Science, 25(6), 1159–1168.
Rogowsky, B. A., Calhoun, B. M., & Tallal, P. (2020). Does Speed Listening Hurt Comprehension? Applied Cognitive Psychology, 34(4), 815–825.
Yuan, J., Chang, A., & Mayer, R. E. (2023). Effects of Video Playback Speed on Learning: A Meta-Analysis. Educational Psychology Review, 35(2), 875–901.


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