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Ohrwurm

    Ohrwurm (earworm, sticky music, head music) ist die umgangssprachliche Bezeichnung für ein eingängiges und merkfähiges Musikstück, das der Hörerin oder dem Hörer über einen längeren Zeitraum in Erinnerung bleibt und einen hohen akustischen Wiedererkennungs- und Reproduktionswert besitzt. Der vom gleichnamigen Insekt abgeleitete Begriff soll bildlich ausdrücken, dass die Musik wie ein Wurm in den Gehörgang hineinkriecht und dort bleibt. Ein Ohrwurm wird oft in unpassenden Momenten aktiv, wobei Untersuchungen zeigen, dass mehr als neunzig Prozent der Menschen mindestens einmal pro Woche von einem Ohrwurm heimgesucht werden. Ohrwürmer entstehen zu mehr als siebzig Prozent in Alltagssituationen wie Abwaschen oder Aufräumen bzw. in Leerlauf- und Wartephasen.

    Bisher wurde angenommen, dass nur etwa eine von 10.000 Personen über absolutes Gehör verfügt, also die Fähigkeit, Töne exakt zu identifizieren oder zu reproduzieren, ohne sich auf eine Referenz zu stützen. Doch eine kürzlich durchgeführte Studie von Evans et al. (2024) deutet darauf hin, dass viele Menschen möglicherweise über eine Art „verborgenes absolutes Gehör“ verfügen. Entgegen bisheriger Erkenntnisse zeigt die Untersuchung, dass Menschen in der Lage sind, Melodien mit überraschender Genauigkeit in der richtigen Tonhöhe wiederzugeben, selbst wenn sie kein bewusstes musikalisches Training absolviert haben. In der Studie wurden 30 Teilnehmer gebeten, über zwei Wochen hinweg ihre aktuellen Ohrwürmer spontan aufzunehmen. Dabei stimmten knapp 45 Prozent der Aufnahmen exakt mit der Originaltonart überein, und fast 70 Prozent wichen maximal einen Halbton vom Original ab. Interessanterweise zeigte sich auch, dass die tatsächliche Leistung der Teilnehmer oft besser war als ihre eigene Einschätzung, denn viele Menschen mit einem sehr guten Tonhöhengedächtnis sind sich ihrer Fähigkeit nicht bewusst und unterschätzen ihre Genauigkeit beim Singen. Dies unterscheidet sie von Menschen mit klassischem absolutem Gehör, die sich ihrer Fähigkeiten in der Regel bewusst sind. Unser Gehirn besitzt möglicherweise besondere Systeme, um musikalische Informationen aufzunehmen und darauf zuzugreifen. Diese Fähigkeit könnte erklären, wie präzise unser Verständnis und Erleben von Musik ist.

    Musikalischen Ohrwürmer im wissenschaftlichen Jargon auch als INMI (involuntary musical imagery) bezeichnet, weobei nach älteren Studien Frauen und Musiker besonders anfällig für Ohrwürmer sind. Einige Personengruppen sind also besonders empfänglich für Ohrwürmer, etwa Menschen, die sich sehr viel mit Musik beschäftigen, die selbst musizieren, viel Radio hören oder eine große Plattensammlung besitzen. Ist ein Zuhörer mit einem bestimmten Titel sehr gut vertraut, so erhöht dies die Chancen des Musikstücks, für ihn zu einem Ohrwurm zu werden. Auch Persönlichkeitsmerkmale spielen eine Rolle, denn besonders anfällig sind sensible Menschen mit niedrigen Reizschwellen oder vermutlich auch Menschen mit einer hohen Perseverationstendenz. Auch Menschen, die starke Gefühle beim Musikhören haben, sind empfänglicher für einen Ohrwurm, denn Melodien, mit denen sie Erinnerungen oder Emotionen in Verbindung bringen, werden eher in ihrem auditiven Gedächtnis abgespeichert.

    Ein Ohrwurm basiert auf einer spezifischen Gedächtnisleistung, wobei eine Melodie irgendwann über das Gehör ins Gehirn gelangt und im Langzeitgedächtnis gespeichert wird. Um ins Langzeitgedächtnis Eingang zu finden, muss die Melodie bestimmte Charakteristika erfüllen: so enthalten solche Melodien keine großen Tonsprünge oder komplexe Rhythmen, wobei ein Text mit einfachen Worten unterstützend wirken kann.

    Bei Versuchen spielte man Probanden bekannte und unbekannte Musikstücke vor und unterbrach die Musik dann für einige Sekunden, worauf sich zeigte, dass auch in der Stille die Musik im Gehirn weiter läuft, und zwar vor allem dann, wenn man das Stück gut kennt, in dem plötzlich eine Lücke klafft. Es zeigte sich nach der Unterbrechung eine starke Aktivität im auditorischen Assoziationscortex, also jenem Teil der Gehirnrinde, der für die Verarbeitung von Gehörtem und die Verknüpfung von akustischen Reizen zuständig ist. Bei Unterbrechungen von reinen Instrumentalstücken war zusätzlich auch der primäre auditorische Cortex aktiv, da hier offensichtlich eine genauere Verarbeitung nötig ist, wenn keine über Sprache vermittelte Hilfestellung wie ein Liedtext zur Verfügung steht, um die Lücke zu füllen. Bekanntlich setzt sich manchmal auch ein Musikstück, das man morgens im Radio nicht bis zum Schluss gehört hat, als Ohrwurm fest, denn das Gehirn versucht, das Lied zu einem Ende zu bringen (Zeigarnik-Effekt).

    Interessanterweise spielt die Häufigkeit des Hörens kaum eine Rolle, vielmehr ist ein emotionaler Bezug entscheidend, wenn man starke, meist positive, manchmal aber auch negative Gefühle mit einer Melodie verbindet. Allerdings behält man viel öfter Lieder im Ohr, die man mag, als solche, die man nicht mag. Dass man mit einem Ohrwurm manchmal keine angenehme Erfahrung verbindet, sondern ihn eher als Belästigung wahrnimmt, liegt eher an verzerrter Wahrnehmung. Übrigens sind Menschen, die selten gezielt Musik hören, eher anfällig für Melodien ihrer Umgebung, etwa für Jingles im Fernsehen oder für Kaufhausmusik. Besonders häufig sind Ohrwurm-Attacken in der Adventszeit, denn auf Weihnachtsmärkten und in Kaufhäusern erklingen permanent eingängige Songs wie „Last Christmas“, „Feliz Navidad“, „Wonderful Dream“, „Christmas In My Heart“ und „Driving Home For Christmas“, die sich im Gedächtnis festsetzen, vor allem, weil man sie meist nur in Ausschnitten hört und daher das Gehirn bestrebt ist, diese Melodien zu einem Ende zu bringen.

    Unwillkürlich kommt ein Ohrwurm irgendwann in Form einer Imagination wieder zum Vorschein, was vor allem in Situationen geschieht, wo im Gehirn Leerlauf herrscht (mind wandering, default mode), also etwa beim Staubsaugen, Spazieren oder Warten an der Haltestelle. Eine Assoziation mit einem Stichwort, einem Ort, ein Geruch oder eine auch eine Stimmung stellt dann die Verbindung zu der gespeicherten Melodie her und aktiviert diese.

    Die klassische Länge eines Ohrwurms beträgt meist zwischen vier und acht Sekunden, doch welcher Teil eines Liedes immer wiederkehrt, ist unterschiedlich, denn bei einem ist es der Anfang, bei einem anderen ein Reim oder die letzte Zeile des Textes.

    Jakubowski et al. (2016) untersuchten die Frage, wie ein Musikstück beschaffen sein muss, um einen Ohrwurm auszulösen. Dafür wurden dreitausend Probanden im Alter von zwölf bis 81 Jahren befragt, welchen Ohrwurm sie zuletzt und welchen sie am häufigsten hatten. Aus den Mehrfachnennungen erstellten die Forscher schließlich ein Sample von hundert Popsongs. Aus früheren Studien weiß man, dass die Häufigkeit und zeitliche Nähe, in der man einem Lied ausgesetzt ist, eine entscheidende Rolle spielt. Dafür stellte man eine Kontrollgruppe zusammen mit Musikstücken, die in Hitparadenplatzierung und Radioeinsatz den ohrwurmauslösenden Liedern entsprachen, die aber trotzdem von keinem einzigen Befragten als Ohrwurm genannt worden war. Man konnte nun einige Faktoren finden, die Ohrwürmer auslösen, etwa dass sich Up-Tempo-Songs (Up tempo bezeichnet im Jazz, Blues und Rhythm & Blues ein Tempo, das schneller ist als 208 BPM) leichter festsetzen als langsame. Der grundlegende Aufbau eines Ohrwurms sollte gängigen Mustern folgen, insbesondere einem Melodiebogen mit ansteigender und wieder abfallender Tonhöhe, wie sie auch in Kinderliedern zu finden sind. Hinzu sollte aber ein kleiner Überraschungsfaktor kommen, d. h., dass etwa der Steigungsgrad dieses Bogens vom Mittelwert möglichst weit abweichen sollte, oder dass unerwartete Intervalle und Wiederholungen auftreten.

    Professionelle Songwriter versuchen gezielt, eingängige Elemente und Passagen in ihren Liedern einzusetzen, wobei diese Hooks den Wiedererkennungswert und so letztlich den Erfolg eines Songs steigern sollen. Drei Faktoren sind bei solchen Hooks wesentlich: Einfachheit, Wiederholung und Überraschung. Nicht alle Melodien haben daher Ohrwurm-Qualität und auch ein Erfolgsversprechen, wann ein bestimmtes Lied zum Ohrwurm wird, existiert nicht, doch gibt es einige Merkmale für einen Ohrwurm. Die Einfachheit der Melodie deshalb, denn wenn ein Lied einfach und harmonisch ist, wirkt es sehr einprägend auf das Gehirn, und die Wiederholung bestimmter Phrasen, sodass insbesondere der Refrain eines Liedes wichtig ist und zum Ohrwurm werden kann. Übrigens hat die australische Sängerin Kylie Minogue mit „Can‘t Get You Out Of My Head“ einen Ohrwurm produziert, den man wie der Text schon andeutet, kaum mehr aus seinem Kopf bekommt.

    Zum Loswerden eines Ohrwurms gibt es verschieden Techniken, wobei einige Forscher raten, das ganze Ohrwurmlied zu hören, um das Gehirn von der Wiederholung zu befreien, andere raten, gezielt auf eine andere Melodie zu setzen, denn das Gehirn kann nicht gleichzeitig den Ohrwurm wiedergeben und neue akustische Signale verarbeiten. Es hilft auch, den Leerlauf im Gehirn zu beenden, etwa indem man sich auf eine Tätigkeit konzentriert, die angenehm fordert und mit wenig Emotionen verbunden ist, also etwas Spannendes zu lesen oder sich auf eine andere Sache konzentrieren. Da Bewegung zu Musik Ohrwürmer verstärkt, kann es helfen, sich gegen den Takt zu bewegen. Man kann auch weitere Ohrwürmer singen und zwar ohne Pause, sodass das Melodiengemisch das Gehirn überflutet bzw. die Melodien sich gegenseitig neutralisieren.

    Übrigens sind Ohrwürmer mit akustische Halluzinationen verwandt, denn gemeinsam ist ihnen, dass der Betroffene meint, etwas zu hören, und dass dabei nicht das eigentliche Hörorgan, sondern das zentrale Nervensystem beteiligt ist. Während Ohrwurmopfer jedoch genau wissen, dass sie nichts hören, halten Menschen mit akustischen Halluzinationen diese Geräusche für real. Übrigens litt der Komponist Robert Schumann unter Ohrwürmern, wobei es sich wohl um akustische Halluzinationen handelte.

    Eine weitere Möglichkeit, einen Ohrwurm los zu werden, ist das Kauen von Kaugummi, was einen neurobiologischen Hintergrund hat. Das Kauen von Kaugummi ist in seinen Bewegungen dem dem Mitsprechen beim Lesen sehr ähnlich, wobei man von der Subvokalisationen weiß, dass sie das akustische Kurzzeitgedächtnis abschwächen kann, d. h., die Signale des inneren Sprechens blockieren sozusagen die Erinnerung an andere akustische Reize. Da bei bei Ohrwürmern auch das akustische Gedächtnis eine Rolle spielt, kann daher das Kaugummikauen auch gegen Ohrwürmer wirksam sein (Beaman et al., 2015).

    Wirkung von Hintergrundmusik

    Musik ist eine Aufmerksamkeitskrake.
    Stefan Kölsch

    Hintergrundmusik, wie man sie heute aus Fußgängerzonen und Shopping Malls kennt, kommt aus den USA, denn dort wurde in den 1930er Jahren die Firma Muzak – 2009 beantragte übrigens Muzak Gläubigerschutz nach dem US-Insolvenzrecht – gegründet, die diese funktionelle Musik, auch Fahrstuhl- oder Kaufhausmusik, entwickelte, wobei der Begriff Muzak in der Folge zum Synonym für eben solchen Easy-Listening-Sound wurde. Im Gegensatz zu (autonomer Musik, die man etwa in Konzerten hört, ist die Hintergrundmusik Mittel zum Zweck, denn diese wird vor allem dazu eingesetzt, das Verhalten der Menschen im öffentlichen Raum zu beeinflussen. Vor allem die USA und Kanada setzen auf die beruhigende Wirkung von Musik, doch auch in europäischen U-Bahn-Stationen wird Musik gespielt, um etwa Kriminalität und Gewaltbereitschaft zu senken. Hintergrundmusik in Kaufhäusern sollte möglichst keine bewussten Assoziationen hervorrufen, weshalb sich nonverbale Botschaften, wie sie bestimmte Instrumentalmusik vermittelt, auch besonders gut eignen, um Menschen zum Kaufen zu animieren, denn kognitive Areale des menschlichen Gehirns sollten mit dieser Form der Musik nicht angesprochen werden. Die Musik sollte daher ruhig und leise sein, denn so schafft man eine angenehme Atmosphäre, die die Menschen länger im Geschäft hält und zudem die Stimmung der Mitarbeiter hebt, sodass sich deren Arbeitsleistung verbessert und der Umsatz steigt, wobei diese positiven Auswirkungen auf die Mitarbeitermotivation eher fraglich sind. Gleichermaßen wie in Bezug auf das Verhalten im öffentlichen Raum ließen sich empirisch bisher keine wesentlichen positiven Effekte nachweisen, sondern es wird von Fachleuten eher die akustische Umweltverschmutzung beklagt, da sich Menschen längst an diese ständige Berieselung mit Musik gewöhnt haben.

    In vielen Kaufhäusern wird dennoch Hintergrundmusik eingesetzt, da sich die Betreiber davon einen größeren Umsatz versprechen, doch Untersuchungen zu diesem Thema zeigen eher widersprüchliche Ergebnisse. Einerseits fand man, dass sich durch Musik das Auswahlverhalten gegenüber Produkten beeinflussen lässt, dass Menschen bei lauter Musik eine kürzere Verweildauer haben als bei leiser, wobei sich auch eine Abhängigkeit der Schrittgeschwindigkeit der KäuferInnen vom Tempo der Musik zeigte, denn bei schneller Musik erhöht sich das Schritttempo, was zu niedrigeren Umsätzen füh­ren kann. Vermutlich gibt es aber wesentlich komplexere Wir­kungszusammenhänge zwischen den verschiedenen Faktoren der Musik und der KundInnen. Übrigens verzichten in Deutschland Lidl und Aldi bewusst auf solche psychologischen Trick in Filialen. Das allerdings nicht allein aus Interesse am Kunden, denn es gehört zum Konzept der Discounter und es spart Geld, denn immer, wenn Musik an einem öffentlichen Raum gespielt wird, müssen die Betreiber Abgaben an die Gesellschaft für musikalische Aufführungs- und mechanische Vervielfältigungsrechte (GEMA) zahlen. Discounter haben es sich aber zur Aufgabe gemacht, an allen Ecken und Enden zu sparen, sodass es keine aufwändige Warenpräsentation gibt, sondern Produkte werden samt Karton ins Regal gestellt und es läuft eben keine Musik. Übrigens kommt es im Gegensatz zu Supermärkten hier ohnehin nicht auf eine Flanierstimmung an, denn Discounter-Kunden wollen vor allem rational einkaufen gehen und sich nicht von Aufmachung und Musik durch die Gänge treiben lassen. Sie wollen einfach die benötigten Produkte kaufen und gegebenenfalls noch ein paar Schnäppchen machen. Für Discounter ist es außerdem wichtig, täglich möglichst viele Kunden zu bedienen, d. h., es ist für Aldi und Lidl lukrativer, wenn möglichst viele Kunden am Tag zugreifen und zur Kasse gehen, als wenn weniger Kunden längere Zeit durch die Gänge flanieren.

    Scullin et al. (2021) haben untersucht, wie Musikhören den Schlaf beeinflusst und konzentrierten sich dabei auf Ohrwürmer. Sie fand heraus, dass Instrumentalmusik das Auftreten nächtlicher Ohrwürmer erhöht und die polysomnographisch gemessene Schlafqualität verschlechterte. Menschen, die sich einen Ohrwurm eingefangen hatten, hatten aber nicht nur größere Probleme beim Einschlafen, sondern auch häufigeres nächtliches Erwachen und waren längere Zeit in den leichten Schlafstadien. Da die Ohrwürmer vor allem während des Aufwachens auftraten, scheint das schlafende Gehirn weiterhin musikalische Melodien zu verarbeiten, wobei besonders dominant dabei die langsamen Oszillationen im primären auditorischen Cortex waren, also jener Region, die auch im Wachzustand durch Ohrwürmer aktiviert wird. Offenbar können einige Arten von Musik den nächtlichen Schlaf stören, indem sie lang anhaltende Ohrwürmer induzieren, die durch spontane Gedächtnisreaktivierungsprozesse aufrechterhalten werden. Überraschend war auch, dass Instrumentalmusik zu einer schlechteren Schlafqualität führte, allerdings war die in den Studien verwendete Musik sehr speziell, sodass man diese Ergebnisse nicht auf klassische Musik oder eigens zur Entspannung komponierte Musik generalisieren kann.

    Kubit & Janata (2021) verknüpften in mehreren Experimenten Ohrwürmer und musikinduziertes Erinnern, um die Hypothese zu überprüfen, dass Ohrwürmer bei der Konsolidierung der Erinnerung an bestimmte Ereignisse helfen können. Sie manipulierten die Wahrscheinlichkeit des Erlebens von Ohrwürmern für neuartige Musikschleifen (Loops), indem sie die Teilnehmer zunächst diesn Loops während Aufgaben mit unterschiedlichen Aufmerksamkeits- und sensomotorischen Anforderungen aussetzten. Eine Woche später, dienten diese Loops als Soundtracks für den Probanden unbekannte Filmszenen. Je öfter eine Melodie im Kopf einer Person abgespielt wurde, desto genauer wurde die Erinnerung an die Melodie und desto mehr Details erinnerte sich die Person aus dem spezifischen Abschnitt des Films, mit dem die Melodie gepaart war. Mit nur einer Woche zwischen dem Sehen des Films und der Aufforderung, sich an so viele Details aus dem Film zu erinnern, wie sie konnten, während sie abermals den Soundtrack des Films hörten, führte der Effekt des wiederholten Erlebens einer Melodie aus dem Soundtrack als Ohrwurm zu einer nahezu perfekten Speicherung aller Filmdetails. Die Anzahl an Ohrwürmern über die Zeitabstände hinweg sagte sowohl die Genauigkeit der Erinnerung an die Musik selbst als auch die Menge des abgerufenen Filmwissens voraus, in denen die einzelne Loops abgespielt worden waren. Die Autoren vermuten daher, dass die Wiederholung von Musiksequenz-Erinnerungen während Episoden von Ohrwürmern als Konsolidierungsmechanismus sowohl für die Musik als auch für assoziierte episodische Informationen dient. Vermutlich ist die Reaktivierung von Erinnerungen über Ohrwürmer ein natürlich vorkommender Gedächtnisprozess, der die Beibehaltung von Wissen über reale Ereignisse verbessert.


    Übrigens: Der Gemeine Ohrwurm (Forficula auriculariaforficula-auricularia-ohrwurm) ist ein Ohrwurm aus der Familie der Eigentlichen Ohrwürmer (Forficulidae). Der Gemeine Ohrwurm erreicht eine Körperlänge von 10 bis 16 Millimetern, hat einen dunkel rötlichbraunen Körper und ist ein Fluginsekt – die nachtaktiven Tiere fliegen aber nur sehr selten -, wobei von der Antike bis in die frühe Neuzeit hinein die Tiere pulverisiert als Medizin gegen Ohrkrankheiten und Taubheit verabreicht wurden, wovon sich auch der Name ableitet.

    Literatur

    Beaman, C. Philip, Powell, Kitty & Rapley, Ellie (2015). Want to block earworms from conscious awareness? B(u)y gum! The Quarterly Journal of Experimental Psychology. Doi: 10.1080/17470218.2015.1034142.
    Behne, Klaus Ernst  (1998). Zu einer Theorie der Wirkungslosigkeit von (Hintergrund-)Musik. In Klaus-Ernst Behne, Günter Kleinen und Helga de la Motte-Haber (Hrsg.), Musikpsychologie. Jahrbuch der Deutschen Gesellschaft für Musikpsychologie. Wahrnehmung und Rezeption. Göttingen: Hogrefe.
    Evans, Matthew G., Gaeta, Pablo & Davidenko, Nicolas (2024). Absolute pitch in involuntary musical imagery. Attention, Perception, & Psychophysics, doi:10.3758/s13414-024-02936-0
    Jakubowski, K., Finkel, S., Stewart, L.  & Müllensiefen, D. (2016). Dissecting an Earworm: Melodic Features and Song Popularity PredictInvoluntary Musical Imagery. Psychology of Aesthetics, Creativity, and the Arts, 10, doi.org/10.1037/aca0000090.
    Kubit, Benjamin M. & Janata, Petr (2021). Spontaneous mental replay of music improves memory for incidentally associated event knowledge. Journal of Experimental Psychology: General, doi:10.1037/xge0001050.
    Scullin, Michael K., Gao, Chenlu & Fillmore, Paul (2021). Bedtime Music, Involuntary Musical Imagery, and Sleep. Psychological Science, doi:10.1177/0956797621989724.
    Stangl, W. (2011). Musik und Leistungsfähigkeit. [werner stangl]s arbeitsblätter.
    WWW: https://arbeitsblaetter.stangl-taller.at/LERNEN/Leistung-Musik.shtml (11-11-23)
    Stangl, W. (2024, 21. August). Ohrwürmer und absolutes Gehör. arbeitsblätter news.
    https:// arbeitsblaetter-news.stangl-taller.at/ohrwuermer-und-absolutes-gehoer/
    http://de.wikipedia.org/wiki/Ohrwurm (14-06-21)
    http://www.welt.de/wissenschaft/article129213765/Wie-man-penetrante-Ohrwuermer-vertreibt.html (14-06-08)
    http://www.spiegel.de/wissenschaft/mensch/musik-im-kopf-ohrwuermer-verirren-sich-im-gehirn-a-345569.html (14-06-09)
    http://www.agitano.com/kunden-psychologie-hintergrundmusik-fuer-mehr-umsatz/88646 (15-11-23)
    http://derstandard.at/2000046927586/Wie-ein-Lied-zum-Ohrwurm-wird (16-11-04)
    Bildquelle: https://commons.wikimedia.org/wiki/Forficula_auricularia?uselang=de#/media/File:Earwig_on_white_background.jpg (14-11-12)


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    2 Gedanken zu „Ohrwurm“

    1. Tricks gegen Ohrwürmer

      Lied zu Ende hören: Beim Ohrwurm versucht das Gehirn, den Text des Liedes zu rekonstruieren, bleibt jedoch an einer bestimmten Stelle hängen, sodass das Lesen oder komplette Hören des Liedes dem Gehirn helfen kann, weiterzukommen. Dadurch hört es auf, das Lied im Kopf weiterzusingen und die wiederholende Schleife im Kopf wird durchbrochen.
      Anderes Lied singen: Man kann versuchen, ein anderes Lied zu hören, um den Ohrwurm im Kopf zu überdecken und dabei ein Lied wählen, das nicht zu eingängig ist.
      Kaugummi kauen: Oft erweist sich auch Kaugummi als hilfreiches Gegenmittel, denn wenn man einen Kaugummi kaut, beschäftigt sich das Gehirn kontinuierlich mit dieser Aufgabe, wodurch die Gedanken an den Ohrwurm deutlich seltener auftreten sollten.

    2. Fool’s Garden


      Ein Ohrwurm-Klassiker: Fool’s Garden’s „Lemon Tree“ aus dem Jahr 1996

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