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Reizdarmsyndrom

    Kurzdefinition: Das Reizdarmsyndrom zeigt sich in verschiedenen Symptomen von krampfhaften Bauchschmerzen über Völlegefühl, Durchfall oder Verstopfungen bis hin zu Blähungen, wobei man auf Grund neuerer Studien davon ausgeht, dass es sich nicht um eine einzelne Störung handelt, die als Ursache betrachtet werden kann, sondern um viele Störungen. Daher sollte man die Symptome des Reizdarmsyndroms nicht als eine einzelne Erkrankung betrachten, sondern als ein komplexes Zusammenspiel, das bei jedem Betroffenen unterschiedlich ist. Ursachen und Auslöser für das Reizdarmsyndrom können nämlich Nahrungsmittelintoleranzen, Darmentzündungen, Dickdarmbakterien, psychische Störungen und sogar ein bestimmtes Gen ursächlich für die Störung sein.

    In der Medizin bezeichnet der Begriff Reizdarmsyndrom eine Gruppe funktioneller Darmerkrankungen, die eine hohe Krankheitshäufigkeit in der Bevölkerung aufweisen. Typische Symptome des Reizdarmsyndroms sind Schmerzen oder Unwohlsein im Bauchraum zusammen mit einer Veränderung in den Stuhlgewohnheiten unter Ausschluss einer strukturellen oder biochemischen Ursache. Dass der Bauch auf Emotionen reagiert, ist seit langem empirisch abgesichertes Wissen, aber die Forschung beschäftigt sich erst seit einigen Jahrzehnten intensiver mit dem Reizdarmsyndrom bzw. der Darmflora und ihrem Gleichgewicht, wobei man heute im Magen-Darm-Trakt die Ursache vieler auch andrer psychischer Erkrankungen vermutet.

    Medizinisch betrachtet sind bei einem Reizdarmsyndrom die Darmbewegungen (Peristaltik) verändert, und das Verdauungsorgan ist besonders schmerzempfindlich. Angst, Wut oder Kummer können die Beschwerden auslösen oder verstärken. Zu den Symptomen zählen chronische Bauchschmerzen, Blähungen und Durchfall, wobei man durch die Behandlung einzelner Beschwerden mit Schmerzmitteln oder krampflösenden Präparaten versucht, den Reizdarm in den Griff zu bekommen. Probiotika, eine Psychotherapie oder Entspannungsmethoden wie Autogenes Training können ebenfalls Linderung bringen. Allerdings ist bei Probiotika Vorsicht angebracht, denn et al. (2018) haben gezeigt, dass diese Lebensmittel bei manchen Menschen riesige Kolonien an Lactobacillus-Bakterien im Dünndarm der Betroffenen herbeiführen, die große Mengen an D-Milchsäure produzieren. Das sonst dort typische Mikrobiom produziert nur geringe Mengen an D-Milchsäure, die für den Organismus jedoch kein Problem bedeuten. D-Milchsäure in großen Mengen wirkt toxisch auf Neuronen im Gehirn und beeinflusst dadurch das Gedächtnis, das Zeitgefühl und grundlegende Denkprozesse, wobei manche der Probanden zwei- bis dreimal so viel D-Milchsäure im Blut aufwiesen, wie normalerweise bei gesunden Menschen üblich ist. Die Bewusstseinseintrübung trat bei den Probanden und Probandinnen rasch nach einem Essen auf und dauerte zwischen einer halben bis zu mehreren Stunden an. Die Forscher empfehlen daher, dass Probiotika als Arznei betrachtet werden sollten, nicht als Nahrungsergänzungsmittel. Zwar sind Probiotika nützlich, um etwa die Darmflora nach einer Antibiotikabehandlung neu aufzubauen, doch sollte der Konsum sonst eher in geringen Mengen stattfinden.

    Viele Menschen leiden unter Schmerzen und einem unbestimmten Unwohlsein, obwohl es keine erkennbaren organischen Ursachen gibt. Heute nimmt man solche psychosomatischen Störungen ernst, denn es ist bekannt, dass Serotonin im Darm Rezeptoren besitzt, wobei hier manche Psychopharmaka wie Antidepressiva ansetzen und wirken. Die Zusammensetzung der Darmflora ist übrigens bei allen Menschen zwar sehr ähnlich ausgeprägt, kann aber dennoch individuell verschieden sein.

    Dass der Bauch durch Emotionen überhaupt belastet werden kann, hat auch anatomische Gründe, denn es gibt lange Nervenfasern, die den Magen-Darm-Trakt mit dem Gehirn verbinden, was darauf schließen lässt, dass auch der Darm und sein Innenleben auf das Gehirn wirken. Kopf- und Bauchgehirn stehen dabei im ständigen Kontakt, werden doch 90 Prozent der Informationen zum Gehirn geschickt werden, aber nur zehn Prozent in die andere Richtung, etwa wenn das Bauchgehirn Gifte meldet, denn dann veranlasst das Gehirn, dass das enterische Nervensystem motorische Reflexe auslöst und der Mensch erbricht. Von den Informationen, die das Bauchgehirn tagtäglich zum Gehirn schickt, nehmen gesunde Menschen nur die wenige davon bewusst wahr, während Menschen mit Reizmagen oder Reizdarm, die an chronischen Bauchschmerzen, Blähungen, Durchfall oder Verstopfung leiden viel empfindlicher auf die Informationen reagieren. Diese erhöhte Sensibilität schlägt sich auch in anderen Bereichen nieder, indem Patienten mit Reizmagen oder -darm überdurchschnittlich oft an Migräne, Depressionen, Schlafstörungen oder Angst leiden.

    So treten Depressionen und Angstzustände auch nicht selten als Folge von chronisch entzündlichen Darmerkrankungen wie Morbus Crohn oder Colitis ulcerosa und sogar im Zusammenhang mit Salmonellenvergiftungen auf. Ein ökologisches Gleichgewicht im Verdauungstrakt ist jedenfalls die Voraussetzung für einen gesunden Darm, der die Psyche nicht belastet, denn nach Schätzungen leben etwa hundert Billionen Mikroben, wobei Darmflora und Schleimhaut miteinander auskommen müssen.
    Die Kommunikation zwischen Darm und Gehirn erfolgt über Zytokine, also Proteine, die bei Entzündungen im gesamten Körper, also nicht alleine im Darm, ausgeschüttet werden,  in der Blutbahn zirkulieren und  das limbische System im Gehirn belasten, wo die menschlichen Emotionen gesteuert werden. Eine Ursache für einen höheren Zytokin-Gehalt im Blut kann auch Stress sein, d. h., die Darmschleimhaut wird für Mikroben durchlässiger, das Immunsystem reagiert mit der Ausschüttung dieser Proteine. Im Darm befinden sich aber zahlreiche Hormone, und diese beeinflussen durch Signale an das Gehirn wieder das Verhalten.

    Ob sich allerdings Reizdarmsymptome allein auf die Lernfähigkeit des Bauchhirns zurückführen lassen, ist durchaus umstritten, denn es gibt dabei ein nur schwer entwirrbares Zusammenspiel einschlägigen Faktoren, zu denen neben den Nervenzellen auch die Muskeln, das Immunsystem und die Darmflora mit ihren vielen Milliarden Akteuren gehören. Auch hat das Bauchgefühl nicht allzu direkt mit den Vorgängen im Magen-Darm-Trakt zu tun, sodass man ein eigenes Bewusstsein des enterischen Nervensystems eher nicht annehmen kann.

    Siehe dazu im Detail Das Bauchhirn – das enterische Nervensystem und Bauchgefühl, Intuition und das Unbewusste.

    Literatur

    Illetschko, Peter (2013). Im Bauch der Gefühlswelt. DER STANDARD vom 27.02.2013.
    Rao, Satish S. C., Rehman, Abdul, Yu, Siegfried, de Andino & Martinez, Nicole (2018). Brain fogginess, gas and bloating: a link between SIBO, probiotics and metabolic acidosis. Clinical and Translational Gastroenterology, 9, doi:10.1038/s41424-018-0030-7.
    Stangl, W. (2012). Das Bauchhirn das enterische Nervensystem.
    WWW: https://arbeitsblaetter.stangl-taller.at/GEHIRN/Bauchhirn.shtml (12-03-21)
    http://de.wikipedia.org/wiki/Reizdarmsyndrom


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