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Stottern

    Stottern – Balbuties – bezeichnet die häufige Unterbrechungen des Sprechablaufs durch Wiederholungen von Lauten und anderen Teilen eines Wortes und ist eine Sprachbehinderung, die meist im Alter zwischen zwei und fünf Jahren, seltener auch später beginnt. Leichtes Stottern verschwindet bei Kindern meist bis zur Pubertät, ein starkes Stottern kann hingegen andauern. Etwa achtzig Prozent der erwachsenen Betroffenen sind Männer. Nach der Pubertät ist eine vollständige Remission unwahrscheinlich bis unmöglich, jedoch eine Besserung meist mit Hilfe einer Therapie ist aber möglich.

    Man vermutet, dass im Gehirn stotternder Menschen ein Areal verändert ist, das die Sprechmuskulatur koordiniert, denn nur wer eine Veranlagung zum Stottern hat, wird diese Sprachstörung entwickelt, denn vergleicht man eineiige und zweieiige Zwillinge, die jeweils gemeinsam aufwachsen, so ist die Wahrscheinlichkeit bei eineiigen Zwillingen viel höher, dass auch der zweite Zwilling stottert. Man vermutet daher auch, dass die Gehirnareale, die für das Planen und Ausführen von Sprechbewegungen zuständig sind, weniger gut mit jenen Bereichen im Gehirn vernetzt sind, die für das auditorische Feedback, also das Hören der eigenen Sprache verantwortlich sind. Während man spricht, hört man sich selbst und plant bereits die nächsten Wörter. Bei Stotterern scheint vor allem diese Rückmeldung nicht in die sprechmotorische Planung eingepasst zu sein, sodass das Zusammenspiel zwischen dem Verarbeiten der Sinneseindrücke und der Muskelsteuerung durcheinander gerät.

    Forschende konnten jüngst einen Ursprung des Stotterns im Gehirn lokalisieren und strukturelle Veränderungen in einem bestimmten Gehirnnetzwerk bei stotternden Menschen feststellen. Neuere Forschungsergebnisse deuten nun darauf hin, dass es sich dabei um eine neurologische Störung der Sprachproduktion im Gehirn handelt. Forschende aus Finnland haben strukturelle Veränderungen in einem bestimmten Bereich des Gehirns, dem Putamen, bei stotternden Menschen identifiziert. Diese Erkenntnisse legen nahe, dass Stottern unabhängig von genetischen oder neurologischen Ursachen im gleichen Netzwerk entsteht. Obgleich derzeit keine effektiven pharmakologischen Behandlungsmethoden für Stottern existieren, könnten potenzielle neue Therapieformen wie die tiefe Hirnstimulation in Zukunft neue Perspektiven eröffnen (Stangl, 2024).

    Auch für das Stottern vermuten Forscher ähnlich wie bei Taubheit eine multigenetische Vererbung, allerdings ob sich die genetische Veranlagung (in etwa 70 Prozent) durchsetzt, ist zum einen davon abhängig, wie ausgeprägt der Gendefekt ist, aber andererseit auch von traumatisierenden Erlebnissen, die den Beginn des Stotterns auslösen.

    Typischerweise tritt Stottern das erste Mal im Alter von zwei bis vier Jahren auf, also dann, wenn Kinder beginnen, komplexere Sätze zu formen. Kinder haben oft Probleme, ihre Sprachprobleme selber zu erkennen, was an der auditiven Rückkopplung liegt, denn sie hören in der Regel nicht so schnell wie Erwachsene, erkennen fehlerhaftes Sprechen nicht als solches und haben daher wenige Möglichkeiten gegenzusteuern. Bei einem Großteil der Kinder wächst sich das Stottern wieder aus, mit oder ohne Therapie, doch bei bis zu einem Viertel von ihnen entwickelt sich eine chronische Sprachstörung. Je länger Stottern bei Kindern unbehandelt bleibt, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass es sich manifestiert und dann chronisch wird. Ein typisches physisches Merkmal sind Begleitsymptome wie Zuckungen oder Verkrampfungen. Anzeichen dafür sind Mitbewegungen, das Zusammenkneifen der Augen oder das Verziehen des Gesichts, was mit der Zeit immer mehr zunimmt. Eltern sollten daher in jedem Fall zu einem Arzt oder Logopäden gehen, sobald sie Veränderungen in der Sprache ihrer Kinder bemerken, da das Gehirn bei Kindern noch plastisch, also veränderbar ist, kann eine Sprachtherapie in frühem Alter besonders viel ausrichten. Die Prognose, bei welchen Kindern das Stottern wieder vergeht und bei welchen es ein Leben lang bestehen bleibt, ist heute unmöglich. Vor allem unter Stress steigt das Risiko, denn Stotterer müssen sich sowohl auf das Sprechen als auch den Inhalt gleichzeitig konzentrieren. Anmerkung: Da mit dem Alter die Bewusstheit des Stottern bei Kindern zunimmt – etwa schon Zweijährige sind sich des Sprachdefizits bewusst – beginnen sie schon sehr früh, Sprechsituationen zu vermeiden. So entwickeln Betroffene früh Vermeidungsstrategien, um dem Sprechen zu entgehen, wie etwa in der Schule regelmäßiges Zuspätkommen, um nicht die Hausübungen vorlesen zu müssen. Daher ist es nicht immer der Spott oder das Mobbing der anderen, sondern das eigene Rückzugsverhalten, das schließlich in die Isolation führt. Hinzu kommt, dass jede gescheiterte sprachliche Auseinandersetzung Stress erzeugt, was zu starken Minderwertigkeits- und Schamgefühlen führen kann.

    Bei den Therapiemethoden für das Stottern unterscheidet man mehrere Richtungen: das „Fluency Shaping“, d.h., die Veränderung der Sprechweise sowie die „Stottermodifikation“, die Veränderung des Stotterns selber und den mentalen Ansatz. Die Methode der Veränderung der Sprechweise nimmt Anleihen aus Gesangs-, Atem- und Stimmtechnik zielt auf das Erlernen einer neuen Sprechweise ab. Der Modifikationsansatz zielt primär darauf ab, die stotternde Sprechweise anzunehmen, mit ihr leben und sie explizit modifizieren zu lernen. Die Vorgehensweise ist verhaltenstherapeutisch angelegt. Der mentaler Ansatz hat seinen Ursprung im Leistungssport, wobei das Sprechen angstfrei in geordneten Bahnen neu und natürlich gelernt werden soll, um die alten Stotterstrukturen zu verlernen. Therapien, die besonders schnelle Besserung versprechen, funktionieren selten im Alltag, d.h., besser sind Verfahren, die zuerst etwas länger brauchen, aber dafür langfristig den Umgang mit der Sprachstörung im Alltag erleichtern und dem Stotternden die Möglichkeit geben, ein normales Leben zu führen.

    Alle Behandlungsformen erfordern daher von den Betroffenen und Angehörigen Geduld und Ausdauer, denn einmal erlernte Techniken müssen immer wieder geübt werden. Bei stotternden Kindern werden in einem indirekten Ansatz die Sprechfreude durch Sprach- und Bewegungsspiele, Entspannungs- und Dialogübungen gefördert, d.h., die Kinder werden bewusst nicht mit ihrer Sprachbehinderung konfrontiert, sondern es soll in Zusammenarbeit mit den Eltern ein angstfreies und ruhiges Sprechen ermöglicht werden. Ein direkter Ansatz setzt mit spielerischen und altersgemäßen Übungen unmittelbar an der Sprechweise und den Stottersymptomen an, d.h., die Kinder lernen, wie sie ihr Sprechen beherrschen und sich bei Sprechblockaden entspannen können. Praktisch alle Behandlungsformen sollen auf die Begleitsymptome des Stotterns wie Vermeidungsverhalten und Sprechangst eine positive Wirkung haben und das Selbstwertgefühl der Betroffenen steigern.

    In Bezug auf Stottern halten sich leider noch immer eine Menge an Vorurteilen und Mythen, etwa dass die Eltern daran schuld seien, zu streng erziehen oder ihre Kinder beim Erlernen der Muttersprache überfordern. Jedoch ist der Erziehungsstil für die Entstehung des Stotterns weder verantwortlich noch mitverantwortlich. Oft werden traumatische Ereignisse wie Unfälle oder Krankheiten rückblickend oft als Ursache benannt, doch diese können höchstens ein Auslöser sein, wenn die entsprechende genetische Vorbelastung besteht. Stottern hat ursächlich auch nichts mit Intelligenz zu tun.

    Wie Neef et al. (2011) gezeigt haben, findet bei Stotterern die Koordination im Gehirn zwischen Hören und geplanten Bewegungen in einem anderen Areal statt als bei Nichtstotterern. Man spielte in dem Experiment Stotternden und Nichtstotternden einen regelmäßigen Takt vor, wobei die Probanden den Takt mit dem Finger nachklopfen mussten, während man verschiedene Gehirnbereiche mit transkranieller Magnetstimulation störte. Dabei zögerten Menschen, die seit der Kindheit stockend sprechen, beim Taktklopfen, wenn der rechte prämotorische Cortex, in dem die Vorsteuerung des Bewegungszentrums stattfindet, irritiert wurde. In diesem Bereich verbindet das Gehirn Hörsignale mit der Bewegungsplanung, während das bei Menschen ohne Sprechstörung auf der linken Hirnseite stattfindet. Bei Stotterern ist offensichtlich der linke prämotorische Cortex weniger leistungsfähig, sodass die rechte Seite einspringt.

    Neuere Untersuchungen (Neef et al., 2017) haben nun auch gezeigt, dass bei dieser Sprachstörung ein Ungleichgewicht zwischen der Aktivität beider Gehirnhälften besteht, wobei eine Region im linken Stirnhirn schwach ist, während die entsprechende Region in der rechten Hirnhälfte stark aktiviert wird. Innerhalb des hyperaktiven rechten Netzwerks gibt es dabei eine Faserbahn, die bei den Betroffenen deutlich stärker ausgebildet ist als bei Probanden ohne Sprechprobleme, wobei je stärker der frontale Aslant Trakt (FAT) war, desto schwerer war das Stottern ausprägt. Während dieser Untersuchung musste sich die Studienteilnehmer vorstellen, die Monatsnamen aufzuzählen, wobei diese Methode des imaginären Sprechens sicherstellt, dass Sprechbewegungen die sensiblen MRT-Signale nicht stören. Dabei konnten man also analysieren, ob bei den stotternden Probanden von den überaktiven Regionen auf der rechten Hirnseite möglicherweise veränderte Faserverbindungen ausgehen. Diese Verbindung spielt eine wichtige Rolle bei der Feinabstimmung von Signalen, die Bewegungen hemmen und ist immer dann besonders aktiv, wenn man Bewegungen wie Hand- oder Sprechbewegungen stoppt. Die übermäßige Aktivität dieses Netzwerkes und seine stärkeren Verbindungen könnten darauf hindeuten, dass die eigentliche Ursache des Stotterns darin liegt, dass Sprechbewegungen zu stark gehemmt werden.

    Übrigens stottern nicht nur Menschen, sondern auch manche Vögel stottern, denn so kann bei Zebrafinken eine Fehlfunktion von Nervenzellen den Rede- bzw. Singfluss stören. Wie frühere Untersuchungen gezeigt haben, sind sich Vögel und Menschen in Bezug auf die Sprachproduktion erstaunlich ähnlich, denn so haben Singvögel ein gewisses grammatikalisches Grundverständnis und auch im Gehirn gibt es Parallelen. Bei Zebrafinken erlernen die männlichen Tiere den Gesang erst durch Zuhören und Nachahmen, ähnlich wie Kinder, und können daher wie Menschen auch Sprachstörungen entwickeln, z.B. kann der Singfluss stocken. Männliche Zebrafinken beginnen im Alter von etwa vierzog Tagen, den Gesang ausgewachsener Finken nachzuahmen, um später Weibchen anzulocken, wobei die Jungtiere den Gesang drei Monate lang mehrere tausend Mal am Tag wiederholen. Zwar klingen die meisten Versuche ähnlich, doch manchmal produzieren die Vögel aber auch besonders gute oder schlechte Gesänge. Moorman et al. (2021) haben ein solches Stottern vorübergehend künstlich durch Medikamente ausgelöst, wobei die verabreichte Substanz eine für den Vogelgesang wesentliche Gehirnregion stimulierte, sodass die Neuronen schnell hintereinander zu feuern beganne und deren Gesang danach so klang, als würden die Tiere stottern. Über mehrere Tage wurde der Effekt immer hörbarer und hielt auch nach Ende der Behandlung noch wochenlang an. Das legt nahe, dass das Feuern dieser Neuronen für langfristige Veränderungen in den Gesängen ausschlaggebend ist.


    Berühmte Menschen mit diese Sprachstörung sind etwa der Schauspieler Rowan Atkinson, Charles Darwin, Isaac Newton und der englische König George VI.


    Literatur

    STUTTGARTER ZEITUNG vom 26.02.2011.
    Moorman, Sanne, Ahn, Jae-Rong & Kao, Mimi H. (2021). Plasticity of stereotyped birdsong driven by chronic manipulation of cortical-basal ganglia activity. Current Biology, doi: 10.1016/j.cub.2021.04.030.
    Neef, N.E., Paulus, W., Neef, A., von Gudenberg, A.W. & Sommer, M. (2011). Reduced intracortical inhibition and facilitation in the primary motor tongue representation of adults who stutter. Clin Neurophysiol., 122(9), 1802-1811.
    Nicole E. Neef, Alfred Anwander, Angela D. Friederici (2015). The Neurobiological Grounding of Persistent Stuttering: from Structure to Function. Curr Neurol Neurosci, doi: 10.1007/s11910-015-0579-4.
    Nicole E. Neef, Alfred Anwander, Christoph Bütfering, Carsten Schmidt-Samoa, Angela D. Friederici, Walter Paulus, Martin Sommer (2017). Structural connectivity of right frontal hyperactive areas scales with stuttering severity. Brain, dos: 10.1093/brain/awx316.
    Stangl, W. (2024, 12. Juni). Ursachen für Stottern könnten im Gehirn liegen. arbeitsblätter news.
    https:// arbeitsblaetter-news.stangl-taller.at/ursachen-fuer-stottern-koennten-im-gehirn-liegen/.


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