Leistung allein genügt nicht. Man muss auch jemanden finden, der sie anerkennt.
Marcel Mart
Der Fischteicheffekt (big fish little pond effect) bezeichnet die Tendenz von Menschen, ihre eigenen Leistungen in Abhängigkeit von den Leistungen der sozialen Bezugsgruppe zu bewerten, sodass die gleiche Leistung je nach Kontext, in dem sie auftritt, sehr unterschiedlich bewertet werden kann. So weiß man aus Untersuchungen, dass SchülerInnen durch leistungsschwächere MitschülerInnen in ihrer Klasse eher eine stärkere Lernmotivation entwickeln, da ihre Leistungen dort deutlicher auffallen und manchmal besonders honoriert werden. Sie sind daher in einem solchen Umfeld bestrebt, ihren Vorsprung zu halten.
Der Big-fish-little-pond-Effekt ist generell für die Selbsteinschätzung von Menschen von großer Bedeutung, denn bewegt sich ein Mensch in einem relativ leistungsschwachen Umfeld, profitiert seine Selbsteinschätzung der eigenen Fähigkeiten, d. h., das Selbstkonzept dieses Menschen wird gestärkt. Man fühlt sich also als großer Fisch unter den vielen kleinen Fischen im Teich. Wird derselbe Mensch aber in einen leistungsstarken Kontext versetzt, leidet die Selbsteinschätzung der eigenen Fähigkeiten bei gleicher Leistungsfähigkeit, sodass der ursprüngliche große Fisch sich nun als kleiner erlebt. Das bedeutet, ein leistungsstarkes Umfeld etwa bei SchülerInnen kann negative Auswirkungen auf das individuelle emotionale Wohlbefinden haben.
In einer Studie (Pekrun et al., 2019) , bestehend aus einer Querschnittserhebung und zwei Längsschnittstudien, in der SchülerInnen von der fünften bis zur zehnten Jahrgangsstufe über alle Schultypen hinweg jährlich bzw. zweimal befragt wurden, wurden positive und negative Emotionen (Freude, Stolz, Angst, Ärger oder Scham) mittels Fragebogen erfasst, aber auch die Leistungen zusätzlich mit einem Leistungstest. Danach wurden die Emotionen in der Gesamtuntersuchung mit der individuellen Leistung und der Leistung der jeweiligen Schulklasse, in der sich die SchülerInnen befanden, in Bezug gesetzt, sodass man erkennen konnte, wie sich die Emotionen über die Jahre unter Berücksichtigung der individuellen Leistung und der Klassenleistung entwickeln. Die Ergebnisse zeigten, dass es für das Selbstkonzept und daraus folgend für Emotionen positiv war, wenn jemand eine hohe Leistung erbrachte, es aber für das Selbstkonzept und die Emotionen abträglich war, wenn sich die SchülerInnen in einer leistungsstarken Klasse befanden. Dadurch wurdebestätigt, dass es für das Selbstkonzept und damit auch für die Emotionen positiv war, wenn das Umfeld schwächer als die eigene Leistungsfähigkeit war.
Ein Autor dieser Studie hat dieses Phänomen in der Vergangenheit am eigenen Leib erfahren. Vor seinem Psychologie-Studium studierte er Kirchenmusik: „Ich war vorher der Meinung, dass ich ziemlich gut Klavier und Orgel spiele. An der Musikhochschule mit all den Überfliegern dachte ich plötzlich: Eigentlich bin ich gar nicht so gut, wie ich gemeint habe.“
Dieser Effekt gilt übrigens auch für größere Gruppen, denn im Rahmen der Daten der PISA Studie wurde eine Studie zur Generalisierbarkeit des Fischteicheffekts durchgeführt, wobei sich zeigte, dass der negative Effekt des mittleren Schulleistungsniveaus auf das mathematische Selbstkonzept der Schüler für 24 der 26 berücksichtigten Länder signifikant ausfiel, für die restlichen beiden nichtsignifikant negativ war, was ein guter Beleg für die Generalisierbarkeit des Effektes über verschiedene Kulturen und Schulsysteme bedeutet.
Übrigens: Dieser Effekt könnte auch für Hochbegabte gelten, die in speziellen Einrichtungen für Hochbegabte unterrichtet werden, denn die zuvor guten SchüleriInnen nehmen ihre Leistung nicht mehr als so gut war wie im früheren schwächeren Umfeld, was mit einem Verlust an positiven Emotionen einhergehen dürfte. Feststellbar war in der genannten Untersuchung auch eine starke Wechselwirkung, denn die Leistung beeinflusst die Emotionen und die Emotionen beeinflussen die Leistung, d. h., werden etwa positive Emotionen reduziert, werden auch die Leistungen schlechter. Dieses Phänomen sollte man gerade dann berücksichtigen, wenn ein Wechsel auf eine höhere Schule bevorsteht. Einerseits ist es verständlich, dass Eltern ihre Kinder in ein leistungsstarkes schulisches Umfeld geben wollen, doch wichtig ist aber auch, dass Eltern und Lehrpersonen sich dessen bewusst sind, dass es insbesondere am Anfang emotional belastend sein kann, wenn das Kind in einen sehr leistungsstarken Kontext kommt, denn schließlich geht es nicht nur um Leistungsentwicklung, sondern auch darum, wie sich die SchülerInnen in ihrem System fühlen.
Literatur
Pekrun, R., Murayama, K., Marsh, H. W., Goetz, T., & Frenzel, A. C. (2019). Happy Fish in Little Ponds: Testing a Reference Group Model of Achievement and Emotion. Journal of Personality and Social Psychology, 117, 166-185.
https://de.wikipedia.org/wiki/Fischteicheffekt (14-11-21)