Als Psychotechniken kann man mit Streif (2001) jene vermeintlich therapeutischen Verfahren bezeichnen, die sich i.d.R. Bruchstücken des psychologischen und/oder medizinischen Wissens sowie vereinfachter Bestandteile etablierter Psychotherapien bedienen und diese mit unwissenschaftlichen, nicht selten pseudoreligiösen und esoterischen Inhalten zu einer angeblich neuen und unfehlbaren Heilmethode vermengen. In den letzten Jahrzehnten hat sich eine unüberschaubare Vielfalt psychotechnischer „Schulen“ entwickelt, in denen eine ebenso unüberschaubare Unmenge an unüberprüften, unüberprüfbaren oder schlicht unseriösen Verfahren eingesetzt werden, die zumindest dem Namen nach aus Fachbereichen der Psychologie und Psychotherapie stammen bzw. stammen könnten. Damit will man offenbar von jenen Ansehen profitieren, das die Psychologie in der Öffentlichkeit genießt. Tatsächlich wurzeln viele dieser Methoden in der wissenschaftlichen Psychologie, allerdings werden diese losgelöst aus ihrem ursprünglichen Kontext häufig – insbesondere in unkundigen Händen von Menschen, die den fachlichen Rahmen der Ursprünge nicht kennen – zu gefährlichen und potentiell schädigenden Werkzeugen.
Psychotechniken erkennt man daran, dass sie komplizierte Sachverhalte auf simple Aussagen reduzieren (z.B. die Annahme, dass rechte und linke Gehirnhälfte nicht „richtig“ miteinander arbeiten würden), sie sich bekannter psychotherapeutischer Techniken bedienen, diese aber als einfache Zaubertricks mit „Aha-Effekt“ inszenieren, die gleiche „Heilmethode“ für sehr viele und sehr unterschiedliche Störungen angepriesen wird, der „therapeutische“ Prozess trotz hohem finanziellen und oft auch zeitlichem Einsatz als mühelos dargestellt wird und das Vertrauen in die „Heilmethode“ eine Voraussetzung von deren Wirksamkeit ist.
Siehe dazu im Detail Kurzüberblick: Psychotechnische „Schulen“
Psychotechnik ist allerdings in der Geschichte der Psychologie auch ein historischer Begriff für die Anwendung psychologischer Konzepte zur Optimierung von „Mittel und Zweck“ in allen Lebensbereichen und bildete einen Teilbereich der Angewandten Psychologie. Obwohl William Stern den Begriff erstmals verwendete, ist es Hugo Münsterberg, der in der Regel als Begründer dieses Wissenschaftszweiges der Psychologie angeführt wird. Gemäß seiner Definition kommt Psychotechnik überall dort zur Anwendung, wo die Untersuchung des Bewusstseinslebens den Aufgaben der Kultur dienstbar gemacht werden kann. Mit Aufgaben der Kultur sind verschiedenste Praxisfelder gemeint wie die Medizin, Justiz, Erziehung, Unterricht, Wirtschaft und Sozialreform. Dabei handelt es sich um eine rein technische Wissenschaft, die lediglich nach den richtigen bzw. effizientesten Mitteln fragt, sich jedoch jedwelcher normativer Zwecksetzung enthält. Die Psychotechnik dieser Zeit befasste sich als erste psychologische Disziplin mit den betrieblichen Fragen der Berufseignung, Arbeitsplatzzuteilung durch Eignung und Auslese, Arbeitsleistung mit Monotonie, Ermüdung, Leistung und Arbeitsgestaltung, aber auch schon Werbung. Sie kann als klassischer Vorläufer der heutigen Arbeitspsychologie angesehen werden und fand ihren Niederschlag auch in der Wirtschafts- und Organisationspsychologie. Die Psychotechnik verbreitete sich rasch in Europa, den USA und auch in der Sowjetunion, und fand ihre erste Anwendung in den Kriegsmaschinerien während des Ersten Weltkrieges und hatte ihre Blütezeit zwischen den beiden Weltkriegen. Die Psychotechnik führte schließlich zu einer Überbetonung der wirtschaftlichen und technischen Aspekte von Arbeit, an welche der Arbeitende angepasst werden sollte . Dies und der Mangel an gesellschaftspolitischer Verantwortlichkeit und Selbstreflexion, die zumindest in Deutschland zu einer Verschmelzung mit der nationalsozialistischen Ideologie führte, brachte den Begriff der Psychotechnik schließlich in Verruf. Heute ist die Psychotechnik selbst nur noch von wissenschaftshistorischer Bedeutung.
Literatur
Berner, E. (2018). Takt vs. Rhythmus: Die Erziehung des Körpers zwischen Technisierung und Technikkritik. Body Politics, 6, 123-146.
Münsterberg, Hugo (1912). Psychologie und Wirtschaftsleben. Leipzig: Johann Ambrosius Barth.
Streif, Johannes (2001). Entbehrlich.
WWW: http://www.therapaed.de/entbehrlich.htm (02-06-20).
Stangl, W. (2011). Psychotechnische Schulen. [werner stangl]s arbeitsblätter
WWW: https://arbeitsblaetter.stangl-taller.at/WISSENSCHAFTPSYCHOLOGIE/PsychotechnikSchulen.shtml (11-01-03)
https://de.wikipedia.org/wiki/Psychotechnik (17-09-23)