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Homophobie

    Homophobie bezeichnet eine soziale, gegen Lesben und Schwule gerichtete Aversion und Angst vor homosexuellen Menschen und ihren Lebensweisen. Homophobie wird in den Sozialwissenschaften zusammen mit Phänomenen wie Rassismus, Xenophobie oder Sexismus unter den Begriff gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit gefasst. Der Begriff Homophobie bezeichnete ursprünglich nur die Angst vor Homosexuellen und wurde erstmals 1972 von dem Psychologen George Weinberg verwendet. Trotz der Kritik an dieser Auffassung hat sich der Begriff Homophobie durchgesetzt und wird heute als eine generelle Abneigung gegenüber Lesben, Schwulen und Bisexuellen verstanden.

    Nach Ansicht von Klocke (2014) beeinflussen drei Faktoren die Entstehung von Homophobie: rigide Geschlechternormen, eine fundamentalistische Religiosität und Unkenntnis. Menschen sind umso homophober, je stärker ihre Vorstellung davon ist, wie sich „richtige Männer“ und „richtige Frauen“ verhalten sollten, denn Jugendliche, die es nicht gut finden, wenn Mädchen Fußball spielen oder Buben weinen, lehnen auch Lesben und Schwule stärker ab. Homosexualität widerspricht offenbar den klassischen Geschlechterrollen, da bei diesen unklar ist, wer hier Mann und wer Frau in einer Beziehung ist, wobei das für Männer bedrohlicher als für Frauen, was deren stärker ausgeprägte Homophobie erklärt. Weiblichkeit wird als etwas gesehen, das biologisch erworben wird, während Männlichkeit immer wieder neu erkämpft und bewiesen werden muss, denn wird die Männlichkeit in Frage gestellt, neigen Männer danach stärker dazu, sie einmal mehr unter Männern zu beweisen. Homophobe Äußerungen sind auch eine wirksame Methode, um sich vom nicht-männlichen Schwulen demonstrativ abzugrenzen.

    Besonders angegriffen fühlen sich offenbar Männer, die sich zwar als heterosexuell definieren, aber dennoch von Männern sexuell erregt werden. Eine Studie von Weinstein et al. (2012) zeigte, dass Homophobie sich vor allem bei Menschen ausdrückt, die eine unbewusste Anziehung zum eigenen Geschlecht haben und denen autoritäre Eltern derartige Wünsche verboten haben. Menschen, die sich selbst als ’sexuell normal‘ einschätzen und sich bei psychologischen Tests aber als stark angezogen vom gleichen Geschlecht erweisen, fühlen sich sich durch Schwule und Lesben bedroht, weil sie diese an die eigenen Tendenzen erinnern. Diese Menschen führen oft Krieg mit sich selbst und wenden ihren inneren Konflikt nach außen. Vor allem Studienteilnehmer mit autoritären Eltern zeigten eine viel stärkere Diskrepanz zwischen ihrer impliziten und ihrer expliziten sexuellen Orientierung, während Teilnehmerinnen und Teilnehmer mit liberaleren Eltern eher „im Einklang“ mit ihren eigenen Wünschen waren, wobei vor allem schwulen- und lesbenfeindliche Väter waren, die prägen.

    Manche Vorurteile gegen Lesben, Schwule, Bisexuelle oder Transgender-Personen haben auch damit zu tun, dass Unbekanntes Unbehagen erzeugt, während Vertrautes Sympathie erzeugt. Dieser Mere-Exposure-Effekt ist eine fundamentale psychologische Gesetzmäßigkeit, die auf viele Phänomene wie Musik, Werbebotschaften, Personen und vieles andere gleichermaßen zutrifft. Die meisten Menschen kennen Lesben und Schwule nicht persönlich, sondern nur vom Hörensagen oder aus den Medien, wo sie nicht selten als Exoten, Witzfiguren oder sexbesessene Partymenschen dargestellt werden. Wenn allerdings eine Freundin lesbisch oder ein Kollege schwul ist, verbessert sich dessen Einstellung zu Homosexuellen  meist, wobei dies  besonders für Menschen gilt, die Homosexualität aufgrund ihrer religiösen Überzeugungen ablehnen. Menschen, die nie auf offene Lesben oder Schwule trifft, hält stärker an Fehlannahmen fest, etwa darüber, wie sexuelle Orientierungen entstehen, denn einige Menschen glauben, dass Lesben und Schwule sich ihre sexuelle Orientierung selbst ausgesucht haben oder dass sie zur Homosexualität verführt wurden. Je mehr Menschen glauben, dass sexuelle Orientierung eine freie Entscheidung ist oder durch die Umwelt beeinflusst wird, desto homophober sind ihre Einstellungen.

    Eine Studie von Gollwitzer et al. (2017) hat einen Zusammenhang zwischen zwanghaftem Ordnungssinn und Rassismus sowie Homophobie nachgewiesen, wonach eine Neigung zu ästhetischer Uniformität, die als Besessenheit für Sauberkeit und Symmetrie auftreten kann, eine Grundlage für Vorurteile bilden kann. Die Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen führten Experimente durch, die den Zusammenhang zwischen der Abneigung gegen unvollständige Muster und der Tendenz zur Stigmatisierung von Individuen untersuchten. Den Probanden, Kinder und Erwachsene aus China und den USA, wurden dabei zahlreiche Gegenstände, unregelmäßige Formen oder unterbrochene Mustern vorgelegt, aber auch Szenen, in denen Ordnungssinn gefragt war. Zusätzlich wurden die Reaktionen der Probanden und Probandinnen auf Schwarze, Übergewichtige sowie Menschen mit Hautkrankheiten und niedrigem bzw. hohem Intelligenzquotienten ausgewertet. Dabei war die Korrelation zwischen Musterabweichung und der Abneigung gegen soziale Abweichung deutlich und unabhängig von der Kultur. Traditionelle Erklärungsmuster von Vorurteilen und Diskriminierung wie ein Gefühl der Bedrohung oder Gefährdung werden dadurch aber nicht widerlegt.

    Es gibt vermutlich bei allen Menschen eine innere Abwehr gegen eigene latente Tendenzen zur Homosexualität, die aber bei jedem unterschiedlich ausgeprägt sind. Ist bei jemandem diese Tendenz relativ stark ausgeprägt, dann projiziert er bzw. sie diese auch stark auf andere. Muss in einer Gesellschaft diese Tendenz mehr oder minder verdrängt werden, resultiert daraus das oft aggressive Auftreten der Menschen gegen Homosexualität, wobei dies dann mit der heiligen Schriften oder anderen religiösen Vorschriften gerechtfertigt wird. Im Grunde ist diese oft militant aggressive Haltung meist nichts anderes als eine nach außen gerichtete Autoaggression.

    Literatur

    Gollwitzer, A., Marshall, J., Wang, Y. & Bargh, J. A. (2017). Relating pattern deviancy aversion to stigma and prejudice. Nature Human Behaviour, doi: 10.1038/s41562-017-0243-x.
    Klocke, U. (2014). Homophob? Muss nicht sein.
    WWW: http://www.zeit.de/wissen/2014-02/homophobie-ursachen-folgen-akzeptanz (14-02-11)
    Weinstein, Netta, Ryan, William S.,; DeHaan, Cody R., Przybylski, Andrew K., Legate, Nicole & Ryan, Richard M. (2012). Parental autonomy support and discrepancies between implicit and explicit sexual identities: Dynamics of self-acceptance and defense. Journal of Personality and Social Psychology, 102, 815-832.


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