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selektive Aufmerksamkeit

    Die selektive Aufmerksamkeit bezeichnet in der Psychologie die Konzentration des Bewusstseins auf einen bestimmten Stimulus wie etwa beim Cocktailpartyphänomen. Die selektive Aufmerksamkeit umfasst die menschliche Fähigkeit, auf relevante Reize zu reagieren und sich nicht durch irrelevante Reize bzw. Störreize ablenken zu lassen. Dies umfasst zum einen die Fähigkeit, aus einer Fülle von Informationen die wichtigen Reize zu erkennen und auszuwählen, und zum anderen die Fähigkeit, Störreize bzw. Distraktoren auszufiltern und zu unterdrücken. Erfasst wird die selektive Aufmerksamkeit in der Regel mit Wahl-Reaktions-Aufgaben, wobei als Papier- und Bleistifttests Durchstreichtests wie der d2 von Brickenkamp eingesetzt werden, bei denen in Störreize eingebettete Buchstaben oder Zeichen erkannt und markiert werden müssen, meist während einer befristeten Zeitdauer.

    Wer gerade eine Nummer aus dem Gedächtnis ins Telefon eintippt, muss sich besonders stark konzentrieren, wenn plötzlich eine beliebige Zahl dazwischen gerufen wird. In solchen Situationen muss unser Gehirn den Störreiz so gut es geht ignorieren, um wichtige Informationen nicht aus dem Arbeitsgedächtnis zu verlieren. Neuere Untersuchungen zeigen, dass verschiedene Hirnareale bei der Ausblendung von Störreizen unterschiedliche Strategien benutzen. Bisher war man davon ausgegangen, dass der Präfrontalkortex in der Lage ist, alle Arten von Störreizen herauszufiltern, während der Scheitellappen für anfällig gegenüber Störungen gehalten wurde. Jacob & Nieder (2014) brachten Rhesusaffen in eine vergleichbare Situation. Die Äffchen mussten sich die Anzahl an Punkten in einem Musterbild merken und wenig später wiedergeben, wobei während der Merkphase wurde kurz ein Störreiz präsentiert, der eine andere Anzahl anzeigte. Obwohl es den Tieren gelang, diesen Störreiz weitgehend zu ignorieren, wurden sie doch abgelenkt und verschlechterten sich in ihren Gedächtnisleistungen. Bei den Messungen der elektrischen Aktivität von Nervenzellen aus zwei für das Arbeitsgedächtnis wichtigen Hirnarealen zeigte sich, dass Nervenzellen im Präfrontalkortex den Störreiz während seiner Präsentation zwar signalisierten, aber nach Abschalten des Störreizes sofort wieder die Information über die relevante Punkteanzahl herstellten. Demgegenüber zeigten sich Nervenzellen im hinteren Parietalkortex unbeeindruckt vom Störreiz und signalisierten zuverlässig die Information über die wichtige Punkteanzahl. Offensichtlich haben verschiedene Hirnareale bei der Ausblendung von Störreizen unterschiedliche Strategien, wobei vor allem die unterschiedliche Empfindlichkeit der beiden Hirnareale gegenüber Störreizen überraschend ist, denn bisher war man davon ausgegangen, dass der Präfrontalkortex in der Lage ist, alle Arten von Störreizen herauszufiltern, während der Scheitellappen für anfällig gegenüber Störungen gehalten wurde.

    Untersuchungen (Wöstmann et al., 2016) zeigen übrigens, dass wenn es darum geht, aus einer Vielzahl von Geräuschen eine Stimme herauszufiltern, der Rhythmus der Hirnströme den Hörerfolg bestimmt. Demnach versteht man sein Gegenüber besser, wenn die Alpha-Wellen des Gehirns im Takt der Sprache schwingen. In einer Studie setzte man die Probanden schwierigen Hörsituationen aus, d. h., man spielte ihnen über einen Kopfhörer gleichzeitig jeweils unterschiedliche Zahlen auf dem linken und rechten Ohr vor, wobei ein Piepton auf einem Ohr zu Beginn jeder Messung den Versuchspersonen signalisierte, auf welche Seite sie ihre Aufmerksamkeit richten sollten. Dabei erhöhte sich die Größe der Alpha-Wellen jeweils auf jener Seite des Gehirn, auf der zu hören ist, was man als wichtig erachtet, denn der Unterschied im Ausschlag der Alpha-Wellen zwischen der linken und der rechten Gehirnhälfte verrät dabei, ob ein Zuhörer die Aufmerksamkeit nach links oder rechts richtet. Auf ein gesprochenes Wort reagiert das Gehirn zunächst mit der typischen Antwort in der Hörrinde, doch rund eine halbe Sekunde später verändert sich die Alpha-Aktivität deutlich: Die Alpha-Wellen passen sich an die Geräusche an, die man heraushören will, d. h., das Gehirn pendelt in schwierigen Hörsituationen zwischen zwei Zuständen: der normalen Verarbeitung der akustischen Information und der selektiven Aufmerksamkeit. Dieses rhythmische Pendeln der Alpha-Wellen scheint für erfolgreiches Zuhören in lauten Umgebungen von Bedeutung zu sein, denn im Test zeigte sich, dass ein Proband umso mehr Zahlen richtig wiedergab, je besser sich die Alpha-Aktivität seines Gehirns im Rhythmus der gesprochenen Sprache veränderte. Diese Schwankungen der Alpha-Wellen traten aber nicht nur in den klassischen Aufmerksamkeitsarealen im Scheitellappen des Großhirns auf, sondern auch direkt in der Hörrinde, die die akustischen Reize verarbeitet.

    Alavash, Tune & Obleser (2018) haben gezeigt, dass die Kommunikation von Hirnregionen den individuellen Hörerfolg beeinflusst, wobei die Fähigkeit, einem anderen zuzuhören und währenddessen ablenkende Geräusche und Stimmen auszublenden, davon abhängig ist, wie gut die Kommunikation von Hirnregionen untereinander auf das aufmerksame Zuhören eingestellt ist. Das Zusammenspiel unterschiedlicher Netzwerke ähnelt dabei bekannten Formen von Netzwerken wie etwa denen von Flugverbindungen zwischen verschiedenen Flughäfen oder auch Verbindungen zwischen Freunden in sozialen Netzwerken, denn all diese Netzwerksysteme bestehen aus vielen einzelnen Knotenpunkten und deren Verbindungen. Eine weitere wichtige Eigenschaft von Netzwerken ist die Bündelung von Knotenpunkten und Verbindungen in kleinere Einheiten oder Module, wobei diese Modularität eines Netzwerkes umso ausgeprägter ist, je stärker sich das Gesamtnetzwerk in Gruppen von untereinander eng verknüpften Knotenpunkten einteilen lässt. Diese Strukturierung der Hirnnetzwerke erlaubt einen koordinierten und zielgerichteten Informationsfluss im Gehirn, wobei insbesondere die Aufteilung von größeren Netzwerken in kleinere Netzwerkmodule sich bei einer schwierigen Höraufgabe verändert. So konnte man eine Veränderung in der Gruppierung von Modulen feststellen, wenn die Teilnehmer vom Ruhezustand zu der anspruchsvollen Höraufgabe wechselten, d. h., Menschen, bei denen eine stärkere Umstrukturierung der Hirnmodule zu beobachten war, zeigten tatsächlich eine bessere Leistung in den Höraufgaben. Dabei wurden beim fokussierten Zuhören nicht nur die bekannte Hörregionen aktiviert, sondern auch Areale eingebunden, die mit der gezielten Ausrichtung von Aufmerksamkeit assoziiert sind.

    Kurioses: Ausrichtung der menschlichen Ohren auf Geräusche

    Strauss et al. (2020) haben in Bezug auf menschliche Ohren herausgefunden, dass auch der Mensch wie viele Tiere seine Ohren auf interessante Geräusche hin ausrichtet, wobei diese unbewusst winzige Ohrbewegungen machen, die genau in die Richtung gehen, in die sie ihre Aufmerksamkeit lenken. Man wies in dieser Untersuchung nach, dass die Muskeln rund um das Ohr aktiv werden, sobald neuartige, auffällige oder aufgabenrelevante Reize wahrgenommen werden. Dabei spiegelt die elektrische Aktivität der Ohrmuskeln die Richtung wider, in die der Mensch seine Aufmerksamkeit beim Hören richtet, was wohl bedeutet, dass der Mensch höchstwahrscheinlich ein rudimentäres Orientierungssystem beibehalten hat, das die Bewegung seiner Ohrmuscheln zu kontrollieren versucht, und das als neurales Fossil im Gehirn seit etwa 25 Millionen Jahren fortbesteht. Man konnte in der Untersuchung die Steuersignale für die winzigen, im Allgemeinen nicht sichtbaren Ohrbewegungen mittels Oberflächen-Elektromyogrammen nachweisen, bei dem Sensoren, die auf die Haut geklebt werden, die elektrische Aktivität der Muskeln aufzeichnen, die die Ohrmuschel bewegen oder ihre Form verändern.
    Untersucht wurden dabei zwei Arten von Aufmerksamkeit: Zur Beurteilung der reflexiven Aufmerksamkeit, die automatisch durch unerwartete Geräusche auftritt, wurden die Teilnehmer durch neuartige Geräusche von verschiedenen seitlichen Positionen überrascht, während sie damit beschäftigt waren, einen eintönigen Text zu lesen. Um die zielorientierte Aufmerksamkeit zu testen, wie sie etwa beim aktiven Zuhören auftritt, sollten die Probanden eine Kurzgeschichte von einem seitlichen Sprecher anhören und eine konkurrierende Geschichte auf der gegenüberliegenden Seite ignorieren. Beide Versuchsanordnungen kamen zu dem Ergebnis, dass die Bewegungen der rudimentären Muskeln im menschlichen Ohr die Richtung der Geräusche anzeigen, auf die eine Person achtet. Um diese winzigen Ohrbewegungen näher zu charakterisieren, wurden zusätzlich spezielle, hochauflösende Videoaufzeichnungen der Versuchspersonen während der Experimente gemacht. Anschließend wurden die subtilen Ohrbewegungen per Computer in den Videos vergrößert und damit sichtbar gemacht. Je nach Art des Reizes gelang es auf diese Weise, unterschiedliche Aufwärtsbewegungen des Ohres sowie unterschiedlich starke Rückwärtsbewegungen der Seitenkante der Ohrmuschel zu beobachten.

    Siehe auch selektive Wahrnehmung und The 3 levels of attention.

    Literatur

    Alavash, M., Tune, S. & Obleser, J. (2018). Modular reconfiguration of an auditory-control brain network supports adaptive listening behavior. Proc Natl Acad Sci USA, doi:10.1073/pnas.1815321116.
    Jacob, Simon N., Nieder, Andreas (2014). Complementary roles for primate frontal and parietal cortex in guarding working memory from distractor stimuli. Neuron, 83, 226–237.
    WWW: http://homepages.uni-tuebingen.de/andreas.nieder/Jacob,%20Nieder%20(2014)%20Neuron.pdf (14-02-11)
    Strauss, Daniel J., Corona-Strauss, Farah I., Schroeer, Andreas, Flotho, Philipp, Hannemann, Ronny, Hackley, Steven A., Groh, Jennifer M, Shinn-Cunningham, Barbara G., Verhulst, Sarah, Shera, Christopher & Corneil, Brian D. (2020). Vestigial auriculomotor activity indicates the direction of auditory attention in humans. eLife, doi10.7554/eLife.54536.
    Wöstmann, Malte, Herrmann, Björn, Maess, Burkhard, & Obleser, Jonas (2016). Spatiotemporal dynamics of auditory attention synchronize with speech. PNAS, doi:10.1073/pnas.1523357113.


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