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Persönlichkeit

    Man muss sein Leben aus dem Holz schnitzen, das man zur Verfügung hat.
    Theodor Storm

    Als Persönlichkeit bezeichnet man in der Psychologie das für ein Individuum charakteristische Muster des Denkens, Fühlens und Handelns. Persönlichkeit meint damit die Gesamtheit aller Eigenschaften (Dispositionen) eines Menschen, durch die er sich von anderen Menschen unterscheidet. Insbesondere bezieht sich der Begriff auf die Verhaltensweisen eines Menschen, die aus dieser einen individuellen, d. h., einzigartigen Kombination von Merkmalen entsteht. Es gibt zahlreiche Perspektiven des Persönlichkeitsbegriffs, die sich vor allem dadurch unterscheiden, wie Persönlichkeit entsteht und wie diese sich wandelt bzw. auch modifizierbar ist.

    Es gibt laut derzeitigem Kenntnisstand der Gehirnstrukturen keine Kontrollinstanz, also ein Zentrum, in dem die Persönlichkeit oder das Ich sitzt, sondern die diesbezüglichen Funktionen sind über das ganze Gehirn verteilt. Dabei arbeiten mehr als einhundert komplex verschaltete Hirnareale ständig parallel, wobei zwischen manchen Hirnregionen bis zu sechzig Prozent der theoretisch möglichen Verbindungen realisiert sind, was eine unglaubliche Zahl an Querverknüpfungen bedeutet. Daher lassen sich bei komplexen Prozessen wie der Wahrnehmung keine eindeutigen Zentren finden, denn sieht ein Menschen etwa eine Katze, gibt es kein Zentrum im Hirn, in dem diese eindeutig identifiziert wird, sondern sie entsteht aus den verschiedenen, räumlich oft weit getrennnten Arealen, die einzelne Eindrücke verarbeiten, ein Muster neuronaler Aktivität, das dann als Katze interpretiert werden kann. Daher ergibt sich für die Gehirnfoschung das Problem, dass bei mehreren parallel zu verarbeitenden Eindrücken eine analytische Trennung äußerst problematisch wird, denn welche Prozesse zu einer bestimmten Wahrnehmung gehören, ist technisch praktisch nicht zu filtern. Das bezeichnet man als das Bindungsproblem, denn wie kann man mehrere Wahrnehmungen in den Schaltzuständen des Gehirns einigermaßen sicher auseinender halten. Die Lösung scheint in der zeitlichen Darstellung zu liegen, da Areale, die zusammengehörende Informationen bearbeiten, ihre elektrischen Impulse synchronisieren, denn alle Aktivitäten im Hirn haben eine zeitliche Struktur, die Netzwerke oszilieren mit ein bis 120 Hertz und können auch über größere über Entfernungen hinweg synchronisiert werden. Siehe dazu Donald Olding Hebbs Hypothese zum Bindungsproblem der Neurowissenschaften: Wie „weiß“ das Gehirn, dass gewisse repräsentierte Eigenschaften zu ein und dem selben Objekt gehören, d.h., wie werden Form, Farbe, Geruch usw., die ja in verschiedenen Hirnarealen bearbeitet werden, zusammengeführt? Die jüngste Hypothese lautet: Die Bindung von Neuronen-Verbänden wird dadurch erreicht, dass diese einfach gleichzeitig aktiv sind. Mit anderen Worten, ihre Erregungsmuster sollten synchron ablaufen. Solche Synchronisationen in den Gehirnen von Katzen und Affen konnten bereits nachgewiesen werden.

    Das menschliche Gehirn ist also keine reine Reiz-Reaktionsmaschine, sondern es agiert als dezentrales, selbstorganisiertes System, das sich in der Zeit entfaltet, wobei das Hirn zeitlich sehr präzise organisiert ist. Persönlichkeit, Denken und andere kognitive Prozesse sind also zu jedem Zeitpunkt nur in den flüchtigen Zuständen zwischen den Neuronen realisiert.

    Daher vermutet man etwa auch, dass es sich bei schizophrenen Erkrankungen um eine Störung der zeitlichen Synchronisation zwischen Gehirnarealen handelt.

    Siehe dazu im Detail Arbeitsteilung des Gehirns: Erinnerungen sind überall.

    Entwicklung und Veränderung der Persönlichkeit

    Aus der Sicht der Psychologie wird Persönlichkeit als relativ stabiles Merkmal definiert, doch es gibt bestimmte Ereignisse im Leben eines Menschen, die einen Einfluss auf fundamentale Persönlichkeitseigenschaften haben können. Eine Untersuchung mit dem psychologischen Konzept der Big Five (Offenheit, Gewissenhaftigkeit, Extraversion, Verträglichkeit, Neurotizismus) an einem großen Datensatz des Household, Income and Labour Dynamics in Australia (HILDA) Survey zeigte, dass es vier Ereignisse im Leben von Menschen gibt, die dieses nachhaltig verändern können. Dabei handelt es sich um eine haushaltsbasierte Panelstudie, die Informationen über wirtschaftliches und persönliches Wohlbefinden, Arbeitsmarktdynamik und Familienleben sammelt.

    • Finanzielle Not: Wer einmal mit großen finanziellen Problemen zu kämpfen gehabt hat, wird dadurch im Schnitt extrovertierter und weniger gewissenhaft. Bei Männern beeinträchtigt Geldnot zusätzlich die emotionale Stabilität, was bei Frauen nicht der Fall ist.
    • Schwere Krankheit: Frauen, die mit einer plötzlichen Erkrankung oder Verletzung umgehen müssen, werden dadurch extrovertierter, und zwar dreimal so häufig wie Männer. Frauen macht es übrigens auch extrovertierter und offener, wenn eines ihrer Familienmitglieder krank wird, während bei Männern dieser Effekt ausbleibt. Dieses Ergebnis bestätigt, dass Frauen ihre Sorgen eher mit anderen teilen, wobei Männern die Angst im Weg steht, als schwach zu gelten.
    • Heirat: Eine Hochzeit macht Frauen im Durchschnitt emotional instabiler, d. h., sie werden im Schnitt weniger rücksichtsvoll und empathisch. Bei Männern hingegen gibt es durch eine Heirat keine Veränderung.
    • Ruhestand: Hier wird teilweise die grumpy old man-Hypothese bestätigt, dass Männer mit der Zeit unverträglicher, weniger rücksichtsvoll und empathisch werden, während sich Frauen im Alter wenig verändern. Man führt das auf den sinkenden Testosteronspiegelzurück.

    Menschen unterscheiden sich schon von Geburt an in ihrem Temperament, denn manche sind eher reserviert, manche schenken selbst Fremden ein strahlendes Lächeln, und während der eine Säugling den ganzen Tag schläft, ist der andere zwischen den Schlafphasen hellwach und strampelt. Zwar lässt sich aus diesen frühen Unterschieden noch nicht das spätere Wesen vorhersagen, denn erst ab etwa drei Jahren haben sich die Temperamentsmerkmale so stabilisiert, dass sie auf die Persönlichkeit im Erwachsenenalter schließen lassen, doch wird in dieser frühen Zeit schon sehr viel angelegt, was sich später bei der Persönlichkeitsentwicklung auswirkt. So erhalten Kinder, die eher ruhig sind, oft weniger Aufmerksamkeit als aktive, Kinder die früh lächeln, erhalten positivere Zuwendung als solche, die den ganzen lieben Tag schreien. So zeigt sich ab etwa drei Jahren die ganze Bandbreite menschlicher Vorlieben, wie Menschen die Welt sehen und darin handeln. Die Unterschiede zwischen den Menschen sind dabei erstaunlich groß, obwohl man glauben könnte, im Lauf der Evolution hätte sich ein einziger Bauplan durchgesetzt, der zu optimal angepasstem Verhalten führt. Doch die Varianz innerhalb einer Spezies stellt einen wichtigen Überlebensvorteil dar, denn ändern sich etwa die Umweltbedingungen, stirbt nicht gleich die Art aus.

    Wie sehr verändert sich die Persönlichkeit der Menschen oder bleibt sie von der Schule bis zum Ruhestand stabil? Um diese Fragen zu beantworten, wurde eine große US-Stichprobe (N = 1795) verwendet, die die Persönlichkeitsmerkmale von Menschen in der Adoleszenz und fünfzig Jahre später untersuchte. Man verwendete auch zwei unabhängige Stichproben, eine Querschnittsprobe und eine kurzfristige Längsstichprobe, um die Persönlichkeitsskalen zu validieren und die Messfehler zu schätzen. Dies war die erste Studie, die die Stabilität bzw. den Wandel der Persönlichkeit über einen Zeitraum von fünfzig Jahren testete, in dem dieselbe Datenquellen genutzt wurden (z.B. Selbstbericht). Dies ermöglichte es, verschiedene Methoden (Rangordnungstabilität, Mittelwertänderung, individuelle Änderung und Profilstabilität) zur Beantwortung verschiedener Entwicklungsfragen einzusetzen.

    Es zeigte sich, dass sich einige Menschen stärker verändern als andere und auch nicht alle in die gleiche Richtung, denn Schicksalsschläge oder auch besonders positive Lebensereignisse können starke Veränderungen der Persönlichkeit nach sich ziehen. Oft sind Menschen, die mit sechzehn gewissenhafter sind als andere, dies auch noch mit sechsundsechzig Jahren sein, was für einen übergreifenden Entwicklungsprozess spricht. Das kann etwa mit den Rollen als Eltern und im Beruf zusammenhängen, die man im Laufe des Lebens übernimmt. Da solche Effekt im Schnitt für alle Menschen wirksam sind, nimmt man eine solche Veränderung nicht unbedingt wahr, denn die Position innerhalb der Vergleichsgruppe verändert sich nicht stark. Das Geschlecht spielte bei der Persönlichkeitsentwicklung über die gesamte Lebensspanne hinweg keine große Rolle. Die Ergebnisse deuten auch darauf hin, dass die Persönlichkeit eine stabile Komponente über die gesamte Lebensspanne hat, sowohl auf der Merkmalsebene als auch auf der Profilebene, und dass die Persönlichkeit auch formbar ist und die Menschen im Alter reifen.

    Roberts et al. (2017) haben in einer Studie übrigens gezeigt, dass sich die Persönlichkeit eines Menschen durch Interventionen wie Trainings oder Therapien schon in etwa acht Wochen verändern kann, und dass dieser Effekt über viele Monate nachhaltig sein kann. Bisher war man eher der Ansicht, dass Veränderungen der Persönlichkeit nur über einen längeren Zeitraum hin möglich sind, also das Ergebnis vieler kleiner Schritte.

    Literatur

    Damian, R. I., Spengler, M., Sutu, A., & Roberts, B. W. (2018). Sixteen going on sixty-six: A longitudinal study of personality stability and change across 50 years. Journal of Personality and Social Psychology, doi:10.1037/pspp0000210.
    Roberts, B. W., Luo, J., Briley, D. A., Chow, P. I., Su, R., & Hill, P. L. (2017). A systematic review of personality trait change through intervention. Psychological Bulletin, 143, 117-141.
    Singer, W. (2002). Der Beobachter im Gehirn. Suhrkamp.


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