Achtsamkeitsmeditation ist allgemein betrachtet das nicht wertende Wahrnehmen der Dinge, so wie sie sind, im Hier und Jetzt, d. h., es geht darum, mit dem, was gerade passiert, in Kontakt zu sein und nicht, wie sonst so oft im Alltagsleben, ständig in Gedanken abzudriften. Um langfristig einen Erfolg des Meditierens zu erreichen, ist es wie bei anderen Formen der Entspannung wichtig, die Übungen regelmäßig durchzuführen und sie so oft wie möglich in den Tagesablauf zu integrieren. Achtsamkeitsmeditation zielt auf die Gegenwart, bringt die Gedanken weg von Vergangenem und Zukünftigem, machen langfristig das Gehirn stressresistenter. Dabei kann man einen Stau oder das Stehen in der Schlange an der Supermarktkasse als Chance zu betrachten, sich in Geduld zu üben, innezuhalten, wahrzunehmen und ein paar Minuten loszulassen.
Um die Achtsamkeitsmeditation und ihre Varianten hat sich in den letzten Jahren ein regelrechter Hype entwickelt, und diese scheint als Allzweckmethode zur Optimierung sämtlicher Lebensbereiche zu funktionieren, etwa bei chronischen Schmerzen, Depressionen, Süchten, Essstörungen und sogar manchen somatisch bedingten Erkrankungen. In der Süddeutschen Zeitung fand sich am 4. Juni 2018 unter dem Titel „Überentspannt – Meditieren lindert Stress, kann aber auch die Motivation rauben“ eine ironische Beschreibung zum aktuellen Modebegriff der Achtsamkeit: „Wer Entspannung sucht, sollte eine Leitungsposition in der Chefetage eines internationalen Konzerns anstreben. Die Büros dort müssen Wellness-Paradiesen gleichen. Darin leben mönchische Menschen im Hier und Jetzt, gebären Ideen aus den Tiefen ihrer Herzen und machen die Welt jeden Tag zu einem besseren Ort. Ein solcher Eindruck kann durch die Lektüre von Wirtschaftsmagazinen wie Forbes oder der Harvard Business Review entstehen, in denen Autoren regelmäßig Loblieder auf die Achtsamkeitsmeditation singen. Bei Google, im Pentagon, in Pharmakonzernen und überall sonst werde demnach in den Chefetagen meditiert, was das Zeug hält – und auf diese Weise das mentale Fundament für Wachstum und Gewinn gelegt. In diesen Erfolgsgeschichten aus den Chefetagen steckt stets das Versprechen, dass es der gequälte Angestellte aus den unteren Etagen auch schaffen könne: etwas meditieren, so das Leben in den Griff bekommen und endlich im Job durchstarten.“
Hafenbrack & Vohs (2018) haben jedoch in einer Studie gezeigt, dass Achtsamkeitsmeditation vor allem bei Führungskräften nicht immer so wirkt, wie es manche erwarten. Zahlreiche Studien liefern Belege für positive Effekte dieser Meditationsform, etwa im Zusammenhang mit Stress oder Zufriedenheit am Arbeitsplatz, bei Schlafproblemen und der Neigung zu prosozialem sowie ethisch korrektem Verhalten. Doch im Zusammenhang mit Arbeitsmotivation, also etwa um Aufgaben anzugehen und Ziele zu erreichen, braucht es einen gewissen Grad der Unzufriedenheit, wobei Meditation eher demotivierende Effekt hat, denn diese Entspannungstechnik reduziert die Motivation, Aufgaben anzupacken.
Übrigens: Sebastian Herrmann berichtet in der Süddeutschen Zeitung am 17. Dezember 2019, dass sogar schon Politiker auf Achtsamkeitsmeditation setzen. So wird im britischen Unterhaus seit 2013 über Parteigrenzen hinweg ohne Fraktionszwang gemeinsam meditiert, und auch in Schweden, den Niederlanden, in Frankreich und sogar im US-Kongress haben Abgeordnete in den vergangenen Jahren Achtsamkeitsinitiativen gestartet. Eine einzige Studie fand allerdings keine Indizien für einen versöhnenden Effekt der Achtsamkeit.
Man kann Achtsamkeit durchaus als einen Aspekt von Meditation sehen, der heute besonders in buddhistischen Meditationsformen zu finden ist, bei denen es darum geht, kontinuierlich unterschiedliche Körperempfindungen, Gedanken oder Gefühle zu beobachten, ohne sie gleich zu bewerten. Ein Aspekt, der heute bei der Achtsamkeit häufig dazukommt, ist die Akzeptanz dessen, was jemand erlebt, was aber nicht Teil der ursprünglichen Definition von Achtsamkeit ist.
Ursprünglich stammt diese Form der Meditation aus dem Buddhismus und wurde von Jon Kabat-Zinn in einer westliche Variante namens Mindfulness Based Stress Reduction (MBSR) adaptiert. Man beginnt damit, sich auf körperliche Empfindungen zu konzentrieren, also etwa wahrzunehmen, dass der Nacken verspannt ist, wobei man lernt, solche Zustände zu registrieren, aber nicht zu bewerten. Später wird dieses Prozedere auf Emotionen wie Angst übertragen, ohne sich aber weder in die Furcht hineinzusteigern noch zu versuchen, diese zu unterdrücken. Damit schaltet man einen kognitiv kontrollierbaren Schritt zwischen Reiz und Reaktion. Beim Achtsamkeitstraining werden die Menschen durch Übungen letztlich angeleitet, achtsamer mit Gefühlen und Stress umzugehen und die Achtsamkeit auf einzelne Körperregionen zu lenken, was nachweislich zu einem besseren eigenen Befinden und einem gefühlvolleren Umgang mit anderen führt. In Studien konnte bereits gezeigt werden, dass sich auch depressive Symptome durch achtsamkeitsbasierte Therapien deutlich reduzieren lassen, wobei bei dieser Behandlung die Teilnehmerinnen und Teilnehmer konkret erlernen, gegenwärtigen Empfindungen mit nicht-wertender Aufmerksamkeit entgegenzutreten, was gerade bei Depressionen hilfreich sein kann, da Betroffene häufig starke Grübeltendenzen aufweisen, die sich negativ auf ihr Befinden auswirken.
Auch in der Schmerztherapie wird das Achtsamkeitsprinzip heute immer öfter eingesetzt, wobei zwar nicht der Schmerz verändert werden kann, aber mit dem Wahrnehmen von Gefühlen und Körperregionen, die außerhalb des Schmerzes liegen, kann das Augenmerk vom Schmerz abgelenkt werden und ihn erträglicher machen. Riegner et al. (2022) haben in einer mechanistisch ausgerichteten klinischen Studie die funktionelle Magnetresonanztomographie mit psychophysikalischen Schmerztests kombiniert, um die neuronalen Verbindungen zu identifizieren, die die direkte Modulation schmerzbezogener Verhaltens- und Nervenreaktionen durch Achtsamkeitsmeditation unterstützen. Sie untersuchten dabei die Hypothese, ob sich die Achtsamkeitsmeditation in einer stärkeren Entkopplung zwischen den Gehirnmechanismen, die die Bewertung (präfrontal) und die nozizeptive Verarbeitung (Thalamus) unterstützen, widerspiegelt. Nach einem Schmerztest zu Beginn wurden Probanden nach dem Zufall in eine gut validierte, viersitzige Achtsamkeitsmeditations- oder Buchhörerkur eingeteilt. Dabei wurde die Magnetresonanztomographie und Hitzereize an der rechten Wade während der Meditation kombiniert.Durch die Meditation reduzierte sich also die Synchronisation zwischen entscheidenden Hirnarealen, einerseits dem Thalamus und andererseits dem Default-Mode-Netzwerk. Dieses Hirnareal, das an der Selbstwahrnehmung beteiligt ist, gehört übrigens zu den ersten Regionen, die bei Bewusstlosigkeit „offline“ gehen. Zusätzlich war die Kommunikation zwischen Thalamus und dem ventromedialen präfrontalen Cortex, der Erfahrungen bewertet, reduziert. Je stärker diese Bereiche entkoppelt wurden, desto ausgeprägter war die Schmerzlinderung, von der die meditierenden Teilnehmer berichteten. Die Achtsamkeitsmeditation verringerte dabei die verhaltensbedingten und neuronalen Schmerzreaktionen im Vergleich zur Kontrollgruppe signifikant. Ganzhirnanalysen zeigten, dass die durch Achtsamkeitsmeditation induzierte Analgesie durch eine stärkere Entkopplung von Thalamus und Präkuneus bzw. eine ventromediale präfrontale Deaktivierung moderiert wurde, was auf eine schmerzmodulierende Rolle über funktionell unterschiedliche neuronale Mechanismen zur Unterstützung der selbstreferenziellen Verarbeitung hindeutet. Zwei weitere Analysen ergaben, dass die auf Achtsamkeitsmeditation basierende Schmerzlinderung auch mit einer schwächeren kontralateralen thalamischen Konnektivität mit dem präfrontalen bzw. primären somatosensorischen Cortex verbunden war.
Studien zeigen daher, wie Meditation die Gehirnaktivität verändert, wobei man mit Hilfe der Elektroenzephalografie auch feststellte, dass während tiefer Meditation zum Beispiel die Wellen im Beta- und Gamma-Bereich stärker und weitflächiger synchronisiert sind als im aktiven Wachzustand, ein Zeichen für intensive Konzentration und Aufmerksamkeit. Seit einigen Jahren erkunden Forscher verstärkt die kurzfristigen und länger wirkenden Effekte von Meditation, wobei man auch das subjektive Zeiterleben untersucht, geht es doch bei der Meditation um Aufmerksamkeit beziehungsweise Achtsamkeit, also die Wahrnehmung von Körpervorgängen (Interozeption) in Verbindung mit dem Zeiterleben. Im menschlichen Gehirn wird dabei die Inselregion kurzfristig stärker aktiv, wenn man sich bei der Achtsamkeitsmeditation über den Atem ganz auf das Hier, also die Körperpräsenz, und das Jetzt, also die zeitliche Präsenz, konzentriert, wobei sich das Erleben des subjektiven Zeitverlaufs verlangsamt. Menschen mit langjährigem Training in Achtsamkeitsmeditation weisen zudem in der Inselrinde mehr graue Substanz auf, was sich als neuronales Korrelat eines intensivierten Körper- und Selbsterlebens bei erfahrenen Meditierenden interpretieren lässt. Bildgebende Verfahren zeigen daher, dass etwa auch der orbitofrontale Cortex angeregt wird, ein Areal für den Umgang mit Emotionen. Nach acht Wochen MBSR-Praxis zeigten sich in Untersuchungen deutliche Veränderungen in der Gehirnstruktur, etwa weniger Dichte der grauen Substanz an der Amygdala, die für die Verarbeitung von Stress und Angst wichtig ist, mehr Dichte dafür im Hippocampus und in Regionen, die für Selbstwahrnehmung und Mitgefühl zuständig sind. Doch diese Effekte verschwinden wieder, wenn das Meditieren nicht fortgesetzt wird.
Britton et al. (2018) haben empirisch belegt, dass auch unangenehme Erfahrungen im Zusammenhang mit der Achtsamkeitsmeditation zu erwarten sind, und zwar ähnlich wie in der traditionellen Psychotherapie, Man verglich in einer Studie drei unterschiedliche achtwöchige Mindfulness-Programme, die auf Achtsamkeitsmeditation beruhen, wobei negativ bewertete Nebenwirkungen von achtundfünfzig Prozent der Teilnehmerinnen und Teilnehmer und Teilnehmer berichtet worden sind, negative Funktionseinschränkungen von siebenunddreißig Prozent, wobei die negativen Erfahrungen bei sechs bis vierzehn Prozent der Befragten von längerer Dauer waren. Das erste Programm enthielt Meditationen, bei denen sich die Aufmerksamkeit auf ein einzelnes Objekt fokussieren sollte wie etwa auf ein Mantra. Das zweite Programm hat mit dem offenen Gewahrsein gearbeitet, einer Meditation, bei der sich die Teilnehmenden auf nichts Konkretes konzentrieren sollten und alle Erfahrungen zugelassen sind. Ein drittes Programm war eine Mischform dieser beiden Meditationsformen. Dabei sind in allen Programmen negative Nebenwirkungen aufgetreten, jedoch kam es auch in allen Programmen zu Verbesserungen der ursprünglichen Beschwerden. Die häufigste negative Nebenwirkung war das traumatische Wiedererleben von Erfahrungen, ebenso wie Angstzustände oder Panik, wobei die negativen Erfahrungen in der Mehrzahl einer besonderen Übung oder Praxis zuzuschreiben war. Die Mindfulness-Meditationen arbeiten einerseits häufig mit einer Steigerung der körperlichen Wahrnehmung und Aktivierung, worauf die vermehrten Erfahrungen von Angst, Panik und auch Flashbacks zurückzuführen sein dürften. Außerdem gehört zu den Meditationsformen auch ein inneres Abstandnehmen von der körperlichen Erfahrung zur Meditationspraxis, womit Gefühle der Entkörperlichung, der emotionale Abstumpfung und Dissoziation erklärbar sind.
Erste Studien zur Zeitwahrnehmung bestätigen auch die Berichte von Meditationsanfängern, dass die Zeit während der Meditation subjektiv langsamer abläuft, denn darin ungeübte Menschen überschätzen vorgegebene kurze Zeiträume schon nach einer zehnminütigen Sitzung mit Fokus auf dem Atem im Vergleich zu entsprechenden Intervallen vor der Meditation. Es kommt also zu einer Lenkung der Aufmerksamkeit auf die Zeit, bei der der verstärkte Fokus auf Körpervorgänge das Zeiterleben intensiviert und das gesteigerte Wahrnehmen des Körperselbst die subjektive Zeit dehnt.
Eine intensive Ich-Wahrnehmung läuft daher mit dem Gefühl eines langsameren Zeitverlaufs parallel, wobei ein weniger ausgeprägtes Ich-Empfinden mit einer erlebten Beschleunigung des Zeitverlaufs korrespondiert (Flow-Erlebnis). Verschiedene Bewusstseinszustände verdeutlichen diese Zusammenhänge auch im Alltag, denn so ist man in der Langeweile des Wartens ganz auf sich zurückgeworfen und spürt sich selbst intensiver, d. h., die Zeit will einfach nicht vergehen 😉
Literatur
Britton, Willoughby B., Davis, Jake H., Loucks, Eric B., Peterson, Barnes, Cullen, Brendan H., Reuter, Laura, Rando, Alora, Rahrig, Hadley, Lipsky, Jonah & Lindahl, Jared R. (2018). Dismantling Mindfulness-Based Cognitive Therapy: Creation and validation of 8-week focused attention and open monitoring interventions within a 3-armed randomized controlled trial. Behaviour Research and Therapy, 101, 92-107.
Hafenbrack, A. C. & Vohs, K. D. (2018). Mindfulness Meditation Impairs Task Motivation but Not Performance. Organizational Behavior and Human Decision Processes, 147, 1-15.
Riegner, Gabriel, Posey, Grace, Oliva, Valeria, Jung, Youngkyoo, Mobley, William & Zeidan, Fadel (2022). Disentangling self from pain: mindfulness meditation-induced pain relief is driven by thalamic-default mode network decoupling. PAIN.
Schindler, Simon, Pfattheicher, Stefan & Reinhard, Marc‐André (2019). Potential negative consequences of mindfulness in the moral domain. European Journal of Social Psychology, doi:10.1002/ejsp.2570.
Wenn man einfach dasitzt und beobachtet, merkt man, wie ruhelos der Geist ist. Wenn man versucht, ihn zu beruhigen, wird es nur noch schlimmer. Mit der Zeit wird er jedoch ruhiger, und wenn dies geschieht, bleibt Raum, subtilere Dinge zu hören – das ist der Moment, in dem die Intuition sich entfaltet, man Dinge klarer sieht und mehr der Gegenwart verhaftet ist. Der Geist arbeitet langsamer, und man erkennt eine enorme Weite im Augenblick. Man sieht so viel, was man bereits hätte sehen können.