Rasenmäher-Pädagogik

In der Psychologie und Erziehungswissenschaft wird die Metapher der sogenannten „Rasenmäher-Pädagogik“ verwendet, um einen überfürsorglichen, interventions- und kontroll-reichen Erziehungsstil zu beschreiben, bei dem Eltern bzw. Bezugspersonen bestrebt sind, sämtliche potenziellen Schwierigkeiten, Hindernisse oder Frustrationen im Lebensweg des Kindes im Vorfeld „wegzumähen“ bzw. zu beseitigen – ähnlich wie ein Rasenmäher sämtliche Grashalme auf einer Fläche niederlegt. Diese bildhafte Begrifflichkeit ist verwandt mit der älteren Bezeichnung „Helikopter-Eltern“ oder „Helikopter-Pädagogik“, geht aber insofern darüber hinaus, als nicht nur Überwachung bzw. Eingreifen („Helikopter“) stattfindet, sondern proaktiv sämtliche Stolpersteine entfernt werden, bevor das Kind überhaupt damit in Berührung kommt.

Die zentralen Merkmale dieser Erziehungs- und Pädagogikform lassen sich wie folgt beschreiben: Zum einen bemühen sich Eltern um eine nahezu permanente Präsenz, Korrektur und Begleitung des Kindes – sie greifen frühzeitig ein bei schulischen Verpflichtungen (z. B. Hausaufgabenhilfe bis zur Perfektion), sozialen Konflikten (z. B. Streit im Kindergarten oder Spielplatz) oder sonstigen Herausforderungen des Kindeslebens. So berichtet eine Fachautorin: „Der Begriff … kommt daher, dass Rasenmäher-Eltern … ‘alles stehen und liegen lassen’, sogar die Arbeit, um zu Hause vergessene Hausaufgaben abzuholen und sie dem Kind schnell in die Schule zu bringen.“ ([Merkur][2]) Zum anderen versuchen diese Eltern bewusst oder unbewusst, Frustration, Misserfolg oder Unannehmlichkeiten von ihrem Kind fernzuhalten – mit dem Ziel, dass das Kind möglichst reibungslos, ohne Rückschläge, erfolgreich groß wird. In einem fachlichen Beitrag heißt es: „Jedes Hindernis wird weggemäht: Rasenmäher-Eltern wollen ihre Kinder vor Niederlagen schützen.“

Aus psychologischer Sicht birgt dieser Stil jedoch erhebliche Risiken für die Entwicklung von Selbstständigkeit, Problemlösungsfähigkeit und Selbstwirksamkeitserleben bei Kindern. So argumentiert die DAK-Psychologin Franziska Kath: Wer als Kind nie stolpere, weil die Eltern alle potenziellen Hindernisse entfernen, der werde sich später als Erwachsener schwerer damit tun, aufzustehen, wenn er hingefallen sei. ([DAK Gesundheit Home][1]) Kinder, bei denen „Rasenmäher­Pädagogik“ dominiert, könnten demnach schlechter lernen, eigene Erfahrungen mit Scheitern oder Rückschlägen zu machen, Kompetenzen in der Konfliktbewältigung oder im autonomen Handeln auszubilden. Beispielsweise wird im Artikel ausgeführt: „Solche Eltern handeln oft … sie wollen ihren Kindern alle Hindernisse aus dem Weg räumen und möglichst jeden Frust ersparen … ‚doch sie tun ihren Kindern keinen Gefallen.‘“

Konkrete Beispiele verdeutlichen die Dynamik dieses Erziehungsstils: So kommt es vor, dass Eltern Hausaufgaben bereits übernehmen oder stark kontrollieren, damit stets fehlerfrei oder bestmöglich dastehen („… Lehrkräfte erzählen mir immer wieder: Wenn Eltern das machen, weiß ich, was die Eltern, aber nicht was die Kinder können.“). Oder auf dem Spielplatz wird ein Konflikt zwischen Kindern sofort von den Eltern unterbunden, bevor das Kind die Situation selbst durchlebt und eigene Lösungen findet („Zwei kleine Jungs auf dem Spielplatz, ein Ball … Bevor einer der beiden überhaupt auch nur zu quengeln beginnt, kommt die Mutter angelaufen …“).  In extremen Fällen berichten Pädagogen, dass Kinder später im Berufs- oder Erwachsenenleben Schwierigkeiten hätten, mit Rückschlägen umzugehen, Verantwortung zu übernehmen oder eigene Entscheidungen zu treffen, da ihnen im Kind- und Jugendalter kaum Gelegenheit zu eigenständigem Umgang mit Problemen gegeben wurde.

Aus wissenschaftlicher Perspektive wird die „Rasenmäher-Pädagogik“ bislang eher als populär-wissenschaftliches bzw. mediales Schlagwort denn als streng definiertes theoretisches Modell geführt. Sie knüpft an Forschungen zur Elternüberbehütung („over-protection“) und deren Folgen an (vgl. etwa die amerikanischen Studien zu Impulskontrolle und emotionaler Regulation). So wird z. B. in einem Zeitungsartikel eine Studie zitiert, wonach Zweijährige, die mit einem überfürsorglichen Erziehungsstil erzogen wurden, als Fünfjährige größere Schwierigkeiten hatten, ihre Impulse und Emotionen zu kontrollieren.  Wichtig erscheint, dass Pädagogen und Psychologen bei diesem Stil vor allem die Einschränkung der Autonomieentwicklung, die verminderte Erfahrung von Kompetenz („Ich kann etwas selbst schaffen“) und die erhöhte Gefahr von Angst- und Depressionssymptomen als mögliche Konsequenzen betrachten (vgl. Artikel über Rasenmäher-Eltern und Folgen).

In der Anwendung auf den pädagogischen Alltag bedeutet dies, dass Erziehende angehalten sind, Kindern Raum für eigene Erfahrungen, Fehler, Anstrengung und Konflikte zu lassen. Der Fokus liegt nicht auf dem Vermeiden von jeder Schwierigkeit, sondern darauf, Kinder bei der Entwicklung von Selbstwirksamkeit, Frustrationstoleranz und sozialer Kompetenz zu unterstützen. Aus der Sicht der Pädagogik ist eine „Rasenmäher-Pädagogik“ also kritisch zu sehen: Sie mag gut gemeint sein — jedoch zeigt sich, dass das gezielte Wegnehmen von Herausforderungen das Wachstum von Kindern hemmen kann.

Siehe auch Rasenmäher-Eltern.

Anmerkung: Dieser hier behandelte Begriff ist kein psychologisch fachwissenschaftlicher, vielmehr handelt es sich um eine populärwissenschaftliche Prägung, die eine naive und meist unreflektierte Form der Verwendung alltagspsychologischer Erkenntnisse veranschaulichen soll. Solche Begriffe werden deshalb hier aufgenommen, da dieses Lexikon von vielen Menschen genutzt wird, um diesen im Hinblick aus Sicht der Psychologie auf den Grund zu gehen.


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