Der sogenannte Tetris-Effekt – auch Tetris-Syndrom – beschreibt ein psychologisches Phänomen, bei dem wiederholte Beschäftigung mit einer Tätigkeit so stark in Wahrnehmung und Kognition nachwirkt, dass die damit verbundenen Muster unwillkürlich im Alltag auftauchen. Ursprünglich wurde der Begriff nach dem Videospiel Tetris geprägt, denn wer über längere Zeit dieses Spiel spielte, sah noch Stunden später im inneren Auge fallende Blöcke, nahm im Alltag geometrische Formen wahr, die sich in das Spielprinzip einfügten, oder träumte von den Mustern. Psychologisch gesehen lässt sich dies als Fortsetzung kognitiver Verarbeitungsprozesse deuten, die während und nach intensiver Beschäftigung mit einer Aufgabe aktiv bleiben. Neurowissenschaftliche Studien zeigen, dass solche Nachbilder insbesondere in Übergangsphasen wie dem Einschlafen auftreten können und eng mit Prozessen der Gedächtniskonsolidierung verbunden sind (Stickgold et al., 2000).
Der Tetris-Effekt ist dabei nicht auf Computerspiele beschränkt, sondern ein generelles Prinzip. Musiker kennen es in Form von Ohrwürmern, Schachspieler in Form von sich aufdrängenden Zugmustern, und Lernende erleben es beim intensiven Auswendiglernen, wenn Inhalte im Kopf automatisch wiederholt werden. Für die Psychotherapie eröffnet dies interessante Anwendungsmöglichkeiten, denn bestimmte Wiederholungen können genutzt werden, um neue Denk- und Verhaltensmuster einzuprägen. Die kognitive Verhaltenstherapie etwa arbeitet mit wiederholter Konfrontation oder Einübung funktionaler Gedanken, wobei der Tetris-Effekt dazu beiträgt, dass die neuen Muster auch außerhalb der Therapiesituation automatisch aktiviert werden. Auch beim Alltagstraining – etwa beim Erlernen einer Sprache oder motorischer Fertigkeiten – kann man den Effekt nutzen, indem man kurze, wiederholte Übungseinheiten bevorzugt, die Spuren im Gedächtnis hinterlassen und durch die unwillkürliche Nachverarbeitung verstärkt werden.
Damit weist der Tetris-Effekt auf die enge Verbindung zwischen Aufmerksamkeit, Wiederholung und Gedächtnis hin, denn er macht sichtbar, dass das Gehirn über die eigentliche Übungssituation hinaus weiterarbeitet und dass Lernen nicht nur ein bewusster, sondern oft auch ein unwillkürlicher Prozess ist. Siehe dazu den Lerntipp Lass dein Gehirn nachsitzen!
Literatur
Stickgold, R., Malia, A., Maguire, D., Roddenberry, D., & O’Connor, M. (2000). Replaying the game: Hypnagogic images in normals and amnesics. Science, 290(5490), 350–353.
Przybylski, A. K., Weinstein, N., Murayama, K., Lynch, M. F., & Ryan, R. M. (2012). The ideal self at play: The appeal of video games that let you be all you can be. Psychological Science, 23(1), 69–76.
Squire, L. R., & Kandel, E. R. (2009). Memory: From mind to molecules. Greenwood Publishing Group.