Der Begriff „Cognitive Motor Dissociation“ (CMD) bezeichnet ein Phänomen bei Patienten mit schweren Hirnverletzungen, bei dem eine Diskrepanz zwischen kognitiven Fähigkeiten und motorischer Ausführung besteht. Obwohl diese Patienten keine sichtbaren motorischen Reaktionen auf verbale Aufforderungen zeigen, können sie in funktionellen Bildgebungsverfahren wie der funktionellen Magnetresonanztomographie (fMRT) oder der Elektroenzephalographie (EEG) auf motorische Befehle reagieren. Diese Diskrepanz stellt eine Herausforderung für die klinische Beurteilung von Bewusstseinsstörungen dar und wirft Fragen zur genauen Diagnose und Prognose auf. „Cognitive Motor Dissociation“ (CMD) beschreibt demnach ein klinisch bedeutsames Phänomen, bei dem eine Entkopplung zwischen der kognitiven Verarbeitung im Gehirn und der Fähigkeit, diese Kognitionen durch willkürliche motorische Handlungen nach außen zu zeigen, besteht. Betroffene weisen neurophysiologische oder neurobildgebende Evidenz für kognitive Funktionen auf, zeigen aber bei standardmäßigen klinisch-neurologischen Untersuchungen keine oder nur minimale Anzeichen von Bewusstsein oder willkürlicher motorischer Aktivität.
Man stelle sich dabei eine Person vor, die nach einer schweren Hirnverletzung im Wachkoma (Unresponsive Wakefulness Syndrome – UWS) oder im minimal bewusstseinsfähigen Zustand minus (MCS-) zu sein scheint. Bei der klinischen Untersuchung reagiert diese Person nicht auf verbale Aufforderungen oder zeigt keine gezielten Bewegungen. Mithilfe von fortgeschrittenen neurologischen Untersuchungsmethoden wie der Elektroenzephalographie (EEG) oder der funktionellen Magnetresonanztomographie (fMRT) kann jedoch nachgewiesen werden, dass das Gehirn auf Anweisungen reagiert oder Muster zeigt, die auf kognitive Verarbeitung, wie beispielsweise das Verstehen von Sprache oder die Vorstellung von Bewegungen (Motor Imagery), hindeuten.
CMD tritt in der Regel bei Patienten mit Bewusstseinsstörungen wie Koma, vegetativem Zustand oder minimalem Bewusstseinszustand minus auf, die keine sichtbaren Reaktionen auf Befehle zeigen. Studien haben gezeigt, dass etwa 25 % dieser Patienten auf fMRT- oder EEG-Aufgaben reagieren, was auf ein intaktes kognitives Verständnis hinweist, obwohl keine motorische Antwort erfolgt . Diese Diskrepanz legt nahe, dass CMD eine Form von „verdecktem Bewusstsein“ darstellen könnte.
Kernaspekte der Cognitive Motor Dissociation:
- Diskrepanz zwischen Kognition und Motorik: Das zentrale Merkmal ist das Auseinanderklaffen zwischen der inneren kognitiven Aktivität und dem äußeren motorischen Verhalten. Die Unfähigkeit, willkürliche Handlungen auszuführen, maskiert die vorhandenen kognitiven Fähigkeiten.
- Nachweis durch Neurotechnologie: CMD kann nur durch den Einsatz von sensitiven neurophysiologischen (z.B. EEG) oder neurobildgebenden Verfahren (z.B. fMRT) detektiert werden, die Gehirnaktivität in Reaktion auf spezifische Aufgaben oder Stimuli erfassen können.
- „Verstecktes“ Bewusstsein: CMD deutet darauf hin, dass ein gewisser Grad an Bewusstsein oder kognitiver Verarbeitung vorhanden sein kann, auch wenn dies klinisch nicht offensichtlich ist. Patienten könnten beispielsweise in der Lage sein, Anweisungen zu verstehen oder Emotionen zu verarbeiten, ohne dies durch sichtbare Reaktionen zeigen zu können.
- Herausforderung für die Diagnostik: CMD stellt eine erhebliche Herausforderung für die klinische Diagnose und Beurteilung von Patienten mit schweren Hirnschäden dar. Standardisierte Verhaltensbeobachtungen allein können die tatsächlichen kognitiven Fähigkeiten unterschätzen.
- Bedeutung für Prognose und Behandlung: Die Identifizierung von CMD kann wichtige Implikationen für die Prognoseeinschätzung, die Behandlungsplanung und ethische Entscheidungen (z.B. in Bezug auf lebenserhaltende Maßnahmen) haben. Studien deuten darauf hin, dass Patienten mit nachgewiesener CMD tendenziell eine bessere Prognose hinsichtlich der Wiedererlangung von Bewusstsein und funktionellen Fähigkeiten haben könnten (Pan et al., 2020).
- Abgrenzung zu anderen Zuständen: CMD unterscheidet sich von anderen Zuständen mit eingeschränkter Reaktionsfähigkeit, bei denen tatsächlich ein Verlust oder eine schwere Beeinträchtigung der kognitiven Funktionen vorliegt. Es ist auch vom Locked-In-Syndrom abzugrenzen, bei dem die Patienten zwar bei vollem Bewusstsein sind, aber aufgrund von Lähmungen kaum oder gar keine willkürlichen Bewegungen ausführen können. Bei CMD ist die Dissoziation zwischen Kognition und Motorik das primäre Merkmal, während beim Locked-In-Syndrom das Bewusstsein klinisch angenommen wird.
Die zugrunde liegenden neurologischen Mechanismen von CMD sind komplex und noch nicht vollständig verstanden. Es wird angenommen, dass bei CMD-Patienten die kognitiven Prozesse, die für das Verständnis von Befehlen erforderlich sind, intakt sind, während die motorische Ausführung aufgrund von Störungen in den motorischen Netzwerken beeinträchtigt ist. Untersuchungen haben strukturelle und funktionelle Veränderungen in Bereichen wie dem Thalamus, den Basalganglien und dem prämotorischen Kortex identifiziert, die mit CMD in Verbindung stehen könnten .
Die Identifizierung von CMD kann wichtige prognostische Informationen liefern. Frühzeitige Erkennung von CMD wurde mit einer besseren klinischen Genesung verglichen mit anderen Patienten ohne CMD in Verbindung gebracht. Die Implementierung von fMRT- und EEG-Tests zur Erkennung von CMD erfordert spezialisierte Ausrüstung und Fachkenntnisse. Es sind standardisierte Protokolle für die Auswahl von Patienten, die Datenerhebung und die Interpretation der Ergebnisse erforderlich. Ein strukturierter Ansatz kann dazu beitragen, die Genauigkeit der Diagnose zu verbessern und die klinische Entscheidungsfindung zu unterstützen
Literatur
Bodien, Y. G., Allanson, J., Cardone, P., Bonhomme, A., Carmona, J., Chatelle, C., Chennu, S., Conte, M., Dehaene, S., Finoia, P., Heinonen, G., Hersh, J. E., Kamau, E., Lawrence, P. K., Lupson, V. C., Meydan, A., Rohaut, B., Sanders, W. R., Sitt, J. D., Soddu, A., Valente, M., Velazquez, A., Voss, H. U., Vrosgou, A., Claassen, J., Edlow, B. L., Fins, J. J., Gosseries, O., Laureys, S., Menon, D., Naccache, L., Owen, A. M., Pickard, J., Stamatakis, E. A., Thibaut, A., Victor, J. D., Giacino, J. T., Bagiella, E., & Schiff, N. D. (2024). Cognitive motor dissociation in disorders of consciousness. The New England Journal of Medicine, 391(7), 601-611.
Claassen, J., Doyle, K., Matory, A., Couch, K. M., Burger, A., Velazquez, A., … & Edlow, B. L. (2019). Detection of brain activation in unresponsive patients with acute brain injury. New England Journal of Medicine, 380(26), 2497-2505.
Owen, A. M., Coleman, M. R., Boly, M., Davis, M. H., Laureys, S., & Pickard, J. D. (2006). Detecting awareness in the vegetative state. Science, 313(5792), 1402.
Schiff, N. D. (2015). Cognitive motor dissociation following severe brain injuries. JAMA Neurology, 72(12), 1413-1415.