Schon Tolman hat experimentell untersucht, wie das Gehirn den von ihm wahrgenommenen Raum konstruiert und wĂ€hlte Laborratten als Versuchstiere. Diese mussten in mehreren aufeinanderfolgenden TestdurchlĂ€ufen einen Weg durch ein verschachteltes Labyrinth finden. Tolman wollte damit klĂ€ren, ob Ratten ihre Raumorientierung durch bloĂes Verhalten erwerben oder ob dabei ĂŒbergeordnete kognitive Prozesse eine Rolle spielen. Am Ende seiner Versuchsreihen stellte Tolman die These auf, dass Ratten spontan eine mentale ReprĂ€sentation des Labyrinths erzeugen, mit deren Hilfe sie bewusst Orte lokalisieren und Wege planen. Er bezeichnete diese mentale ReprĂ€sentation als kognitive Landkarte. Unter einer kognitiven Landkarte versteht man in der Psychologie also die mentale Darstellung der eigenen Umgebung, d.h., Ratten verhalten sich so, nachdem sie ein Labyrinth erkundet haben, als hĂ€tten sie eine kognitive Landkarte dieses Labyrinths in ihrem GedĂ€chtnis.
Bestimmte Nervenzellen im Hippocampus sind zumindest bei Ratten dafĂŒr zustĂ€ndig, dass sich die Tiere in der Welt nicht verlaufen, wobei diese Neuronen jeweils einen bestimmten Ort reprĂ€sentieren und zu feuern beginnen, wenn sich ein Tier am von ihr reprĂ€sentierten Ort befindet. Durch diese Ortszellen oder Platzzellen entsteht bei den Tieren eine Art kognitive Landkarte, die ihnen hilft, dass sie sich rĂ€umlich orientieren können. John OâKeefe entdeckte diese Hippocampus-Ortszellen, die die neuronale Basis fĂŒr Tolmans kognitive Landkarten bilden, wobei allerdings die Hippocampus-Ortszellen allein fĂŒr ein funktionsfĂ€higes Navigationssystem nicht ausreichen. SchlieĂlich entdeckte man im Hippocampus von Ratten Ortszellen, die Signale abgeben, wenn sich die Tiere einer in ihrer mentalen Karte verzeichneten Landmarke nĂ€hern und es konnte der Nachweis erbracht werden, dass der Hippocampus diese Ortsberechnungen nicht selber anstellt, sondern er bildet eine Art intelligentes Display fĂŒr den eigentlichen Navigationscomputer, der sich im entorhinalen Cortex befindet. Dort fand man drei zusammenarbeitende Arten von Nervenzellen, wobei die Rasterzellen den Raum in eine Art Koordinatensystem aus einer Vielzahl von Dreiecken aufteilen und immer dann feuern, wenn die Ratte einen der Knotenpunkte dieses Koordinatensystems erreicht. Grenzzellen senden schlieĂlich Signale aus, sobald sich die Tiere einem Hindernissen nĂ€hern und Kopfrichtungszellen agieren als eine Art Kompass, der die mentalen Landkarten entsprechend der Blickrichtung der Tiere justiert
In einem Experiment von Ravassard et al. (2012) wurde ein spezielles, auf Ratten zugeschnittenes System einer virtuellen Welt entwickelt, die der realen gleicht, wobei die Ratten sowohl in der virtuellen als auch in der realen Umgebung eine gewisse Wegstrecke zurĂŒcklegen mussten. Es zeigte sich, dass die Tiere in der virtuellen Umgebung die Wahrnehmungen auf visuelle Reize und Informationen ĂŒber die eigene Bewegung reduzierten. Die Tiere zeigten in den beiden Umgebungen keine groĂen Unterschiede und legten in der virtuellen Welt die Strecke fast genauso schnell zurĂŒck wie in der realen. In der realen Welt waren aber doppelt so viele Platzzellen aktiv wie in der virtuellen, denn wĂ€hrend die Neuronen in der realen Umgebung ihre ĂŒbliche Aufgabe wahrnahmen und die Position der Ratten festschrieben, wurden in der virtuellen Welt lediglich die Entfernungen codiert. Die Frequenz der Entladungen der Ortszellen, der sogenannte Theta-Rhythmus, der mit den Bewegungen der Ratte zusammenhĂ€ngt, reduzierte sich in der virtuellen RealitĂ€t deutlich. Man vermutet, dass in der realen Welt auch Geruchs- und akustische Informationen zusammengefĂŒhrt werden, um die Platzzellen im vollen AusmaĂ zu aktivieren.
Gridchyn et al. (2020) haben bei schlafenden Ratten nach dem Erlernen eines Labyrinths das Wiederholen ihrer Erinnerungen gezielt unterbunden, indem man die Platzzellen im Hippocampus, also jenem Gehirnteil, der eine wichtige Rolle fĂŒr das GedĂ€chtnis spielt, mittels Lichtimpulsen blockierte. So konnte konnte man beeinflussen, welche Erinnerungen ein Tier abrufen kann. In den Versuchen hatte man die Tiere darauf trainiert, Ziele an festen Orten in zwei verschiedenen Umgebungen zu lokalisieren. Allerdings löschte eine Störung des Replay der Erfahrung nicht die Kodierung der Erinnerung selbst, vielmehr wird dadurch nur das Abrufen der richtigen Erinnerung unterbunden. Daher dĂŒrfte die Funktion des Replay nicht primĂ€r darin liegen, das Gelernte selbst zu verfestigen, sondern es hilft dabei, beim Abrufen einer Erinnerung jene neuronale AktivitĂ€t auszuwĂ€hlen, die diese kodiert. Das bedeutet also, es existiert nicht nur ein Prozess, um die Erinnerung abzuspeichern, sondern auch ein Bibliothekar dazu, der sich merkt, wo sich die Erinnerung befindet, wobei der Hippocampus dieser Bibliothekar sein dĂŒrfte.
Die amerikanische Schwarzkopfmeise hat ein unglaublich gutes OrtsgedĂ€chtnis, denn jeden Herbst legt sie VorrĂ€te fĂŒr den Winter an, wobei sie sich mehrere hundert Verstecke merken muss. Sie verschafft sich das dafĂŒr notwendige OrtsgedĂ€chtnis dadurch, indem sie im Herbst den Hippocampus, also jenen Teil des Gehirns, der fĂŒr Orientierung zustĂ€ndig ist, um bis zu dreiĂig Prozent vergröĂert. Man vermutet, dass das jahreszeitliche Wachstum dieser Nervenzellen durch eine vermehrte HormonausschĂŒttung von Ăstrogen angeregt wird. Man fand in den Meisengehirnen nĂ€mlich ein bestimmtes Enzym, das an der Bildung von Ăstrogenen beteiligt ist und normalerweise nur in den Eierstöcken produziert wird. Im FrĂŒhjahr, wenn die Informationen ĂŒber die Verstecke nicht mehr benötigt werden, schrumpft der Hippocampus wieder auf seine ursprĂŒngliche GröĂe.
NavigationsgerÀte bremsen die Entwicklung einer kognitiven Landkarte
Bekanntlich ist der Hippocampus, die Schnittstelle zwischen Kurz- und LangzeitgedĂ€chtnis, bei Taxifahrern einer GroĂstadt durch jahrelanges StraĂenlernen vergröĂert, doch dĂŒrfte die Benutzung von NavigationsgerĂ€ten diese Entwicklung allmĂ€hlich stoppen. In einem Experiment (Javadi et al., 2017) mussten sich Probanden zu einem Ziel im Zentrum Londons bewegen, in einigen DurchlĂ€ufen mit und in anderen ohne Navigationshilfe. In Gehirnscans zeigte bei den Teilnehmern ohne Navigationshilfe der Hippocampus und ein Teil des Frontallappens der GroĂhirnrinde, in dem unter anderem sensorische Informationen zu Handlungsplanungen umgesetzt werden, vermehrte AktivitĂ€t, wenn sie in eine neue StraĂe einbogen, wobei der Effekt umso gröĂer war, je mehr Wege vom eigenen Standort abzweigten. Wurden die Probanden aber von einem NavigationsgerĂ€t gefĂŒhrt, zeigten die Gehirnareale dagegen keine gesteigerte AktivitĂ€t. Offensichtlich erspart ein NavigationsgerĂ€t dem menschlichen Gehirn, das Wegenetz einer Stadt zu erlernen.
JĂŒngste Forschung hat auch gezeigt, dass der Hippocampus, die als das Navigationssystem des Gehirns gilt, weit mehr als nur mentale Karten der rĂ€umlichen Umgebung kodiert, sondern er kann auch abstraktere, nicht-rĂ€umliche Informationen in mentalen Karten organisieren. In einem Versuch ĂŒberprĂŒfte man mit Messungen im Magnetresonanztomographen, ob hippocampale AktivitĂ€tsmuster die Anordnung von Objekten in einem Raum widerspiegeln, der entweder nur von den zwei konzeptionell relevanten Merkmalsdimensionen aufgespannt wird, oder von drei Merkmalen. Die Analyse der Daten sprechen dafĂŒr, dass der Hippocampus nur jene Merkmale in eine kombinierte kartenartige ReprĂ€sentation integriert, die in Relation zueinander relevant sind, was bedeutet, obwohl einzelnen Objekte in all ihren Details gelernt und erinnert werden, wird zudem eine ReprĂ€sentation des Konzeptes aus der Gesamtheit aller Merkmale herausgeschnitten.
Bei Menschen werden mehrere Landkarten der Umgebung im Kopf wie ein Puzzle zusammengesetzt
In einer Studie untersuchten Strickrodt, BĂŒlthoff & Meilinger (2018) verschiedene Ebenen der Integration von Lernobjektpositionen im navigierbaren Raum innerhalb des GedĂ€chtnisses (lokal, regional, global). Die Probanden und Probandinnen lernten eine virtuelle Umgebung bestehend aus acht aneinandergereihten Korridoren, wobei eine HĂ€lfte dieser Korridore zur blauen Region gehörte, die Tiere als Landmarken enthielten, und die andere HĂ€lfte zur roten Region, die Werkzeuge als Landmarken enthielten. Die Umgebung wurde dabei ĂŒber eine Virtual Reality Brille prĂ€sentiert, wĂ€hrend sie sich in einer groĂen Laufhalle frei bewegen konnten. Nach intensivem Lernen wurden die Probanden und Probandinnen an verschiedene Orte innerhalb der Umgebung teleportiert, von wo aus sie aus dem GedĂ€chtnis zu den zuvor gelernten Landmarken in gerader Linie zeigen mussten.
Die Ergebnisse der Studie zeigen, dass die Probanden und Probandinnen nicht einfach Informationen aus einer einzigen kognitiven Karte ausgelesen haben, d. h., sondern die Ergebnisse legen den Schluss nahe, dass das GedĂ€chtnis vom navigierbaren Raum verschiedene Ebenen hat, d. h., die Probanden und Probandinnen hatten mit der Zeit scheinbar lokale, regionale und globale kognitive Karten aufgebaut. Offenbar nutzen sie neben kognitiven Minikarten, die nur auf einen einzigen Korridor beschrĂ€nkt waren, auch Karten, die eine Region mehrerer Korridore umfassten, und schlieĂlich eine kognitive Karte, die die gesamte Umgebung abdeckt. Diese Auswahl an rĂ€umlichen GedĂ€chtnisinhalten wird daher nicht stĂ€ndig vollumfĂ€nglich genutzt, sondern die Probanden scheinen je nach aktuellem Standort und gewĂŒnschtem Ziel nur den relevante GedĂ€chtnisinhalt ausgewĂ€hlt zu haben. Man vermutet auf Grund dieser Ergebnisse, dass das menschliche GedĂ€chtnis fĂŒr den navigierbaren Raum hierarchisch geordnete Landkarten anlegt. Der Prozess der RichtungsschĂ€tzung war in allen FĂ€llen an die Lernreihenfolge gebunden, also die virtuellen Lauferfahrung von Korridor zu Korridor. Vermutlich entwickeln Menschen fĂŒr den Raum daher keine kartenartigen, mentalen Bilder der gesamten Umgebung aus der Vogelperspektive, sondern diese setzen sich als einzelne Erinnerungseinheiten in Form verschiedener Karten wie Teile eines Puzzles zusammen.
Das liegt vermutlich auch daran, dass der Aufbau der Umwelt bestimmten Strukturen und Merkmalen folgt, die fĂŒr Menschen so selbstverstĂ€ndlich werden, dass sie sich ihrer kaum bewusst sind. Solches Szenewissen erwerben Menschen von Geburt an und dieses Szenenwissen ermöglich es ihnen, sich rasch auch in neuen und ungewohnten Umgebungen zurechtzufinden. Wenn Menschen etwa einen bestimmten Gegenstand in einer Szene suchen, scheinen sie genaue Vorstellungen darĂŒber entwickelt zu haben, welche Objekte sie wo suchen und finden mĂŒssen. So wird wohl niemand die Milchflasche unter dem Bett suchen oder ein Kopfkissen in der Badewanne. Erforschen kann man solche Prozesse mittels Eye-Tracking und Virtual Reality Szenen, wobei man mit Eye-Tracking verfolgen kann, welche Aspekte einer Szene vom Betrachter als interessant oder wichtig befunden werden, wie schnell der Blick auf bestimmte Objekte in Szenen fĂ€llt und wie lange der Blick dort verweilt.
Diese inneren Landkarten werden von den Menschen jeweils mit Landmarken versehen, etwa auffĂ€lligen GebĂ€uden oder anderen Objekten und Anhaltspunkten, die der besseren Orientierung dienen. Studien haben bereits gezeigt, dass neben visuellen Objekten auch GerĂ€usche, wie zum Beispiel BaustellenlĂ€rm oder Hundegebell, die Funktion von Landmarken ĂŒbernehmen können. Hamburger & Knauff (2019) haben nun gezeigt, dass auch der Mensch in der Lage ist, sich nach olfaktorischen Gesichtspunkten durch seine Umwelt zu navigieren, dass also auch GerĂŒche solche Landmarken sein können. Die Studie zeigt auch, dass die Bedeutung von GerĂŒchen fĂŒr den Menschen bisher unterschĂ€tzt worden sei. Doch nun werden bereits spezielle DĂŒfte entwickelt, die Kunden in GeschĂ€fte locken sollen, und in der Ethnologie wird schon untersucht, wie GerĂŒche in verschiedenen StĂ€dten das Wohlbefinden ihrer Bewohner beeinflussen können.
Visueller Cortex legt auch bei Echos eine kognitive Landkarte an
Die von FledermĂ€usen bekannte Echoortung macht sich der Mensch inzwischen fĂŒr zahlreiche technische Anwendungen zunutze, vom RadargerĂ€t bis hin zum Hightech-Blindenstock mit Ultraschallsensoren (Klicksonar). Blinde Menschen, die sich via Echoortung in ihrer Umgebung orientieren, verarbeiten GerĂ€usche Ă€hnlich wie Sehende Licht, wobei eigentlich auf visuelle Reize spezialisierte Hirnbereiche die Echos rĂ€umlich zuordnen, indem sie eine Art neuronale Karte des reflektierten Schalls erstellen, sodass echoortende Blinde ziemlich genau bestimmen können, aus welcher Richtung ein GerĂ€usch kommt. Norman & Thaler (2019) haben in einer Studie den primĂ€ren visuellen Cortex untersucht, der bei sehenden Menschen in die Retina einfallende Lichtreize verarbeitet. Die Neuronen in diesem Bereich stellen dabei eine Art rĂ€umliche Karte unserer Umgebung dar, wobei einfallendes Licht von Punkten, die im Raum nebeneinander liegen, auch nebeneinanderliegende Punkte im Gehirn aktivieren. In dem Experiment spielte man Probanden (Sehende, echoortende und nicht im Klicksonar geschulte Blinde) Klicklaute vor, die von einem Gegenstand an jeweils unterschiedlichen Positionen im Raum reflektiert wurden. Die Teilnehmergruppe setzte sich dabei aus sehenden Menschen sowie echoortenden und nicht im Klicksonar geschulten Blinden zusammen. Dabei lösten die Echos bei echoortenden Blinden im Gehirn dieselben Aktivierungsmuster aus, wie sie bei sehenden Menschen durch visuelle Reize ausgelöst werden, sodass ihr visueller Cortex GerĂ€usche Ă€hnlich rĂ€umlich zu kartieren scheint wie er es Sehende mit Licht tun. Bei den sehenden und auch bei den nicht zum Klicksonar sich orientierenden blinden Probanden zeigte sich dieser Zusammenhang hingegen nicht, sodass Blindsein allein keineswegs ausreicht, damit sich der visuelle Cortex auf die Verarbeitung anderer Reize spezialisiert. Je stĂ€rker die Aktivierungsmuster im Gehirn der echoortenden Blinden der von Sehenden bekannten âneuronalen Karteâ glichen, desto besser konnten sie die Position des Gegenstands im Raum erkennen. Offenbar kann der visuelle Cortex rĂ€umliche Informationen nach ausreichendem Training auch dann nutzen, wenn sie nicht durch die Augen kommen.
Strategien zur Orientierung im Raum Àndern sich mit dem Alter
In der Jugend ist der Hippocampus entscheidend fĂŒr das Erinnern an Orte und Ereignisse, denn dort werden die kognitiven Landkarten neuer Umgebungen erstellt. Im Alter werden dafĂŒr andere Strukturen genutzt, die eher auf Gewohnheiten beruhen. Berdugo-Vega et al. (2020) haben untersucht, ob eine Erhöhung der Anzahl von Hirnstammzellen helfen kann, diesbezĂŒgliche kognitive Funktionen wie Lernen und GedĂ€chtnis wiederzuerlangen, die im Laufe des Alterns verloren gehen. Man stimulierte im Gehirn alter MĂ€use den dort vorhandenen kleinen Pool neuronaler Stammzellen, sodass sich die Menge dieser Stammzellen und damit auch die Anzahl der aus ihnen erzeugten Gehirnzellen erhöhte, wobei diese zusĂ€tzlichen Neuronen im Experiment ĂŒberlebten und neue Kontakte zu benachbarten Zellen knĂŒpften. In einem nĂ€chsten Schritt untersuchte man eine wichtige Aufgabe des Gehirns, die Ă€hnlich wie bei der Maus auch beim Menschen im Laufe des Alterns verloren geht, die NavigationsfĂ€higkeit. Es ist vom Alter abhĂ€ngig, auf welche Art man sich in einer neuen Umgebung zurechtzufinden lernt, denn in der Jugend erstellt das Gehirn eine kognitive Landkarte und erinnert sich an diese, doch schwindet diese FĂ€higkeit im Alter, d. h., Ă€ltere TĂŒre und vermutlich auch Menschen navigieren statt mit der Landkarte anhand fester Abfolgen von Richtungswechseln, um ein bestimmtes Ziel zu erreichen. Doch ist die zuverlĂ€ssigere Strategie von beiden jedoch die kognitive Landkarte, also die Strategie des jungen Gehirns. Es zeigte sich, dass eine erhöhte Zahl von Gehirnzellen ausreicht, um den Alterungsprozess zu verlangsamen und damit der nachlassenden NavigationsfĂ€higkeit entgegenzuwirken. Alte MĂ€use mit einem Plus an Stamm- und Gehirnzellen konnten die zuvor verlorene FĂ€higkeit, eine kognitive Landkarte zu erstellen, zurĂŒckgewinnen und erinnerten sich lĂ€nger an die Details. Auch die Stimulation der Hirnstammzellen bei jungen MĂ€usen sorgte dafĂŒr, dass deren GedĂ€chtnisleistung ĂŒber den gesamten Verlauf ihres Lebens vergleichsweise gut erhalten blieb und kognitive BeeintrĂ€chtigungen verzögert auftraten. Das HinzufĂŒgen von Neuronen im Hippocampus erlaubte es den alten MĂ€usen daher, die fĂŒr junge Tiere typischen Strategien zu verwenden, d. h., diese lernten nicht nur schneller, sondern zeigten auch einen verĂ€nderten verjĂŒngten Lernprozess. Da auch der Mensch Stammzellen im Gehirn besitzt, deren Zahl im Laufe des Lebens stark abnimmt, könnte man solche BeeintrĂ€chtigungen mithilfe des körpereigenen Potenzials der Gehirnzellen begegnen und so das Gehirn gewissermaĂen verjĂŒngen.
Der Colliculus Superior ermöglicht die visuelle Orientierung im Raum
Augenbewegungen und gerichtete Aufmerksamkeit werden in unserem Gehirn von einer kleinen, zentral sitzenden Struktur im Hirnstamm gesteuert, dem Colliculus Superior. Chen et al. (2018) haben deutliche Hinweise gefunden, dass dieses Hirnareal nicht nur Bewegungen steuert, sondern auch eigenstĂ€ndig visuelle Reize verarbeitet, d. h., es kann grobe, gleichförmige Bildbereiche besonders schnell verarbeiten und stellt so sicher, dass die Wahrnehmung die wichtigsten visuellen Informationen aus der Umwelt effizient ansteuern kann. Offenbar ist die Art und Weise, wie der Colliculus Superior visuelle EindrĂŒcke aus der Umwelt verarbeitet, genau auf diese grobe EinschĂ€tzung zugeschnitten, dass man sich zielgerichtet orientieren kann. Von den ForscherInnen wurden neurophysiologische Experimente mit Rhesusaffen durchgefĂŒhrt, deren Sehsystem dem menschlichen sehr Ă€hnlich ist, und beobachtete, wie einzelne Neuronen im Colliculus Superior auf Bildreize reagierten, die den Tieren prĂ€sentiert wurden. Bei diesen, wie auch bei Menschen, findet die Bildverarbeitung hauptsĂ€chlich im visuellen Cortex statt, einem gut erforschten Teil der GroĂhirnrinde. Man ging dabei davon aus, dass der Colliculus Superior eine zentrale Rolle in der visuellen Orientierung und Bewegung im Raum spielt, denn wenn ein Hirnareal schon Augenbewegungen steuert, dann liegt es nahe, dass es allgemeine Orientierungsaufgaben ĂŒbernimmt, wozu es aber auch visuelle Informationen verarbeiten können muss. So beobachtete man deshalb die Reaktion der dieser Neuronen auf groĂe, gleichförmige Bilder mit einem geringen MaĂ an Informationsdichte. TatsĂ€chlich antworten Neuronen im Colliculus Superior am schnellsten auf Bildreize mit niedriger Informationsdichte. Zwar reagieren nicht alle Neuronen in gleicher Weise, manche zeigen sogar einen insgesamt stĂ€rkeren Ausschlag bei hohen Informationsdichten, doch selbst bei diesen Hochfrequenz-Spezialisten kam das Signal schneller, wenn flĂ€chige, vergleichsweise informationsarme Reize prĂ€sentiert werden. Die schnellstmögliche Reaktion auf solche Reize hat offenbar PrioritĂ€t vor der Analyse des Bildinhalts selbst, sodass es kein Wunder ist, dass das erste schnelle Signal bestimmt, wie der Organismus orientierende Raumbewegungen ausfĂŒhren soll.
Literatur
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