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kognitive Landkarte

    Schon Tolman hat experimentell untersucht, wie das Gehirn den von ihm wahrgenommenen Raum konstruiert und wählte Laborratten als Versuchstiere. Diese mussten in mehreren aufeinanderfolgenden Testdurchläufen einen Weg durch ein verschachteltes Labyrinth finden. Tolman wollte damit klären, ob Ratten ihre Raumorientierung durch bloßes Verhalten erwerben oder ob dabei übergeordnete kognitive Prozesse eine Rolle spielen. Am Ende seiner Versuchsreihen stellte Tolman die These auf, dass Ratten spontan eine mentale Repräsentation des Labyrinths erzeugen, mit deren Hilfe sie bewusst Orte lokalisieren und Wege planen. Er bezeichnete diese mentale Repräsentation als kognitive Landkarte. Unter einer kognitiven Landkarte versteht man in der Psychologie also die mentale Darstellung der eigenen Umgebung, d.h., Ratten verhalten sich so, nachdem sie ein Labyrinth erkundet haben, als hätten sie eine kognitive Landkarte dieses Labyrinths in ihrem Gedächtnis.

    Bestimmte Nervenzellen im Hippocampus sind zumindest bei Ratten dafür zuständig, dass sich die Tiere in der Welt nicht verlaufen, wobei diese Neuronen jeweils einen bestimmten Ort repräsentieren und zu feuern beginnen, wenn sich ein Tier am von ihr repräsentierten Ort befindet. Durch diese Ortszellen oder Platzzellen entsteht bei den Tieren eine Art kognitive Landkarte, die ihnen hilft, dass sie sich räumlich orientieren können. John O’Keefe entdeckte diese Hippocampus-Ortszellen, die die neuronale Basis für Tolmans kognitive Landkarten bilden, wobei allerdings die Hippocampus-Ortszellen allein für ein funktionsfähiges Navigationssystem nicht ausreichen. Schließlich entdeckte man im Hippocampus von Ratten Ortszellen, die Signale abgeben, wenn sich die Tiere einer in ihrer mentalen Karte verzeichneten Landmarke nähern und es konnte der Nachweis erbracht werden, dass der Hippocampus diese Ortsberechnungen nicht selber anstellt, sondern er bildet eine Art intelligentes Display für den eigentlichen Navigationscomputer, der sich im entorhinalen Cortex befindet. Dort fand man drei zusammenarbeitende Arten von Nervenzellen, wobei die Rasterzellen den Raum in eine Art Koordinatensystem aus einer Vielzahl von Dreiecken aufteilen und immer dann feuern, wenn die Ratte einen der Knotenpunkte dieses Koordinatensystems erreicht. Grenzzellen senden schließlich Signale aus, sobald sich die Tiere einem Hindernissen nähern und Kopfrichtungszellen agieren als eine Art Kompass, der die mentalen Landkarten entsprechend der Blickrichtung der Tiere justiert

    In einem Experiment von Ravassard et al. (2012) wurde ein spezielles, auf Ratten zugeschnittenes System einer virtuellen Welt entwickelt, die der realen gleicht, wobei die Ratten  sowohl in der virtuellen als auch in der realen Umgebung eine gewisse Wegstrecke zurücklegen mussten. Es zeigte sich, dass die Tiere in der virtuellen Umgebung die Wahrnehmungen auf visuelle Reize und Informationen über die eigene Bewegung reduzierten. Die Tiere zeigten in den beiden Umgebungen keine großen Unterschiede und legten in der virtuellen Welt die Strecke fast genauso schnell zurück wie in der realen. In der realen Welt waren aber doppelt so viele Platzzellen aktiv wie in der virtuellen, denn während die Neuronen in der realen Umgebung ihre übliche Aufgabe wahrnahmen und die Position der Ratten festschrieben, wurden in der virtuellen Welt lediglich die Entfernungen codiert. Die Frequenz der Entladungen der Ortszellen, der sogenannte Theta-Rhythmus, der mit den Bewegungen der Ratte zusammenhängt, reduzierte sich in der virtuellen Realität deutlich. Man vermutet, dass in der realen Welt auch Geruchs- und akustische Informationen zusammengeführt werden, um die Platzzellen im vollen Ausmaß zu aktivieren.

    Gridchyn et al. (2020) haben bei schlafenden Ratten nach dem Erlernen eines Labyrinths das Wiederholen ihrer Erinnerungen gezielt unterbunden, indem man die Platzzellen im Hippocampus, also jenem Gehirnteil, der eine wichtige Rolle für das Gedächtnis spielt, mittels Lichtimpulsen blockierte. So konnte konnte man beeinflussen, welche Erinnerungen ein Tier abrufen kann. In den Versuchen hatte man die Tiere darauf trainiert, Ziele an festen Orten in zwei verschiedenen Umgebungen zu lokalisieren. Allerdings löschte eine Störung des Replay der Erfahrung nicht die Kodierung der Erinnerung selbst, vielmehr wird dadurch nur das Abrufen der richtigen Erinnerung unterbunden. Daher dürfte die Funktion des Replay nicht primär darin liegen, das Gelernte selbst zu verfestigen, sondern es hilft dabei, beim Abrufen einer Erinnerung jene neuronale Aktivität auszuwählen, die diese kodiert. Das bedeutet also, es existiert nicht nur ein Prozess, um die Erinnerung abzuspeichern, sondern auch ein Bibliothekar dazu, der sich merkt, wo sich die Erinnerung befindet, wobei der Hippocampus dieser Bibliothekar sein dürfte.

    Die amerikanische Schwarzkopfmeise hat ein unglaublich gutes Ortsgedächtnis, denn jeden Herbst legt sie Vorräte für den Winter an, wobei sie sich mehrere hundert Verstecke merken muss. Sie verschafft sich das dafür notwendige Ortsgedächtnis dadurch, indem sie im Herbst den Hippocampus, also jenen Teil des Gehirns, der für Orientierung zuständig ist, um bis zu dreißig Prozent vergrößert. Man vermutet, dass das jahreszeitliche Wachstum dieser Nervenzellen durch eine vermehrte Hormonausschüttung von Östrogen angeregt wird. Man fand in den Meisengehirnen nämlich ein bestimmtes Enzym, das an der Bildung von Östrogenen beteiligt ist und normalerweise nur in den Eierstöcken produziert wird. Im Frühjahr, wenn die Informationen über die Verstecke nicht mehr benötigt werden, schrumpft der Hippocampus wieder auf seine ursprüngliche Größe.

    Navigationsgeräte bremsen die Entwicklung einer kognitiven Landkarte

    Bekanntlich ist der Hippocampus, die Schnittstelle zwischen Kurz- und Langzeitgedächtnis, bei Taxifahrern einer Großstadt durch jahrelanges Straßenlernen vergrößert, doch dürfte die Benutzung von Navigationsgeräten diese Entwicklung allmählich stoppen. In einem Experiment (Javadi et al., 2017) mussten sich Probanden zu einem Ziel im Zentrum Londons bewegen, in einigen Durchläufen mit und in anderen ohne Navigationshilfe. In Gehirnscans zeigte bei den Teilnehmern ohne Navigationshilfe der Hippocampus und ein Teil des Frontallappens der Großhirnrinde, in dem unter anderem sensorische Informationen zu Handlungsplanungen umgesetzt werden, vermehrte Aktivität, wenn sie in eine neue Straße einbogen, wobei der Effekt umso größer war, je mehr Wege vom eigenen Standort abzweigten. Wurden die Probanden aber von einem Navigationsgerät geführt, zeigten die Gehirnareale dagegen keine gesteigerte Aktivität. Offensichtlich erspart ein Navigationsgerät dem menschlichen Gehirn, das Wegenetz einer Stadt zu erlernen.

    Jüngste Forschung hat auch gezeigt, dass der Hippocampus, die als das Navigationssystem des Gehirns gilt, weit mehr als nur mentale Karten der räumlichen Umgebung kodiert, sondern er kann auch abstraktere, nicht-räumliche Informationen in mentalen Karten organisieren. In einem Versuch überprüfte man mit Messungen im Magnetresonanztomographen, ob hippocampale Aktivitätsmuster die Anordnung von Objekten in einem Raum widerspiegeln, der entweder nur von den zwei konzeptionell relevanten Merkmalsdimensionen aufgespannt wird, oder von drei Merkmalen. Die Analyse der Daten sprechen dafür, dass der Hippocampus nur jene Merkmale in eine kombinierte kartenartige Repräsentation integriert, die in Relation zueinander relevant sind, was bedeutet, obwohl einzelnen Objekte in all ihren Details gelernt und erinnert werden, wird zudem eine Repräsentation des Konzeptes aus der Gesamtheit aller Merkmale herausgeschnitten.

    Bei Menschen werden mehrere Landkarten der Umgebung im Kopf wie ein Puzzle zusammengesetzt

    In einer Studie untersuchten Strickrodt, Bülthoff & Meilinger (2018) verschiedene Ebenen der Integration von Lernobjektpositionen im navigierbaren Raum innerhalb des Gedächtnisses (lokal, regional, global). Die Probanden und Probandinnen lernten eine virtuelle Umgebung bestehend aus acht aneinandergereihten Korridoren, wobei eine Hälfte dieser Korridore zur blauen Region gehörte, die Tiere als Landmarken enthielten, und die andere Hälfte zur roten Region, die Werkzeuge als Landmarken enthielten. Die Umgebung wurde dabei über eine Virtual Reality Brille präsentiert, während sie sich in einer großen Laufhalle frei bewegen konnten. Nach intensivem Lernen wurden die Probanden und Probandinnen an verschiedene Orte innerhalb der Umgebung teleportiert, von wo aus sie aus dem Gedächtnis zu den zuvor gelernten Landmarken in gerader Linie zeigen mussten.

    Die Ergebnisse der Studie zeigen, dass die Probanden und Probandinnen nicht einfach Informationen aus einer einzigen kognitiven Karte ausgelesen haben, d. h., sondern die Ergebnisse legen den Schluss nahe, dass das Gedächtnis vom navigierbaren Raum verschiedene Ebenen hat, d. h., die Probanden und Probandinnen hatten mit der Zeit scheinbar lokale, regionale und globale kognitive Karten aufgebaut. Offenbar nutzen sie neben kognitiven Minikarten, die nur auf einen einzigen Korridor beschränkt waren, auch Karten, die eine Region mehrerer Korridore umfassten, und schließlich eine kognitive Karte, die die gesamte Umgebung abdeckt. Diese Auswahl an räumlichen Gedächtnisinhalten wird daher nicht ständig vollumfänglich genutzt, sondern die Probanden scheinen je nach aktuellem Standort und gewünschtem Ziel nur den relevante Gedächtnisinhalt ausgewählt zu haben. Man vermutet auf Grund dieser Ergebnisse, dass das menschliche Gedächtnis für den navigierbaren Raum hierarchisch geordnete Landkarten anlegt. Der Prozess der Richtungsschätzung war in allen Fällen an die Lernreihenfolge gebunden, also die virtuellen Lauferfahrung von Korridor zu Korridor. Vermutlich entwickeln Menschen für den Raum daher keine kartenartigen, mentalen Bilder der gesamten Umgebung aus der Vogelperspektive, sondern diese setzen sich als einzelne Erinnerungseinheiten in Form verschiedener Karten wie Teile eines Puzzles zusammen.

    Das liegt vermutlich auch daran, dass der Aufbau der Umwelt bestimmten Strukturen und Merkmalen folgt, die für Menschen so selbstverständlich werden, dass sie sich ihrer kaum bewusst sind. Solches Szenewissen erwerben Menschen von Geburt an und dieses Szenenwissen ermöglich es ihnen, sich rasch auch in neuen und ungewohnten Umgebungen zurechtzufinden. Wenn Menschen etwa einen bestimmten Gegenstand in einer Szene suchen, scheinen sie genaue Vorstellungen darüber entwickelt zu haben, welche Objekte sie wo suchen und finden müssen. So wird wohl niemand die Milchflasche unter dem Bett suchen oder ein Kopfkissen in der Badewanne. Erforschen kann man solche Prozesse mittels Eye-Tracking und Virtual Reality Szenen, wobei man mit Eye-Tracking verfolgen kann, welche Aspekte einer Szene vom Betrachter als interessant oder wichtig befunden werden, wie schnell der Blick auf bestimmte Objekte in Szenen fällt und wie lange der Blick dort verweilt.

    Diese inneren Landkarten werden von den Menschen jeweils mit Landmarken versehen, etwa auffälligen Gebäuden oder anderen Objekten und Anhaltspunkten, die der besseren Orientierung dienen. Studien haben bereits gezeigt, dass neben visuellen Objekten auch Geräusche, wie zum Beispiel Baustellenlärm oder Hundegebell, die Funktion von Landmarken übernehmen können. Hamburger & Knauff (2019) haben nun gezeigt, dass auch der Mensch in der Lage ist, sich nach olfaktorischen Gesichtspunkten durch seine Umwelt zu navigieren, dass also auch Gerüche solche Landmarken sein können. Die Studie zeigt auch, dass die Bedeutung von Gerüchen für den Menschen bisher unterschätzt worden sei. Doch nun werden bereits spezielle Düfte entwickelt, die Kunden in Geschäfte locken sollen, und in der Ethnologie wird schon untersucht, wie Gerüche in verschiedenen Städten das Wohlbefinden ihrer Bewohner beeinflussen können.

    Visueller Cortex legt auch bei Echos eine kognitive Landkarte an

    Die von Fledermäusen bekannte Echoortung macht sich der Mensch inzwischen für zahlreiche technische Anwendungen zunutze, vom Radargerät bis hin zum Hightech-Blindenstock mit Ultraschallsensoren (Klicksonar). Blinde Menschen, die sich via Echoortung in ihrer Umgebung orientieren, verarbeiten Geräusche ähnlich wie Sehende Licht, wobei eigentlich auf visuelle Reize spezialisierte Hirnbereiche die Echos räumlich zuordnen, indem sie eine Art neuronale Karte des reflektierten Schalls erstellen, sodass echoortende Blinde ziemlich genau bestimmen können, aus welcher Richtung ein Geräusch kommt. Norman & Thaler (2019) haben in einer Studie den primären visuellen Cortex untersucht, der bei sehenden Menschen in die Retina einfallende Lichtreize verarbeitet. Die Neuronen in diesem Bereich stellen dabei eine Art räumliche Karte unserer Umgebung dar, wobei einfallendes Licht von Punkten, die im Raum nebeneinander liegen, auch nebeneinanderliegende Punkte im Gehirn aktivieren. In dem Experiment spielte man Probanden (Sehende, echoortende und nicht im Klicksonar geschulte Blinde) Klicklaute vor, die von einem Gegenstand an jeweils unterschiedlichen Positionen im Raum reflektiert wurden. Die Teilnehmergruppe setzte sich dabei aus sehenden Menschen sowie echoortenden und nicht im Klicksonar geschulten Blinden zusammen. Dabei lösten die Echos bei echoortenden Blinden im Gehirn dieselben Aktivierungsmuster aus, wie sie bei sehenden Menschen durch visuelle Reize ausgelöst werden, sodass ihr visueller Cortex Geräusche ähnlich räumlich zu kartieren scheint wie er es Sehende mit Licht tun. Bei den sehenden und auch bei den nicht zum Klicksonar sich orientierenden blinden Probanden zeigte sich dieser Zusammenhang hingegen nicht, sodass Blindsein allein keineswegs ausreicht, damit sich der visuelle Cortex auf die Verarbeitung anderer Reize spezialisiert. Je stärker die Aktivierungsmuster im Gehirn der echoortenden Blinden der von Sehenden bekannten „neuronalen Karte“ glichen, desto besser konnten sie die Position des Gegenstands im Raum erkennen. Offenbar kann der visuelle Cortex räumliche Informationen nach ausreichendem Training auch dann nutzen, wenn sie nicht durch die Augen kommen.

    Strategien zur Orientierung im Raum ändern sich mit dem Alter

    In der Jugend ist der Hippocampus entscheidend für das Erinnern an Orte und Ereignisse, denn dort werden die kognitiven Landkarten neuer Umgebungen erstellt. Im Alter werden dafür andere Strukturen genutzt, die eher auf Gewohnheiten beruhen. Berdugo-Vega et al. (2020) haben untersucht, ob eine Erhöhung der Anzahl von Hirnstammzellen helfen kann, diesbezügliche kognitive Funktionen wie Lernen und Gedächtnis wiederzuerlangen, die im Laufe des Alterns verloren gehen. Man stimulierte im Gehirn alter Mäuse den dort vorhandenen kleinen Pool neuronaler Stammzellen, sodass sich die Menge dieser Stammzellen und damit auch die Anzahl der aus ihnen erzeugten Gehirnzellen erhöhte, wobei diese zusätzlichen Neuronen im Experiment überlebten und neue Kontakte zu benachbarten Zellen knüpften. In einem nächsten Schritt untersuchte man eine wichtige Aufgabe des Gehirns, die ähnlich wie bei der Maus auch beim Menschen im Laufe des Alterns verloren geht, die Navigationsfähigkeit. Es ist vom Alter abhängig, auf welche Art man sich in einer neuen Umgebung zurechtzufinden lernt, denn in der Jugend erstellt das Gehirn eine kognitive Landkarte und erinnert sich an diese, doch schwindet diese Fähigkeit im Alter, d. h., ältere Türe und vermutlich auch Menschen navigieren statt mit der Landkarte anhand fester Abfolgen von Richtungswechseln, um ein bestimmtes Ziel zu erreichen. Doch ist die zuverlässigere Strategie von beiden jedoch die kognitive Landkarte, also die Strategie des jungen Gehirns. Es zeigte sich, dass eine erhöhte Zahl von Gehirnzellen ausreicht, um den Alterungsprozess zu verlangsamen und damit der nachlassenden Navigationsfähigkeit entgegenzuwirken. Alte Mäuse mit einem Plus an Stamm- und Gehirnzellen konnten die zuvor verlorene Fähigkeit, eine kognitive Landkarte zu erstellen, zurückgewinnen und erinnerten sich länger an die Details. Auch die Stimulation der Hirnstammzellen bei jungen Mäusen sorgte dafür, dass deren Gedächtnisleistung über den gesamten Verlauf ihres Lebens vergleichsweise gut erhalten blieb und kognitive Beeinträchtigungen verzögert auftraten. Das Hinzufügen von Neuronen im Hippocampus erlaubte es den alten Mäusen daher, die für junge Tiere typischen Strategien zu verwenden, d. h., diese lernten nicht nur schneller, sondern zeigten auch einen veränderten verjüngten Lernprozess. Da auch der Mensch Stammzellen im Gehirn besitzt, deren Zahl im Laufe des Lebens stark abnimmt, könnte man solche Beeinträchtigungen mithilfe des körpereigenen Potenzials der Gehirnzellen begegnen und so das Gehirn gewissermaßen verjüngen.

    Der Colliculus Superior ermöglicht die visuelle Orientierung im Raum

    Augenbewegungen und gerichtete Aufmerksamkeit werden in unserem Gehirn von einer kleinen, zentral sitzenden Struktur im Hirnstamm gesteuert, dem Colliculus Superior. Chen et al. (2018) haben deutliche Hinweise gefunden, dass dieses Hirnareal nicht nur Bewegungen steuert, sondern auch eigenständig visuelle Reize verarbeitet, d. h., es kann grobe, gleichförmige Bildbereiche besonders schnell verarbeiten und stellt so sicher, dass die Wahrnehmung die wichtigsten visuellen Informationen aus der Umwelt effizient ansteuern kann. Offenbar ist die Art und Weise, wie der Colliculus Superior visuelle Eindrücke aus der Umwelt verarbeitet, genau auf diese grobe Einschätzung zugeschnitten, dass man sich zielgerichtet orientieren kann. Von den ForscherInnen wurden neurophysiologische Experimente mit Rhesusaffen durchgeführt, deren Sehsystem dem menschlichen sehr ähnlich ist, und beobachtete, wie einzelne Neuronen im Colliculus Superior auf Bildreize reagierten, die den Tieren präsentiert wurden. Bei diesen, wie auch bei Menschen, findet die Bildverarbeitung hauptsächlich im visuellen Cortex statt, einem gut erforschten Teil der Großhirnrinde. Man ging dabei davon aus, dass der Colliculus Superior eine zentrale Rolle in der visuellen Orientierung und Bewegung im Raum spielt, denn wenn ein Hirnareal schon Augenbewegungen steuert, dann liegt es nahe, dass es allgemeine Orientierungsaufgaben übernimmt, wozu es aber auch visuelle Informationen verarbeiten können muss. So beobachtete man deshalb die Reaktion der dieser Neuronen auf große, gleichförmige Bilder mit einem geringen Maß an Informationsdichte. Tatsächlich antworten Neuronen im Colliculus Superior am schnellsten auf Bildreize mit niedriger Informationsdichte. Zwar reagieren nicht alle Neuronen in gleicher Weise, manche zeigen sogar einen insgesamt stärkeren Ausschlag bei hohen Informationsdichten, doch selbst bei diesen Hochfrequenz-Spezialisten kam das Signal schneller, wenn flächige, vergleichsweise informationsarme Reize präsentiert werden. Die schnellstmögliche Reaktion auf solche Reize hat offenbar Priorität vor der Analyse des Bildinhalts selbst, sodass es kein Wunder ist, dass das erste schnelle Signal bestimmt, wie der Organismus orientierende Raumbewegungen ausführen soll.

    Literatur

    Berdugo-Vega, Gabriel, Arias-Gil, Gonzalo, López-Fernández, Adrian, Artegiani, Benedetta, Wasielewska, Joanna M., Lee, Chi-Chieh, Lippert, Michael T., Kempermann, Gerd, Takagaki, Kentaroh & Calegari, Federico (2020). Increasing neurogenesis refines hippocampal activity rejuvenating navigational learning strategies and contextual memory throughout life. Nature Communications, 11, doi:10.1038/s41467-019-14026-z.
    Chen, Chih-Yang, Sonnenberg, Lukas, Weller, Simone, Witschel, Thede & Hafed, Ziad M. (2018). Spatial frequency sensitivity in macaque midbrain. Nature Communications, 9, doi:10.1038/s41467-018-05302-5.
    Chen, C. -Y. & Hafed, Z. M. (2018). Orientation and contrast tuning properties and temporal flicker fusion characteristics of primate superior colliculus neurons. Frontiers in Neural Circuits, doi:10.3389/fncir.2018.00058.
    Fyhn, M., Molden, S., Witter, M.P., Moser, E.I., Moser, M.B. (2004) Spatial representation in the entorhinal cortex. Science 305, 1258-1264.
    Hafting, T., Fyhn, M., Molden, S., Moser, M.B., and Moser, E.I. (2005). Microstructure of spatial map in the entorhinal cortex. Nature 436, 801-806.
    Hamburger, Kai & Knauff, Markus (2019). Odors Can Serve as Landmarks in Human Wayfinding. Cognitive Science, 43, doi:10.1111/cogs.12798.
    Gridchyn, I., Schoenenberger, P., O’Neill, J. & Csicsvari, J. (2020). Assembly-Specific Disruption of Hippocampal Replay Leads to Selective Memory Deficit. Neuron, doi:10.1016/j.neuron.2020.01.021.
    Javadi, Amir-Homayoun, Emo, Beatrix, Howard, Lorelei R., Zisch, Fiona E., Yu, Yichao, Knight, Rebecca, Pinelo Silva Joao, Spiers, Hugo J. (2017). Hippocampal and prefrontal processing of network topology to simulate the future. Nature Communications, doi: 10.1038/ncomms14652.
    O’Keefe, J. & Dostrovsky, J. (1971). The hippocampus as a spatial map. Preliminary evidence from unit activity in the freely‐moving rat. Brain Research 34, 171-175.
    Ravassard, Pascal, Kees, Ashley, Willers, Bernard, Ho, David, Aharoni, Daniel A., Cushman, Jesse, Aghajan, Zahra M. & Mehta, Mayank R.(2013). Multisensory Control of Hippocampal Spatiotemporal Selectivity. Science DOI: 10.1126/science.1232655.
    Norman, Liam J. & Thaler, Lore (2019). Retinotopic-like maps of spatial sound in primary ‘visual’ cortex of blind human echolocators. Proceedings of the Royal Society B: Biological Sciences, 286, doi: 10.1098/rspb.2019.1910.
    Sargolini, F., Fyhn, M., Hafting, T., McNaughton, B.L., Witter, M.P., Moser, M.B., and Moser, E.I. (2006). Conjunctive representation of position, direction, and velocity in the entorhinal cortex. Science 312, 758-762.
    Strickrodt, M., Bülthoff, H. H., & Meilinger, T. (2018). Memory for navigable space is flexible and not restricted to exclusive local or global memory units. Journal of Experimental Psychology: Learning, Memory, and Cognition, doi:10.1037/xlm0000624.
    https://www.wissenschaft.de/umwelt-natur/speichererweiterung-meisenhirne-wachsen-im-herbst/ (04-12-21)
    https://www.wissenschaft.de/gesundheit-medizin/wie-echoortung-das-gehirn-veraendert/ (19-10-05)
    https://idw-online.de/de/news754265 (20-09-19)


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