Der blinde Fleck (blind spot) bezeichnet jenen Punkt der Netzhaut des Auges, an dem der Sehnerv das Auge verlässt und ein »blinder« Fleck entsteht, da hier keine Rezeptorzellen vorhanden sind. Der Begriff wird aber auch in der Psychologie metaphorisch verwendet, etwa um die eingeschränkte Wahrnehmung eines Menschen zu beschreiben.
Es gibt auch die Blindheit durch Unaufmerksamkeit, wobei hier die Unfähigkeit bezeichnet wird, deutlich sichtbare Objekte zu sehen, wenn sich die Aufmerksamkeit auf andere Dinge richtet.
Als blinder Fleck wird in der Psychologie aber auch die Tendenz von Menschen bezeichnet, die Seiten an sich selbst, die sie nicht wahrnehmen können oder wollen, zu ignorieren. Solche Menschen sind quasi blind für gewisse Eigenschaften oder Persönlichkeitsmerkmale, die sie haben, d.h., es besteht ein Unterschied zwischen Selbstbild und Fremdbild. Eine besonders extreme Form eines blinden Flecks ist das Bild, das Magersüchtige von sich haben, denn diese sehen sich als übergewichtigt an, obwohl sie deutlich untergewichtig sind.
Was die Psychologie noch genauer erforschen muss: Man weiß aus zahlreichen Untersuchungen, dass das menschliche Gehirn Lücken in der Wahrnehmung nur schwer akzeptieren kann, sodass es sich die fehlenden Informationen kurzerhand dazu denkt. Die sensorische Information über unsere Umwelt enthält aber zahlreiche Lücken, die durch die Anatomie der Sinnesorgane, Schädigungen im Zuge von Augenerkrankungen oder durch Eigenschaften der Umwelt entstehen können. So können Menschen etwa im blinden Fleck nichts sehen, weil sich dort keine Rezeptoren befinden, aber auch in der übrigen Umwelt sind Objekte häufig nicht vollständig sichtbar, da sie durch andere Objekte verdeckt werden. All diese fehlenden sensorischen Informationen werden durch das Gehirn ergänzt, um zu einer lückenlosen Repräsentation der Umgebung zu gelangen. Allerdings ist immer noch unklar, inwieweit das Gehirn diese inferierte Information im Vergleich zu sensorischer Information gewichtet und für Wahrnehmung, Metakognition und Handlungssteuerung benutzt bzw. wie belastbar diese inferierten Informationen sind und wie stark das Gehirn sie in seine Entscheidungsfindung mit einbezieht. Zumindest hat sich in einigen Untersuchungen paradoxerweise gezeigt, dass Probanden der inferierten Information mehr vertrauen als sensorischer Information an anderen Stellen, d. h., das Gehirn kommt gewissermaßen zu eigenen Schlussfolgerungen und vertraut diesen Schlussfolgerungen dann mehr als dem, was die Augen tatsächlich abbilden. Solch eine Dissoziation zwischen der tatsächlichen Qualität von Informationen und dem subjektiven Vertrauen könne durch gegenwärtige Wahrnehmungstheorien nur unzureichend erklärt werden.
Im Projekt SENCES (Sensation and inferences in perception, metacognition and action) des Fachbereichs Psychologie der Philipps-Universität Marburg sollen diese Inferenzen systematisch untersucht und analysiert werden. Hierfür werden Wahrnehmungs- und Blickbewegungsexperimente, Elektrophysiologie und Modellierung sowie Untersuchungen mit Patientinnen und Patienten durchgeführt. Mit dieser Arbeit möchte man Erkenntnisse darüber gewinnen, wie eine lückenlose Repräsentation der Umwelt konstruiert wird und wie die vielen Lücken in der sensorischen Information gewissermaßen versteckt werden. Das Projekt soll außerdem Informationen liefern, inwiefern diese Prozesse auch für die Diagnose und Behandlung von Augenerkrankungen relevant sind.