Zum Inhalt springen

Gebärdensprache

    Eine Gebärdensprache ist eine visuell wahrnehmbare Form von Sprache, die insbesondere von nicht-hörenden bzw. schwerhörenden Menschen zur Kommunikation genutzt wird, wobei mit einer Verbindung von Gestik, Gesichtsmimik, dem Mundbild von lautlos gesprochenen Wörtern und Wechsel der Körperhaltung aber auch Fingerzeichen kommuniziert wird. Diese Elemente werden zu Sätzen und Satzfolgen kombiniert, wobei die Gebärdensprache nicht einfach eine rudimentäre Zeichensprache darstellt, sondern genauso differenziert und vollwertig wie eine gesprochene Sprache  ist. Gebärdensprachen sind meist voll ausgebildete natürliche Sprachen von derselben Komplexität wie gesprochene Sprachen, wobei eine Gebärde mehrere bedeutungstragende Bestandteile (Morpheme) zugleich enthalten kann. Von Gebärdensprachen abzugrenzen sind auch manuelle Kodierungssysteme (Gebärdenzeichen), die von Menschen eingesetzt werden, die aufgrund einer anderen Beeinträchtigung Schwierigkeiten mit der Lautsprache haben. Die Gebärdensprachen bilden daher anders als die auditiv-verbalen Lautsprachen ein Kommunikationssystem, das auf dem motorisch-visuellen Kanal basiert und daher Hände und Augen als Kanäle für den Informationsaustausch beansprucht.

    Die Gebärdensprachen sind auf der ganzen Welt nicht einheitlich, d. h., es gibt regionale und nationale Varianten, die sich zum Teil stark unterscheiden. Gebärdensprachen weisen wie alle natürlichen Sprachen Dialekte und Soziolekte auf. Gebärdensprachen sind überall dort, wo es Gehörlosengemeinschaften gab und gibt, wie die Lautsprachen auf natürliche Weise entstanden. Man kann daher auch normale gesprochene Sprache nicht einfach Wort für Wort in Gebärdensprache übersetzen, sondern diese bilden ein ganz eigenes grammatikalisches System.

    Über siebzig Millionen gehörlose Menschen weltweit verwenden eine der mehr als zweihundert Gebärdensprachen, und obwohl diese im Gehirn auf ähnliche Strukturen wie Lautsprachen zugreifen, konnte man bisher noch nicht jene Hirnregionen identifizieren, die beide Sprachformen nutzen. Man wusste also bisher nicht, welche Hirnregionen tatsächlich in die Verarbeitung von Gebärdensprache involviert sind bzw. wie groß dabei die Überschneidung mit Hirnregionen ist, die Hörende für die Lautsprachverarbeitung nutzen.

    Die kognitionswissenschaftliche Forschung zu Gebärdensprachen seit den 60er Jahren des vorigen Jahrhunderts zeigte, dass Gebärdensprachen vollwertige autonome Sprachen darstellen und über eine komplexe Organisation auf mehreren sprachlichen Ebenen wie Grammatik und Bedeutung verfügen. Studien zur Verarbeitung von Gebärdensprache im menschlichen Gehirn hatten bereits einige Ähnlichkeiten aber auch Unterschiede zwischen Gebärden- und Lautsprachen gefunden, doch ist es schwierig, daraus ein einheitliches Bild über die Verarbeitung beider Formen von Sprache im Gehirn abzuleiten. Über siebzig Millionen gehörlose Menschen weltweit verwenden eine der mehr als zweihundert Gebärdensprachen, und obwohl diese im Gehirn auf ähnliche Strukturen wie Lautsprachen zugreifen, konnte man bisher noch nicht jene Hirnregionen identifizieren, die beide Sprachformen nutzen. Man wusste also bisher nicht, welche Hirnregionen tatsächlich in die Verarbeitung von Gebärdensprache involviert sind bzw. wie groß dabei die Überschneidung mit Hirnregionen ist, die Hörende für die Lautsprachverarbeitung nutzen.

    Trettenbrein et al. (2020) haben jüngst bei einer Metaanalyse entdeckt, dass offensichtlich das Broca-Areal in der linken Gehirnhälfte der zentrale Knotenpunkt sowohl in gebärdeter als auch gesprochener Form darstellt, womit sich zeigt, dass das Gehirn generell darauf ausgerichtet ist, Grammatik und Bedeutung von Sprache zu verarbeiten, gleichgültig, ob sie gehört oder oder gesehen wird. Dabei konnte man erstmals statistisch robust die Areale identifizieren, die über alle Studien hinweg an der Verarbeitung von Gebärdensprache beteiligt sind. Dabei war das Broca-Areal im Stirnhirn der linken Hirnhälfte eine der Regionen ist, bei der Verarbeitung von Gebärdensprache in fast jeder der ausgewerteten Studien involviert, wobei dieses Areal eine zentrale Rolle in der Lautsprache spielt und dort etwa für die Grammatik und Bedeutung zum Einsatz kommt. Auch konnte man zeigen, welche Rolle das rechte Stirnhirn, das Pendant zum Broca-Areal auf der linken Seite, spielt, denn dieses trat in vielen der ausgewerteten Studien zur Gebärdensprache ebenfalls immer wieder auf, weil es nicht-sprachliche Aspekte wie räumliche oder soziale Informationen des Gegenübers verarbeitet. Das bedeutet, dass Bewegungen von Händen, Gesicht und Körper, aus denen ja Gebärden bestehen, Gehörlose und Hörende prinzipiell ähnlich wahrnehmen, doch nur bei Gehörlosen aktivieren sie zusätzlich das Sprachnetzwerk in der linken Hirnhälfte, inklusive des Broca-Areals. Gehörlose nehmen die Gesten demnach als Gebärden mit sprachlichem Inhalt wahr statt als pure Bewegungsabläufe, wie es bei Hörenden der Fall ist. Man schließt nun auch daraus, dass das Gehirn auf Sprache an sich spezialisiert ist, jedoch nicht auf das Sprechen

    Lange waren Gebärdensprachen auch nicht anerkannt und wurden sogar als Affensprachen verunglimpft, waren in Schulen verboten, denn man hat gehörlosen Kindern hauptsächlic beigebracht, anderen vom Mund abzulesen und selbst zu sprechen, selbst dann, wenn sie sich miteinander unterhielten. Mittlerweile ist die Gebärdensprache als Sprache anerkannt, und Gehörlose haben etwa auch vor Gericht ein Recht auf einen einschlägigen Dolmetscher.

    Übrigens gibt es auch Kulturen, in denen nicht-gehörlose Menschen ebenfalls eine Gebärdensprache benutzen oder benutzten, etwa die weiblichen Mitglieder des australischen Warlpiri-Volksstammes und manche indigenen Völker in Nordamerika.


    In einem interessanten Versuch von Bohn et al. (2019) mussten Kinder in einem stummen Videogespräch einem Partner eine Bedeutung vermitteln, obwohl sie nicht in der Lage waren, gesprochene Sprache zu verwenden. Die gestischen Codesysteme, die die Kinder innerhalb einer 30-minütigen Testsitzung ad hoc erzeugten, wiesen zentrale Merkmale einer natürlichen Sprache bzw. einer entstehenden Gebärdensprachen auf: Referenzsignale für Objekte, Handlungen und abstrakte Konzepte, konventionelle Verwendung dieser Signale und eine grammatikalische Struktur. Um neuartige Botschaften, einschließlich abstrakter Konzepte, zu kommunizieren, schufen Kinder in Zweiergruppen spontan neuartige gestische Zeichen, wobei diese mit der Zeit diese Zeichen zunehmend willkürlich und konventionalisiert wurden. Als die Kinder mit der Notwendigkeit konfrontiert wurden, komplexere Bedeutungen zu kommunizieren, begannen sie, ihre Gesten grammatikalisch zu strukturieren. Offenbar verfügen Kinder über die grundlegenden Fähigkeiten, die nicht nur für den Erwerb einer natürlichen Sprache, sondern auch für die spontane Schaffung einer neuen Sprache erforderlich sind. Auf Basis der vorliegenden Studie erscheinen daher folgende Schritte für die Entwicklung von Sprache plausibel: Zunächst werden Personen, Handlungen oder Gegenstände durch Zeichen dargestellt, die den Dingen ähneln. Voraussetzung hierfür ist ein gemeinsamer Erfahrungsschatz der Interaktionspartner, wobei die Gesprächspartner auch einander nachahmen, sodass sie die gleichen Zeichen für die gleichen Dinge verwenden, d. h., die Zeichen gewinnen eine Bedeutung. Im Laufe der Zeit werden die Beziehungen zwischen den Zeichen und den Dingen immer abstrakter und die Bedeutung der einzelnen Zeichen spezieller, wobei nach und nach auch grammatikalische Strukturen eingeführt werden, wenn das Bedürfnis besteht komplexere Sachverhalte zwischen Dingen zu kommunizieren. Bemerkenswert ist, dass man diese Prozesse schon innerhalb einer halben Stunde beobachten kann, d. h., die Geschwindigkeit, mit der Kinder diese strukturierten Systeme schafften, könnte tiefgreifende Auswirkungen auf die Theorien über die Evolution der Sprache, einen Prozess, von dem man im Allgemeinen annimmt, dass er sich über viele Generationen, wenn nicht gar Jahrtausende erstreckt. Die Ergebnisse dieser Untersuchung zeigen aber, dass sprachähnliche Kommunikationssysteme schnell aus sozialer Interaktion entstehen können.

    Literatur

    Bohn, Manuel, Kachel, Gregor & Tomasello, Michael (2019). Young children spontaneously recreate core properties of language in a new modality. Proceedings of the National Academy of Sciences, 116, 26072-26077.
    Boyes Braem, P. (1995). Einführung in die Gebärdensprache und ihre Erforschung. Hamburg: Signum Verlag.
    Trettenbrein, P. C., Papitto, G., Friederici, A. D., & Zaccarella, E. (2020). The functional neuroanatomy of language without speech: An ALE meta-analysis of sign language. Human Brain Mapping, 42, 699–712.
    https://de.wikipedia.org/wiki/Geb%C3%A4rdensprache (20-12-03)


    Impressum ::: Datenschutzerklärung ::: Nachricht ::: © Werner Stangl :::