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Alltagstest

    Alltagstest bzw. auch real life test bezeichnet eine Methode, die dazu dient, bei Transgender-Menschen im Vorfeld zu geschlechtsanpassenden Maßnahmen Erfahrungen zu sammeln, und zwar privat und beruflich, d. h., sie mussten über einen bestimmten Zeitraum 24 Stunden am Tag in der Rolle des ihrem Gefühl entsprechenden Geschlechts leben und ihren Alltag gestalten – also als real life experience. Bei diesem Test handelt es sich auch um eine psychiatrisch bzw. psychotherapeutisch begleitete Alltagserprobung, etwa musste eine transsexuelle Frau ab sofort mit einem weiblichen Namen und in typisch weiblichem Erscheinungsbild im Privat- und Berufsleben auftreten. Bei diesem Test wird also die gewünschte Geschlechterrolle auf Dauer eingenommen, d. h., Kleidung, Frisur und Erscheinungsbild sollten so überzeugend wie möglich übernommen werden. Dieser Test sei nach Ansicht vieler Experten notwendig, um die Betroffenen mit den Reaktionen im Alltag zu konfrontieren: Wie reagieren Verwandte und Nachbarn, Kollegen und Freunde, die Bäckerin und der Metzger? Was bedeutet der Rollentausch für den Beruf? Wie verarbeitet man die verhohlenen oder offenen Blicke, die auf einem ruhen? Kommt man mit der Ablehnung und dem Interesse klar, das einem entgegengebracht wird? Ärzte empfahlen dabei, dass der Alltagstest mindestens ein bis zwei Jahre dauern sollte, um zu klären, wie das Umfeld mit dem Wechsel zurechtkommt und ob man selbst wirklich dauerhaft zum anderen Geschlecht gehören will und kann.

    Es stellt sich die Frage, ob der Alltagstest als Vorbedingung für geschlechtsangleichende Maßnahmen gelten sollte, da international andere Richtlinien für die Begleitung von Menschen mit Wunsch nach Geschlechtsangleichung gelten. Darüber hinaus fehlen für die Effektivität dieser Methode wissenschaftliche Belege und auch die Beurteilung des Tests durch Betroffene wurde nicht ausreichend untersucht. Werndl et al. (2018) zeigten, dass knapp siebzig Prozent der Teilnehmerinnen und Teilnehmer den Alltagstest zwar einerseits mit gut bewerteten, allerdings empfand die Hälfte der Befragten den Alltagstest auch als belastend, wobei sich rückblickend mehr als die Hälfte gegen den Alltagstest entscheiden würde. Schließlich hatte der Alltagstest bei den meisten Befragten auch gar keinen Einfluss auf ihre Entscheidung für oder gegen geschlechtsangleichende Maßnahmen.

    Ohne Alltagstest war es bisher nicht möglich, den Personenstand zu ändern oder hormonelle und chirurgische Maßnahmen zur Angleichung an das angestrebte Gegengeschlecht zu beginnen. Die Leitlinien betonten zwar, dass es für transsexuelle Personen wichtig sei, im Alltag immer wieder in der Rolle des Gegengeschlechts zu leben, um vielfältige Erfahrungen zu sammeln, allerdings ist der Alltagstest in Österreich und Deutschland nun keine Verpflichtung mehr. Der verpflichtende Alltagstest wurde deshalb aufgehoben, da Transmenschen im öffentlichen Leben und am Arbeitsplatz noch immer Mobbing und Diskriminierung drohen, wobei der Alltagstest nicht selten auch zu Kündigungen und gravierenden beruflichen Belastungen führte. So enthält der Alltagstest offenbar ein hohes Potenzial an Diskriminierung und verschlechterte die psychische Situation von Transmenschen, was nicht selten zusätzlich zu schweren körperlichen, psychischen und sozialen Belastungen führt.

    Literatur

    Werndl, M., Schulz, K. & Luck-Sikorski, C. (2018). Der Alltagstest als Vorbedingung für geschlechts-angleichende Maßnahmen aus Sicht transsexueller Menschen – eine quantitative und qualitative Erhebung. Sexuologie, 25, 71-80.
    https://www.planet-wissen.de/gesellschaft/sexualitaet/transsexualitaet/pwiegeschlechtsangleichung100.html (20-01-14)


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