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Invektivität

    Invektivität bezeichnet Phänomene der Schmähung und Herabwürdigung, der Beschämung und der Bloßstellung von Menschen und Menschengruppen, und lassen sich als spezielle epochen- und kulturübergreifende Arten von Kommunikation auffassen. Der Begriff leitet sich von der antiken Schmährede (invectiva oratio) ab und bezeichnet ein breites Spektrum von herabsetzenden Stereotypisierungen, Stigmatisierungen, Beleidigungen und Ausgrenzungen. Verbale und zeichenhafte Aggressionen gegen Menschen oder Menschengruppen sind dabei grundlegende Erscheinungsformen des Sozialen, wobei solche Herabsetzungen oder Ausgrenzungen in der Regel an Zuschreibungen anknüpfen, die sich auf ethnische, nationale oder religiöse Zugehörigkeiten, soziale Positionierungen, Geschlecht, sexuelle Orientierungen oder andere für die Konstruktion von Identität relevante Merkmale beziehen. Invektivität fokussiert dabei auf jene Aspekte von Kommunikation (verbal oder nonverbal, mündlich, schriftlich, gestisch oder bildlich), die dazu geeignet sind, andere herabzusetzen, zu verletzen oder auszugrenzen. Verbale und zeichenhafte Aggressionen gegen Menschen oder Menschengruppen sind dabei aber grundlegende Erscheinungsformen des Sozialen, wobei Herabsetzungen oder Ausgrenzungen oft an Zuschreibungen anknüpfen, die sich auf ethnische, nationale oder religiöse Zugehörigkeiten, soziale Positionierungen, Geschlecht, sexuelle Orientierungen oder andere für die Konstruktion von Identität relevante Merkmale beziehen. Invektive Akte sind dabei aber stets mehr als nur marginale oder deviante Formen sozialer Interaktion, denn sie zielen ins Zentrum des Sozialen, indem sie soziale Verhältnisse insgesamt entweder produzieren oder zerstören, stabilisieren oder dynamisieren.

    Dabei unterliegen Erscheinungsformen und Funktionen des Invektiven keinem starren Muster, sondern treten in medialer, politischer, sozialer und ästhetischer Hinsicht in komplexen, historisch variablen Konstellationen auf. Sie können deshalb angemessen nur als performatives Geschehen, als relationales Geflecht von Zuschreibungen, Resonanzen und Anschlusskommunikationen sowie im Kontext ihrer sozialen, diskursiven und medialen Ermöglichungsbedingungen verstanden werden.

    Solche Phänomene der Herabwürdigung hat es zu allen Zeiten und in allen Kulturen gegeben und waren und sind von den jeweiligen sozialen, politischen, ökonomischen und medialen Kontexten geprägt, auf die sie ihrerseits zurückwirken. Schon in der Illias wird die Handlung durch die Beleidigungen Apolls bzw. seines Priesters Chryses und des Helden Achill durch König Agamemnon vorangetrieben. Als Mittel der politischen, religiösen oder intellektuellen Auseinandersetzung waren Schmähungen allgegenwärtig, so etwa im spätrepublikanischen Rom, im frühen Christentum, in den mittelalterlichen Konflikten zwischen Kaisern und Päpsten, in den agonalen Auseinandersetzungen der Renaissancehumanisten, in den Kämpfen der Reformationszeit wie auch in den Debatten der Aufklärungszeit und der Romantik. Klassisches Beispiel sind die Philippischen Reden, mit denen Cicero versuchte, den Untergang der Republik verhindern zu können, indem er seine Mitbürger dazu brachte, Mark Anton zum Staatsfeind zu erklären, damit dieser sich nicht zum Nachfolger Caesars als Diktator aufschwingen konnte. Dieses Ziel verfolgte er in allen vierzehn Reden, die zwischen September 44 und April 43 v. Chr. entstanden sind. Die schärfsten Angriffe enthält die zweite Rede, bei der es sich um die einzige handelt, die Cicero nicht vor dem Senat gehalten hat, sondern lediglich in Gestalt eines fingierten Vortrages konzipiert und vermutlich im Herbst 44 v. Chr. auch als Flugschrift in mehreren Abschriften publiziert hat. Nicht zuletzt wegen ihres hochgradig invektiven Charakters hat gerade die zweite Philippica eine besonders intensive Rezeption erfahren.

    Einerseits wird das Spiel von Herabsetzung, Herausforderung und Ehrverteidigung oft als zentrales Charakteristikum der vormodernen Anwesenheitsgesellschaft betrachtet, andererseits hatte etwa in der Reformationsära die wechselseitige Herabwürdigung des konfessionell-politischen Gegners – ermöglicht durch die neuen Medien des Gutenberg-Zeitalters – Hochkonjunktur.

    Moderne Formen der Invektivität finden sich etwa aktuell in Form von Shitstorms, populistischen Twitter-Nachrichten und Internet-Kommentaren, denn sie stacheln an, hetzen auf, provozieren, diskreditieren, grenzen aus und stigmatisieren.

    Literatur

    Schlögl, Rudolf (2014). Anwesende und Abwesende. Grundriss für eine Gesellschaftsgeschichte der frühen Neuzeit. Konstanz: Konstanz University Press.
    Schwerhoff, Gerd (2017). Radicalism and Invectivity. ‘Hate speech’ in the German Reformation (S. 36-52). In Bridget Heal & Anorthe Cremers (Hrsg.), Radicalism and Dissent in the World of Protestant Reform. Göttingen: V&R.
    https://kulturwissenschaftlichezeitschrift.de/artikel/ellerbrock-et-al-invektivitaet/ (19-06-08)
    https://tu-dresden.de/gsw/sfb1285/forschung/forschungsprogramm (19-06-08)
    https://www.slub-dresden.de/besuchen/ausstellungen-corty-galerie/archiv-der-ausstellungen/ausstellungen-2020/schmaehung-provokation-stigma-medien-und-formen-der-herabsetzung (19-06-08)


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