Grafomotorik bzw. Graphomotorik ist ein spezieller Aspekt der menschlichen Feinmotorik und bezeichnet vor allem die menschliche Schreibbewegung unter Berücksichtigung aller beteiligten Teilkomponenten wie Koordination, Bewegung im Handgelenk, der Finger und der Hände. Die Grafomotorik ist demnach ein komplexer psychomotorischer Prozess, den Menschen erst detailliert erlernen müssen. Beim Schreiben führt man im Grunde große Bewegungen des Körpers im Kleinen aus, d. h., um feinmotorisch etwas leisten zu können, muss es grobmotorisch verinnerlicht werden, wobei nach dem Erlernen die meisten Prozesse automatisch ablaufen.
Vor allem beim Schreiben führt man eine Anzahl von Bewegungen aus, die minimiert werden, d.h., ganzkörperliche, große Bewegungen des Rumpfes, des Armes und des Handgelenkes werden beim Schreiben so weit verkleinert, bis sie schließlich über die Koordination der Hand ausgeführt werden. Um eine harmonische Schreibewegung zu erreichen ist es daher notwendig, Kindern zunächst ein Gefühl für ihren Körper zu vermitteln und die Bewegungsabläufe im Großen zu üben und sich bewusst zu machen, um dann nach und nach in die Feinmotorik des Schreibens überzugehen. Neben dem Prozess des Schreibens zählen übrigens auch andere Fähigkeiten, die mit den Fingern ausgeübt werden, wie das Malen oder Zeichnens zur Grafomotorik.
Sowohl Erwachsene als auch Kinder tippen heutzutage mehr, als dass sie selbst schreiben, denn auf Grund von Smartphones, Tablets oder Computer braucht man kaum heute noch eine leserliche Schrift. Man kommt mittlerweile auch ohne diese erfolgreich durchs Berufsleben, denn was zählt, ist Effizienz und Schnelligkeit und da bleibt für schönes Schreiben kein Platz mehr. Das handschriftliche Schreiben wird daher durch die neuen Medien durch das Tippen auf einer realen oder virtuellen Tastatur und sogar durch Spracheingabe in hohem Maße bereits ersetzt, dennoch spielt der handschriftliche Ausdruck nach wie vor eine wichtige Rolle und ist trotz Computer und Digitalisierung aus dem Alltag nicht wegzudenken, denn die Feinmotorik, die durch die Grafomotorik ausgebildet wird, ist aber auch beim Tippen auf einer Tastatur notwendig. Da immer weniger Kinder die koordinatorischen Voraussetzungen zum Schreiben mit der Hand besitzen liegt auch daran, dass immer weniger Zeit und Möglichkeiten vorhanden sind, solche überhaupt zu entwickeln. Dabei ist Handschrift nicht nur Kulturgut, sondern auch Basis für die Merkfähigkeit und viele andere Gedächtnisleistungen. Inzwischen weiß man, dass die Handschrift den Menschen mehr gibt, als alleine das Schriftbild, denn schreibt man etwas per Hand auf, merkt man es sich besser, als wenn man es in den Laptop oder das Mobile tippt. Außerdem stellt man eine stärkere Verbindung zum Geschriebenen her, denn man muss sich vorher Gedanken darüber machen, was man schreiben will.
Die eigene Handschrift ist für die meisten Menschen etwas Alltägliches, über das sie selten nachdenken, und doch begleitet diese Menschen ein Leben lang. Wesentlich für eine Handschrift ist die Schreibmotorik, also die feinen Bewegungen, die man mit einem Schreibgerät wie Bleistift, Kugelschreiber, Füllfeder oder Pinsel in der Hand auf einem Blatt Papier ausführt, um damit Schriftzeichen zu erzeugen. Dabei kommt es zu einem koordinierten Zusammenspiel verschiedener Körperteile, denn so ermöglichen etwa der kleine Finger und feine Handgelenksbewegungen die Ausgestaltung der Schrift in der Höhe und Breite. Aber auch kleine Bewegungen aus dem Arm und der Schulter kommen beim Schreiben zum Einsatz, oft durch die Sitzhaltung noch eine Interaktion von Hüften, Gelenken und insgesamt mehr als dreißig Muskeln. Im Gehirn werden während des Schreibens etwa zwölf Areale aktiviert, z. B. jene, die die Wahrnehmung, die Verarbeitung von Informationen und die motorische Ausführung steuern. Neurowissenschaftliche Studien haben auch belegt, dass durch das Handschreiben Kinder wie auch Erwachsene besser lesen lernen, sich besser Faktenwissen merken und ein besseres Verständnis für einen Inhalt erlangen, wobei vor allem für konzeptionelle Prozesse das Schreiben mit der Hand wichtig ist. Demnach ist handschriftliche Schreiben wichtig für alle kognitiven Fähigkeiten und für Menschen jeden Alters. Übrigens geht es nicht darum, schön zu schreiben, sondern flüssig und lesbar zu schreiben, wobei es für eine bessere Lesbarkeit meist genügt, etwa langsamer und mit dem richtigen Rhythmus zu schreiben. Die eigene Handschrift entwickelt sich sehr früh oft schon im Kindergarten, denn die Mehrheit der Kinder beginnt mit vier Jahren, den eigenen Namen zu schreiben, und ab Ende der vierten Klasse sollten Kinder in der Lage sein, flüssig und lesbar zu schreiben. Das Schreiben automatisiert sich dann mit etwa 16 Jahren, denn ab diesem Zeitpunkt muss man sich nicht mehr in erster Linie auf das visuelle Erscheinungsbild der Schrift konzentrieren. Menschen könnten ab diesem Alter mit verschlossenen Augen schreiben, weil das zu Schreibende bereits im Gehirn vorgeschrieben ist, sodass beim Schreiben auch mehr Kapazität für die Kreativität bleibt.
Zahlreiche Experten fordern daher, wieder stärker die Handschrift und sogar das Schönschreiben zu fördern, wobei es um mehr geht, als dass Kinder eine funktionale und eine für sie gut nutzbare Handschrift erwerben. Im Gegensatz zum Schreiben mit einer Tastatur geht es nämlich darum, Buchstaben auch aus der Bewegung heraus zu erkennen, denn ein „K“ fühlt sich anders an als ein „S“, wenn man es mit der Hand schreibt. Nur auf diese Weise kann das Gehirn verarbeiten, was die Hand macht, denn ohne Handschrift verliert man eine Sinnesebene und das erschwert das tatsächliche Verstehen. Dabei ist es gar nicht so wesentlich, welche Ausgangsschrift verwendet wird, d. h., es muss nicht unbedingt eine verbundene Schreibschrift erlernt werden. Immerhin wird etwa auch durch die Verwendung von Tablets schon die Möglichkeit geboten, das mit einem Stift Geschriebene in Digitalschrift umzuwandeln. Beim Schreibenlernen mit der Hand geht es jedoch auch darum Bewegungsroutinen zu entwickeln, die dann im Gehirn abgespeichert werden. Je rauer der Schreibuntergrund, umso stärker der Widerstand, sodass es für Kinder ein viel intensiveres Erlebnis ist, mit einem Bleistift auf rauem Papier zu schreiben als mit einem Kugelschreiber auf einem glatten Papier oder mit einem Finger bzw. Stift auf einem Tablet. Am allerbesten zum Erlernen des Schreibens sind sicherlich Schiefertafel und Griffel, wobei besonders Kindern mit motorischen Problemen davon profitieren.
Das Schreiben mit dem Stift oder der Füllfeder ist eine Kulturtechnik und im besten Sinne des Wortes auch Handwerk, doch ist der Weg zu einer flüssigen Handschrift alles andere als leicht, wie man aus eigener Erfahrung weiß oder bei Kindern beobachten kann. So mancher ABC-Schütze scheint daran zunächst zu verzweifeln. Das Handschreiben fördert die Merkfähigkeit, das inhaltliche Verständnis, Kreativität und selbst das logische Denken. Das Schreiben mit der Hand wirkt sich positiv auf das Gehirn und damit die kognitive Entwicklung aus. Wenn man vom Schreiben spricht, denkt man zuerst an die Schrift, wobei die Bewegungen, die zur Schrift führen, entscheidend sind, also die Schreibmotorik. Kleine Finger- und Handgelenkbewegungen ermöglichen erst die Ausgestaltung der Schrift, wobei sich siebzehn Gelenke und mehr als 30 Muskeln im Hand-Arm-System bewegen, wobei zwölf Hirnareale gleichzeitig aktiv sein müssen. Das Schreiben mit der Hand ist also ein komplexer, feinmotorischer Ablauf, denn nur geübte Finger können das Schreibgerät beherrschen. Dass Kinder immer weniger Bewegungsspiele spielen, wirkt sich das nicht nur auf die Grobmotorik sondern auch auf die Feinmotorik aus. Studien haben gezeigt, dass schon eine Stunde Handschriftförderung in der Woche eine Reihe positiver Effekte hat, und zwar über alle Fächer hinweg und weit über die Volksschule hinaus. Schreiben erhöht die Merkfähigkeit und die Kreativität, man unterstützt dadurch auch das Lesenlernen und das Lernen im Allgemeinen. Handschrift erfordert größere feinmotorische Fertigkeiten und eine viel stärkere Differenzierung, denn dadurch prägen sich die unterschiedlichen Buchstabenformen dauerhafter ein, d. h., die Handschrift nützt dem Schriftspracherwerb mehr als das Tippen auf der Tastatur. Beim Tippen gelangt man mit immer der gleichen Bewegung zu einem Buchstaben, wenn man aber ein Schriftzeichen per Hand schreibt, muss man Bewegungen vollführen, die bei jedem Buchstaben anders aussehen. Jeder Buchstabe hat einen anderen charakteristischen Bewegungsablauf, und diese kleinsten, differenzierten Bewegungen sind es, die das Gehirn aktivieren und beim Lernen helfen. Man kann davon ausgehen, dass die gesamte kognitive Entwicklung von Kindern durch Schreiben stärker befruchtet wird als durch Tippen, weil mehr benachbarte Funktionen wie Vorstellungskraft, Kreativität, Rechtschreibung und Erinnerungsvermögen angeregt werden. Zudem wird bei der Verarbeitung von Text in Form von Handschreiben eine motorische Gedächtnisspur im Gehirn angelegt, auch bei Erwachsenen.
Marianela Diaz Meyer, Leiterin des deutschen Schreibmotorik-Instituts, in einem Interview mit Markus Böhm im STANDARD vom 31. August 2020.
Literatur
Lossau, R. (2021). Tag der Handschrift: Woher sie kommt, wohin sie geht.
WWW: https://www.butenunbinnen.de/nachrichten/wissen/tag-der-handschrift-tipps-gegen-sauklaue-100.html (21-01-23)
Stangl, W. (2018). Die Handschrift forcieren – ☀ bemerkt.
WWW: http://bemerkt.stangl-taller.at/die-handschrift-forcieren/ (2018-05-15).
http://grafomotorik.de/ (19-03-03)