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Chronopsychologie

    Wenn ich immer das Gleiche mache, kommt mir das Leben sehr kurz vor.
    Marc Wittmann

    Die Chronopsychologie beschäftigt sich mit der zeitlichen Organisation von Lebewesen und berücksichtigt dabei psychische Rhythmen, die sich in Verbindung mit dem Faktor Zeit verändern. Während die Chronobiologie und Chronomedizin versuchen, Einflüsse und Wirkungen auf die Chronopsychologie, also auf die zeitliche Ordnung und Organisation von Lebewesen, zu erklären, beschäftigt sich die Chronopsychologie mit Auswirkungen auf das Erleben und Verhalten des Menschen sowie auf seine Leistungsfähigkeit. Sie baut somit auf Aussagen auf, die sich auf die Zeitstruktur des Erlebens, Verhaltens und der Leistungsfähigkeit beziehen. Dabei ist wesentlich, dass Zeit subjektiv und anders als den realen Abläufen entsprechend empfunden werden kann, wobei das subjektive Zeitempfinden als subjektive Zeitdehnung und Zeitraffung erlebt werden kann, wobei daran affektive, kognitive und Entscheidungsprozesse beteiligt sind.

    Solche Rhythmen teilt der Mensch mit der gesamten Natur, denn man findet sie beim Einzeller wie beim Astrophysiker im Weltraum, d. h., Rhythmen stabilisieren und dynamisieren Entwicklungen in Mikrobereichen wie im Weltall. Dabei können Menschen ihre innere Uhr, also den zirkadianen Rhythmus, nicht wirklich beeinflussen, doch sie kann sich im Lauf des Lebens ohne eignenes Zutun verändern. In früher Kindheit beginnt die natürliche Hellwach-Phase meist relativ früh und verlagert sich häufig im Lauf des Lebens auf mehr oder weniger spätere Tageszeiten, wobei sich im hohen Alter der Trend wieder zurück in Richtung Frühaufsteher umkehren kann. Studien belegen, dass in den Hellwach-Zeiten die Lernfähigkeit, die Erinnerungsfähigkeit, die Problemlösefähigkeit und viele andere Kompetenzen um ein Mehrfaches höher liegen als in unvorteilhaften Phasen. Junge Erwachsene zeigen meist am frühen Nachmittag die beste Leistung, Ältere erreichen ihr Leistungshoch öfter am Morgen. Der übliche soziale Rhythmus in westlichen Gesellschaften orientiert sich eher an Frühaufstehern, sodass die meist lebenslang konstanten Nachteulen tendenziell benachteiligt werden, und zwar zunächst in der Schule und in der Ausbildung, später im Berufsleben, sodass ihre Leistung möglicherweise immer unter ihrem Potenzial bleibt. Hinzu kommt, dass Spätaufsteher gern als Faulenzer diskriminiert werden.


    Hinweis: Jede einzelne Zelle des menschlichen Körpers hat ihre eigene innere Uhr, wobei diese Uhren im Körper einer Art Hierarchie folgen. Diese Konstellation macht es möglich, dass sich der Mensch an einen neuen Hell-Dunkel-Rhythmus anpassen kann, zum Beispiel nach einer Zeitumstellung oder nach einem Flug in eine andere Zeitzone. Die Hauptuhr im Gehirn synchronisiert dann alle inneren Uhren des Körpers auf den neuen Hell-Dunkel-Rhythmus, was in der Regel einige Tage dauert, so dass man zunächst unter einem Jetlag leidet.


    Die Mehrheit der Europäer befürwortet zwar die Abschaffung der Zeitumstellung und bevorzugt dabei die Sommerzeit, doch die Winterzeit entspricht eher der inneren Uhr des Menschen. Die Sommerzeit ist kein natürliches Ereignis, sondern ein politischer Beschluss, der die innere Uhr immer wieder aus dem Takt bringt. Dabei entspricht die Winterzeit, also die natürliche Zeit, dem menschlichen Biorhythmus, der den Schlaf, den Herzschlag und die Stimmung beeinflusst. Derzeit ist die Sommerzeit populär, denn mit ihren hellen Abenden bietet sie einen starken psychologischen Effekt, wobei viele Menschen glauben, dass sie die Sommerzeit gar nicht beeinflusst. Doch allen gefühlten individuellen Wahrnehmungen zum Trotz belegen weltweit Studien die schädigenden Folgen durch eine Sommerzeit, angefangen von metabolischen Erkrankungen bis hin zu psychischen Problemen. Die Entscheidung, die Uhren umzustellen, greift in das biologische Zeitsystem ein, denn die Mehrheit startet dann müde in den Tag und lebt gegen ihre innere Uhr.


    Anmerkung: Die Chronopsychologie sollte sich mehr in die aktuelle Diskussion um die Zeitumstellung in Sommer- und Normalzeit einschalten, denn es gilt als weitgehend gesichert, dass sowohl der Wechsel als auch eine Umstellung auf permanente Sommerzeit nicht den natürlichen Rhythmen des Menschen entsprechen. Siehe dazu Biologische Rhythmen und Unbedingt Normalzeit als Standardzeit einführen, d. h., die aktuelle Winterzeit. Besonders Schulkinder und Studenten, die das Gelernte bei einem chronischen Schlafmangel nicht genügend verarbeiten können, leiden unter einer permanenten Sommerzeit.

    Der Chronobiologe Till Roenneberg erforscht den Einfluss des Lichts auf den Tagesrhythmus des Menschen und die Funktionsweise der inneren Uhr, also die innere Repräsentation des Zeitraums Tag, dem 24-Stunden-Ablauf von hell und dunkel, den biochemischer Prozess, der sich in Zellen abspielt, wobei jede Zelle ihre eigene Innere Uhr besitzt. Diese innere Uhr ist auch davon abhängig, wie stark der Unterschied zwischen Licht und Dunkel ist, d. h., bei jemandem, der im Büro arbeitet, ist die Lichtintensität tagsüber und abends recht ähnlich, sodass diese Licht- und Dunkelheit-Schwäche dazu führt, dass die innere Uhr früher oder später werden muss, damit sie richtig geht. Die Zeitumstellung hat ein Merkmal in die Welt gerufen, das Social Jetlag heißt, der die Diskrepanz zwischen dem, was die innere Uhr will, und dem, was die soziale Uhr will beschreibt. Alle Studien zeigen, dass der Social Jetlag Folgen für die Gesundheit hat, denn durch diesen sozialen Jetlag wird man dicker, dümmer und depressiver. Der Social Jetlag bezieht sich nicht nur auf die Sommerzeit sondern auf den gesamten Alltag, auf jede Art von Missmatch, also dem Missverhältnis zwischen dem, was die innere Uhr will, und dem, was der Arbeitgeber oder die Schule oder die Gesellschaft will. Aber dadurch, dass Menschen ab Ende März plötzlich eine Stunde früher aufstehen müssen, erhöht sich dieses Missmatch über die folgenden sieben Monate hinweg.  Roenneberg zeigt in seinem Buch, dass der persönliche Biorhythmus den Menschen bereits in die Wiege gelegt ist und seine Missachtung weitreichende Folgen hat. Mindestens jeder zweite lebt permanent im Jetlag, denn der innerer Schlaf-Wach-Rhythmus stimmt nur selten mit gesellschaftlichen Zeitplänen überein. Warum steckt der jüngere Kollege die Schichtarbeit besser weg als ich? Warum fallen mir bei einer Abendgesellschaft fast die Augen zu, wenn alle anderen noch feiern? Weshalb macht uns die Sommerzeit jedes Mal wieder zu schaffen? Und warum kann schlechtes Timing in der Ehe auch etwas mit der Chronobiologie zu tun haben?

    Literatur

    Baudson, T.G., Seemüller, A. & Dresler, M. (Eds.). Chronobiology and Chronopsychology. Pabst.
    Stangl, W. (2019). Biorhythmus – Biologische Rhythmus – Schlaf – Musik – Jet lag – Taktgeber. [werner stangl]s arbeitsblätter.
    WWW: https://arbeitsblaetter.stangl-taller.at/GEDAECHTNIS/Biorhythmen.shtml (2019-03-29).
    Stangl, W. (2019). Unbedingt Normalzeit als Standardzeit einführen, d. h., die aktuelle Winterzeit. Werner Stangls Psychologie News.
    WWW: https://psychologie-news.stangl.eu/2996/unbdingt-normalzeit-als-standardzeit-einfuehren-d-h-die-aktuelle-winterzeit (2019-03-29)
    https://de.wikipedia.org/wiki/Chronopsychologie (14-04-01)
    https://www.merkur.de/bayern/zeitumstellung-uhr-bayern-corona-sozial-jetlag-schaden-gesundheit-muenchen-news-zr-90263526.html (21-03-28)


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