Die Körperschemastörung bezeichnet eine Leibgefühlsstörung, bei dem eine krankhaft verzerrte Wahrnehmung des eigenen Körpers auftritt, oft im Zusammenhang mit Schizophrenien, Intoxikationen mit Halluzinogenen und Essstörungen. Körperschemastörungen sind bei Essstörungen wie Magersucht (Anorexia Nervosa) oder Ess-Brechsucht (Bulimia Nervosa) häufig zu finden.
In der psychologischen Forschung geht es bei Essstörungen unter anderem um ein besseres Verständnis der Körperschemata der Betroffenen, denn für diesen Problembereich ist typisch, dass sich diese Menschen dicker fühlen als sie tatsächlich sind, dass sie mit ihrem Körper unzufrieden sind oder ihn auch völlig ablehnen. Das Ausmaß der Körperschemastörungen ist daher für den Verlauf anorektischer und bulimischer Essstörungen von hoher Bedeutung, wobei Längsschnittstudien an gesunden Mädchen und Frauen darauf hindeuten, dass gerade Probleme in der Körperwahrnehmung einen hohen Einfluss schon auf die Entstehung von Essstörungen haben.
Psychologen sind der Ansicht, dass das Internet die Intensität, mit der Menschen mit idealisierten und manipulierten Bildern in den Medien konfrontiert werden, ganz drastisch erhöht hat, wobei ein neues Phänomen zu beobachten ist: Junge Menschen retuschieren die Fotos ihres eigenen Körpers, bevor sie diese online stellen. Vor allem Mädchen befassen sich intensiv mit ihren vermeintlichen Mängeln, d. h., ihr Focus liegt auf dem Negativen, nicht auf dem Positiven. Gleichzeitig sehen sie aber bei ihren Freundinnen ebenfalls retuschierte Bilder, und das erhöht den Druck, denn plötzlich handelt es sich nicht mehr um weit entfernte Stars oder Models, sondern um den Nahraum, wodurch der soziale Vergleich untereinander verstärkt wird. Positive Kommentare zu den Bildern bestätigen die Betroffenen, negative hingegen verleiten dazu, noch mehr zu retuschieren, sodass dieses Sich-Vergleichen ganz wesentlich bei der Entstehung von Körperunzufriedenheit ist, wodurch etwa eine Essstörung aber auch den Wunsch nach einer Schönheitsoperation ausgelöst werden kann.
In Bezug auf den menschlichen Körper als Medium ist aus psychologischer Sicht auf jenen unaufhebbaren Doppelaspekt hinzuweisen, dass der Mensch sowohl einen Körper hat als auch ein Körper ist, und daher jede Distanzierung zu einem der beiden Aspekte eine zumindest gleich weite Distanzierung zum zweiten erfordert bzw. mit sich bringt.
Eine Freiburger Arbeitsgruppe am Institut für Psychologie um Brunna Tuschen-Caffier hat Prozesse der Aufmerksamkeit gegenüber dem eigenen Körper ausgemacht, die einen wesentlichen Beitrag zur Entstehung und Aufrechterhaltung solcher Körperbildstörungen liefern, denn so neigen Menschen mit bestimmten Essstörungen zu ungünstigen sozialen Vergleichen, indem sie etwa ihre Aufmerksamkeit eher auf Personen richten, die ein geringeres Körpergewicht haben als sie selbst. Dabei spielen auch Selbstwertprobleme bei der Entwicklung und Aufrechterhaltung von Körperbildstörungen eine Rolle, denn es konnte gezeigt werden, dass bereits bei noch gesunden Frauen, die aber aufgrund ihres Verhaltens als Risikogruppe für die Entwicklung von Essstörungen gelten, der Selbstwert eng mit dem Thema Körperbild beziehungsweise körperliche Attraktivität assoziiert ist.
Auf diese Erkenntnisse aufbauend lassen sich sowohl Programme zur Vorbeugung der Entstehung von Essstörungen entwickeln, als auch gezielte Maßnahmen im Rahmen einer Psychotherapie bei Essstörungen einsetzen.
Quelle
Pressemitteilung der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg im Breisgau vom 16. Dezember 2011
[Quelle: http://hamina.blog.de/2011/10/13/magersucht-12010158/]
Bei manchen Menschen besteht übrigens ein chronische Missverhältnis von Fremd- und Eigenwahrnehmung der eigenen Körperproportionen, denn manche Körperteile werden entweder als zu groß, zu klein, zu lang, zu kurz, zu dick oder zu dünn empfunden. Das betrifft offenbar auch die Wahrnehmung des eigenen Gesichts, wie Longo & Holmes (2020) gezeigt haben, denn viele halten ihr Gesicht für breiter, als dieses tatsächlich ist, und auch die Position ihrer Augen nehmen die Menschen in der Regel verzerrt wahr, indem sie diese zu hoch in ihrem Gesicht verorten. Dieses Phänomen ist allerdings jedem Zeichenlehrer gut bekannt, denn Menschen ordnen beim Zeichnen eines Gesichts die Augen generell zu hoch an, was der gute Zeichner dadurch korrigiert, indem er durch eine Halbierung des Gesichts sich an der Mittellinie orientiert. Auch die Wahrnehmung der eigenen Hände ist Verzerrungen unterworfen wobei vor allem die Breite übertrieben wahrgenommen wird, während die Länge der Finger hingegen meist unterschätzt wird. Lyons et al. (2019) fanden Korrelationen zwischen narzisstischen Persönlichkeitsmerkmalen und einer verzerrten Wahrnehmung der eigenen Körperproportionen, darunter auch des Gesichtes, sodass man vermuten könnte, dass mehr das Selbstbild bestimmt, wie man seinen Körper wahrnimmt, und weniger das, was einem aus dem Spiegel entgegenblickt.
Beckmann et al. (2021) haben gezeigt, dass Menschen mit Anorexia nervosa ein gestörtes Verhältnis zu den Ausmaßen ihres Körpers haben, wobei neben dem bewussten Körperbild auch das Körperschema gestört ist, also das unbewusste Körpergefühl. Normalerweise passt sich dieses Körpergefühl den aktuellen Gegebenheiten an, doch bei Menschen mit Anorexie kann es auf dem Stand vor dem Beginn der Erkrankung stehen bleiben. Schon länger ist bekannt, dass Betroffene die Ausmaße ihres Körpers überschätzen, wobei sich diese Diskrepanz vor allem auf den bewussten Teil der Körperwahrnehmung bezieht. Um dem unbewussten Teil der Körperwahrnehmung auf die Spur zu kommen, entwickelte man einen Versuch, an dem Menschen mit Anorexie und gesunde Probanden teilnahmen. Das Experiment bestand darin, die Versuchspersonen durch Türrahmen unterschiedlicher Breite gehen zu lassen, wobei die Öffnung dabei an die Schulterbreite der Probanden und Probandinnen und Probanden angepasst war und zwischen dem 0,9-fachen und dem 1,45-fachen dieser Breite variierte, so dass man beobachten konnte, ab welcher Türbreite sich die Teilnehmenden seitlich wegdrehten, bevor sie die Tür passierten. Es zeigte sich, dass die von Anorexie Betroffenen ihre Schultern schon bei deutlich breiteren Türen zur Seite wegdrehen als gesunde Kontrollpersonen, was bedeutet, dass sie auch unbewusst ihre Ausmaße größer einschätzen als sie wirklich sind. Die Tendenz zum frühen Wegdrehen korrelierte auch mit einer negativen Einschätzung des eigenen Körpers, die in Fragebögen erhoben worden war. Um diese gestörte unbewusste Körperwahrnehmung positiv zu beeinflussen und das eventuell veraltete Körperschema wieder den aktuellen körperlichen Ausmaßen anzupassen, empfiehlt sich neben einer kognitiven Verhaltenstherapie möglicherweise auch den Einsatz virtueller Realität, denn damit könnten die Betroffenen virtuell für eine gewisse Zeit in den Körper einer oder eines anderen schlüpfen und damit die unbewuste Repräsentation ihres Körpers verändern.
Die Body-Positivity-Bewegung setzt sich für eine positive Einstellung zum eigenen Körper ein.
Die am häufigsten untersuchte Facette des positiven Körperbilds ist dabei die Wertschätzung des eigenen Körpers, d. h., ihn zu respektieren und zu akzeptieren. Eine Metaanalyse verschiedener Studien ergab, dass die mangelnde Wertschätzung vor allem mit Essstörungen, aber auch mit Ängsten und Depressionen sowie einem geringeren psychischen Wohlbefinden einhergeht, darunter mit weniger Selbstwertgefühl, Selbstmitgefühl und sexueller Zufriedenheit. Aus diesem Grund sind Bilder von Normschönheiten und dünnen Models in den sozialen Medien zunehmend umstritten, wobei in den sozialen Medien der Trend weg von Diäten und hin zu Workout geht: Fit und stark ist das neue dünn. Das Buzzword Fitspiration steht dabei für Bilder und Videos von muskulösen Menschen, die zum Sport motivieren sollen, aber für das Körperbild ist das nicht besser als dünne Models, wie erste Studien nahelegen. Es zeigt sich, das Fitspiration-Inhalte ebenso negative Effekte wie solche haben, die dünn sein als Ideal darstellen.
Literatur
Beckmann, N., Baumann, P., Herpertz, S., Trojan, J. & Diers, M. (2021). How the unconscious mind controls body movements: Body schema distortion in anorexia nervosa. International Journal of Eating Disorders, doi:10.1002/eat.23451.
https://www.spektrum.de/news/koerperbild-welche-vorbilder-foerdern-body-positivity/2051427 (22-08.27)