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Selbstwertgefühl

    Ein Mensch – das trifft man gar nicht selten –
    der selbst nichts gilt, lässt auch nichts gelten.
    Eugen Roth

    Unter Selbstwertgefühl oder den synonymen Begriffen Selbstvertrauen, Selbstsicherheit oder Selbstbewusstsein wird in der Psychologie die emotionale Einschätzung des eigenen Wertes verstanden. Das Selbstwertgefühl (self-esteem) ist dabei der subjektive Wert, den man sich selber und seiner Person zuschreibt, der etwa mit der Selbstwertskala von Morris Rosenberg gemessen werden kann. Das Selbstwertgefühl war allerdings lange ein in der Psychologie und auch anderen Humanwissenschaften wenig beachtetes Phänomen, wobei man sich heute nicht nur in der psychologischen Forschung dafür interessiert, sondern es hat auch die boomende Selbsthilfeliteratur das Selbstwertgefühl als einen Schlüssel für Erfolg und Glück entdeckt. Mit den verschiedensten und teilweise auch sehr fraglichen Psychotechniken – von Autosuggestion bis zum Selbstmanagement – soll nun das Selbstwertgefühl gesteigert und gefestigt werden, denn wer genug davon hat, kann alles erreichen, ungeachtet der Herkunft, dem Zugang zur Bildung und den Chancen am Arbeitsmarkt.

    Untersuchungen zeigen, dass das Selbstwertgefühl bis zum Alter von 60 Jahren ansteigt und danach wieder abnimmt, denn wer berufstätig ist, seine Arbeit mag und in einer Beziehung lebt, ist sich seines Werts stärker bewusst. Das Selbstwertgefühl hatte nach einer Untersuchung von Orth et al. (2015) im Lebensverlauf betrachtet einen umgekehrt U-förmigen Verlauf, wobei es ab dem Alter von 14 Jahren es kontinuierlich zunimmt, um das Alter von 60 Jahren einen Spitzenwert erreicht und dann bis zum Alter von 80 Jahren stetig abnimmt. Unterschiedliche Jahrgänge unterschieden sich dabei nicht, was Ausmaß oder Verlauf ihres Selbstwertgefühls anging. Die Ergebnisse sind insofern bedeutsam, da sie auf Entwicklungsphasen, in denen Menschen aufgrund ihres niedrigeren Selbstwertgefühls vulnerabler sind, und auf Faktoren hinweisen, die erfolgreiche versus problematische Verläufe vorhersagen.

    Anmerkung: Für Eltern ist es wichtig, zwischen Selbstgefühl und Selbstvertrauen bei Kindern zu unterscheiden, denn Selbstvertrauen bezieht sich auf das, was ein Kind kann. Das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten ist gut und wichtig, aber viel wichtiger und fundamentaler ist es allerdings, das Selbstgefühl eines Kindes zu stärken. Ein Kind, das ein gut ausgeprägtes Selbstgefühl hat, ruht in sich selbst, fühlt sich wohl in seiner Haut, weiß, dass er gut ist, so wie er eben ist, und zwar unabhängig von der Leistung und den Fähigkeiten. Tipp: Gibt einem Kind stets das Gefühl, dass es eine Wahl hat. Wenn ein Kind seine Schuhe anziehen soll, dann frage: „Willst du dir die braunen oder die schwarzen Schuhe anziehen?“

    In vormodernen Gesellschaften war der Wert jedes Menschen von Geburt an festgelegt und der Einzelne machte sich nur selten Gedanken über seinen Selbstwert, doch in einer durchlässigeren, von Wertepluralismus geprägten Welt, ist das Individuum mit einer schwankenden Bewertung durch sich selbst und andere konfrontiert, sodass es das Gefühl hat, sich ständig damit abgleichen zu müssen.
    In einem Newsletter fanden sich folgende wesentlichen Schritte, um zu einem stabilen und gesunden Selbstwertgefühl zu gelangen:

    • Man muss beginnen, Verantwortung für sich selbst zu übernehmen und achtsamer mit sich umzugehen.
    • Man muss sich selbst netter begegnen und für sich und die eigenen Bedürfnisse zu sorgen, statt von anderen zu erwarten, dass einen glücklich machen.
    • Man muss sich mit dem eigenen inneren Kritiker versöhnen.
    • Man muss lernen, die eigenen Gefühle zu beeinflussen.
    • Man muss sich selbst beweisen, dass man Einfluss auf das eigene Schicksal hat.
    • Man muss sich wirklich dafür entscheiden, sein eigenes Selbstwertgefühl in kleinen Schritten zu erhöhen.

    When you’re 20, you care what everyone thinks,
    when you’re 40, you stop caring what everyone thinks,
    when you’re 60, you realize no one was ever thinking about you in the first place.
    Winston Churchill

    Definitionen

    „Das Zumutesein des Menschen im Bewußtsein seiner selbst und seines Verhältnisses zu den Mitmenschen, insofern er sich dabei als Träger eines Wertes und einer Würde empfindet. Der Maßstab der Bewertung wird dabei zunächste und zumeist aus der Sich der Gemeinschaft entnommen, der man selbst angehört. Wird auf deren Urteil zugleich überhaupt der entscheidende Wert gelegt, so besteht das Selbstwertgefühl im Geltungsbewußtsein. […] Das Selbstwertgefühl kann aber seinen Maßstab auch selbständig aus eigenem Empfinden oder kritischem Urteil gewinnen: als Eigenwertgefühl […]“ (Brockhaus Enzyklopädie 1973, S. 286).
    „[…]Das Selbstwertgefühl einer Person ist die generalisierte wertende Einstellung dem Selbst gegenüber. Sie beeinflusst sowohl die Stimmung als auch das Verhalten“ (Zimbardo 1995, S. 502).
    „Unter Selbstwertgefühl versteht man, wie das Kind seine Eigenschaften und Fähigkeiten bewertet. Ist das Selbstwertgefühl hoch, fühlt sich das Kind wohl und traut sich mehr zu. Es kann gestärkt werden durch die nicht an Bedingungen genknüpfte Wertschätzung seitens der erwachsenen Bezugspersonen sowie durch das respektvolle und freundliche Verhalten der anderen Kinder“ (Pousset 2006, S. 54).
    „Als die Gewissheit und das Gefühl um den eigenen Wert bestimmt maßgeblich die Sinnfindung und Lebenseinstellung des Menschen, das Ausmaß seiner Selbstbehauptung und sein Sozialverhalten. Als wesentlicher Bestandteil der Ich-Stärke beeinflusst es die Ausgestaltung der Ich-Identität. Autoritäre Unterdrückung und mangelndes Vertrauen in die Leistungsfähigkeit des Kindes, auch in Form der Überbehütung, produzieren Minderwertigkeitsgefühle, die sich schlimmstenfalls in Minderwertigkeitskomplexen verfestigen können. Antiautoritäres Gewährenlassen und der Mangel an Grenzerfahrungen beim Aufbau der sozialen Identität lassen oft eine Selbstüberschätzung entstehen, die ebensowenig wie Minderwertigkeitsgefühle für eine angemessene Wirklichkeitsbewältigung geeignet ist“ (Köck & Ott 1997, S. 653).
    „Zur Bezeichnung selbstbezogener Kognitionen mit stark wertender Komponente gibt es neben Selbstwertgefühl eine Fülle unterschiedlicher Begriffe: Selbstwert, Selbstwertschätzung, Selbstzufriedenheit, Selbstakzeptierung, Selbstachtung. […] Es geht um Beurteilungen der eigenen Person, die auch sachlichen, sozialen oder interindividuellen Vergleichsprozessen basieren; es geht also um die emotionale und evaluative Seite des Selbstkonzepts, die durch Prozesse wie selektive Selbstaufmerksamkeit, Verzerrung der Vergleichsmaßstäbe und Erinnerung positiv beeinflusst werden kann […]“ (Städtler 2003, S. 971).


    Wenn Menschen dazu neigen, sich selbst, die Welt und andere Menschen mit kritischen Augen zu betrachten, dann achtet sie zwangsläufig auch verstärkt darauf, was an ihrem eigenen Ich nicht stimmt. Jeder Mensch hat aber in der Regel auch anstrengende Eigenschaften und er kann sich entweder auf diese oder aber auf eigene positiven Merkmale konzentrieren. Neigt dieser Mensch dabei generell zu einer eher kritischen Wahrnehmung, dann interpretiert und bewertet er oft auch Rückmeldungen aus seinem Umfeld, die eigentlich neutral und ohne jegliche Wertung formuliert waren, eher negativ.

    Eine  Studie von Orth et al. (2011) an etwa zweitausend Personen im Alter von 16 bis 97 Jahren über einen Zeitraum von zwölf Jahren erfasste die Indikatoren für Erfolg und Wohlergehen in wichtigen Lebensbereichen. Die stärksten Effekte des Selbstwertgefühls zeigten sich dabei in den Bereichen Partnerschaft und Arbeit, d.h., dass Menschen mit höherem Selbstwertgefühl bessere Aussichten auf eine erfüllte Beziehung und Zufriedenheit im Beruf haben., aber auch bei der Aufrechterhaltung der körperlichen Gesundheit hilft. In der Untersuchung waren nicht nur subjektive Erfolgsindikatoren wie etwa die Arbeitszufriedenheit erfasst worden, sondern auch objektive Indikatoren wie Einkommen, gesellschaftliches Ansehen der beruflichen Tätigkeit und Häufigkeit von Gesundheitsproblemen wie Bluthochdruck, Diabetes und Krebserkrankungen. Zwar waren die Effekte des Selbstwertgefühls bei Verwendung der objektiven Erfolgsindikatoren eher klein, die Ergebnisse weisen jedoch darauf hin, dass das Selbstwertgefühl eher eine Ursache als eine Folge von Erfolg in wichtigen Lebensbereichen ist. Im Durchschnitt stieg das Selbstwertgefühl der Befragten vom Jugendalter bis ins mittlere Erwachsenenalter an, wobei es im Alter von etwa fünfzig Jahren den höchsten Wert erreicht und sich darauf mit stärker werdenden Verlusten im hohen Erwachsenenalter verringerte. Personen mit höheren Bildungsabschlüssen hatten in jedem Lebensalter ein höheres Selbstwertgefühl als solche mit niedrigerem Bildungsniveau, doch zeigte sich beim Verlauf des Selbstwertgefühls kein Geschlechtsunterschied.

    Frühere Studien hatten gezeigt, dass Menschen mit niedrigem Selbstwertgefühl dazu neigen, in übertriebener Art und Weise Bestätigung beim Partner zu suchen, oder sich in schwierigen Situationen zu sehr oder vorschnell vom Partner zurückzuziehen, was wieder die Beziehungszufriedenheit des Partners verringert. Menschen mit hohem Selbstwertgefühl hingegen haben häufig bessere Fähigkeiten, ihren Partner emotional zu unterstützen und so die Partnerschaft zu stärken. Luciano & Orth (2017) befragten an die zehntausend Personen im Alter von 15 bis 37 Jahren viermal innerhalb eines Zeitraums von drei Jahren. Es zeigte sich, dass sowohl der Beginn einer Partnerschaft als auch eine Trennung das Selbstwertgefühl der Befragten beeinflusste. Studienteilnehmer, die eine neue Partnerschaft begannen, zeigten einen deutlichen Anstieg im Selbstwertgefühl, wenn die Beziehung mindestens ein Jahr lang andauerte, während eine kurze Partnerschaft von geringer Beziehungsqualität das Selbstwertgefühl nicht veränderte. Auch das Ende einer Beziehung hatte keine langfristigen Auswirkungen, denn Trennungen führten nur zu einer vorübergehenden Verringerung des Selbstwerts. Typischerweise hatte sich das Selbstwertgefühl bereits ein Jahr nach der Trennung wieder erholt.
    Das Selbstwertgefühl hatte jedoch seinerseits auch Einfluss auf das Gelingen und Scheitern von Partnerschaften, denn Singles, die zu Beginn der Studie ein hohes Selbstwertgefühl hatten, gingen mit größerer Wahrscheinlichkeit eine Beziehung ein. Bei Studienteilnehmern, die in einer Partnerschaft waren, kam es häufiger zu Unzufriedenheit mit der Beziehung, zu Konflikten und zur Trennung, wenn sie zu Beginn der Studie von einem niedrigen Selbstwertgefühl berichteten. Kein Zusammenhang fand sich jedoch zwischen einer Heirat und dem Selbstwertgefühl, denn waren Studienteilnehmer bereits in einer Partnerschaft und heirateten im Verlauf der Studie, zeigten sich keine Veränderungen im Selbstwertgefühl. Umgekehrt hatte das Selbstwertgefühl auch keinen Einfluss darauf, ob Personen heirateten oder ohne Trauschein mit einem Partner zusammenlebten. Man vermutet, dass das auf die in unserem Kulturkreis verringerte gesellschaftliche Bedeutung der Ehe zurückzuführen ist. Für das Selbstwertgefühl scheint die Erfahrung des Beginns einer Partnerschaft weitaus wichtiger zu sein als die formale und rechtliche Anerkennung dieser Beziehung durch Heirat.

    Es zeigte sich auch, dass ältere Menschen im hohen Alter dann mit sich zufrieden sind, wenn sie das Gefühl haben, noch ausreichend Kontrolle über das eigene Leben zu besitzen. Ein stabiles Bewusstsein bezüglich des Wertes der eigenen Person im hohen Lebensalter lässt sich manchmal nur schwer aufrechterhalten, etea wenn die körperlichen Kräfte schwinden, der Mobilitätsradius sich verkleinert, das Erscheinungsbild verändert und auch die sozialen Beziehungen durch fehlende Kontaktmöglichkeiten oder den Verlust nahestehender Menschen reduziert werden. Expertinnen sich sich jedoch einig, dass das Alter Menschen vor große Herausforderungen stellt, die bewältigt werden müssen. Wie sich in einer Studie gezeigt hat, erweist sich das Selbstwertgefühl bei älteren Menschen als ausgesprochen robust. Am besten sind dabei diejenigen alten Menschen dran, deren Geist und Gedächtnis nicht eingeschränkt ist und die in dem Bewusstsein leben, ausreichend Kontrolle über ihr Leben zu haben, das heißt, nicht von anderen Menschen abhängig zu sein.


    Was die Männer bei Frauen Eitelkeit nennen,
    nennen sie bei sich selbst gesundes Selbstbewusstsein.
    Ruth Maria Kubitschek

    Praktischer Tipp aus einem Newsletter: „Wenn Menschen ein gutes Selbstwertgefühl besitzen, dann können sie ganz automatisch besser für sich einstehen. Dann fällt es ihnen leicht, Nein zu sagen. Dann können sie besser für sich sorgen. Man weiß einfach, was man sich wert ist. Wenn man ein gutes Selbstwertgefühl hat, kann man zum Beispiel aufhören, sich ständig selbst dafür zu verurteilen, dass man zu dick ist, sondern seine Energie ganz gezielt darin investieren, dass man einen guten Weg für sich findet, wie man gesund abnehmen kann, so dass man sich dabei wohl fühlt.“


    Literatur

    Cattell, R. B. (1965) & Lersch, Ph. (1970). Brockhaus Enzyklopädie 1973. Wiesbaden. Verlag F. A. Brockhaus.
    Köck, P. & Ott, H. (1997). Wörterbuch für Erziehung und Unterricht. Donauwörth: Verlag Ludwig Auer.
    Luciano, E.C., & Orth, U. (2017). Transitions in romantic relationships and development of selfesteem [Abstract]. Journal of Personality and Social Psychology, doi:10.1037/pspp0000109.
    Orth, U., Robins, R. W. & Widaman, K. F. (2011). Life-span development of self-esteem and its effects on important life outcomes. Journal of Personality and Social Psychology, Advance online publication; doi: 10.1037/a0025558.
    Orth, U., Maes, J. & Schmitt, M. (2015). Self-Esteem Development Across the Life Span: A Longitudinal Study With a Large Sample From Germany. Developmental Psychology, 51, 248-259.
    Pousset, Raimund. (2006). Beltz Handwörterbuch für Erzieherinnen und Erzieher. Weinheim und Basel: Verlag Beltz.
    Schütz, Astrid (2003). Psychologie des Selbstwertgefühls. Von Selbstakzeptanz bis Arroganz. Stuttgart: Kohlhammer.
    Städtler, T. (2003). Lexikon der Psychologie. Stuttgart: Verlag Alfred Kröner.
    Zimbardo, Philip. (1995). Zimbardo Psychologie. Berlin Heidelberg: Verlag Springer.
    http://oe1.orf.at/programm/304774 (12-06-18)


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