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Depersonalisation

    Depersonalisation ist ein Entfremdungserlebnis, bei dem der eigene Körper als fremd, unwirklich oder verändert empfunden wird, etwa das Gefühl, das Bein gehört nicht zur eigenen Person. Meist geht auch die Wahrnehmung der Einheit der eigenen Person verloren. Depersonalisation bezeichnet aber auch den Verlust oder die Veränderung des natürlichen Persönlichkeitsgefühls, d. h., die Betroffene empfinden sich als Ganzes verwandelt, entfremdet und unwirklich, so als würden sie neben sich stehen und lediglich Zuschauer des eigenen Handelns sein.

    Zustände der Depersonalisation treten vor allem im Zusammenhang mit psychischen Störungen wie etwa posttraumatischen Belastungsstörungen, Panikstörungen, Depressionen, Schizophrenien, Borderline-Persönlichkeitsstörung und Zwangsstörungenen auf, sind aber auch bei gesunden Menschen bei extremer Müdigkeit, Wahrnehmungsbehinderung, in Trance oder Meditation oder ausgelöst durch halluzinogene Drogen möglich.

    Nach der ICD-10-Klassifikation müssten mindestens die folgenden Kriterien erfüllt sein:

    • Die eigenen Gefühle werden als fern, fremd und nicht zur eigenen Identität zählend gewertet.
    • Der/die Betroffene akzeptiert, dass es sich hierbei nicht um ein durch äußere direkte Ursachen entstandenes Störungsbild handelt, sondern dass hier ein subjektiver spontaner Wechsel stattgefunden hat (Krankheitseinsicht).
    • Dem/der Betroffenen ist bewusst, dass es sich hierbei nicht um einen toxisch verursachten Verwirrtheits- oder epileptischen Zustand handelt.

    Nimmt man vorwiegend sich selbst, den Körper, die eigene Stimme als unwirklich wahr, handelt es sich um eine Depersonalisation, bezieht sich das unwirkliche Erleben aber vorwiegend auf die Umwelt, handelt es sich um Derealisation. Oft gehen beide Symptome Hand in Hand, wobei die Betroffemem micht selten von der Angst beherrscht werden, verrückt zu werden. Das liegt vor allem daran, dass Menschen mit einer Depersonalisation ihre Symptomatik und die Veränderung der eigenen Wahrnehmung nur schwer in Worte zu fassen können, und das  auch anderen gegenüber schwer vermitteln können.

    Menschen, die unter einer Depersonalisation leiden, nehmen die Welt um sich und auch sich selber wie unter einem Schleier wahr. Handelt es sich nur einige kurze Episoden, ist das durchaus normal, doch handelt es dabei um wiederkehrende Episoden oder gar um eine länger anhaltende Phase, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, an dieser doch weitgehend unbekannten Erkrankung zu leiden. Das führt dazu, dass es oft sehr lange dauert, bis die Betroffenen eine adäquate Diagnose und Therapie erhalten, denn häufig treten die Symptome der Depersonalisation nach einem Angstanfall, einer körperlichen Erkrankung oder nach dem Konsum von Drogen auf, doch meist können die Betroffenen gar keinen konkreten Auslöser benennen, was eine richtige Diagnose natürlich erschwert.

    Manche Experten sind auch der Ansicht, dass die Depersonalisation letztlich auf einem Schutzmechanismus des Gehirns beruht, da es sich offensichtlich um ein Alternative zur Kampf-oder-Flucht-Reaktion in Gefahrensituationen handelt, in denen ein Kampf oder eine Flucht offenbar nicht möglich sind, etwa im Fall des Erlebens eines Unfalls oder einer Umweltkatastrophe. Deshalb schaltet nach dieser Auffassung das Gehirn in eine Art Autopilot-Modus und lässt es auf diese Art und Weise weiter funktionieren, ohne dass die Betroffenen von ihren Emotionen bzw. Angstgefühlen überwältigt werden und dadurch handlungsunfähig werden. Dieser in solchen Extremsituationen an sich nützliche Mechanismus wird erst dann zum Problem, wenn sich daraus ein Dauerzustand entwickelt, er also chronifiziert. Meist geschieht das, wenn Menschen nach einem tragischen Ereignis in einer schwierigen Lebenssituation feststecken und sich dieser hilflos ausgeliefert fühlen und sie so in einen Teufelskreis geraten.

    Im Gehirn sind bei Betroffenen Areale des präfrontalen Cortex überaktiv, deren Aufgabe unter anderem die Kontrolle von Emotionen ist, denn diese Areale schicken hemmende Signale an die Emotionszentren des Gehirns wie die vordere Inselrinde und die Amygdala. Dadurch fühlen sich die Betroffenen nicht nur abgestumpft und gleichgültig, sondern es kommt ihnen auch die emotionale Färbung der Welt abhanden. Für die Fremdheitsgefühle in Bezug auf den eigenen Körper sind hingegen Regionen im vorderen Scheitellappen des Gehirns verantwortlich. Der Gyrus Angularis etwa hat unter anderem die Aufgabe abzugleichen, inwiefern die eigenen Handlungen den Intentionen entsprechen, denn laufen diese Handlungen anders ab als beabsichtigt, schlägt dieser Alarm. Bei Menschen mit Depersonalisationsstörung scheint sich dieses Areal in einem Daueralarmzustand zu befinden, was erklären könnte, warum es Betroffenen so vorkommt, als hätten sie keine Kontrolle über ihre Handlungen.

    Behandlungsmöglichkeiten liegen oft in einer Verhaltenstherapie, die den Betroffenen hilft, ihre Krankheit besser zu verstehen und aus dem Teufelskreis der Angst auszubrechen. Überdies können sie Ängste und Selbstwertprobleme aufarbeiten, die der Depersonalisationsstörung oft zugrunde liegen. Da an den Gehirnprozessen der Depersonalisation verschiedene Neurotransmitter beteiligt sind, kann auch eine Kombination von Antiepileptika, Antidepressiva, Opioidantagonisten oder Angstlöser sinnvoll sein. Auch die transkranielle Magnetstimulation wird manchmal eingesetzt .

    Bei einer Untersuchung an Jugendlichen in Deutschland zeigte sich, dass fast ein Drittel von ihnen über ein erhebliches Ausmaß an psychischer Belastung klagte, wobei 47 Prozent der Befragten berichteten, zumindest an einzelnen Tagen Symptome von Depersonalisation zu erleben. Zwölf Prozent der Untersuchten berichteten sogar stark belastende Symptome dieser Störung, etwa über unangenehme Erfahrungen, sich von sich selbst und der Umwelt abgetrennt zu empfinden oder sich selbst und die Umwelt als unwirklich zu erleben. Damit wiesen die Jugendlichen deutlich öfter starke Symptome von Depersonalisation auf als die Allgemeinbevölkerung, in der dies nur mit einer Häufigkeit von ein bis zwei Prozent beobachtet werden kann. Jugendliche, die Nikotin und Cannabis konsumierten, litten häufiger unter Depersonalisation, aber auch ein niedrigerer sozialer Status, soziale Ängste, das männlichem Geschlecht, geringere Schulqualifikation, stark verminderte Selbstwirksamkeit und schlechtere Fähigkeiten, Probleme konstruktiv zu lösen, hingen damit zusammen.

    Menschen mit Depersonalisation beschreiben ihren Zustand etwa auf folgende Weise:

    Mein Körper fühlt sich an, als gehöre er nicht zu mir.“
    „Ich fühle mich wie im Traum, als sei ich nicht richtig da oder als würde ich unter einer Glasglocke leben.“
    „Ich komme mir vor, als wäre ich ein Roboter oder als bewege ich mich wie ein Automat.“
    „Mein Spiegelbild wirkt fremd auf mich.“
    „Meine eigenen Handlungen erscheinen mir mechanisch und fremd.“
    „Ich fühle mich wie ein Schauspieler, der in einem Film mitspielt.“
    „Ich fühle mich, als sei ich gar nicht da.“

    Warum erlebt man die eigene Stimme als fremd?

    Wenn Menschen ihre eigene Stimme auf einer Tonaufnahme hören, stellen sie dabei fest, dass ihre Stimme fremd und verändert klingt. Die Erklärung für diesen Effekt liegt in der Anatomie des Kopfes, denn die Schallwellen, die man beim Sprechen im Kehlkopf erzeugt, kommen auf zwei unterschiedlichen Wegen zum Ohr: Durch die Knochenleitung, d. h., der Weg des Schalls verläuft durch die Knochen des Kopfes, die durch die Wellen in Vibration versetzt werden. Dieser Schall über die Knochenleitung gelangt über den Kiefer in das Innere der Ohren, wo die Schallinformationen an das Gehirn weitergeleitet werden. Der Luftschall gelangt hingegen aus dem Mund durch die Luft außen zu den Ohren, wobei diese Luftleitung jener Klang ist, den GesprächspartnerInnen als Stimme kennen. Verschließt man etwa die Luftleitung, indem man sich beide Ohren zuhält und in Zimmerlautstärke einige Worte spricht, so kann man sich selber vorwiegend über den Knochenschall hören, obwohl man dabei keinen Luftschall wahrnehmen kann, erfährt man trotzdem über den Knochenschall das Gesprochene.

    Literatur & Quellen

    Heidenreich, T., Michalak, J. & Michal, M. (2006). Depersonalisation und Derealisation: Grundlagen und kognitiv-behaviorale Perspektive. Verhaltenstherapie, 16, 267-274.
    Michal, M. (2012). Depersonalisation und Derealisation: Die Entfremdung überwinden. Stuttgart:Kohlhammer.
    Michal, M., Duven, E., Giralt, S., Dreier, M., Müller, K.W., Adler, J. et al. (2015). Prevalence and correlates of depersonalization in students aged 12-18 years in Germany. Social Psychiatry and Psychiatric Epidemiology.
    http://www.onmeda.de/psychische_erkrankungen/depersonalisation-derealisation-wie-fuehlt-es-sich-an–109825-2.html (16-04-11)
    http://www.tagesspiegel.de/wissen/psychologie-leben-im-falschen-film/19710438.html (17-04-25)


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