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Tür-Effekt

    Der Tür-Effekt, Türrahmen-Effekt bzw. Türschwelleneffekt (doorway effect) beschreibt das Phänomen, dass Menschen beim Gehen durch eine Tür Erinnerungen löschen. Dieser Türschwelleneffekt beschreibt also, dass Menschen etwas vergessen, sobald sie den Raum wechseln. Ihr Gehirn muss sich auf eine neue Umgebung einstellen und wird dabei von neuen Gedanken abgelenkt. Wenn man zum Beispiel die Pflanzen sieht, fällt ein, dass man diese dringend gießen sollte. Oder man bemerkt, die verstaubte Regal, das dringend wieder einmal gereinigt werden müsste – und schon hat man die ursprüngliches Vorhaben vergessen.

    Dieser sogenannte Türschwelleneffekt, manchmal auch Location Updating oder Ereignisgrenze, beschreibt ein faszinierendes Phänomen der menschlichen Kognition: Sobald Menschen einen Raum betreten oder eine neue Umgebung wahrnehmen, tendieren sie dazu, Informationen zu vergessen, die sie sich kurz zuvor noch merken wollten. Es ist, als würde das Gedächtnis kurzzeitig „resetten“, um sich besser an die neuen Gegebenheiten anzupassen. Dieser Effekt beruht auf der Annahme, dass das Gehirn Informationen nicht isoliert speichert, sondern immer im Kontext der jeweiligen Umgebung. Wenn man sich von einem Ort zu einem anderen bewegt, verändert sich dieser Kontext. Das Gehirn interpretiert den Übergang als eine Art Ereignisgrenze, die das Ende einer gedanklichen Episode und den Beginn einer neuen markiert. Diese Neuanpassung erfordert kognitive Ressourcen und kann dazu führen, dass Informationen aus der vorherigen Episode in den Hintergrund treten oder sogar ganz vergessen werden. Ein typisches Beispiel für den Türschwelleneffekt ist die Situation, in der man in die Küche geht, um etwas Bestimmtes zu holen, und dann plötzlich nicht mehr weiß, was das eigentlich war. Der Wechsel vom Wohnzimmer in die Küche hat eine Art „Reset“ im Gehirn ausgelöst. Die neue Umgebung mit ihren spezifischen Reizen – der Kühlschrank, der Herd, die Küchenutensilien – lenkt die Aufmerksamkeit ab und verdrängt die ursprüngliche Intention.

    Die Ablenkung durch neue Gedanken spielt dabei eine wesentliche Rolle. Wenn man beispielsweise durch den Garten ins Haus geht, um ein Buch zu holen, und dabei die Pflanzen sieht, die dringend Wasser benötigen, kann dieser Anblick den ursprünglichen Plan, das Buch zu holen, in den Hintergrund drängen. Das Gehirn wird nun mit der Dringlichkeit des Gießens beschäftigt und die ursprüngliche Absicht wird vergessen. Oder man betritt das Wohnzimmer, um nach der Fernbedienung zu suchen, und bemerkt stattdessen das verstaubte Regal, das dringend wieder einmal gereinigt werden müsste. Der Impuls, das Regal zu putzen, überlagert die ursprüngliche Suche nach der Fernbedienung. Der Türschwelleneffekt ist allerdings nicht nur eine kleine Alltagskuriosität, sondern hat auch wichtige Implikationen für das Verständnis von Gedächtnis und Aufmerksamkeit. Er zeigt, wie stark das Gedächtnis von der Umgebung beeinflusst wird und wie schnell die Aufmerksamkeit von neuen Reizen abgelenkt werden kann. Das Verständnis dieses Effekts kann Menschen aber auch helfen, Strategien zu entwickeln, um das Vergessen zu minimieren, beispielsweise indem man sich wichtige Informationen notiert, bevor man den Raum wechselt, oder indem man sich bewusst auf die ursprüngliche Intention konzentrierr, um Ablenkungen zu vermeiden.

    Radvansky, Krawietz & Tamplin (2011) ließen sechzig Probanden und Probandinnen unterschiedliche Objekte auswählen, in eine Kiste verpacken und von einem Tisch zu einem anderen bringen. Stand der Zieltisch im gleichen Raum wie der Tisch, von dem die Auswahl getroffen wurde, konnten sich die Probanden und Probandinnen daran erinnern, welche Objekte sie von einem Ort zum anderen transportiert hatten. Wenn der Zieltisch jedoch in einem anderen Raum stand, also die Probanden und Probandinnen den Raum gewechselt und eine Tür durchschritten hatten, gelang es ihnen weniger gut, die transportierten Objekte wiederzuerkennen.

    Offensichtlich löst das Überqueren einer Türschwelle das Vergessen aus, wobei die Türe eine Art Grenze darstellt, die Denkvorgänge und Erinnerungen voneinander trennt. Das Gehirn koppelt bekanntlich Gedanken oft an die räumliche Umgebung, wobei interessanterweise auch das Zurückkehren in den ursprünglichen Raum dabei wenig hilft, d. h., beim räumlichen Aktualisierungseffekt werden die Gedanken beim Überschreiten der Türschwelle praktisch gelöscht. Aus evolutionärer Perspektive konnten sich die Menschen besser orientieren, wenn sie etwa aus ihrer Behausung in den Wald gingen, wobei sich die Aufmerksamkeit auf die neue Umgebung richtete, um mögliche Gefahren nicht zu übersehen.

    Ähnlich wie beim Zeigarnik-Effekt zieht das Gehirn vermutlich einen Schlussstrich unter die erledigte Aufgabe. Der von Bluma Zeigarnik (1900-1988) beschriebene Zeigarnik-Effekt beschreibt, dass unerledigte Handlungen besser in der Erinnerung des Menschen gespeichert werden als erledigte.

    Der Tür-Effekt tritt aber nicht nur auf, wenn man physisch von einem Raum in einen anderen geht, sondern auch dann, wenn man bei Überlegungen gedanklich zu einem anderen Thema springt, wonach es manchmal schwerfällt, sich daran zu erinnern, was man gerade zuvor gedacht hat.

    Tipp: Wie bei anderen ähnlichen Erinnerungsphänomenen hilft es meist, einfach innezuhalten und zu warten, bis die Erinnerung wieder kommt.


    In einer Illustrierten fanden sich drei Tricks, um den Türrahmen-Effekt auszuschalten

    • Laut aufsagen: Wenn man aus der Küche ein Messer holt, um ein neues Paket zu öffnen, soll man es laut vor sich hersagen, bis man die Klinge am Paketband anbringt, denn dadurch bleibt die Erinnerung mental verfügbar.
    • Aufschreiben: Wichtige Dinge, die man nicht vergessen darf, sollten man sich aufschreiben, etwa für den Wocheneinkauf, denn auch im Supermarkt greift der Türrahmen-Effekt.
    • Frame verändern: Man sollte sich die Dinge nicht unter dem Motto „das darf ich nicht vergessen“ einprägen, sondern den Gedanken lieber so framen: „Ich muss daran denken“. So verknüpft das Gehirn die Information nicht mit dem Wort „vergessen“, sondern mit dem Wort „erinnern“ und die Chancen steigen, dass man sich besser daran erinnert.

    Eine australische Studie (McFadyen et al., 2021) weist darauf hin, dass der Türschwelleneffekt vor allem dann auftritt, wenn man ohnehin schon viel im Kopf hat, also gestresst oder abgelenkt ist. Wer sich also auf eine Sache allein konzentriert und sich nicht ablenken lässt, kann dem Türschwelleneffekt entkommen.


    Literatur

    McFadyen, Jessica, Nolan, Christopher, Pinocy, Ellen, Buteri, David & Baumann, Oliver (2021). Doorways do not always cause forgetting: a multimodal investigation. BMC Psychology, 9, doi:10.1186/s40359-021-00536-3
    Radvansky, Gabriel A., Krawietz, Sabine A. & Tamplin, Andrea K. (2011). Walking through doorways causes forgetting: Further explorations. The Quarterly Journal of Experimental Psychology, 64, 1632-1645.
    Radvansky, G. A., Krawietz, S. A., & Tamplin, A. K. (2011). Walking through doorways causes forgetting: Environmental integration. Psychonomic Bulletin & Review, 18(5), 1090-1095.
    Mäntylä, T. (2013). The doorway effect: Evidence from memory experiments, practical implications. Frontiers in Psychology, 4, 1-5.
    Mäntylä, T., & Rämä, P. (2013). The effect of environmental changes on prospective memory tasks. Journal of Environmental Psychology, 35, 41-50.
    Stangl, W. (2018). Vergessen Gedächtnis Erinnern. [werner stangl]s arbeitsblätter.
    WWW: https://arbeitsblaetter.stangl-taller.at/GEDAECHTNIS/Vergessen.shtml (2018-06-13).
    Stangl, W. (2017, 20. August). Was ist der Türschwelleneffekt? was stangl bemerkt …
    https:// bemerkt.stangl-taller.at/was-ist-der-tuerschwelleneffekt.
    https://www.esquire.de/life/fitness-gesundheit/dinge-ploetzlich-vergessen-durch-tuer-gehen (23.08.19)


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    1 Gedanke zu „Tür-Effekt“

    1. Offensichtlich speichert das Gehirn alles auch in räumlichen Episoden ab, sodass jeder Raum eine eigene abgeschlossene Episode stellt und dabei zugleich auch eine Art mentaler Grenze erhält. Sobald man vom Wohnzimmer in die Küche geht, beginnt ein neuer Abschnitt bzw. eine neue Episode,, sodass es dann schwer fällt, sich die Episode Wohnzimmer ins Gedächtnis zurückzurufen.

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