Denken ist die Arbeit des Intellekts,
Träumen sein Vergnügen.
Victor Hugo
Wenn der träumende Mensch weiß, dass er träumt, spricht man von einem Klartraum, auch einem „luziden Traum“, wobei man sich den Klartraum allerdings nicht als strikt getrennt und grundsätzlich verschieden vom normalen Nachttraum vorstellen darf. Ein gewisses Maß an Bewusstheit existiert in fast jedem Traum, sodass „Luzidität“ und „Nicht-Luzidität“ als die Pole eines Kontinuums gedacht werden können. Wie kaum ein anderes Phänomen bieten Klarträume die Möglichkeit, Zwischenzustände des Bewusstseins zu ergründen, denn das schlafende Gehirn reflektiert während des Klartraums über die eigene Wachheit, man bewegt sich dabei also gewissermaßen in zwei Sphären gleichzeitig, denn man schläft und wacht zugleich. Bei der Untersuchung von luziden Träumen ist man auf die Introspektion von Probanden und Probandinnen angewiesen, denn erst durch deren Auskünft nach dem Erwachen lässt sich einschätzen, ob ein Klartraum vorlag oder nicht. Im Zuge des Erinnerns kommt es daher zu Verzerrungen, sodass mancher das luzide Träumen mit Halluzinationen verwechselt, die während des Ein- und Aufwachens auftreten. Nach Ansicht von Brigitte Holzinger vom Institut für Traumforschung ist luzides Träumen ein Zustand mit hohem Potenzial, der große Veränderungen für Menschen bringen kann, die unter Albträumen leiden, weil man sich diesem Albtraum entziehen oder ihn sogar bewältigen kann und dann endlich durchschlafen kann.
Die meisten bisherigen Analysen des luziden Träumens beziehen sich auf jene weitaus häufigeren Träume, die dem nicht-luziden Ende des Kontinuums näher liegen. Dies sind Träume, in deren Ereignisse der Träumer hineingezogen wird, als schwimme er in einem reißenden Strom. Im luziden Zustand kann der Träumer jedoch über seine Traumerlebnisse reflektieren und sie von den Erfahrungen des Wachzustands unterscheiden. Er ist sich dann z. B. bewusst, dass er eine außerkörperliche Erfahrung hat und dass dies ein Traum ist. Wie der nicht-luzide Traum ist der Klartraum den Gesetzen, Regeln und Fakten der Realität nicht unterworfen und seine Inhalte hängen also in hohem Maß von Vorstellungen und Erwartungen des Schlafenden ab. Während im nicht-luziden Traum die Vorstellungen und Erwartungen des Träumers sich weitgehend der bewussten Kontrolle entziehen, kann im luziden Traum auch das Traumbewusstsein steuernd in das Geschehen eingreifen. Nicht-luzide Träume wiederholen sich zwar recht häufig, aber sie bauen im Gegensatz zu Klarträumen nicht aufeinander auf. Luzide Träume sind oft Episoden einer in sich schlüssigen, kontinuierlichen Traumerzählung. Anders als im nicht-luziden Traum sind die Gefühle im Klartraum zumeist positiv oder zumindest neutral.
Träumen als evolutionärer Vorteil
Wer im Dunkeln sitzt, zündet sich einen Traum an.
Nelly Sachs
Ureinwohner aus dem Dschungel von Malaysia – die Senoi – pflegen die Kunst des luziden Träumens und sie bringen schon ihren Kindern bei, wie man sich nicht von seinen nächtlichen Erlebnissen mitreißen lässt, sondern sie dirigiert und nach seinen eigenen Wünschen gestaltet. Eine ähnliche Traumkontrolle findet man als „Praxis des Chöd“ auch im Buddhismus, die helfen soll, das Nicht-Anhaften am Weltlichen zu lernen. Heute weiß man, dass Menschen durch Übung in der Lage sind, Träume zu steuern, insbesondere Alpträume schon vorher entschärfen und angenehmer zu gestalten. Menschen, die in ihre eigenen Träume eindringen, werden Zeugen der intimsten Prozesse des menschlichen Gehirns, denn Träume werden im Stammhirn, einer entwicklungsgeschichtlich uralten Region des Hirns, wo essenzielle Funktionen wie Atmung, Herzschlag, Schlaf und Hunger liegen, kontrolliert. Von diesem Areal des Gehirns werden hin und wieder zufällige Erregungsmuster abgefeuert, die im Wachzustand vom Großhirn einer Realitätsprüfung unterzogen werden, während das während des Schlafens nur eingeschränkt funktioniert. Das Gehirn muss also versuchen, ohne sinnliche Eindrücke Ordnung in das Chaos aus dem neuronalen Geschehen des Stammhirns zu bringen, wobei es sich aus den gespeicherten Erinnerungen bedienen kann, was dann zu einem Traum wird, der sich halbwegs logisch und zusammenhängend darstellt, aber eben trotzdem oft unrealistisch ist, denn im Traum man bekanntlich fliegen oder ein Geschehen in Zeitlupe ablaufen lassen. Dieses Traumgeschehen entzieht sich hierbei dem Willen und man ist den nächtlichen Fantasien hilflos ausgeliefert. Klarträumer erkennen noch während des Traumes, dass sie träumen und können bis zu einem gewissen Grad, das Traumgeschehen beeinflussen.
Bei normalen Menschen ist der frontale Bereich des Gehirns während des REM-Schlafs eher träge, wobei diese Hirnbereiche vor allem für das Denken, die Selbstwahrnehmung und die kritische Bewertung von Ereignissen zuständig sind. Möglicherweise ist das die Ursache dafür, dass solche Träume eher irrational sind. Beim luziden Träumen hingegen sind die frontalen Bereiche des Gehirns aber wesentlich aktiver als normalerweise, sodass sich die äußerst seltenen luziden Träume anhand der Hirnaktivität dieses Bereichs von nicht luziden unterscheiden lassen. Im Gehirn eines Klarträumers findet man im Stirnhirn eine vermehrte Aktivität im 40-Hertz-Bereich, dem hochfrequenten Gamma-Band, das üblicherweise die bewusste Konzentration auf einen Gegenstand begleitet, während andere Areale wie etwa der Scheitel- und Schläfenlappen jene Muster zeigen, die man auch vom normalen Traumschlaf her kennt. Das Stirnhirn besitzt offensichtlich beim Klarträumer eine Kontrollfunktion über die andere Gehirnbereiche, sodass die einzelnen Hirnareale relativ koordiniert zusammenarbeiten. Der Klarträumende ist nicht nur Akteur, sondern auch Betrachter und zum Teil sogar Regisseur des Traumgeschehens, d.h., die Verstandes- und Willenskräfte sind also weit mehr involviert, sodass ein Klartraum auch deutlich stärkere Lerneffekte erzielt. Das wird etwa im Leistungssport (Turmspringer, Skiläufer, Turner, Sprinter) eingesetzt, um Bewegungsabläufe zu verbessern, denn EEG-Untersuchungen konnten zeigen, dass Bewegungen, die im luziden Traum absolviert werden, eine Entsprechung in den motorischen Zentren der Großhirnrinde haben, sodass man später diese Abläufe auch für Bewegungen in der Realität abrufen kann, sodass Klarträumer nach einigen luzid-träumerischen Trainingseinheiten deutlich bessere Leistungen erbrachten als vorher. Um zum Klarträumer zu werden, gibt es mehrere Techniken, etwa die Autosuggestion, bei der man sich vor dem Einschlafen wiederholt vorsagt, dass man heute Nacht einen luziden Traum haben wird. In der luziden Traumforschung bedient man sich vor allem der Mnemonic Induction of Lucid Dreams, mit der der Schlafende mittels einer Eselsbrücke während des Träumens überhaupt erst einmal erkennen soll, dass er träumt, denn nur so kann er zum Beobachter seines Traums werden. Dabei muss man dazu seinen persönlichen Traumhinweis bestimmen, wie etwa das Fliegen oder ein anderes bizarres Traumelement, und versucht dann durch Autosuggestion jedes Mal vor dem Einschlafen die Verbindung zwischen dem Traumelement und dem Wissen herzustellen, dass man träumt. In Untersuchungen erwies sich diese MILD-Technik als am effektivsten, denn sie arbeitet am prospektiven Gedächtnis, also der Fähigkeit, sich daran zu erinnern, Dinge in der Zukunft zu tun.
Haar Horowitz et al. (2020) haben ein tragbares elektronisches Gerät namens Dormio entwickelt, um am Beginn des Schlafs automatisch serielle auditorische Trauminkubationen zu erzeugen, wobei während dieser hypnagogischen Phase wiederholt gezielte Informationen angeboten werden, die eine direkte Einbeziehung dieser Informationen in den Trauminhalt ermöglichen sollen. Dormio greift dabei in jene frühe Schlafphase ein, in der die Schläferin bzw. der Schläfer einen Grenzbereich zwischen Traum und Wachzustand (Hypnagogie) erlebt. Dadurch sollen die BenutzerInnen allmählich in eine immersive Welt hinübergleiten, mit all den damit verbundenen Empfindungen, etwa des Schwebens oder Fallens, wobei das bewusste Steuern der Gedanken dabei allmählich außer Kontrolle geraten soll. Zwar ähnelt diese Phase der Hypnagogie den Traumempfindungen des REM-Schlafes, doch kann man während dieses Übergangs vom Wachsein zum Schlafen immer noch Geräusche und Gesprochenes aus der realen Welt wahrnehmen und verarbeiten.
Bei diesen Schlafexperimenten registrierte man über Sensoren laufend die Bewusstseinszustände, wobei in dem Augenblick, in dem die Probandin bzw. der Proband in den Schlaf hinüberdämmert, eine Software automatisch bestimmte Sätze abzuspielen beginnt. Ist die Probandin bzw. der Proband dann tatsächlich eingeschlafen, weckt ihn das System kurz auf und fordert ihn auf, zu erzählen, was ihm beim Schlafen durch den Kopf gegangen ist. Nach der kurzen Unterbrechung schläft der Proband wieder ein, um kurz darauf erneut geweckt zu werden, um von ihren Träumen zu berichten. Dieser Zyklus aus Träumen, Erwachen und Erzählen wiederholt sich mehrere Male, sodass Erinnerungsinhalte während des Schlafs dadurch in einer Weise reaktiviert werden sollen, dass sie dann als Teil der Trauminhalte in Erscheinung treten. Die bisherigen experimentellen Ergebnisse deuten darauf hin, dass das System Träume tatsächlich erfolgreich zu manipulieren vermag, denn als Dormio die Probanden aufforderte, vor und während des Übergangs zum Schlafzustand an einen Baum zu denken, kamen in zwei Drittel Prozent der gesammelten Traumberichte Bäume in prominenter Weise vor, während Traumberichte einer Kontrollgruppe ohne Dormio-Einsatz praktisch keine Hinweise auf Bäume enthielten.
Literatur
Haar Horowitz, Adam, Cunningham, Tony J., Maes, Pattie & Stickgold, Robert (2020). Dormio: A targeted dream incubation device. Consciousness and Cognition, 83, doi:10.1016/j.concog.2020.102938.
Stangl, W. (2024, 19. Juni). Ist Träumen ein evolutionärer Vorteil? arbeitsblätter news.
https:// arbeitsblaetter-news.stangl-taller.at/ist-traeumen-ein-evolutionaerer-vorteil/.
Tholey, Paul & Utecht, Kaleb (2000). Schöpferisch träumen. Der Klartraum als Lebenshilfe. Wie Sie im Schlaf das Leben meistern. Eschborn: Klotz.
https://arbeitsblaetter.stangl-taller.at/SCHLAF/Schlaf-Traum.shtml (11-02-01)
http://www.welt.de/gesundheit/psychologie/article12879007/Wie-sich-Traeume-nach-Belieben-beeinflussen-lassen.html (11-03-18)