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Spiel

    Spiel ist eine Tätigkeitsform, die zum Vergnügen, zur Entspannung, allein aus Freude an ihrer Ausübung, aber letztlich auch als Beruf ausgeführt werden kann, die häufig in Gemeinschaft mit anderen ausgeübt wird. Ein häufig genanntes Merkmal eines Spiels ist seine überwiegende Zweckfreiheit, denn im Gegensatz etwa zu Tätigkeiten im Beruf oder im Alltag besteht der Zweck eines Spiels vorwiegend in sich selbst, jedoch werden auch viele Freizeittätigkeiten gleich dem Spiel zum Selbstzweck betrieben, etwa Bergsteigen, Wandern oder Lesen. Definitorisch besteht die Problematik einer Definition von Spiel in der Abgrenzung zum Nicht-Spiel, also allen menschlichen Tätigkeiten, die erzwungen sind und der Existenzsicherung, Pflichterfüllung, Notdurft, Suchtbefriedigung, Schadensabwendung oder Schmerzvermeidung dienen. Allerdings kann ein und dieselbe Tätigkeit beides in sich vereinen

    Die häufig bemühte Begriffsbestimmung des Spiels stammt aus Huizingas Homo Ludens, in dem er  Spiel als eine freiwillige Handlung oder Beschäftigung definiert, die innerhalb gewisser festgesetzter Grenzen von Zeit und Raum nach freiwillig angenommenen, aber unbedingt bindenden Regeln verrichtet wird, ihr Ziel in sich selber hat und begleitet wird von einem Gefühl der Spannung und Freude und einem Bewusstsein des Andersseins als das gewöhnliche Leben.

    Das Spiel ist aber auch die elementarste Form des Lernens, sodass aus entwicklungspsychologischer Sicht Spielen und Lernen kaum getrennt voneinander behandelt werden können, da sie einander für die kindlichen Lernerfahrungen bedingen. Aus biologischer Sicht ist Spielen ein Grundbedürfnis und zentrales Verhaltenssystem des Menschen, was man daran erkennen kann, dass das Spiel, das von eine Kleinkind frei gewählt wird und aus eigenem Antrieb erfolgt, seine Entwicklung beeinflusst, denn es spricht die geistige, soziale, emotionale, motorische und kreative Entwicklung an. Spielen ist somit eine wesentliche Voraussetzung für späteres schulisches Lernen und somit ein Bildungsprozess, der durch das Experimentieren in Gang gesetzt wird.

    Im Spiel lernt ein Kleinkind, sich mit der Umwelt vertraut zu machen, diese zu begreifen und zu bewältigen, daher ist das Spiel für das aktuelle Erleben ebenso bedeutsam wie für die Persönlichkeitsentwicklung. Die frühere Sichtweise, Spielen sei ein zweckfreies Tun, während Lernen eine sinnvolle, zweckgebundene Aneignung von Wissen und Können darstellt, ist daher überholt. In der frühen Kindheit sieht das Kind selber noch keinen Unterschied zwischen Spielen und Lernen, denn beides tut es stets aus der gleichen Intention heraus: Es möchte möglichst viel von den Dingen und seiner Umwelt kennenlernen und mit ihnen Erfahrungen sammeln. Beobachtet man aufmerksam ein Kleinkind beim Spielen, findet man eine bestimmte Art der Vertiefung, die stark der Konzentration Erwachsener ähnelt, denn das in das Spiel versunkene Kind geht komplett in seiner Tätigkeit auf. Da das Spiel aus der intrinsischen Motivation des Kleinkindes entspringt und keinen äußeren Antrieb benötigt, ist es eine Tätigkeit mit Selbstzweck.

    Das Spielen regt das Kleinkind in vielfältiger Weise an zu empfinden, zu gestalten und körperliche sowie geistige Fähigkeiten zu entwickeln. Wenn der Säugling etwa eine Rassel schüttelt, lernt es in dieser Situation, seine Hände fest um den Stiel zu legen und somit seine feinmotorische Fähigkeiten zu üben. Gleichzeitig wird die Wahrnehmung angeregt, wenn das Kind erkennt, dass dieser Gegenstand Geräusche hervorbringt, was dem aktiven Handeln ein Erfolgserlebnis beschert. Im Spiel erforscht und probiert das Kleinkind unermüdlich immer wieder das aus, was es gerade gelernt hat, damit sich das Wissen vertifen und verfestigen kann. Dabei findet es Verbindungen zwischen seinem eigenen Verhalten und Ereignissen aus der Umwelt. Begleitet werden diese Erfahrungen durch Freude, Spannung, Stolz und Befriedigung, d. h., durch das Spiel erlangt das Kind ein positives Selbstwertgefühl, erfährt Sicherheit und damit Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten.

    Im Spiel werden daher wichtige Selbstwirksamkeitserfahrungen gemacht: Das Kleinkind entdeckt, dass es selbst etwas bewirken kann und entdeckt Regelhaftigkeiten sowie Voraussagbares. Erwachsenen sind daher dazu angehalten, Selbstwirksamkeitserfahrungen auch bei Frustrationen des Kleinkindes zuzulassen und auszuhalten, denn indem das Kleinkind eigenständig Herausforderungen zu bewältigen lernt, lernt es auch Grenzen. Insgesamt lernt das Kleinkind durch Frustrationserlebnisse, dass auch negative Gefühle zum Leben gehören und geäußert werden dürfen, und dass es fähig ist, etwas zu erreichen, auch wenn es anstrengend ist.

    Steward Brown, Gründer von „The National Institute for Play“ in den USA, fand heraus, dass Kinder, die ohne Vorgaben frei spielen, später resilienter und leistungsfähiger sind, denn durch das Spielen lernen Kinder ihre Stärken und Grenzen kennen. Auch Erwachsene, die spielen, sind weniger anfällig für Stress, optimistischer und gesünder.

    Während für Kinder wie für die Erwachsenen im Bildungsbereich der Lerneffekt im Vordergrund steht, ist im Freizeitbereich die reine Spielfreude ausgeprägter. Aus der Freizeit von Kindern wird das freie Spiel nach Ansicht von ExpertInnen immer mehr verdrängt, denn für Kinder wird von den Eltern zu viel organisiert und immer wieder kommt etwas Neues auf sie zu. Das gibt dem kindlichen Gehirn wenig Zeit, um starke Verknüpfungen zu bilden. Kinder haben heute oft einen sehr dicht gedrängten Terminplan, doch mit den von Eltern gutgemeinten Freizeitaktivitäten werden Kinder fremdbestimmt. Die Zeit, die dabei den Kindern fehlt, um selber zu planen und Einfälle zu haben, wirkt sich negativ auf ihr Lernen aus. Vor allem das freie Spiel ermöglicht es Kindern, Grundlegendes zu lernen, etwa Flexibilität, Kreativität, Empathie und Sozialkompetenz. Vor allem das Spiel im Freien und in der Natur beinhaltet auch die Bewegung, an der es vielen Kindern mangelt, genauso übrigens wie an Tageslicht. Die Kurzsichtigkeit bei Kindern nimmt stark zu, denn das Starren auf nahe Objekte führt häufig zu einer Verlängerung des Augapfels. Für das freie Spiel der Kinder müssen Eltern aber lernen, sich nicht ständig einzumischen. Eltern, die nach eigenen Angaben selten am Spiel teilzunehmen, schätzen ihr Kind spielfreudiger ein.


    Durch das Spielen von Gesellschaftsspielen trainieren wir, in Konfliktsituationen flexibel zu reagieren. Die verschiedenen Spieler schaffen immer wieder neue, komplexe Spielsituationen. Das erklärt, warum teilweise jahrhundertealte Brettspiele noch immer so beliebt sind. Bei Spielen wie ‚Mensch ärgere dich nicht‘ spielt auch der Zufall eine Rolle für den Spielverlauf. Durch neue Spielsituationen wird das Spiel nicht langweilig.
    Jens Junge, Spielforscher, Institut für Ludologie, Berlin University of Applied Sciences


    Proyer et al. (2020) haben in einem Online-Experiment ihre Teilnehmerinnen und Teilnehmer eine Woche lang Übungen ausführen lassen, die deren Verspieltheit anregen sollten. Verspieltheit bedeutet in diesem Zusammenhang aber nicht, besonders albern oder unseriös zu sein, sondern verspielte Menschen sollten etwa Spaß an Wort- und Gedankenspielen oder am Spielen an sich zeigen. Eine Gruppe sollte etwa jeden Abend vor dem Schlafengehen drei Situationen aufschreiben, in denen sie sich an diesem Tag spielerisch verhalten hatten. Eine weitere Gruppe sollte versuchen, in einer ungewohnten Situation verspielter als sonst zu handeln, etwa am Arbeitsplatz. Alle Übungen führten insgesamt dazu, dass die Probanden und Probandinnen sich zumindest zeitweise besser fühlten, d. h., die Interventionen erhöhten nicht nur die Verspieltheit, sondern hatten kurzfristig auch Auswirkungen auf das Wohlbefinden und linderten etwa eine Depression. Insgesamt deuten die Ergebnisse darauf hin, dass Verspieltheit auch durch kurze selbst induzierte Interventionen stimuliert werden kann.


    Auch Tiere spielen

    Untersuchungen an Schimpansen zeigten, dass Spiele notwendig für das spätere Sozialverhalten und Überleben der Tiere sind.


    Klassifikation von Spielen

    In der Pädagogik wird das Spiel auch gezielt als Lernmethode eingesetzt, denn einem Spiel liegen oft ganz bestimmte Handlungsabläufe zugrunde, aus denen, besonders in Gemeinschaft, verbindliche Regeln hervorgehen können. Die konkreten Handlungsabläufe können sich sowohl aus der Art des Spiels selbst, den Spielregeln (Völkerball, Mensch ärgere Dich nicht) oder aber aus dem Wunsch verschiedener Individuen ergeben, gemeinschaftlich zu handeln (Bau einer Sandburg). Oerter & Montada (2004) haben  eine Einteilung der Spielentwicklung bei Kindern vorgenommen:

    • Funktionsspiel (Freude an der Bewegung)
    • Informationsspiel (Lernspiel)
    • Konstruktionsspiel (Bausteine)
    • Illusionsspiel (Als-ob-Spiel)
    • Rollenspiel („Vater, Mutter, Kind“)
    • Regelspiel (Mensch ärgere Dich nicht)

    Hinzu kommt aus pädagogischer Sicht das Freispiel, bei dem das Kind  Spielmaterial, -ort, -dauer und Mitspieler selbst wählt und steht etwa im Gegensatz zum angeleiteten Spiel. In der Erlebnispädagogik kommt dem angeleiteten Spiel als kooperatives Spiel, Teamspiel oder Teamaufgabe eine bedeutsame Rolle zu, denn in ihm und einer sich anschließenden Reflexion kann eine Gruppe einen stärkeren Zusammenhalt entwickeln. Siehe auch Spielpädagogik.


    Historisches zu Gesellschaftsspielen: Schon im Alten Ägypten spielten die Menschen Brettspiele, wie man aus Wandmalereien und Funde in Grabkammern erkennen kann. Auch die klassischen Gesellschaftsspiele gibt es schon seit Jahrhunderten, wobei etwa das Spiel „Mensch ärgere dich nicht“ ursprünglich aus Indien stammt, denn es wurde aus dem indischen Spiel Pachisi entwickelt und vermutlich während der Kolonialzeit von den Engländern aus Indien mitgebracht. In alten Spielen spiegeln sich oft die Konflikte ihrer Zeit wider, denn im Spiel Pachisi hatte das Scheitern und Gewinnen der Figuren einen religiösen Charakter und symbolisierte Sterben und Wiedergeburt im Hinduismus. Auch Motive wie das Erobern, Verteidigen und gesellschaftliche Unterschiede finden sich in Gesellschaftsspielen, etwa im Schachspiel, das bereits seit dem 5. Jahrhundert nach Christus gespielt und vermutlich ebenfalls auf ein Spiel aus Indien zurückgeht. Manche Gesellschaftsspiele stehen in der Kritik kolonialistisch zu sein, Propaganda zu verbreiten oder politisch instrumentalisiert werden zu können, wie etwa das Brettspiel Monopoly, denn es ist kapitalistisch und wettbewerbsorientiert, da es zum Ziel hat, den Gegner in die Insolvenz zu treiben. Ursprünglich hatte hatte das Spiel aber einen Kapitalismus kritischen Ansatz, denn Mitspielern und Mitspielerinnen sollte kein Geld genommen werden, sondern jeder zahlte für seine Felder Abgaben und sollte dadurch lernen, mit anderen zu kooperieren. Erst später wurde der Fokus stärker auf dem finanziellen Wettbewerb gelegt.

    Literatur

    Huizinga, J. (1938/2004). Homo Ludens. Reinbek.
    Proyer, René T., Gander, Fabian, Brauer, Kay & Chick, Garry (2020). Can Playfulness be Stimulated? A Randomised Placebo-Controlled Online Playfulness Intervention Study on Effects on Trait Playfulness, Well-Being, and Depression. Applied Psychology: Health and Well-Being, doi:10.1111/aphw.12220.
    http://psychologie-news.stangl.eu/182/neugier-spiel-und-lernen (14-11-21)
    https://de.wikipedia.org/wiki/Spiel (14-11-21)
    https://www.ardalpha.de/wissen/geschichte/kulturgeschichte/spiel-gesellschaftsspiele-monopoly-mensch-aergere-dich-nicht-schach-lernen-100.html (23-02-10)


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