Die klärungsorientierte Psychotherapie – auch zielorientierte Psychotherapie – ist eine psychologisch gut fundierte, empirisch validierte Psychotherapieform, die zwei Hauptaufgaben verfolgt: Klärung auf der Basis einer vom Therapeuten aktiv hergestellten vertrauensvollen Therapeut-Klient-Beziehung der aktuellen Motive des Klienten, zu denen dieser im Augenblick keinen Zugang hat und Aufhebung der Alienation; Repräsentation der dysfunktionalen, d. h., der problem-(mit-)determinierenden Schemata eines Klienten, damit sie therapeutisch bearbeitet und verändert werden können, sodass der Klient im Alltag konstruktiver und flexibler handeln kann, weniger oder keine störenden Symptome mehr aufweist, Alltagssituationen kognitiv und affektiv besser verarbeiten kann und selbstregulativer und zufriedener leben kann. Die klärungsorientierte Psychotherapie wurde auf der Grundlage der Gesprächspsychotherapie und der kognitiven Verhaltenstherapie entwickelt.
Die klärungsorientierte Psychotherapie klärt daher in erster Linie die störenden Schemata und Motive des Klienten, die im Anschluss bearbeitet werden. Zentrum dieser therapeutischen Arbeit ist das Ein-Personen-Rollenspiel, d. h., der Klient spielt zwei Personen: sich selbst und den Therapeuten, wobei der wirkliche Therapeut zum Supervisor wird. Wichtigstes Ziel der Therapie ist daher zunächst, dem Klienten die vorher unbewussten und unkontrollierbaren Schemata bewusst zu machen, sodass er dann die Möglichkeit erhält, selbstverständliche Gewohnheiten, Überzeugungen, Wünsche etc. in Frage zu stellen, zu korrigieren und neue Erfahrungen an sich heranzulassen. Häufige Schemata bzw. Grundannahmen sind dabei die Einstellung „Ich bin ein Versager“, „Niemand interessiert sich für mich“ oder „Beziehungen sind nicht verlässlich“.
Auf der Klienten-Position vertritt der Betroffene seine unzuträglichen Schemata, auf der Therapeuten-Position widerspricht er und argumentiert mit therapeutischen Empfehlungen, gelegentlich unterstützt durch den Supervisor.
Dieses Spiel erfüllt wesentliche Bedingungen eines konstruktiven Therapieprozesses und dient dazu, die Klientin oder den Klienten zu motivieren, es enthält aber auch Klärungs- und Bearbeitungsprozesse, berücksichtigt affektive Schema-Aspekte und affektive Veränderungsprozesse. Letztlich bringt es die Klientin bzw. den Klienten dazu, die Perspektive zu wechseln, sich selbstkritisch mit seinen eigenen Annahmen auseinanderzusetzen und als eigener Therapeut zu fungieren. Dadurch werden Ressourcen und positive Schemata des Klienten aktiviert und es wird die Auslagerung an das zu bearbeitende negative, dysfunktionale Schema ermöglicht.
Dieses Spiel kann sogar soweit gehen, dass die Klientin bzw. der Klient aufgehetzt wird, sodass die Betroffenen gegen ihr Schema – nicht gegen ihre Person! – wütend werden. Diese Wut energetisiert die Klientin bzw. den Klienten und schafft eine Gegenkraft gegen die dysfunktionalen Schemata. Allerdings hilft Wut noch nicht allein als Gegenaffekt gegen affektive Schemata, denn Gegenaffekte müssen auch Gegenbedeutungen zu den negativen Affekten implizieren, also gewissermaßen zu den negativen Affekten passen, was Wut aber in der Regel tut.
Wie die Fragen in einer Therapie die Erinnerungen beeinflussen
Schon lange vermutet man, dass die Art der Fragen, die in psychotherapeutischen Kontexten gestellt werden, tiefgreifende Auswirkungen auf die Wahrnehmung früherer Erinnerungen haben kann, dass also die Art und Weise des Fragens durch den Therapeuten Einfluss darauf haben kann wie positiv oder negative Ereignisse in der Vergangenheit von den Klienten beurteilt werden. Eine neuere Studie von Patihis & Herrera (2024) befasste sich mit der Frage, wie nicht-suggestive Fragen, die an Teilnehmer gestellt werden, die Erinnerung an Emotionen aus der Kindheit und aktuelle Gefühle gegenüber den Eltern verändern können. Diese Frage ist insbesondere für die Psychotherapie von Bedeutung, da sie darauf hinweist, dass durch bestimmte Fragen das aktuelle Verhältnis zu Familienmitgliedern sowie die Erinnerungen an vergangene emotionale Erlebnisse beeinflusst werden können. In der psychologischen Forschung wurde bereits gezeigt, dass die Erinnerung an Emotionen nicht statisch ist, sondern durch die Art der Verarbeitung und das Nachdenken über vergangene Erlebnisse verändert werden kann. Diese Veränderungen wurden insbesondere in Bezug auf die Bewertung von Liebe und positiven Emotionen untersucht. Die Studie von Patihis & Herrera erweitert diese Forschung, indem sie nicht nur die positiven Emotionen wie etwa Liebe, sondern auch andere Emotionen wie Glück, Interesse, Traurigkeit und Wut in den Fokus rückt und die Auswirkungen von Aufwertungsprozessen auf diese Emotionen untersucht. Die Studie bestand aus zwei Experimenten, die insgesamt 503 Teilnehmer einbezogen (Experiment 1: N = 301, Experiment 2: N = 202). In beiden Experimenten sollten die Teilnehmer sich an Erlebnisse aus ihrer Kindheit erinnern und dabei entweder positive oder negative Eigenschaften ihrer Mutter hervorheben. In der ersten Bedingung sollten die Teilnehmer fünf Situationen aufschreiben, in denen ihre Mutter positive Eigenschaften gezeigt hatte, während in der zweiten Bedingung negative Aspekte ihrer Mutter hervorgehoben werden sollten. Anschließend wurden die Teilnehmer gebeten, sowohl ihre aktuellen Gefühle gegenüber ihrer Mutter als auch ihre Erinnerungen an frühere Emotionen in der Kindheit zu reflektieren. Die Ergebnisse zeigten, dass die Art der Fragen, die an die Teilnehmer gestellt wurden, einen signifikanten Einfluss auf ihre Erinnerungen und aktuellen Emotionen hatte. Insbesondere die Erinnerung an Glück in der Kindheit wurde signifikant verändert, wobei dieser Effekt bei den aktuellen Emotionen stärker ausgeprägt war als bei den Erinnerungen an Kindheitsgefühle. Auch wenn der Effekt auf die Kindheitserinnerungen weniger stark war, wurde dennoch eine Veränderung festgestellt, was die Annahme unterstützt, dass Erinnerungen an Emotionen ein „rekonstruktiver“ Prozess sind, der durch gezielte Fragen beeinflusst werden kann. Diese Studie legt also nahe, dass die Art der Fragen, die in psychotherapeutischen Kontexten gestellt werden, tiefgreifende Auswirkungen auf die Wahrnehmung von Eltern und die Erinnerung an vergangene Emotionen haben kann. Therapeuten sollten sich bewusst sein, dass nicht-suggestive Fragen zu einer Neubewertung von Eltern führen und damit die Gefühle und Erinnerungen ihrer Klienten verändern können. Dies könnte auch die Art und Weise beeinflussen, wie sich Klienten selbst in Bezug auf ihre Kindheit und ihre Eltern fühlen, was erhebliche Implikationen für die therapeutische Praxis hat. Ein weiteres Ergebnis der Studie ist, dass solche Änderungen in der Erinnerung sowohl in der aktuellen emotionalen Wahrnehmung als auch in der retrospektiven Einschätzung vergangener Emotionen zu beobachten sind. In diesem Zusammenhang könnte die Frage auftauchen, ob die Veränderung von Kindheitserinnerungen durch therapeutische Fragen ein Teil der informierten Zustimmung im Rahmen einer Therapie sein sollte.
Literatur
Patihis, L. & Herrera, M. E. (2024). Reappraising a parent can occur with non-suggestive questions: Changing emotions and memories of emotion. Psychological Reports, doi:10.1177/00332941241283413.
Sachse, R., Fasbender, J., Breil, J. & Sachse, M. (Hrsg.) (2011). Perspektiven Klärungsorientierter Psychotherapie II. Pabst.
Stangl, W. (2025, 4. Jänner). Wie die Fragen in einer Therapie die Erinnerungen beeinflussen können. Psychologie-News.
https:// psychologie-news.stangl.eu/5568/wie-die-fragen-in-einer-therapie-die-erinnerungen-beeinflussen-koennen.