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Dermatillomanie

    Skin Picking Disorder oder Dermatillomanie bezeichnet den unwiderstehlichen Drang zum Kratzen, Reiben oder Quetschen mit Fingern oder Gegenständen von Unebenheiten wie Pickel oder Krusten auf der Haut, das Ausreißen von Härchen, aber auch das Bearbeiten von gesunden Hautstellen, so dass Wunden, Entzündungen und in der Folge Narben entstehen können. Das Kratzen kann mehrere Stunden am Tag in Anspruch nehmen. Oft geschieht das unbewusst. Die Folge sind Scham und Schuldgefühle sowie eine wachsende soziale Isolation. Nach einigen Studien sind etwa 5 % der Gesamtbevölkerung betroffen.

    Diese Zwangserkrankung kann zwar in jedem Alter auftreten, entwickelt sich jedoch besonders häufig in der späten Kindheit oder frühen Jugend, wobei ein Zusammenhang mit Akne vermutet wird. Nach wie vor ist es unklar, ob es sich beim Berühren der Haut um Stressabbau, um eine Art von Befriedigung oder um ein übertriebenes Reinlichkeitsbedürfnis handelt.

    Die Betroffenen fühlen sich unrein und wollen deshalb die Pickel, Mitesser oder eingewachsenen Haare beseitigen, manchmal tritt Dermatillomanie auch auf, um Stress abzubauen. Nicht nur im Gesicht, sondern auch in Körperregionen, die einfacher zu verstecken sind, kratzen und drücken die Betroffenen, etwa am Rücken, im Brustbereich oder an den Beinen, wobei einige zu Hilfsmitteln wie Scheren, Pinzetten oder Messern greifen. Manche kratzen in der Folge den Schorf alter Wunden ab, wobei das Paradoxon auftritt, dass gerade dadurcj das eigentliche Ziel der Beseitigung der Hautunreinheiten verfehlt wird. Manche Betroffene berichten, sich dabei in einer Art Trance zu befinden, d. h., sie spüren nicht einmal Schmerz.

    Bisherige Therapieansätze sind nur eingeschränkt wirksam, denn vielfach werden allein die Folgeschäden behandelt. Auf medikamentöser Ebene werden unter anderem Antidepressiva eingesetzt, denn Untersuchungen zeigen, dass die Betroffenen Schwierigkeiten in der Regulation von Gefühlen bei verstärktem emotionalen Erleben zeigen. Manchmal steht auch eine Form des Ekels auf den eigenen Körper oder die eigene Person im Vordergrund, sodass das Training von Alternativbewegungen wie etwas Streicheln die Selbstakzeptanz erhöhen können. Eingesetzt werden bei stressbedingter Dermatillomanie auch alternative Methoden des Spannungsabbaus wie das Kneten eines Balls oder das Ausführen einer bestimmten Handbewegung. In manchen Fällen können Betroffene auch motiviert werden, gängige Schönheitsideale zu hinterfragen.

    Eine neue Studie (Liu et al. 2025) befasste sich mit den Auswirkungen des sogenannten „Juckreiz-Kratz-Zyklus“. In Experimenten mit Mäusen stellten die Forscher fest, dass Kratzen die Haut weiter schädigte. Mäuse, die sich kratzten, erlebten stärkere Entzündungen und eine vermehrte Ansammlung von Immunzellen in der Haut. Bei den Mäusen, denen das Kratzen durch spezielle Halskragen (ähnlich denen, die bei Haustieren nach einem Tierarztbesuch verwendet werden) verhindert wurde, blieben die Entzündungen deutlich milder. Doch die Forscher fanden auch Hinweise auf einen positiven Effekt von Kratzen: Bei den Mäusen, die sich kratzten, wurde eine verbesserte Abwehr gegen bakterielle Infektionen beobachtet. Insbesondere bei einer Infektion mit Staphylococcus aureus, einem häufigen Erreger von Hautinfektionen, wiesen die Mäuse, die sich kratzten, weniger Bakterien auf der Haut als die Kontrollgruppe. Dies legt nahe, dass Kratzen möglicherweise eine schützende Rolle gegen bakterielle Infektionen spielen kann. Die Ergebnisse der Studie erscheinen auf den ersten Blick paradox: Kratzen verstärkt einerseits Entzündungen und schädigt die Haut, andererseits kann es das Immunsystem aktivieren und vor bakteriellen Infektionen schützen. Diese widersprüchliche Wirkung wird durch die Aktivierung bestimmter Nervenzellen im Körper erklärt, die eine Substanz namens „Substanz P“ freisetzen. Diese Substanz verstärkt einerseits die Entzündungsreaktion, trägt aber gleichzeitig zur Bekämpfung von Infektionen bei.

    Literatur

    Liu, A. W., Zhang, Y. R., Chen, C.-S., Edwards, T. N., Ozyaman, S., Ramcke, T., McKendrick, L. M., Weiss, E. S., Gillis, J. E., Laughlin, C. R., Randhawa, S. K., Phelps, C. M., Kurihara, K., Kang, H. M., Nguyen, S.-L. N., Kim, J., Sheahan, T. D., Ross, S. E., Meisel, M., Sumpter, T. L. & Kaplan, D. H. (2025). Scratching promotes allergic inflammation and host defense via neurogenic mast cell activation. Science, 387, doi:10.1126/science.adn9390.
    Vollmeyer, K. & Fricke, S. (2012). Die eigene Haut retten: Hilfe bei Skin Picking. Bonn: Psychiatrie Verlag.


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