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Reaffiliationsbedürfnis

    Als Reaffiliationsbedürfnis – reaffiliation motive – bezeichnet man die Tendenz von Menschen, die sich einsam fühlen, rasch wieder Anschluss an eine Gemeinschaft zu finden. Einsamkeit allein ist für den Menschen jedoch noch nicht schädlich, sondern vielmehr ein normaler Teil des Lebens, wobei sich fast alle Menschen im Laufe ihres Lebens ein- oder mehrmals einsam fühlen.

    Doch als soziales Wesen versuchen Vereinsamte schnell wieder nach Anschluss, wobei man diesen Impuls eben als Reaffiliationsbedürfnis oder Wiederangliederungsmotivation bezeichnet. Probleme bei einsamen Menschen beginnen dann, wenn diese Motivation fehlt oder scheitert, wobei vor allem bei älteren Menschen der fehlende Impuls zur Kontaktaufnahme oft mit einer beginnenden Depression verbunden ist, wobei noch nicht geklärt ist, ob die Einsamkeit nur ein Symptom oder doch die Ursache der depressiven Störung ist. Einsame Menschen übertragen das Gefühl des Ausgeschlossenseins oft auf die wenigen noch verbliebenen Kontakte, sodass sich diese auch von ihnen zurückziehen. In einer Studie zeigte sich, dass mehr als die Hälfte der Freunde und Angehörige von einsamen Menschen innerhalb von zwei Jahren selbst Gefühle von Einsamkeit entwickelten, wofür vermutlich die negative Ausstrahlung einsamer Menschen verantwortlich sein kann, denn die wirken meist misstrauisch und pessimistisch.

    Holt-Lunstad et al. (2015) haben in einer Metastudie untersucht, wie sehr soziale Isolation ein Risiko für die Gesundheit von Menschen darstellt. Es wurden dafür die Ergebnisse von hunderten Studien zusammengefasst, in denen untersucht worden war, welche Rolle soziale Isolation, Einsamkeit und das Allein-Leben auf die Sterblichkeit haben. Dabei zeigte sich, dass wenn man sich dauerhaft einsam fühlt, das Sterberisiko um 26 Prozent erhöht ist, ist man sozial isoliert, steigt es sogar auf 29 Prozent, und bei Menschen, die alleine leben, sind es 32 Prozent. Das Gehirn nimmt offenbar die psychischen Schmerzen der Einsamkeit so wahr wie körperliche dar, wobei Einsamkeit offenbar ein Warnsignal wie Hunger oder Durst darstellt.

    Menschen in Isolation sollten sich dahe genau überlegen, was ihnen fehlt und was nicht, denn fehlt der soziale Kontakt, ist es etwa eine gute Strategie, andere Menschen über soziale Medien, Telefon oder auch altmodische Briefe zu erreichen. Kann man z.B. nicht seine Wohnung verlassen, etwa auf Grund einer Quarantäne, ist es eine gute Option, sich einem Hobby zu widmen, für das bisher wenig Zeit vorhanden war. Wer viel Zeit allein verbringt, kommt schnell ins Grübeln, das kann unter anderem auch zu bedrohlichen Ängsten führen. Vor allem Menschen mit einem hohen Ausmaß an Neurotizismus machen sich häufig Sorgen, sind ängstlich und lassen sich schnell unter Druck bringen. Die Gefahr ist dabei, dass sich jemand seinen Ängsten und Sorgen hingibt, statt seine Probleme aktiv zu lösen.

    Auswirkungen der Einsamkeit auf das Gehirn

    Spreng et al. (2020) habengezeigt, dass bei Einsamen im Gehirn das Netzwerk besonders stark ausgeprägt ist, das für Erinnerungen und hypothetische Szenarien gebraucht wird, und zwar im Hippocampus, wo Erinnerungen abgerufen werden und in den Nervenfasern der Fornix (der Fornix cerebri ist eine C-förmige Projektionsbahn des Gehirns, die den Hippocampus mit den Corpora mammilaria verbindet), die diese Informationen weitertragen. Das bedeutet, dass Menschen, die sich einsam fühlen, ihre Gedanken eher nach innen richten, wobei diese dabei ihre Vorstellungskraft nutzen, um in Erinnerungen an die Vergangenheit zu schwelgen oder Gedanken an die Zukunft zu entwickeln. In Abwesenheit von erwünschten sozialen Erfahrungen sind einsame Personen möglicherweise auf nach innen gerichtete Gedankengänge wie das Erinnern oder Vorstellen von sozialen Erfahrungen zurückgeworfen.

    Siehe dazu auch das Affiliationsbedürfnis.

    Literatur

    Holt-Lunstad, J., Smith, T. B., Baker, M., Harris, T. & Stephenson, D. (2015). Loneliness and Social Isolation as Risk Factors for Mortality: A Meta-Analytic. Psychological Science, 10, 227–237.
    Spreng, R. Nathan, Dimas, Emile, Mwilambwe-Tshilobo, Laetitia, Dagher, Alain, Koellinger, Philipp, Nave, Gideon, Ong, Anthony, Kernbach, Julius M., Wiecki, Thomas V., Ge, Tian, Li, Yue, Holmes, Avram J., Yeo, B. T. Thomas, Turner, Gary R., Dunbar, Robin I. M. & Bzdok, Danilo (2020). The default network of the human brain is associated with perceived social isolation. Nature Communications, dot:10.1038/s41467-020-20039-w.


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