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Subjektivität

    Nachdem das menschliche Subjekt im Laufe der letzten 150 Jahre die berühmten Kränkungen durch Darwin und Freud erfahren hat, will ihm die jüngste neurowissenschaftliche Forschung den Todesstoß versetzen. Die erkenntnistheoretischen Grundaussagen der Postmoderne reklamieren unter Rekurs auf die Gehirnforschung die unhintergehbare Subjektivität aller Wahrnehmung und allen Wissens, was etwa bei Lyotard, Foucault und Derrida schließlich zur radikalen Infragestellung von Wahrheitssätzen und Definitionen führte. Wenn es erkenntnistheoretisch aber nicht mehr möglich ist, Wahrheit festzustellen sondern immer nur noch eine subjektive Auffassung von Wahrheit, geht Wahrheit z.B. als Unterscheidungskriterium für gerechtes oder ungerechtes Handeln verloren, und an ihre Stelle tritt das subjektive Urteil, das zwar von mehreren geteilt werden kann, dadurch aber keinen Verbindlichkeitscharakter mehr beanspruchen darf. Subjektivität muss unter diesen postmodernen Auspizien nach Ansicht vieler restituiert und reformuliert werden bzw. der heute vor allem in den Medien und in der Öffentlichkeit vielfach genommene Kurzschluss der unmittelbaren Identifikation von Subjekt und Gehirn korrigiert werden.

    Vor allem Jaques Derrida legt die schmerzhaften Widersprüche, Aporien und Paradoxien innerhalb der abendländischen Philosophie frei, die im rationalen Denken der Aufklärung verfasst sind. In der Dekonstruktion von Derridas unnachgiebigen Blick zerfällt jeder sicher geglaubte Zusammenhang in Fragmente, jeder vermeintlich feste Boden gerät ins Schwanken oder verrät zumindest einen doppelten Boden. Die gewohnten Hierarchien, Ordnungen und Oppositionen eröffnen einen gegenläufigen Sinn, d. h., die Welt, in der man zuhause zu sein scheint, ist plötzlich unbewohnbar geworden. Daher hat Derrida die Dekonstruktion selber als Erinnerungswissenschaft verstanden, denn nur die aktive Erinnerung kann Menschen in die Lage versetzen, einerseits das Hier und Jetzt als Gewordenes zu erkennen und anderseits Aktualität und Faktizität vehement herauszufordern.

    In Bezug auf das Subjekt sind manche der Ansicht, dass es sinnvoller ist, von Subjektivität als von Subjekt zu sprechen, da sich der Subjektbegriff dadurch auszeichnet, keine substantialistischen Aussagen über den Menschen zu machen, wie dies in manchen Bereichen der Sozial- und Humanwissenschaften getan wird. Als gemeinsamen Nenner des vielschichtigen und unterschiedlich verwendeten Subjektbegriffs muss dabei die Doppelbedeutung von Subjekt als Unterworfenem und Handelnden erkannt werden, denn als sozial Geformtes und historisch Situiertes ist das Individuum seinen Lebensumständen unterworfen, und doch kann es diese im Rahmen gewisser Grenzen verändern. Das Subjekt ist einerseits Produkt seiner Umwelt, andererseits kann es diese auch gestalten. Die Gestaltung der Umwelt können Menschen sich zurechnen, d. h. aber auch, sie können für ihr Handeln verantwortlich gemacht werden. Diese Verantwortlichkeit ist in die sprachliche und auch in die soziale Grammatik von Subjektivität eingeschrieben, denn bekanntlich bedeutet in der Grammatik Subjekt jenes Wort im Satz, das im Nominativ steht, d.h. auf die Frage „Wer…?“ antwortet. Die Struktur von Subjektivität zeichnet sich aber auch dadurch aus, dass der Träger bzw. die Trägerin von Subjektivität stets in Diskurse bzw. Kommunikationen eingebettet ist, in denen er oder sie aufgefordert sind, sich in ihrer besonderen Ausprägung als Individuum zur Geltung zu bringen.

    Subjektivität ist aber nicht allein im Gehirn zu lokalisieren, sondern bildet den Erlebensaspekt des gesamten Organismus in seinen Beziehungen zur natürlichen und sozialen Umwelt. Daher lässt sich das Gehirn auch nicht als Produzent des Geistes betrachten, vielmehr fungiert es als Vermittlungsorgan für die biologischen und sozialen Prozesse, in die der Mensch eingebunden. Der Mensch ist weder der Geist noch das Gehirn allein, sondern stets der ganze Mensch, der denkt, fühlt, handelt. Das menschliche Gehirn sieht, hört und weiß natürlich nichts und es kann auch nicht lesen oder schreiben, tanzen oder Klavier spielen, sondern es moduliert komplexe physiologische Prozesse. Bewusstsein ist auch keine Innenwelt, die sich ausschließlich mit Gehirnzuständen identifizieren lässt, sondern es entsteht nur in einem dynamischen Zusammenspiel von Gehirn, Organismus und Umwelt und überschreitet fortwährend die Grenzen des Gehirns ebenso wie die des Körpers. Philosophisch betrachtet ist Subjektivität das In-der-Welt-Sein eines verkörperten Wesens, bei dem nur durch ständige Interaktion mit dem eigenen Körper und der Umwelt die Ordnungsstrukturen des Bewusstseins entstehen und stabilisieren, genauso wie auch die neuronalen Strukturen des Gehirns in dieser Interaktion erst entsteht.

    Subjektivität in der wissenschaftlichen Psychologie

    Subjektivität spielt als Kategorie in der Psychologie und allen Human- bzw. Sozialwissenschaften eine wichtige Rolle, da diese davon ausgehen, dass es eine objektiv und unabhängig vom Subjekt existierende Wirklichkeit nicht gibt. Ein Teil der empirischen Forschung besteht darin, die über den Sinn konstituierte und strukturierte Wirklichkeit der Menschen in Erfahrung zu bringen bzw. zu rekonstruieren. Vor allem in einer naturwissenschaftlich orientierten Psychologie ist primär das Ziel, die vorhandene Subjektivität möglichst weit zu reduzieren, um gültige Aussagen über die Wirklichkeit treffen zu können. Es war allerdings schon von Anfang an klar, dass die in den Naturwissenschaften angestrebte Objektivität nicht immer möglich ist, sodass durch methodologischen Überlegungen das Phänomen der generellen Subjektivität des Menschlichen entsprechend seiner Bedeutung in allen wissenschaftlichen Erklärungen im Sinne von Theorien auch berücksichtigt werden muss.

    Das Subjekt bei Michel Foucault

    In Foucaults Überlegungen ist das Subjekt nicht freies Subjekt, wie es die Aufklärung propagiert, sondern sozial-historisches Produkt, das aus kulturell diskursiv vermittelten Sinnstrukturen entsteht. Subjektivierung ist demnach ein Formungsprozess, in dem gesellschaftliche Zurichtung, sowie die eigene Selbstmodellierung des Subjekts eine Rolle spielen, die jedoch zu keiner Zeit ein fertiges Produkt hervorbringt, sondern permanenter Formungsprozess bleibt. Besonders wichtig bei diesem Prozess des Werdens ist dabei das Verhältnis, in dem das Subjekt im Austausch mit der Gesellschaft steht, wenn also Vergesellschaftung stattfindet. Foucault selbst formuliert diese Frage dabei in Verbindung mit einem Ideenkonstrukt, wodurch Menschen dahin gelangen, sich selbst als Teil eines sozialen Gebildes, einer Nation oder eines Staates wahrzunehmen. Michel Foucault entwickelte daher eine Geschichte des Subjekts, an deren Ende eine moderne, humanwissenschaftliche Auffassung vom Menschen steht, wobei seine Analysen, die sich von der Entstehung der Erfahrung und der Kategorie des Wahnsinns über die subjektivierenden Überwachungspraktiken hin zu einer Hermeneutik des Selbst’ erstrecken, für das die Konzepte „Wissen“ und „vor allem Macht“ tragende Kategorien sind. Er versteht das Subjekt als das empirische Ich, das kulturell und historisch bestimmt ist, d. h., das Wort Subjekt hat immer zwei Bedeutungen: es bezeichnet einerseits das Subjekt, das der Herrschaft eines anderen unterworfen ist und in dessen Abhängigkeit steht, und es bezeichnet andererseits das Subjekt, das durch Bewusstsein und Selbsterkenntnis an seine eigene Identität gebunden ist. Foucault wendet sich damit gegen die Vorstellung eines autonomen oder gar transzendentalen Subjekts und betonte die Geschichtlichkeit des Menschen und seine Eingebundenheit in konkrete gesellschaftliche Lebensverhältnisse. Die Moderne ist nach Foucault durch die Entstehung von Prozeduren zur Generierung von Wissen gekennzeichnet, wobei die wissenschaftlichen und staatlichen Datensammlungen, allen voran die Humanwissenschaften, jedem einzelnen eine gesteigerte Selbstkontrolle und Macht über sich selbst ermöglichen, die ihn aber zugleich disziplinieren. Diese Disziplinierung beinhaltet, dass für die Subjekte andere Lebensformen, als die von den Disziplinen durch Wissen und Normen implizit konstruierten, undenkbar werden, sodass es durch diesen Prozess tendenziell zu einer Unterwerfung kommt. Das Subjekt ist zugleich ein Effekt der auf dieses ausgeübten Macht und zugleich der Fähigkeit zum Widerstand dagegen. Ein solches Subjekt ist daher nicht passiv gesellschaftlichen Mächten ausgeliefert, sondern es besitzt die Fähigkeit, sich diesen Mächten zu widersetzen, wodurch Menschen letztlich als Subjekte konstituiert werden.

    Literatur

    Foucault, M. (2001). Subjekt und Macht (S. 255–279). In Michel Faoucault (Hrsg.), Schriften in vier Bänden. Frankfurt: Suhrkamp.


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