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Kinderanalyse

    Kinderanalyse ist die Kurz- bzw. Sammelbezeichnung für eine tiefenpsychologisch bzw. vorwiegend analytisch orientierte Kinder-und-Jugendlichen-Psychotherapie. Eine tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie bei Kindern ist dann indiziert, wenn innerpsychisch bedingte Problembereiche auftauchen oder aktuelle Konflikte zu bewältigen sind, wobei sich die Arbeit bei einer Kinderanalyse stets mehr auf das aktuelle Geschehen konzentrier und nicht so sehr in die Tiefe geht, denn die Zielsetzung ist meist wesentlich enger begrenzt, da dabei die Selbstentwicklung gefördert und unterstützt werden soll. Wesentliches Element der kinderanalytischen Behandlung ist wie bei der Erwachsenentherapie die Entwicklung einer therapeutischen Beziehung, in der sich die inneren Themen des Kindes oder Jugendlichen, die Sorgen, Wünsche, Aggressionen, Konflikte und Ängste entfalten und mit Unterstützung des Therapeuten verstanden werden können. Mit der dadurch gewonnenen inneren Sicherheit kann das Kind oder der Jugendliche neue Wege zur Lösung seiner Konflikte finden. Eltern sind bei der Kinderanalyse zumeist die bedeutendsten Bezugspersonen, sodass regelmäßige Gespräche mit ihnen für den Erfolg der Therapie wichtig sind. Im therapeutischen Prozess sollen auch die Eltern das psychische Geschehen verstehen lernen und dabei neue Antworten im Dialog mit dem Kind entwickeln.

    Begründet wurde die Kinderanalyse von Anna Freud, die 1921 ihre erste kinderanalytische Arbeit mit dem Titel „Ein hysterisches Symptom bei einem zweieinvierteljährigen Kinde“ veröffentlichte. 1922 wurde sie offiziell Mitglied der Wiener Psychoanalytischen Vereinigung. In den Jahren 1926/27 hielt sie ihre später berühmt gewordenen Vorlesungen zur Einführung in die Technik der Kinderanalyse, 1927 veröffentlichte sie schließlich ihre „Einführung in die Technik der Kinderanalyse“.

    Anna Freud war das jüngste der sechs Kinder, und erhielt den Namen von Sigmund Freuds Schwester Anna und stand auch dadurch ihrem Vater sehr nahe. Sie war zunächst Volksschullehrerin, interessierte sich jedoch sehr für die Arbeit ihres Vaters und wurde schließlich Mitarbeiterin ihres Vaters, wobei sie diesem assistierte, ihn auf Kongressen vertrat, selber bei ihrem Vater eine Lehranalyse absolvierte –  eine grobe Verletzung der Grundregel, dass ein Analytiker nie Freunde oder Verwandte auf die Couch legen soll, weil damit die notwendige Distanz zwischen Analytiker und Patient nicht vorhanden ist – und schließlich selbst als Psychoanalytikerin in der Berggasse 19 in Wien in den Räumen ihres Vaters arbeitete.
    Mehr als ihr Vater interessierte sie sich jedoch für die Entwicklung von Kindern (Einführung in die Technik der Kinderanalyse, 1927, Einführung in die Psychoanalyse für Pädagogen, 1930). Bei ihrer Arbeit stößt sie auch auf Mechanismen der Seele, die ihr Vater noch nicht benannt und beschrieben hatte, wobei sie zusammenfassend das „Das Ich und die Abwehrmechanismen“ veröffentliche, in dem sie zehn grundlegende psychologische Abwehrmechanismen beschrieb. Dazu gehörten unter anderem die Verdrängung, die dafür sorgt, dass bedrohliche oder tabuisierte Vorstellungen oder Wünsche unbewusst bleiben, oder auch die Regression, eine Form der Angstbewältigung, bei der jemand sich zum Schutz auf eine frühere Entwicklungsstufe zurückzieht. Die Reaktionsbildung umfasst die Abwehr unerwünschter Impulse, indem die genau entgegengesetzte Verhaltensweise gezeigt wird, während bei der Verleugnung reale Dinge wie bedrohliche Sinneseindrücke nicht wahrgenommen werden, um ihre Bedeutung ignorieren zu können. Der Mechanismus der Projektion verschiebt unerwünschte Eigenschaften zum Schutz des Ich auf eine andere Person oder auch ein Objekt, während bei einer Identifizierung man unbewusst die Gefühle oder die innere Haltung von anderen übernimmt, um sich zu schützen oder anzupassen. Dabei richten sich Gefühle wie Wut oft gegen die eigene Person, wenn man sie aus bestimmten Gründen nicht gegen die eigentliche Quelle richten darf. Es gibt laut Anna Freud auch eine Identifikation mit den Angreifer, diese wurde jedoch in Bezug auf die Motivationsgenese wenig untersucht. Als bewiesen gilt, dass Kinder mit freundlichen Vorbildern die Verhaltensweisen des Erwachsenen viel häufiger übernehmen als Kinder mit abweisenden Vorbildern.
    Anna Freud eröffnete 1937 gemeinsam mit Dorothy Burlingham, mit der sie seit 1925 zusammen lebte, am Rudolfsplatz die „Jackson Nursery“ in den Räumlichkeiten der Montessori Schule, eine Kinderkrippe für Kleinkinder, in der sie ihre Studien über Aspekte kindlichen Essverhaltens beginnt. Die dort aufgenommenen Kleinkinder waren unter zwei Jahren und stammten aus den ärmsten Verhältnissen. Forschungsschwerpunkte waren vor allem die Etablierung von Schlaf- und Essmustern, die beginnende Impulskontrolle und die Entwicklung der Beziehungen zu anderen Kindern. Es wurden detaillierte Aufzeichnungen über jedes Kind gemacht, insbesondere über die körperliche wie psychische Entwicklung der knapp zehn Kinder. Zur Förderung der Autonomieentwicklung etwa wurden den Kindern kleine Buffets angeboten, an denen sie sich selbst bedienen konnten. Anna Freud wollte jene Bedingungen für die Erziehung herausfinden, unter denen das libidinöse Verhalten am wenigsten Einschränkungen erleiden würde.
    Im Jahr 1938 floh Anna Freud mit ihren Eltern, Dorothy und deren vier Kindern nach London, wo sie Lehranalytikerin der British Psychoanalytical Society wurde und zusammen mit Dorothy die Hampstead Nurseries, ein Heim für Kriegskinder und -waisen, gründete. Ein Jahr später starb Sigmund Freud, den Anna lange gepflegt hatte, und übernahm viele seiner früheren Aufgaben, sprach auf Kongressen und führte seine Ideen weiter. Anna Freud analysierte aber nicht nur Kinder und Jugendliche, sondern auch Erwachsene – unter anderem Marilyn Monroe. Anna Freud bewohnte bis zu ihrem Tod im Jahr 1982 das Freud-Haus in London, anschließend wurde dort nach ihrem Wunsch ein Museum eingerichtet.

    Literatur & Quellen

    Anna Freud: Fünf Fakten zur Vorreiterin der Kinderanalyse.
    WWW: http://www.spiegel.de/wissenschaft/medizin/anna-freud-fuenf-fakten-zur-vorreiterin-der-kinderanalyse-a-1006324.html (14-12-03)
    Stangl, W. (2001).
    Psychoanalytische Schulen. [werner stangl]s arbeitsblätter.
    WWW: https://arbeitsblaetter.stangl-taller.at/WISSENSCHAFTPSYCHOLOGIE/PsychoanalytischeSchulen.shtml (01-11-21)
    Stangl, W. (1997). Sigmund Freud. [werner stangl]s arbeitsblätter.
    WWW: https://arbeitsblaetter.stangl-taller.at/WISSENSCHAFTPSYCHOLOGIE/PSYCHOLOGEN/Freud.shtml (97-02-21)
    Stangl, W. (2007). Kinderpsychologie – Psychologie der Kindheit. [werner stangl]s arbeitsblätter.
    WWW: https://arbeitsblaetter.stangl-taller.at/KINDERPSYCHOLOGIE/ (2007-11-17)
    Stangl. W. (2009). Abwehrmechanismus. Online Lexikon für Psychologie und Pädagogik.
    WWW: https://lexikon.stangl.eu/70/abwehr-abwehrmechanismus/ (09-05-17)


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    Ein Gedanke zu „Kinderanalyse“

    1. Nina Hayder

      Der Artikel ist sehr interessant, da ich noch nicht wusste, dass ein wesentliches Element der kinderanalytischen Behandlung die Entwicklung einer therapeutischen Beziehung ist. Ich denke, ich werde einen Kinderpsychologen aufsuchen, der mir hierzu noch mehr sagen kann. Denn leider habe ich den Verdacht, dass meine kleine Tochter psychische Unterstützung benötigt.

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