Als Gedächtniskonsolidierung bezeichnet man jenen Prozess, in dem alte Nervenverknüpfungen verstärkt und neue angelegt werden, wobei in Ruhephasen aber hauptsächlich über Nacht das Erlebte erneut verarbeitet und ins Langzeitgedächtnis (Neocortex) überführt wird. Lange hielten Schlafforscher die Zeit der Träume (REM-Schlaf) für wichtiger, doch kommen zuerst die Phasen des traumlosen Tiefschlafs, in welchem die Zellen regeneriert und das Immunsystem gestärkt werden. Das zeigt sich daran, dass Menschen, die eine Nacht aufbleiben am nächsten Abend vom Schlaf übermannt werden und eine doppelt so lange Tiefschlafphase wie gewöhnlich zeigen, während sich die REM-Phase dagegen erst in der zweiten Nacht verlängert.
Zahlreiche Studien zeigen, wie wichtig Schlaf generell für die Bildung des Gedächtnisses ist, denn damit sich Menschen an neu erworbene Informationen langfristig erinnern, müssen diese wiederholt, sortiert, stabilisiert und in bereits bestehende Wissensnetzwerke eingebunden werden. Während man beim Lernen und Erinnern wach und aufmerksam sein muss, ist für die Verfestigung der Lerninhalte der Tiefschlaf von besonderer Bedeutung. Man geht heute davon aus, dass im Lernzentrum des Gehirns, dem Hippocampus, Erinnerungen kurzfristig gespeichert und im Schlaf während spezieller Gehirnwellen, den Sharp Wave Ripples, spontan wieder aufgerufen und so gefestigt werden.
Erstmals konnten übrigens Jenkins & Dallenbach (1924) experimentell nachweisen, dass Lerninhalte besser behalten werden, wenn danach geschlafen wird. Beobachter in diesem Experiment lernten entweder morgens oder abends kurz vor dem Schlafengehen eine Reihe von sinnlosen Silben und wurden 1, 2, 4 oder 8 Stunden später auf ihre Erinnerung an diese Reihe getestet. Das Lernen erfolgte dabei bis zur vollständigen Beherrschung und die Überprüfung nach der Methode der behaltenen Silben. Wenn die Serien nachts gelernt worden waren, wurde die Zeit zwischen dem Lernen und der Wiedergabe im Schlaf verbracht, im anderen Fall waren die Beobachter während der dazwischen liegenden Zeit wach. Die Ergebnisse zeigten, dass die Vergessensrate im Schlaf viel langsamer war als im Wachzustand. Die Kurve für das Vergessen im Schlaf wies einen kurzen anfänglichen Rückgang auf, nach dem ein konstantes Niveau beibehalten wurde, während die Kurve für die Wachphasen die bekannte Form eines kontinuierlichen Rückgangs zeigten, der negativ beschleunigt ist. Diese Divergenz der Vergessensrate im Schlaf und im Wachzustand erklärt daher die Abweichungen, die schon in den Vergessenskurven früherer Untersuchungen gefunden wurden.
Weitere Versuche, Einfluss auf die Gedächtniskonsolidierung, also die Verfestigung von Erinnerungen oder Lerninhalten im Langzeitgedächtnis, zeigen, dass die natürliche Gedächtnisbildung im Schlaf auf der Reaktivierung beruht, d. h., dass das am Tag Gelernte im Schlaf vom Gehirn in Form neuronaler Aktivitäten wiederholt und so langfristig abgespeichert wird. Dieser Prozess lässt sich von außen teilweise fördern, etwa wenn Menschen in der Lernphase bestimmten olfaktorische Reizen (Rosenduft, Vanilleduft) ausgesetzt werden und diesem Geruch auch während des Tiefschlafes ebenfalls ausgesetzt werden. Offensichtlich führt der Duft dazu, dass das Gelernte im Gehirn reaktiviert werde. Der Prozess der Gedächtniskonsolidierung kann also durch Gerüche verstärkt werden, doch durch die spezielle Organisation der Aufnahme von Gerüchen könnten Erinnerungen auch lokal manipuliert werden, wobei diese Methode eines Tages vielleicht dazu beitragen kann, die Gedächtnisleistung nach Hirnläsionen wiederherzustellen.
Kurioses: Schüler im antiken Griechenland trugen Rosmarinkränze, um ihr Gehirn zu stärken und das Gedächtnis zu verbessern, und es gibt tatsächlich Studien, die Rosmarin eine Stärkung des Gedächtnisses und des Erinnerungsvermögens bescheinigen. Dabei erzielen nicht nur Erwachsenen sondern auch Kinder in Gedächtnistests bessere Ergebnisse als eine Vergleichsgruppe. Unklar ist, wie Rosmarin auf das Gehirn wirkt, wobei eventuell Neurotransmitter im Gehirn durch Düfte beeinflusst werden könnten.
Das Gehirn speichert im Tiefschlaf aber nicht nur ab, was es tagsüber gelernt hat, sondern verarbeitet alles erneut, verknüpft und ordnet es dabei so, dass die Welt besser verstehbar wird. Übrigens sind es vor allem Kinder, die gedächtnismäßig vom Schlaf profitieren, wobei zehn- bis zwölfjährige Kinder die längste Tiefschlafphase haben und damit auch am besten lernen können. Mit zunehmendem Alter reduziert sich diese Phase, was teilweise auch dafür verantwortlich ist, dass in diesem Alter die Gedächtniskonsolidierung weniger effektiv funktioniert, sich ältere Menschen daher mit dem Lernen schwerer tun.
Bisher ging man davon aus, dass der Hippocampus nicht an allen Gedächtnisleistungen beteiligt ist und etwa motorische Fähigkeiten wie Klavierspielen ohne sein Zutun gelernt werden können. In der Hirnforschung unterteilte man deshalb die Gedächtnisleistungen in solche, die vom Hippocampus abhängen wie etwa das Auswendiglernen eines Gedichts, und solche, an denen er nicht beteiligt ist, wie Skifahren oder Tennisspielen als Fertigkeiten, bei denen die einzelnen Bewegungen unbewusst ablaufen. Nun haben aber Experimente mit Ratten (Sawangjit et al., 2018) gezeigt, dass auch bei der Formung von Inhalten des Langzeitgedächtnisses, die ursprünglich ohne Beteiligung des Hippocampus entstanden waren, im Schlaf auf den Hippocampus zurückgegriffen wird. Allerdings macht aber nicht der Schlaf allein den Unterschied, sondern es gibt offenbar arbeitsteilige Strukturen im Gehirn, d. h., einige der Lern- und Gedächtnisleistungen laufen in eigenen Systemen, doch muss man nun vom Hippocampus als übergeordnete Instanz bei jeder Art der Bildung eines Langzeitgedächtnisses ausgehen. Da der Hippocampus tagsüber im wachen Zustand praktisch immer beschäftigt und ausgelastet, hat im Schlaf, in dem das Bewusstsein ausgeschaltet ist, der Hippocampus Kapazitäten frei und organisiert die langfristige Gedächtnisbildung aller Inhalte, auch von denen, an deren Entstehung er zunächst nicht beteiligt war.
Bekanntlich kann das menschliche Gehirn immer wieder Neues lernen, ohne im Laufe des Lebens ständig wachsen zu müssen. Wenger et al. (2017) haben nachgewiesen, dass das Volumen des Gehirns in den ersten Phasen des Lernens zunimmt, und sich dann aber teilweise oder sogar vollständig normalisiert. Es scheint also effizient zu sein, erst verschiedene Strukturen und Zelltypen auszuprobieren, die besten auszuwählen und dann jene wieder loszuwerden, die nicht mehr benötigt werden. Das Gehirn probiert offenbar beim Lernen verschiedene Funktionen aus, um zu erkennen, welche Zellen die Information am besten speichern oder weitergeben können, denn nur diese werden danach behalten, während die anderen wieder abgebaut werden. Ein solcher Mechanismus findet sich etwa bei Rechtshändern, die lernten, mit ihrer linken Hand zu schreiben und zu zeichnen, denn nach einem Monat war deren Gehirnvolumen angestiegen, sichtbar in Volumenveränderungen der grauen Hirnsubstanz, jedoch drei Wochen später hatte dieses Areal sich fast wieder auf seinen Normalumfang reduziert. Dieses Phänomen der Gehirnexpansion und -renormalisierung wurde bereits in Tierstudien festgestellt, und man geht nun davon aus, dass dieser Mechanismus auch auf menschliche Gehirne zutrifft.
Fundstück Schlagzeile:
Wiederholen notiert Inhalte im Gedächtnis und Schlaf meißelt sie ein
Form des Atmen beeinflusst die Gedächtniskonsolidierung
Man weiß seit einiger Zeit, dass es eine Verbindung zwischen Geruch und Gedächtnis gibt, denn Menschen mit einem guten räumlichen Gedächtnis können Gerüche besser erkennen, wobei sollche Informationen im Zusammenhang mit Zeit und Raum im Nucleus anterior olfactorius gespeichert werden. Arshamian et al. (2018) haben nun untersucht, welcher Mechanismus für die Wirkung der Atmung auf das olfaktorische Gedächtnis verantwortlich ist, d. h. zu messen, was während des Atmens im Gehirn passiert und wie dies mit dem Gedächtnis zusammenhängt. In zwei getrennten Sitzungen codierten weibliche und männliche Teilnehmer Gerüche, gefolgt von einer einstündigen Ruhephase, in der sie entweder nur durch ihre Nase oder ihren Mund atmeten. Unmittelbar nach dieser Konsolidierungsphase wurde das Gedächtnis auf Gerüche getestet. Es zeigte sich dabei, dass durch die Nase statt durch den Mund zu atmen einen positiven Einfluss auf das Gedächtnis haben kann. Offenbar integriert das menschliche Gehirn Gerüche mit raumzeitlichen Informationen, um episodische Erinnerungen zu erzeugen. Dabei handelt es sich um den Prozess, der zwischen Lernen und Gedächtnisabruf stattfindet, wobei Riechhirnrezeptoren nicht nur einen Geruch sondern auch Variationen des Luftstroms aufnehmen können, die im Gehirn beim Ein- und Ausatmen aktiviert werden. Diese Ergebnisse liefern einen ersten Beweis, dass die Atmung die Konsolidierung episodischer Ereignisse direkt beeinflusst, d. h., dass wichtige kognitive Funktionen durch den Atemzyklus moduliert werden.
Gedächtniskonsolidierung durch Sharp Wave Ripples
Tiefschlafphasen mit dem Deltawellen-Rhythmus des Tiefschläfer-Gehirns fördern nach Untersuchungen von Schlafforschern die Gedächtnisleistung von zuvor gelernten Inhalten. Bei älteren Menschen nehmen die Tiefschlafphasen sukzessive ab, wobei man zwar den Tiefschlaf bei Älteren verbessern kann, aber die Effekte sind nur moderat, denn das ältere Gehirn produziert einfach nicht mehr so viele langsame Wellen. Bei der Gedächtniskonsolidierung spielen also rhythmische Hirnwellen die entscheidende Rolle. Aufgrund der Form dieser Gehirnwellen nennt man diese Sharp Wave Ripples, die zu den drei wichtigsten Hirnwellen zählen, die vom Hippocampus ausgehen. Dabei müssen die Nervenzellen sehr synchron schwingen, wobei diese Oszillationen durch Inhibition und Exzitation an den Synapsen entstehen. Nun konnte man an Mäusen zeigen, dass sich die Frequenz sowohl erregender also auch hemmender Ereignisse an der Synapse während der Sharp Wave Ripples erhöht, wobei quantitativ die Hemmung dominiert. Zudem hängt die Stärke der Hemmung an der Synapse mit der Amplitude, also der maximalen Auslenkung der Sharp Wave Ripples zusammen, wobei nun auch jene Neuronen – PV+ Interneurone – identifiziert werden konnten, die für die Erzeugung der Sharp Wave Ripples hauptverantwortlich sind. In dem nun vorgeschlagenen Modell sorgt die Hemmung für das präzise Timing der feuernden Neuronen, was äußerst wichtig für das Festigen des Gedächtnisses sein dürfte (Gan et al., 2016).
Hui, Fell & Axmacher (2018) haben untersucht, welche Aktivitätsmuster im Gehirn auftreten, wenn Menschen Dinge erinnern oder vergessen bzw. wie das Gehirn zuvor Gelerntes im Schlaf erneut durchspielt und einspeichert. Dazu zeichnete man die Hirnaktivität von Epilepsie-Patienten auf, die zwecks Operationsplanung Elektroden in das Gehirn implantiert bekommen hatten. Bei dem Versuch bekamen die Probanden und Probandinnen eine Reihe von Bildern zu sehen, die sie sich einprägen sollten. Anschließend machten sie einen Mittagsschlaf. Beim Betrachten eines Bildes feuern die Nervenzellen im Gehirn auf eine bestimmte Art und Weise, die sich von Bild zu Bild etwas unterscheidet, wobei man nicht nur die Hirnaktivität während der Lernaufgabe, sondern auch während des Schlafs analysierte. Anschließend prüfte man, an welche Bilder sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer nach dem Schlaf erinnern konnten und an welche nicht. Es zeigte sich, dass die Gamma-Oszillationen, die typisch für bestimmte Motive waren, nicht nur beim Betrachten der Bilder auftraten, sondern auch während des Schlafs. Das Gehirn reaktivierte offenbar die Aktivitätsmuster, und zwar sowohl für Bilder, an die sich die Probanden später erinnerten, als auch für solche, die sie später vergessen hatten. Das bedeutet, dass die vergessenen Bilder nicht einfach aus dem Gehirn verschwinden, doch entscheidend dafür, ob ein Bild vergessen oder behalten wird, ist offenbar nicht nur die Reaktivierung der bild-spezifischen Gamma-Oszillationen, sondern auch die Aktivität im Hippocampus, der letztlich für das Gedächtnis entscheidend ist. Hier kam es zu extrem schnellen Aktivitätsschwankungen (Ripples), d. h., nur wenn die Reaktivierung zeitlich gekoppelt mit den Ripples im Hippocampus auftrat, wurde das Bild auch später erinnert. Dieses Phänomen trat aber nur in bestimmten Schlafphasen auf, aber nicht, wenn die Probanden und Probandinnen wach waren. Ob ein Bild erinnert wird oder nicht, hing in der Untersuchung auch davon ab, wie detailliert das Bild im Gehirn verarbeitet wurde, also ob es eine oberflächliche und eine tiefe Verarbeitungsphase gegeben hatte. Die oberflächliche Verarbeitung fand während der ersten halben Sekunde nach der Präsentation des Bildes statt, die tiefere Verarbeitung erst im Anschluss daran. Nur wenn die Gamma-Oszillation aus der tiefen Verarbeitungsphase während der Ripples reaktiviert wurde, erinnerten sich die Probanden später an das Bild. Wurden die Oszillationen aus der frühen Verarbeitungsphase reaktiviert, führte das zum Vergessen des Bildes.
Schlafrhythmen und Gedächtniskonsolidierung
Lernen im Schlaf – die App „Lazy Learn“
Tips meldet am 21. Februar 2023, dass der Vorchdorfer Ralph Ohler die App „Lazy Learn“ entwickelt hat, die dazu verhelfen soll, im Schlaf Lerninhalte zu lernen. Er verspricht Schülern und Studierenden, dass der Lernstoff ganz einfach im Schlaf angeeignet wird. Er hat die App in Kooperation mit der Fachhochschule Hagenberg entwickelt, wobei ihm die Idee dazu schon während seiner eigenen Schulzeit kam, denn er hatte sich seinen Lernstoff auf Audiokassetten gesprochen und nachts angespielt, um sich die Inhalte besser zu merken. Damit er ungestört einschlafen konnte, stellte er eine Zeitschaltuhr und hörte die Lerninhalte nur während des Schlafens, wobei seine Taktik nach eigenen Angaben funktionierte. Die wissenschaftliche Basis für die App lieferte eine Studie der Universität Bern, die bewies, dass das Gehirn während bestimmter Schlafphasen lern- und merkfähig ist. Die App spielt den vorher aufgenommene Lernstoff während bestimmter Schlafphasen automatisch ab, wobei fünfmal pro Nacht die App die Lernenden für zehn Minuten mit den eingesprochenen Inhalten beschallt, wobei das genügen soll, um den Stoff zu festigen. Diese App ist ab sofort kostenlos für die Betriebssysteme iOS und Android verfügbar, denn Ohler sieht sein Projekt Lazy Learn als Beitrag zu kostenlosem Lernen, das jedem zur Verfügung steht.
Der Hippocampus integriert nach neueren Forschungen offenbar nur solche Merkmale eines Konzepts oder Musters in eine kombinierte kartenartige Repräsentation, die in Relation zueinander relevant sind, um ein ganz bestimmtes Konzept zu definieren. Das bedeutet, obwohl vom Gehirn einzelne Objekte in all ihren Details gelernt und erinnert werden können, wird zusätzlich eine Repräsentation des Konzeptes aus der Gesamtheit aller Merkmale herausgeschnitten. Solche Konzepte stehen offenbar in enger Verbindung zum Erlernen von Mustern und Konzepten, deren Erwerb durch den Hippocampus durch die Kartierung verhaltensrelevanter Information unterstützt wird.
[Quelle: www.youtube.com/TUoJc0NPajQ]
Klassisches aus der Psychologie: Georg Elias Müller und Alfons Pilzecker veröffentlichten 1900 eine Monographie, in der Berichte über vierzig Experimente zum Erlernen, Vergessen und Erinnern enthalten waren (Müller, Pilzecker 1900). In einem dieser Experimente zur Gedächtniskonsolidierung mussten ihre Teilnehmer eine Liste von sinnlosen Silben lernen. Danach musste eine Gruppe der Probanden eine zweite Liste lernen, während die andere sechs Minuten lang eine Pause machte. Eineinhalb Stunden später wurden beide Gruppen getestet, wobei sich die Gruppe mit der Pause nahezu 50% ihrer Silbenliste gemerkt hatten, während die anderen Gruppe nicht einmal 30 % erreicht hattw. Diese Ergebnisse zeigen, wie wichtig es ist, dem Gehirn Zeit zu geben, das Gelernte zu verarbeiten.
Auch Donald O. Hebb betonte in seiner Konsolidierungstheorie nicht nur das Prinzip der neuronalen Koaktivierung von Neuronen als Grundvoraussetzung für höhere Lernprozesse, sondern vermutete auch, dass die zirkulierende Aktivität von kreisförmig miteinander verbundenen Nervenzellen (Hebb’sche Neuronenkreise) eine längerfristige Speicherung von Informationen begünstigen könnte. Neue sensorische Inputs würden vom Organismus in Neuronenkreise überführt, in denen die durch den sensorischen Stimulus induzierte Neuronenaktivität in spezifischen Neuronenkreisen des Gehirns unzählig oft und wiederholt zirkulieren kann. Dies ermöglicht strukturelle Veränderungen der in diese Neuronenkreise eingeschlossenen Nervenzellen und ihrer synaptischen Verbindungen. Im Falle einer erneuten Konfrontation mit demselben sensorischen Input würden mit erhöhter Wahrscheinlichkeit wieder dieselben nun bereits gebahnten Neuronenkreise aktiviert, die auf diese Weise eine gelernte Assoziation oder einen Ausschnitt der Wirklichkeit repräsentieren könnten. Über Mechanismen der Langzeitunterdrückung könnten Neuronenkreise aber auch aufgebrochen und die Zirkulation neuronaler Aktivität innerhalb dieser Kreisläufe unterbrochen werden, um Assoziationen wieder zu lösen bzw. neu zu kalibrieren.
Interessantes aus der Gehirnforschung:
Der Bauplan für Proteine entsteht durch einen ausgefeilten Kopierprozess, denn zunächst werden die Basisinformationen der DNA dupliziert. Aus der Kopie, der RNA, werden anschliessend einzelne Abschnitte (Introns) herausgeschnitten, so dass ein präziser Bauplan für die Produktion eines bestimmten Proteins entsteht (RNA-Spleißen). Bisher nahm man an, dass neuronale Reize die komplette Neuproduktion von RNA-Molekülen in Gang setzen, doch Mauger et al. (2016) wiesen nach, dass Nervenzellen im Gehirn bestimmte RNA-Kopien vorproduzieren und diese teilweise spleißen. Diese halbfertigen RNA-Moleküle enthalten einzelne Introns und werden im Zellkern in einer Zwischenablage gespeichert. Kommt nun ein Signal für die Produktion eines neuen Proteins, wird das Spleißen bei den halbfertigen RNA-Molekülen vollendet und der Bauplan so vervollständigt. Das Kopieren des Originals, der DNA, d. h. der Transkriptionsprozess, wird von den Nervenzellen also bereits im Vorfeld erledigt, sodass reife RNA-Moleküle innerhalb von Minuten fertiggestellt werden können. Für große Gene würde der Prozess vom Signal bis zur Fertigstellung eines Proteins normalerweise zehn bis zwanzig Stunden in Anspruch nehmen, doch dass die RNA-Moleküle bereits in einer Rohform vorliegen, die nur noch vervollständigt werden muss, verkürzt sich das Ganze auf fünf Minuten. Da die Transkription, also das Kopieren der DNA, die meiste Zeit benötigt, bedeutet die Zwischenablage von RNA-Kopien eine deutliche Zeitersparnis, sodass Nervenzellen ihre Funktionen so besonders schnell anpassen können.
Im Langzeitgedächtnis bei Mensch und Tier sorgt das Protein Arc für die dauerhafte Speicherung von Informationen, denn bei Mäusen, denen dieses Protein gentechnisch entfernt wurde, konnten sich nichts länger als 24 Stunden merken. Pastuzyn et al. (2018) vermuten, dass es sich bei diesem Protein um den Rest eines Virus zu handelt, das vor rund 350 bis 400 Millionen Jahren in das Genom vierbeiniger Landwirbeltiere geraten ist. Die entsprechende Abschnitte machen bei Säugetieren sogar etwa die Hälfte des genetischen Materials aus. Liegen in einer Zelle ausreichend Arc-Proteine vor, organisieren sich diese zu Hohlkörpern, die einer Virushülle (Kapsid) sehr ähnlich sehen, und es stellte sich heraus, dass die Kapsel aus Arc-Proteinen immer noch die Fähigkeit besitzt, ihre eigene Bauanleitung in Form von RNA im Inneren festzuhalten und sich dabei immer wieder auch andere vorbeikommende RNA-Sequenzen einverleibt. Mitsamt dieser Fracht wandert die Arc-Kapsel an die Zellmembran, umhüllt sich dort mit der Außenschicht der Zelle, driftet ins umgebende Medium und wenn sie auf ein Nachbarneuron trifft, dockt sie an, wird aufgenommen, zerfällt und gibt die RNA frei. Man vermutet, dass mit dieser Transporttätigkeit ein weiterer Kommunikationskanal zwischen den Gehirnzellen eröffnet wird, und dass Nervenzellen mit Hilfe dieser Proteine sicherstellen, dass das Erregungsniveau in den neuronalen Netzwerken trotz der ständigen Veränderung, die die Lernvorgänge mit sich bringen, ausbalanciert bleibt.
Konsolidierung beim Erlernen motorischer Fertigkeiten
Viele Fertigkeiten, wie die Bedienung des Smartphones, das Schreiben auf einer Tastatur oder Fahrradfahren führt man tagtäglich automatisch und ohne Nachdenken aus, wobei solche motorische Abläufe anfangs durch wiederholtes Üben erworben werden müssen. Das motorische Lernen erfolgt dabei sowohl während des aktiven Übens neuer Abläufe, als auch in den Pausen danach, obwohl nicht weiter geübt wird. Diese Pausen sind besonders wichtig, denn hier konsolidiert sich das Gelernte, so dass es später wieder abgerufen werden kann. Rumpf et al. (2019) zeigten nun, dass dieses Verfestigen der geübten Abläufe vermutlich bereits während kurzer Unterbrechungen des Übens einsetzt und durch Hirnstimulation noch verbessert werden kann. Bisher ging man davon aus, dass die Stabilisierung von gelernten motorischen Abläufen erst einsetzt, wenn das Üben beendet ist und dann über mehrere Stunden abläuft. In einer Studie mit Probanden und Probandinnen, deren Aufgabe es war, eine einfache Zahlen-Abfolge auf einer Tastatur möglichst schnell und korrekt einzutippen, wurden während des Übens nach einer bestimmten Anzahl von getippten Zahlenabfolgen jeweils kurze Pausen gemacht. Mittels magnetischer Stimulation durch die Schädeldecke wurde die motorische Hirnrinde gezielt nur in den kurzen Pausen zwischen den einzelnen Übungseinheiten beeinflusst. Es zeigte sich, dass die Hirnstimulation während der Pausen den Wiederabruf der gelernten Zahlenabfolge sechs Stunden später verbesserte, obwohl die Probanden während der sechsstündigen Pause nicht mehr weiter geübt hatten, d. h., es verarbeitete das Gehirn die erworbenen Abläufe nach der Übungseinheit effektiver und legte eine stabilere Gedächtnisspur an. Man fand auch einen Transfereffekt von der trainierten Hand auf die andere Hand, denn wenn das Gehirn in den Pausen zwischen den kurzen Übungseinheiten stimuliert wurde, konnte die geübte Zahlen-Abfolge nicht nur mit der trainierten Hand besser abgerufen werden, sondern auch mit der anderen Hand. Diese Forschungsergebnisse legen nahe, dass bereits in den kurzen Pausen während des Übens das Wissen über die neuen motorischen Abläufe im Gehirn abgelegt wird. Man vermutet, dass durch diese Lernvorgänge, die auf neurobiologischer Basis die Erweiterung von chemischen Vorgängen darstellen, Synapsen verknüpft werden und neuronale Netze bilden, die durch Pausen entsprechend gestärkt werden.
Das Gehirn des Menschen benötigt also nach dem Lernen immer etwas Zeit, um neue Informationen zu verarbeiten und das Gelernte zu festigen, wobei für diese Gedächtnisbildung etwa der Schlaf besonders wichtig ist, denn in dieser Ruhepause sortiert das Gehirn Eindrücke, speichert sie im Langzeitgedächtnis ab und bereitet die die Zellen verbindenden Synapsen auf neue Lernerfahrungen vor. Wenn Menschen Bewegungsabläufe, Sinneseindrücke oder auch trainiertes Wissen erlernen, nutzt das Gehirn aber nicht nur längere Pausen wie den Schlaf, sondern auch kleine Lernpausen für eine Art Schnelldurchlauf, wobei es das Gelernte mit zwanzig-facher Geschwindigkeit rekapituliert. Interessanterwesise sind dabei auch bein motorischen Lernen auch der Hippocampus und das Stirnhirn beteiligt, also Areale, die eher mit höheren Kognitionen in Verbindung gebracht werden, insbesondere das prozedurale Gedächtnis. Man vermutet daher, dass diese übergeordneten Schaltkreise abstraktere Informationen über die Übungssequenz abspeichern, während die Bewegungsabfolge selbst im sensorimotorischen Cortex fixiert wird (Buch et al., 2021).
Sequenzwiederholung der neuronalen Aktivität beim Erinnern
Tierstudien hatten schon gezeigt, dass bei der Gedächtnisabfrage und -konsolidierung die Sequenzwiederholung der neuronalen Aktivität zugrunde liegen könnte, doch gab es bisher keinen direkten Beweis dafür, dass die Wiederholung von Sequenzen der Neuronen-Aktivität für diese Prozesse im menschlichen Gehirn genau so abläuft. Vaz et al. (2020) zeichneten Einzelspikes, lokale Feldpotenziale und intrakranielle Elektroenzephalographie-Signale im Gehirn auf, während Probanden (sechs Epilepsie-Patienten, die vorübergehend ein Hirnimplantat hatten) eine Gedächtnisaufgabe ausführen mussten. Während der Lernphase folgten die Aktivitäten der Nervenzellen einem bestimmten Muster, wobei Zellen in einer zeitlichen Abfolge nacheinander aktiv waren. Die gleichen Aktivitätsmuster wurden auch bei der Abfrage der gelernten Wörter beobachtet, denn während die Probanden nachdachten, wurden die Muster denen der Lernphase immer ähnlicher, bis ihnen das passende Wort einfiel, wobei in jenen Durchgängen, in denen die Probanden das richtige Wort nicht fanden, diese Angleichung der Muster ausblieb. Offenbar nutzt das Gehirn individuelle Abfolgen neuronaler Aktivitäten, um Erinnerungen abzuspeichern und vergangene Ereignisse wieder abzurufen.
Tipp
Mindestens sieben Stunden Schlaf
in dunkler Umgebung und
ausgerichtet an der inneren Uhr
sind notwendig, um über Nacht etwas zu lernen.
Gedächtniskonsolidierung im Schlaf auch für die AI?
Literatur
Arshamian, A., Iravani, B., Majid, A. & Lundström, J. N. (2018). Respiration modulates olfactory memory consolidation in humans. The Journal of Neuroscience, doi:10.1523/JNEUROSCI.3360-17.2018.
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Gan, Jian, Weng, Shih-ming, Pernía-Andrade, Alejandro J. & Jonas, Peter (2016). Phase-Locked Inhibition, but Not Excitation, Underlies Hippocampal Ripple Oscillations in Awake Mice In Vivo. Neuron, doi: 10.1016/j.neuron.2016.12.018.
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Pastuzyn, Elissa D., Day, Cameron E., Kearns, Rachel B., Kyrke-Smith, Madeleine, Taibi, Andrew V., McCormick, John, Yoder, Nathan, Belnap, David M., Erlendsson, Simon, Morado, Dustin R., Briggs, John A.G., Feschotte, Cédric & Shepherd, Jason D. (2018). The Neuronal Gene Arc Encodes a Repurposed Retrotransposon Gag Protein that Mediates Intercellular RNA Transfer. Cell, 172, doi: 10.1016/j.cell.2017.12.024.
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https:// sozialerobotik.stangl.wien/sollen-ki-modelle-auch-schlafen/
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https://www.eurekalert.org/pub_releases/2017-05/bps-rac050117.php (17-05-05)
https://www.northumbria.ac.uk/about-us/news-events/news/2016/04/herbs-that-can-boost-your-mood-and-memory/ (17-05-05)
http://www.spektrum.de/news/ ein-uraltes-virus-hilft-uns-offenbar-beim-lernen/1532117 (18-01-12)
https://www.heise.de/news/Lernen-im-Schlaf-Wieso-auch-eine-KI-mal-abschalten-sollte-9621667.html (24-06-09)
Schlaf ist ein zentraler Aspekt, wenn es darum geht, die Gesundheit zu fördern. In den Ruhephasen regenerieren sich Körper und Gehirn, d. h., Kinder verarbeiten die Informationen des Tages. Besonders für Kinder in der Schule ist ausreichend Ruhe besonders wichtig. Generell gilt: Je jünger das Kind, desto länger sollte es schlafen. Während ein Teenager im Alter zwischen 14 und 17 rund acht bis zehn Stunden Schlaf benötigt, sind es bei Sechsjährigen, die ihre Schulkarriere gerade erst starten, noch bis zu 13 Stunden. Aber nicht nur bei Kindern und Jugendlichen ist der Schlaf alles andere als ein Leerlauf, denn während im Organismus eine Vielzahl von Regenerationsvorgängen gestartet werden, wird im Gehirn für Ordnung gesorgt. Informationen gehen vom Kurzzeit- ins Langzeitgedächtnis über, Neuronen gehen neue Verbindungen ein, alte Bindungen werden gefestigt und weniger wichtige Informationen werden aussortiert. Vor allem in der Schulzeit, in der ständig neuer Lernstoff auf die SchülerInnen hereinprasselt, ist es besonders wichtig, dem Schlaf so viel Zeit wie möglich einzuräumen.