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Tanztherapie

    Die Tanztherapie, auch Tanz- und Bewegungstherapie, ist eine psychotherapeutische Disziplin aus dem Bereich der künstlerischen Therapien, wobei der meist frei improvisierte Tanz dem individuellen Ausdrücken, Verstehen und Verarbeiten von Gefühlen und Beziehungen gilt. Die Tanztherapie hat ihre Wurzeln im Ausdruckstanz der 1920er Jahre und ist eine Therapieform, die über Bewegung und Tanz den Menschen Erfahrungen vermitteln soll, wie er ist, wie er sich hält und wie er sich ausdrückt. Die eigentliche Tanztherapie wurde in den 1940er Jahren in den USAentwickelt und findet seit den frühen achtziger Jahren auch in Europa Verbreitung, wobei sich die Tanztherapie durch die Methodenvielfalt für alle Altersgruppen eignet. Die Tanztherapie bedient sich dabei alltäglicher Bewegungen und ist frei von festgelegten tänzerischen Formen.

    Hinweis: Die Tanztherapie ist aber keine anerkannte Psychotherapie, sondern meist eine begleitende Maßnahme mittels Tanz, Bewegung und verbaler Reflexion psychische Symptome zu behandeln. Ziele sind unter anderem die Förderung der Körperwahrnehmung und Steigerung des Selbstbewusstseins. Einsatzbereiche der Tanztherapie finden sich als Begleittherapie bei psychosomatischen Beschwerden, Angst- und Essstörungen, Lebenskrisen, Burn-out, Herzrhythmusstörungen, Suchtbehandlung und Osteoporose.

    Der Tanz, als jede Art von Bewegung mit kreativem Ausdruck und Kommunikation, ist somit der Kernbestandteil der Tanztherapie. Tanztherapie versteht sich als  psychotherapeutische Verwendung von Tanz und Bewegung zur Integration von körperlichen, emotionalen und kognitiven Prozessen des Menschen, wobei die Grundannahmen der Tanztherapie Einflüsse aus der Tiefenpsychologie und der humanistischen Psychologie aufgenommen haben. Die Tanztherapie fördert den Erwerb neuer Beziehungs- und Handlungskompetenz, die bewusste Körperwahrnehmung, Selbstwertempfinden und Selbstwirksamkeit, die Verbesserung von Stabilisierungs- und Regulationskompetenzen und die Bearbeitung intra- und interpsychischer Konflikte, sowie den persönlichen Bewegungsausdruck durch sprachliche Aufarbeitung des Bewegungsgeschehens.

    Grundsätzliches zur Bewegung beim Tanz

    Man macht sich bei der Tanztherapie auch die Tatsache zunutze, dass körperliche Aktivität zeitlebens zu neurobiologischen Anpassungen führt und dadurch emotionale, soziale und kognitive Prozesse beeinflusst. Schon im Mutterleib werden durch die Bewegungen des Kindes und die der Mutter die Bildung, Entwicklung und Vernetzung von Nervenzellen angeregt. Bewegung zählt deshalb zu den wichtigsten Stimulationen des Gehirns. Körperliche Aktivität wirkt sich allerdings während der gesamten Lebensspanne positiv auf die Struktur und Funktionsweise des Gehirns aus, wobei vor allem Ausdauerbelastungen dem altersbedingten Verlust von Gehirnsubstanz entgegengewirkt können, was zu einer verbesserten mentalen Leistungsfähigkeit im Alter führt. Bewegung hat übrigens nicht nur eine stimmungssteigernde sondern auch antiaggressive und angstlösende Wirkung.

    Menschen bewegen sich beim Tanzen oft synchron mit anderen Menschen, wobei Synchronizität einen ganz besonderen Effekt auf das menschliche Gehirn hat. Wenn man andere beobachtet, während sie sich bewegen, dann repräsentiert das Gehirn diese Bewegung des anderen in ähnlichen Teilen des Gehirns, in denen man sich selbst repräsentiert. Es ist, als ob zwei Filme im Gehirn gleichzeitig ablaufen, d. h., wie man sich selbst bewegen würde und wie die andere Person sich gerade bewegt. Wenn man sich wie beim beim gemeinsamen Tanz selber synchron mit einer anderen Person bewegt und nicht nur zuschaut, kommt es zu einer Art Verschmelzung. Das ist die bindende Funktion des Tanzens. Man hat in Studien festgestellt, dass Menschen, die sich zusammen synchron bewegt haben, danach besser Probleme gemeinsam lösen als Menschen, die noch nicht miteinander getanzt oder sich asynchron miteinander bewegt haben. Eine wichtige Funktion des Tanzens ist also die Gruppen­kohäsion.

    Tanzen als psychotherapeutische Methode kann dort wirken, wo rein kognitiv orientierte Behandlungsmethoden an ihre Grenzen stoßen. Tanzen wird dabei als Ausdrucksform für eigene Gefühle und nonverbale Kommunikation mit anderen genutzt, wobei aus der Art der Bewegungen TherapeutInnen Verhaltens- und Beziehungsmuster der Klientin bzw. des Klienten erkennen können. Durch das Einbeziehen des Körpers und des Körpergedächtnisses können auch frühkindliche und vorsprachliche Erlebnisse therapeutisch behandelt werden.  Tanztherapeutische Methoden werden in Kliniken und ambulanten Praxen sowohl vorbeugend als auch heilend angewandt, etwa bei Verhaltensauffälligkeiten, Psychosen, Depressionen, Essstörungen, Burn-Out-Syndrom, bei onkologischen, rheumatischen und neurologische Erkrankungen, Sprach- und Lernstörungen, körperlichen und geistigen Handicaps.

    Neben dem Ausdruckstanz fließen auch andere Strömungen in der Tanztherapie zusammen, wobei Aspekte von psychotherapeutischen Ansätzen, aber auch Gedanken aus der Gymnastikbewegung der 20er Jahre, die körperliche Aktivität als Wahrnehmungsmöglichkeit betont. Oft wird die Tanztherapie Menschen mit Depressionen, schizophrenen Erkrankungen und sozialen Schwierigkeiten angeboten, doch auch bei psychosomatischen Erkrankungen kommt sie zum Einsatz, etwa in der Onkologie, bei Schlaganfallpatienten und bei Rückenschmerzen. TanztherapeutInnen haben viele methodische Möglichkeiten, die für das jeweilige Krankheitsbild angepasst werden. Tanztherapie wird daher häufig auch präventiv, oder rehabilitativ verwendet. So versucht man bei an Schizophrenie Erkrankten, den Affektausdruck zu verbessern, bei autistischen KlientInnen die spontanen nonverbalen Reaktionsfähigkeit.

    Tanzen und Gehirn

    Chiara et al (2016) haben in einer Studie belegt, dass neben Musik auch Tanztraining einen stärkeren Einfluss auf das Gehirn hat, als man bisher gedacht hat, denn beides wirkt sich auf die Sinneswahrnehmung und auf die Motorik aus, jedoch auf unterschiedliche Art und Weise. Bei Tänzern sind die Verbindungen im Gehirn, die für Sinnesreize und die Motorik zuständig sind, umfassender und ausgedehnter, während bei Musikern diese Verbindungen hingegen stärker und zusammenhängender sind. Das deute darauf hin, dass Tanz-training und das Üben von Musikinstrumenten das Gehirn in unterschiedlichen Richtungen beeinflusst, denn Tanzen fördert mehr die Vernetzung im Gehirn, während Musizieren bestimmte Bahnen stärkt. Dies lässt sich vermutlich damit erklären, dass Tänzer und Tänzerinnen den ganzen Körper trainieren, während sich Musiker und Musikerinnen auf spezielle Körperteile fokussieren wie etwa die Hand, die Finger oder den Mund.

    Eine Studie von Raji et al. (2023) zeigte übrigens, dass körperliche Aktivität mit einer Vergrößerung von Gehirnarealen einhergeht, die für Gedächtnis und Lernen wichtig sind. Studienteilnehmende, die sich regelmäßig körperlich betätigten, z. B. durch Gehen, Laufen, Sport oder auch Tanzen, wiesen ein größeres Gehirnvolumen in Schlüsselbereichen auf, wie z. B. in der grauen Substanz, die an der Informationsverarbeitung beteiligt ist, in der weißen Substanz, die verschiedene Hirnregionen miteinander verbindet, und im Hippocampus, der für das Gedächtnis wichtig ist. Eine frühere Studie aus dem Jahr 2020 hat bereits gezeigt, dass etwa ein Dutzend modifizierbare Risikofaktoren das Risiko für Alzheimer erhöhen, darunter auch körperliche Aktivität.

    Die Tierforschung zeigte übrigens, dass eine Kombination aus körperlicher Aktivität und sensorischer Anreicherung die größte und einzige nachhaltige Wirkung auf die Neuroplastizität hat, wobei Tanzen als menschliches Pendant zu einer solchen kombinierten Intervention gilt, da es sowohl körperliche als auch kognitive Funktionen fordert. Rehfeld et al. (2018) verglichen in einer Studie die Wirkung eines Tanzprogramms mit den Effekten klassischer Fitness- und Kraftübungen wie Hanteltraining, Stretching, Schwimmen, Fahrradergometer und Walking. Für diese explorative Studie hatte man dabei ein besonders anspruchsvolles Tanzprogramm entwickelt, bei dem ältere Teilnehmer ständig neue und zunehmend schwierigere Choreografien lernen mussten. Für die Analyse von MRT-Daten wurde eine neue Methode der voxelbasierten Morphometrie (VBM) eingesetzt, die speziell für paarweise Längsschnittvergleiche zwischen Gruppen entwickelt wurde. Nach sechs Monaten hatte sich in der Tanzgruppe die Aufmerksamkeit und Wachsamkeit sowie der Gleichgewichtssinn und die Beweglichkeit der Teilnehmenden verbessert, in der Fitnessgruppe hingegen nur die Wachsamkeit. Nach einem weiteren Jahr hatten sich auch die verbalen Fähigkeiten der Tänzerinnen und Tänzer verbessert. Im Gehirn hatte sich durch das Tanzprogramm das Volumen der weißen Substanz (cingulärer Cortex, Insula, Corpus callosum und sensomotorischer Cortex) vergrößert. Tanzen wirkte sich unter anderem positiv auf das Herz-Kreislauf- und Atmungssystem sowie auf den Gleichgewichtssinn aus. Bei über 65-Jährigen, die regelmäßig an einem Tanzprogramm teilnahmen, verbesserten sich die Konzentrationsfähigkeit, die Auffassungsgabe und die Reaktionsgeschwindigkeit. Positive Effekte des Tanzens auf die kognitiven Fähigkeiten konnten sogar bei Menschen mit Demenz der Stufen 1 und 2 festgestellt werden.


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    Literatur

    Chiara Giacosa, Falisha J. Karpati, Nicholas E.V. Foster, Virginia B. Penhune, Krista L. Hyde (2016). Dance and music training have different effects on white matter diffusivity in sensorimotor pathways. NeuroImage, dos:10.1016/j.neuroimage.2016.04.048.
    Raji, Cyrus A., Meysami, Somayeh, Hashemi, Sam, Garg, Saurabh, Akbari, Nasrin, Ahmed, Gouda, Chodakiewitz, Yosef Gavriel, Nguyen, Thanh Duc, Niotis, Kellyann, Merrill, David A. & Attariwala, Rajpaul (2023). Exercise-Related Physical Activity Relates to Brain Volumes in 10,125 Individuals. Journal of Alzheimer’s Disease. doi:10.3233/JAD-230740.
    Rehfeld, K., Lüders, A., Hökelmann, A., Lessmann, V., Kaufmann, J., Brigadski, T., Müller, P., & Müller, N. G. (2018). Dance training is superior to repetitive physical exercise in inducing brain plasticity in the elderly. PloS one, 13, doi:10.1371/journal.pone.0196636.
    Stangl, W. (2010). Tanzen lernen.
    WWW: http://senioren.lerntipp.at/Tanzen-lernen.shtml (10-07-09)
    Stangl, W. (2023, 15. Dezember). Schon mäßige Bewegung kann die Gesundheit des Gehirns fördern. arbeitsblätter news.
    Stangl, W. (2018, 24. November). Tanzen lernen. Aus den Tipps für Senioren!
    https://senioren.lerntipp.at/Tanzen-lernen.shtml.
    https:// arbeitsblaetter-news.stangl-taller.at/schon-maessige-bewegung-kann-die-gesundheit-des-gehirns-foerdern/
    http://de.wikipedia.org/wiki/Tanztherapie (11-12-12)
    https://www.rnd.de/lifestyle/warum-tanzen-wir-tanz-expertin-julia-f-christensen-im-interview-MXSILFSKYRFJPD54HPXSVBU5E4.html (21-05-10)


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    2 Gedanken zu „Tanztherapie“

    1. Kalorienverbrauch beim Tanzen

      Wer eine Stunde lang Walzer tanzt, verbraucht 300 bis 400 Kalorien, beim Tango sind es 400 bis 500 und bei Rock ’n‘ Roll 500 bis 600.

    2. Tangorina

      Im Gegensatz zu Ländern wie Kuba oder Brasilien tanzen die Menschen hierzulande eher wenig, meist weil sie Angst haben, sich zu blamieren. Tanzen macht aber nicht nur Spaß, sondern trainiert auch den ganzen Körper, das Gehirn und die Psyche. Ob Breakdance oder Wiegeschritt, Hauptsache es wird getanzt, denn Tanzen ist Bewegung und das tut vor allem Erwachsenen, die übergewichtig sind, gut. Tanzen lindert übrigens nachweislich die Symptome von Parkinson und Depressionen, denn Studien zeigen, dass Tanzen die Lebensqualität von Menschen mit Parkinson steigern und die Symptome von Depressionen und Ängsten lindern kann. Beim rhythmischen Bewegen schüttet der Körper, wie auch bei langen Spaziergängen, die Glückshormone Dopamin und Endorphin aus. Tanzen schult zusätzlich auch den Gleichgewichtssinn, die Koordination und auch sozialen Kompetenzen, fördert die Bildung neuer Neuronen bis ins hohe Alter, d. h., Tanzen kann daher das Risiko, an Demenz zu erkranken, deutlich senken. In einer Studie mit TangotänzerInnen fand man heraus, dass während des Tanzes die Konzentration von Cortisol, also dem Stresshormon, deutlich abnahm. Darüber hinaus verleiht Tanzen Selbstbewusstsein und Kraft.

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