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Bezugsnorm

    Eine Bezugsnorm entsteht ganz allgemein dadurch, dass ein Merkmal bzw. eine Variable in einer großen repräsentativen Normstichprobe gemessen wird, sodass anhand der Ergebnisse dieser Stichprobe ein individuelles Ergebnis in diesem Merkmal eingeordnet und interpretiert werden kann.

    Innerhalb der Pädagogischen Psychologie bezeichnet die Bezugsnorm im Sinne einer Bezugsnormorientierung die Bewertung von SchülerInnen durch LehrerInnen. Im besonderen unterscheidet man beim Konstrukt der Bezugsnorm drei Ansätze:

    • die soziale Bezugsnorm vergleicht die Ausprägung eines Kriteriums mit der anderer vergleichbarer Einheiten (z.B. Versuchs- zu Vergleichsgruppe, Benchmarking etc.,
    • die individuelle Bezugsnorm vergleicht ein und die selbe Einheit im zeitlichen Verlauf (z. B. verbessert oder verschlechtert),
    • die sachliche Bezugsnorm versucht, Schwellenwerte inhaltlich zu begründen und Kriterienausprägungen damit zu vergleichen (z.B. Kompetenzstufen).

    LehrerInnen unterscheiden sich darin, welche Maßstäbe sie bei der Bewertung von Schülerleistungen anlegen, wobei eine soziale Bezugsnormorientierung die Leistungen primär im Vergleich mit anderen Schülerinnen und Schülern beurteilt, während eine individuelle Bezugsnormorientierung die Leistungen eher im Verlauf der Zeit, also im Sinne einer individuellen Verbesserung oder Verschlechterung, bewertet. Der Ansatz der „individuellen Bezugsnormorientierung“ in der Pädagogik nach Rheinberg (1980) geht dann davon aus, dass die schulische Leistungsbewertung, wenn sie zu stark an einer sozialen Bezugsnorm orientiert ist, negative Einflüsse auf die Motivation der Schüler haben kann. Motivational förderlich hingegen wirkt die intraindividuellen Bewertungen, wenn also ein schlechterer Schüler bei einer Verbesserung seiner eigenen Leistung ebenfalls positive Rückmeldungen erhält, selbst wenn er im Vergleich zu seinen Klassenkammeraden weiterhin unterdurchschnittlich ist.

    Beispiel: Beim Übergang von der Grundschule in die weiterführenden Schulen verschlechtert sich häufig die Motivation vieler SchülerIinnen besonders im Fach Mathematik. Zu den motivationalen Überzeugungen von Schülerinnen und Schülern zählt dabei etwa, wie gut sie ihre eigenen Fähigkeiten einschätzen (Fähigkeitsselbstkonzept) und ob sie glauben, ihre Fähigkeiten steigern zu können (implizite Fähigkeitstheorie). Nach einer Längsschnittstudie von Dickhäuser et al. (2017) können LehrerInnen die Motivation ihrer SchülerInnen im Fach Mathematik dadurch fördern, wenn sie die individuelle Leistungsentwicklung über die Zeit hinweg beurteilen, anstatt soziale Vergleiche im Klassenverbund anzustellen. Die Untersuchung zeigte auch ganz allgemein, dass sich das Fähigkeitsselbstkonzept und die implizite Fähigkeitstheorie im Verlauf der ersten zwei Jahre in der Sekundarstufe ungünstig entwickeln, wobei vor allem eine soziale Bezugsnormorientierung der LehrerInnen mit deutlicheren Verschlechterungen im Fähigkeitsselbstkonzept und der impliziten Fähigkeitstheorie einherging, und zwar umso stärker, je schlechter die schulischen Leistungen waren. Hingegen bewirkte eine ausgeprägte individuelle Bezugsnormorientierung nur geringe Verschlechterungen des Fähigkeitsselbstkonzepts und der impliziten Fähigkeitstheorie, wobei dieser fördernde Effekt unabhängig von der schulischen Leistung war. Man folgert daraus, dass LehrerInnen einem ungünstigen Verlauf motivationaler Überzeugungen dadurch entgegenwirken können, dass sie ihren Schülerinnen und Schülern Verbesserungen und Verschlechterungen ihrer Leistungen im Vergleich zu früheren Leistungen zurückmelden. Eine solche Rückmeldung führt ihnen dann eher vor Augen, dass sich ihre Leistung vor allem in Abhängigkeit der eigenen Anstrengung verändert, d. h., dass sie selbst etwas bewirken konnten.

    Siehe dazu auch das Stichwort Leistungsmotiv.

    Literatur

    Dickhäuser, O., Janke, S., Praetorius, A.-K. & Dresel, M. (2017). Effects of teachers‘ reference norm orientations on students‘ implicit theories and academic self-concepts. Zeitschrift für Pädagogische Psychologie, 31, 205–219.
    Krug, S. & Rheinberg F. (1999). Motivationsförderung im Schulalltag. Göttingen: Hogrefe-Verlag.
    Rheinberg, F. (1980). Leistungsbewertung und Lernmotivation. Verlag: Hogrefe.

     


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