Bekanntlich unterscheiden sich Menschen auch darin, welche Speisen oder Geschmäcker sie bevorzugen. Entscheidend für das Entstehen von Vorlieben und Abneigungen ist die Ausbildung eines Geschmackserkennunggedächtnisses, das auf individuellen Erfahrungen beruht. So registriert etwa das Gehirn den Wohlgeschmack einer sättigenden Speise als Belohnung, die über den kalorischen Wert der Nahrung hinausgeht und zu einem verstärkten Verzehr führt. Löst eine Mahlzeit hingegen Magenschmerzen oder andere Beschwerden aus, führt dies zu Aversion und Ablehnung, was durch Lernvorgänge im Gehirn verfestigt wird, indem diese Information in neuronale Netze im Gehirn eingespeist wird, die Sicherheit und Attraktivität signalisieren. Übrigens funktioniert das Geschmackgedächtnis über Vergleichswerte, sodass Menschen vertrauten Aromen bevorzugen, während neue Eindrücke erst einmal verarbeitet werden müssen.
Einige Geschmacksvorlieben sind dem Menschen angeboren, das heißt, sie haben sich in die Gene eingeschrieben, wobei sich dahinter ein komplexer Code aus Nährstoffen verbirgt, nach denen der Körper verlangt. Dazu gehört etwa die Vorliebe für Süßes, Salziges und Fettiges, denn süß schmecken ungiftige, reife Früchte, wodurch man den Energielieferanten Zucker sowie Vitamine und Mineralstoffe aufnimmt. Dass sich der Mensch auf die Suche nach Salz begibt, liegt darin begründet, dass er das darin enthaltene Natrium für seinen Wasserhaushalt benötigt. Fett ist ein Geschmacksträger der andere Geschmacksrichtungen verstärkt, und liefert den Menschen Energie und sicherte das Überleben. Auch die Abneigung gegen Bitteres ist genetisch vorprogrammiert, denn sie schützt vor giftigen oder verdorbenen Nahrungsmitteln. Zwar unterschieden sich Tiere und Menschen nicht in den neurologischen Grundlagen, d. h., es gelten dieselben Mechanismen, aber beim Menschen werden diese Funktionen durch Erziehung, Werbung oder andere Einflüsse überdeckt.
Menschen erleben übrigens auch die Vielfalt des Geschmacks von Wasser als sehr variabel. Zocchi et al. (2017) haben nachgewiesen, dass Menschen neben den klassischen fünf Geschmacksempfindungen (süß, salzig, sauer, bitter und umami) auch auch auf Wasser reagieren, d. h., ein Gespür für Wasser besitzen. So können Geschmacksknospen für sauer ganz gezielt Wasser identifizieren, da bei der Reaktion von Wasser und Kohlendioxid mithilfe eines Enzyms Protonen freigesetzt werden, wodurch die Geschmackssensoren für sauer reagieren. Dieses Enzym wird dadurch aktiviert, dass beim Trinken von Wasser der Speichel weggespült wird.
Was Menschen gerne essen, hängt daher von ihren Genen, dem Alter, den Gewohnheiten, vom Lebensstil, vom sozialen Umfeld, Erkrankungen, aber auch Stimmungen, der Umgebung und anderem ab. Solche gelernten Geschmacksvorlieben sind bis zu einem Gewissen Grad veränderlich, was bedeutet, dass die Gewohnheiten ebenso wichtig sind wie die Gene. In den ersten Lebensjahren bauen Menschen sich eine Art Geschmacksgedächtnis auf, das ihren Geschmack prägt. Wenn etwa ein Kind häufig frische Tomaten isst, wird im Gehirn abgespeichert, wie diese schmecken. Isst es dagegen oft Ketchup, kann unter dem Begriff „Tomate“ auch der Ketchup-Geschmack gespeichert werden, sodass das frische Gemüse dann abgelehnt wird. Eltern haben einen großen Einfluss auf die geschmackliche Prägung ihrer Kinder, denn was sie auf den Tisch bringen, lernen die Kinder kennen und oft auch lieben. Wichtig ist aber auch die emotionale Besetzung von Geschmäckern, wozu auch eine angenehme Atmosphäre beim Essen gehört und dass man auf Bevormunden weitgehend verzichtet.
Die Entwicklung des Geschmacksinns
Geschmack ist das erste, was Menschen im Mutterleib wahrnehmen, also noch bevor sie hören oder sehen können, denn alle Säuglinge schlucken schon im Mutterleib das Fruchtwasser und nehmen dabei die typischen Komponenten dieser Flüssigkeit wahr. Dabei schmecken Embryos vor allem die Süße von Glukose und Fruktose, die Aminosäuren und Fettsäuren. Diese ersten Geschmackserlebnisse prägen das Leben von Beginn an, sodass Säuglinge deshalb von Anfang an Süßes bevorzugen. Fügt man etwa dem Fruchtwasser eine Zuckerlösung hinzu, dann beginnen Ungeborene häufiger zu schlucken, macht man das Fruchtwasser bitterer, sinkt die Schluckrate, wobei auch Neugeborene schon instinktiv das Gesicht bei bitteren Geschmacksreizen verziehen, aber ihre Lippen lecken und lächeln, wenn sie Süßes schmecken. Über das Fruchtwasser werden daher die Geschmacksvorlieben eines Kindes schon geprägt. Diese Form der Prägung macht evolutionär Sinn, denn wenn ein Neugeborenes später beginnt, feste Nahrung zu sich zu nehmen, ist es das Sicherste, wenn es genau das bevorzugt isst und als essbar erkennt, was auch die Mutter gegessen hat. Im Detail:
- Bis zur 10. Schwangerschaftswoche bilden sich die ersten Geschmacksknospen (diese befinden sich in der Mundschleimhaut, im Besonderen auf der Zunge, und beherbergen die Geschmackssinneszellen). Einige Wochen später beginnen die Geschmacksknospen mit den Nerven des ungeborenen Kindes zu kommunizieren. Der Embryo hat erste geschmackliche Eindrücke und Empfindungen. Der Grundgeschmack des Fruchtwassers ist süß und enthält viele weitere Aromen, die sich von Zeit zu Zeit ändern, was davon abhängt, was die Mutter isst. Solche Veränderungen können schon früh prägen, welche Geschmacksvorlieben das Kind später entwickeln wird.
- Ein Neugeborenes schmeckt bereits erste Geschmacksrichtungen wie süß, sauer und bitter. Süß wird von Babys jedoch bevorzugt, während sauer und bitter geschmacklich noch eine Ablehnung erfahren.
- Mit etwa vier Monaten können Kinder auch salzigen Geschmack wahrnehmen. Salziges lernt ein Säugling allerdings erst im Laufe der Zeit zu schmecken, wobei Neugeborene noch nicht zwischen leicht salzigem Trinkwasser und salzarmem Wasser unterscheiden können, denn sie trinken beides gleich gern oder ungern. Mit vier Monaten ziehen die meisten Kinder aber leicht salziges Wasser vor, und erhalten sie dann auch noch salzhaltige Kost, etwa weiches Brot, gemanschte Erdäpfeln oder andere normal gesalzene Erwachsennahrung, dann essen sie bis ins Schulalter hinein Salziges meist lieber als Süßes.
- Im Alter von drei Jahren ist die Ausbildung der Geschmacksorgane und ihre Vernetzung mit dem Nervensystem soweit abgeschlossen, dass Kinder bereits das volle Spektrum der geschmacklichen Empfindung erfahren.
- Dennoch verändert sich der kindliche Geschmack in den folgenden Jahren noch stark und zwar aufgrund von verschiedenen Lernprozessen.
Literatur
Zocchi, Dhruv, Wennemuth, Gunther & Oka, Yuki (2017). The cellular mechanism for water detection in the mammalian taste system. Nature Neuroscience, doi:10.1038/nn.4575.
http://www.kindaktuell.at/thema/kinder-entwickeln-geschmack.html (11-12-11)