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Verarbeitungstiefe

    Die Theorie der Verarbeitungstiefe (level of processing theory) ist eine kognitive Theorie des Lernens, die allgemeine Erklärungen für die Integration von Informationen in das vorhandene Wissen zu finden, wobei man unter Verarbeitungstiefe das Ausmaß der kognitiven Aktivitäten versteht, die eine Lernende bzw. ein Lernender darauf verwendet, eine dargebotene Information zu erlernen. Dabei können die für das Lernen erforderlichen Wiederholungen (innere Wiederholungen oder Mehrfachkontakte) reduziert werden, wenn der Lernende sinnvolle gedankliche Beziehungen zwischen und mit den aufgenommenen Informationen herstellen kann, da dies eine Einordnung der Informationen in das bestehende Wissen erleichtert. Dadurch werden mehr kognitive Operationen durchgeführt, was die Gedächtnisleistung verbessert. Die Verarbeitungstiefe ist z. B. gering, wenn die Informationen nur auf der sensorischen Ebene verarbeitet werden, während mit gedanklicher Entschlüsselung der Informationen die Verarbeitungstiefe zunimmt.

    Letztlich hängt beim Lernen die Verarbeitungstiefe auch davon ab, inwieweit das Individuum zu einer gedanklichen Auseinandersetzung mit einem Reiz motiviert ist (Aktivierung) und welche kognitiven Aktivitäten vom Lernmaterial stimuliert werden (Interessen). Bekanntlich ist Lernen mit geringem Involvement auch mit geringer Aufmerksamkeitszuwendung verbunden, was vor allem dann auftritt, wenn die Informationen für den Lernenden relativ unwichtig sind. Beim Lernen mit geringer Verarbeitungstiefe werden die zentralen Informationen eines Lernstoffes nicht viel stärker beachtet als die nebensächlichen Informationen, wodurch es beim Lernen mit geringer Verarbeitungstiefe zu einer stärkeren peripheren Beeinflussung kommt. Dadurch werden nebensächliche Informationen stärker wirksam bzw. der Lernende weiß nicht, was eigentlich an dem Lernstoff von Bedeutung ist.

    Beispiele für oberflächliche Verarbeitung

    • Durchlesen
    • Wiederholen
    • Anschauen
    • Unterstreichen und Markieren

    Beispiele für eine tiefe Verarbeitung

    • Anwendungen finden
    • Fragen zum Text entwerfen
    • Rollenspiel einer mündlichen Prüfung
    • Ist der Lernstoff in der Alltagserfahrung vorhanden?
    • Modell für einen Vorgang entwerfen, etwa eine Skizze erstellen
    • Analogien finden
    • Buchbesprechungen oder Pressenotiz schreiben
    • Zwei bis drei Fachlehrbücher miteinander vergleichen
    • Überlegen, welche Textinformationen ein Praktiker sofort können sollte
    • In Gruppen die Texte bewerten
    • Feststellen und vergleichen, was man vorher zu dem Thema gedacht oder gewusst hat
    • Jemandem von dem Gelernten berichten
    • Zusammenfassen und Exzerpieren
    • Bilden von Assoziationen
    • Überflüssige Sätze streichen
    • Überschriften für Absätze oder Graphiken finden
    • Gegenargumente finden
    • Beantworten von Fragen nach dem Lesen des Textes

    Eine wichtige Rolle bei der Verarbeitung von Lerninhalten spielt auch die subjektive Bedeutsamkeit des Lernmaterials, wobei eine Erhöhung den Lerneffekt in Form von Motivation steigert:

    • Herausschreiben, was einen Freund interessieren könnte
    • Überlegen, in welcher Beziehung die Aussagen zum eigenen Leben stehen
    • Überlegen, welche Fragen man einer Kollegin oder einem Kollegen stellen könnte, die sie/er nicht beantworten könnte
    • Überlegen, wie man für die eigene Lebensführung profitieren könnte
    • Einen kurzen Vortrag vorbereiten, etwa Stichworte aus dem Text rausschreiben und diesen Vortrag dann halten
    • Persönliche Gegenargumente suchen

    Siehe dazu Die Tiefe der Verarbeitung von Lerninhalten.

    Simulation der Verarbeitungstiefe durch neuronale Netze

    In der Psychologie wurde schon lange vermutet, dass die Verarbeitungstiefe – der Denkaufwand während der Wahrnehmung – darüber entscheiden könnte, was im Gedächtnis bleibt und was nicht, aber bisher fehlten die Methoden, um dies im Gehirn zu untersuchen.
    Schon während Menschen Dinge sehen und hören, wird festgelegt, ob sie sich später daran erinnern: Manchmal bleibt eine beiläufig aufgenommene Information – eine Szene, ein Bild – im Gedächtnis haften. Was das ist, scheint oft zufällig zu sein, aber schon während man die Bilder sieht, ist klar, woran man sich später erinnern wird, d.h. schon während des Sehens und Hörens wird im Gehirn entschieden, was später zur Erinnerung wird. Das ist auch das Ergebnis eines Experiments, bei dem Wissenschaftler mit Hilfe eines künstlichen neuronalen Netzes – einer Computersimulation, die dem Gehirn nachempfunden ist – vorhersagen konnten, woran sich eine Versuchsperson erinnern wird. Ein solches neuronales Netz ist in der Lage, in Bildern von Landschaften und Szenen bestimmte Objekte zu erkennen, d.h. es erkennt z.B. zuverlässig eine Katze unter anderen Vierbeinern oder ein Haus inmitten von Hügeln und Tälern. Anhand der Aktivität in den für die Wahrnehmung zuständigen Hirnregionen ließ sich tatsächlich zuverlässig vorhersagen, ob die Versuchsperson ein Bild später wiedererkennen würde oder nicht.

    Literatur

    Craik, F. I. & Lockhart, R. S. (1972). Levels of processing: A framework for memory research. Journal of Verbal Learning and Verbal Behavior, 11, 671-684.
    http://www.medialine.de/deutsch/wissen/medialexikon.php?snr=5518 (12-12-21)


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