Der spacing effect, auch Spacing Effekt oder Intervall-Effekt, beschreibt jenes Phänomen des Vergessens, wonach im Allgemeinen Ereignisse umso schlechter erinnert werden, je länger sie zurückliegen. Das ist jedoch nicht immer so, etwa wenn man ein Ereignis, eine Person, oder einen Film zwei Mal gesehen hat, das letzte Mal vor einem Jahr. Wenn diese zweite Wahrnehmung kurz nach dem ersten Mal stattgefunden hat, dann wird das Ereignis schlechter erinnert, als wenn die erste Wahrnehmung schon länger her ist. Durch diesen Intervalleffekt kann es also dazu kommen, dass ältere Gedächtnisspuren besser erinnert werden als jüngere. Der Spacing Effekt beschreibt also den spezifischen Lerneffekt, der durch Wiederholen in immer größer werdenden Abständen entsteht, es also zu einer effizienterer Formierung des Gedächtnisses bei verteilter Präsentation eines Lernstoffes im Gegensatz zu gehäufter Präsentation kommt.
Für die Praxis des Lernens: Das wiederholte Lernen des Lernmaterials für umfassende Klausuren, Schlussprüfungen oder Studienabschlussprüfungen, erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass das Gelernte ein Leben lang nicht vergessen wird. Wenn man das Lernen über ein Semester oder ein Jahr hinweg verteilt, statt in kürzeren Abständen zu lernen, kann dies dazu beitragen, das Gelernte besser zu behalten.
Ebbinghaus fand in zahlreichen Selbstversuchen, dass unmittelbar nach dem Erlernen am meisten vergessen wird, und dass mit zunehmendem Intervall zwischen Erlernen und Reproduzieren immer weniger vergessen wird. Er schloss daraus, dass pro Zeiteinheit ein konstanter Anteil der erinnerten Inhalte vergessen wird und dass die Stärke des Vergessens proportional zum Logarithmus des Intervalls seit dem Erlernen sei. In einer Überprüfung der Daten von Ebbinghaus fand man jedoch, dass Vergessen in einer Exponentialfunktion verläuft, d. h., der Logarithmus des vergessenen Materials ist proportional zum Logarithmus der Zeit seit dem Erlernen. Damit lassen sich Beobachtungen erklären, die den intuitiven Vermutungen über den Verlauf des Vergessens widersprechen.
Glas et al. (2020) haben den Spacing-Effekt bei Mäusen untersucht und sind dabei der Frage nachgegangen, was beim Spacing-Effekt im Gehirn passiert und warum gerade Lernpausen so förderlich für das Erinnerungsvermögen sind. Es wird ja grundsätzlich angenommen, dass beim Lernen Nervenzellen aktiviert und neue Verbindungen unter ihnen geknüpft werden, denn so wird das erlernte Wissen gespeichert und kann bei Aktivierung derselben Nervenzellgruppe abgerufen werden. In den Untersuchungen sollten Mäuse sich in einem Labyrinth die Position eines versteckten Schokoladestücks merken. Die Mäuse erhielten dreimal hintereinander die Möglichkeit das Labyrinth zu erkunden und ihre Belohnung zu finden, einschließlich Pausen unterschiedlicher Länge. Mäuse, die mit längeren Pausen zwischen den Lernphasen trainiert wurden, konnten sich die Position der Schokolade nicht so schnell merken, doch am nächsten Tag war das Erinnerungsvermögen der Mäuse umso besser, je länger die Pausen am Vortag gewesen waren. Während des Labyrinth-Tests maß man zusätzlich die Nervenzellaktivität im präfrontalen Cortex, also in jener Gehirnregion, die für Lernvorgänge von besonderem Interesse ist, da sie für ihre Rolle bei komplexen Denkaufgaben bekannt ist. So konnte man auch zeigen, dass eine Inaktivierung des präfrontalen Cortex die Gedächtnisleistung der Mäuse beeinträchtigte. Folgten drei Lernphasen kurz aufeinander, würde man intuitiv erwarten, dass dieselben Nervenzellen aktiviert werden, denn schließlich handelt es sich ja um das gleiche Experiment mit der gleichen Information. Nach einer langen Pause wäre es hingegen logisch, dass das Gehirn die anschließende Lernphase als neues Ereignis interpretiert und mit anderen Nervenzellen verarbeitet. Als man aber die Nervenzellaktivitäten in den unterschiedlichen Lernphasen verglich, stellte man allerdings genau das Gegenteil fest, denn bei kurzen Pausen schwankte das Aktivierungsmuster im Gehirn mehr albei zu langen Pausen, d. h., in schnell aufeinanderfolgenden Lernphasen aktivierten die Mäuse meist unterschiedliche Nervenzellen. Nach längeren Pausen wurden dagegen die Nervenzellen der ersten Lernphase auch später wieder genutzt. Indem das Gehirn auf dieselben Nervenzellen zurückgreift, kann es womöglich die Verknüpfungen zwischen diesen in jeder Lernphase stärken, d. h., die Kontakte müssen nicht erst von Grund auf neu aufgebaut werden. Das könnte die Erklärung dafür sein, warum das Erinnerungsvermögen von langen Pausen profitiert.
Während sich frühere Arbeiten hauptsächlich auf die wiederholte Exposition mit derselben Information konzentrierten, ist der Gedächtnisinhalt in der realen Welt dynamisch, wobei einige Informationen stabil bleiben, während andere variieren. Daher bleiben Fragen über die Wirksamkeit des Spacing-Effekts angesichts der Variabilität des Gedächtnisinhalts offen. In zwei Experimenten untersuchten Cowan et al. (2024) die Beiträge der mnemotechnischen Variabilität und der Zeitskala der Spacing-Intervalle, die von Sekunden bis zu Tagen reichte, zum Langzeitgedächtnis. In den Experimenten wurden die Versuchspersonen gebeten, wiederholt Paare von Objekten und Szenen zu betrachten, die entweder bei jeder Wiederholung völlig identisch waren oder bei denen das Objekt identisch blieb, aber die Szene sich jedes Mal änderte. Beim Erinnern wirkten sich sowohl die mnemotechnische Variabilität als auch die Abstandsintervalle positiv auf das Gedächtnis aus, wobei die mnemotechnische Variabilität bei kürzeren Abstandsintervallen größer war. Im Gegensatz dazu hatte beim assoziativen Gedächtnis die Wiederholung einen größeren positiven Effekt auf das Gedächtnis als die mnemotechnische Variabilität, und die Abstandsintervalle hatten nur dann einen positiven Effekt, wenn keine mnemotechnische Variabilität vorhanden war. Diese Ergebnisse zeigen, dass die mnemotechnische Variabilität und die Zeitskala der Abstandsintervalle eine entscheidende Rolle für den Abstandseffekt spielen.
Literatur
Cowan, Emily T., Zhang, Yiwen, Rottman, Benjamin M. & Murty, Vishnu P. (2024). The effects of mnemonic variability and spacing on memory over multiple timescales. Proceedings of the National Academy of Sciences, 121, doi: 10.1073/pnas.2311077121.
Glas, Annet, Hübener, Mark, Bonhoeffer, Tobias & Goltstein, Pieter M. (2020). Spaced training enhances memory and prefrontal ensemble stability in mice. Current Biology, doi:10.1101/2020.12.17.417451.
Hintzman, D.L. (1974). Theoretical implications of the spacing effect. In R.L. Sols (Ed.), Theories in cognitive psychology (p. 77-99). The Loyola Symposium.
http://en.wikipedia.org/wiki/Spacing_effect (11-01-22)
http://psychologie-news.stangl.eu/356/ueber-das-vergessen-und-das-erinnern (11-03-21)