Der Begriff Viktimisierung wird vor allem in der Kriminologie und der Psychologie, aber auch allgemein in den Sozialwissenschaften verwendet. Wörtlich übersetzt bedeutet Viktimisierung „zum Opfer machen“ oder „zum Opfer werden“ (lateinisch: „victima“ = ursprüngliche Bedeutung: Opfertier, aber auch Opfer; englisch: „victim“).
Viktimisierung beschreibt zum einen die unmittelbaren Ursachen, Wirkungen und Folgen einer Straftat für das Opfer (primäre Viktimisierung), zum anderen aber auch die mittelbaren Folgen im Zusammenhang mit der Beziehung zwischen dem Opfer und seinem sozialen Umfeld (sekundäre Viktimisierung) oder den Instanzen der sozialen Kontrolle (tertiäre Viktimisierung). In der Psychologie wird als sekundäre Viktimisierung das Phänomen bezeichnet, dass z. B. Opfer von Naturkatastrophen oder Abhängige illegaler Drogen für ihre eigene Lage verantwortlich gemacht werden (das zweite Beispiel ist nicht in dem Maße offensichtlich und umstrittener als das erste, wobei strittig ist, ob der Süchtige für seinen gesundheitlichen Zustand und Beschaffungskriminalität allein selbst verantwortlich ist, oder ob seitens der Legislative die ursprüngliche Schuld an der Schaffung der Voraussetzungen für die zum überwiegenden Teil nach der Prohibition aufgetretenen individuellen und sozialen Probleme, und mit der Ursache auch die Lösung des Problems, zu suchen ist).
Die Viktimisierung ist auch der zentrale Begriff in der Viktimologie, der „Lehre vom (Verbrechens-) Opfer“.
Die Verwendung des Begriffs Viktimisierung in den Sozialwissenschaften ist daher nicht eindeutig, denn der Begriff kann nämlich sowohl transitiv (jemand macht jemand anderen zum Opfer oder bezeichnet jemand anderen als Opfer) als auch reflexiv (jemand hält sich für ein Opfer bzw. bekennt sich dazu, ein Opfer zu sein) verstanden werden. Auch können Menschen sowohl durch einzelne Täter als auch durch schicksalhaft-unabwendbare Vorgängen (z.B. eine Naturkatastrophe) geschädigt werden. Die Zuschreibung einer Opferrolle an einzelne Mitglieder oder Gruppen der Gesellschaft erfolgt in diesen Fällen zumeist durch Mitglieder dominanter gesellschaftlicher Gruppen, Institutionen oder Ideologien. Bei der Verstetigung der Rolle von Opfern spielt der Effekt der erlernten Hilflosigkeit eine Rolle, d. h., durch Attribuierung von außen oder durch die Übernahme entsprechender Etikettierungen ins Selbstbild können aus Menschen, die einmal oder mehrmals geschädigt wurden, Menschen werden, die dauerhaft geschädigt sind, also dauerhaft in eine Opferrolle geraten, und in manchen Fällen einen dauerhaften Opferstatus erworben haben oder einen Opfermythos pflegen.
Es gibt aber auch Faktoren, die dazu beitragen, dass bestimmte Personengruppen mit größerer Wahrscheinlichkeit Opfer einer Straftat werden als andere, denn etwa im Tatbereich der Körperverletzung geraten Menschen, die bereits Opfer einer Straftat wurden, tendenziell erneut in eine Opferrolle. Zum einen scheint es Personengruppen zu geben, die aufgrund bestimmter Merkmale generell über ein konstant überdurchschnittliches Opferrisiko verfügen, zum anderen spielt auch eine Rolle, dass durch ein erstes Ereignis etwa die Verwundbarkeit einer Person offenkundig wird und es daraufhin zu erneuten Straftaten kommt. Aber auch Freizeitverhalten und Bildungsstand eines Menschen spielen eine Rolle, denn so haben junge Menschen, die häufig abends ausgehen ein deutlich höheres Viktimisierungsrisiko als ältere Menschen, die den Abend zu Hause verbringen. Junge Menschen weisen auch eine generell höhere Risikobereitschaft auf, etwa darin, dass sie ein besonders intensives Sozialleben pflegen und daher auch stärker in Kontakt mit potentiellen Tätern gelangen können.
Eine selbstgewählte Opferrolle hat narzisstische Züge
Übrigens hat sich in den letzten Jahren nach Ansicht einiger Forscher eine Kultur der Opferrolle in westlichen Gesellschaften verbreitet, denn bei einer Befragung von mehreren tausend Menschen gab bis zu einem Drittel der Befragten an, schon einmal das Opfer gespielt zu haben, um ein Ziel zu erreichen. Dabei galt auch, je aufrichtiger jemand dabei wirkte, desto eher wurde ihm geholfen. Dieser Aspekt einer Persönlichkeit ist unter anderem narzisstisch geprägt oder trägt manchmal psychopathische Züge. Eine Opferrolle sorgt bei anderen Menschen manchmal für Respekt und Entgegenkommen, wobei bei solchen „Opfern“ dann Verhaltensweisen geduldet werden, die bei anderen niemals akzeptiert würden, was wohl das vorrangige Ziel von Menschen ist, die diese Rolle einnehmen.
Literatur
http://www.kriminologie.uni-hamburg.de/ (10-03-02)
https://de.wikipedia.org/wiki/Viktimisierung (14-08-12)
https://idw-online.de/de/news647148 (16-03-04)
Sehr geehrte Damen und Herren,
gibt es Ihr Lexikon auch als Buch in gebundener Fassung?
Mit freundlichem Gruß,
Julia