Das episodische oder autobiographische Gedächtnis speichert Ereignisse, die uns unmittelbar betroffen haben: der im Sandkasten wiedergefundene Teddybär, die wunderbar bunte Europakarte im Klassenzimmer, der Autounfall im Sommer 1982, die erste Liebesnacht mit x, die letzte mit y, Todesfälle, der gestrige Geruch nach gebackenem Fisch vor dem Nachbarhaus. Die persönlichen Erinnerungen an einzelne Ereignisse und Erlebnisse, d.h., der Film des Lebens wird in diesem Gedächtnis abgespeichert. Neben den peinlichen Missgeschicke werden auch die glücklichsten Momente, Familienfeiern, der Schulabschluss, der Hochzeitstag, die Geburt eines Kindes, die Scheidung und Beerdigungen und auch alles dazwischen wird mehr oder minder vollständig abgespeichert, wobei diese Erinnerungen einen räumlichen und zeitlichen Bezug zueinander haben und man sie mehr oder weniger genau in einer Art Zeitleiste einordnen kann.
Im episodischen Gedächtnis werden also die komplexen Alltagserinnerungen gespeichert, die etwa darüber aussagen, wo wir uns z.B. gerade befinden, was wir tun und wie wir uns dabei fühlen. Sich daran zu erinnern, was man gestern getan hat, ist ein gutes Beispiel für eine alltägliche episodische Gedächtnisaufgabe, wobei sich in Studien gezeigt hat, dass sich Frauen besser an Gesprächsinhalte erinnern können als Männer. Asperholm et al. (2019) haben Studien aus vierzig Jahren zu Geschlechtsunterschieden im episodischen Gedächtnis untersucht und fanden einen allgemeinen weiblichen Vorteil bei Aufgaben, die überwiegend verbalisierbar sind, und einen männlichen Vorteil bei Aufgaben, die ein hohes Maß an räumlicher Verarbeitung erfordern. Auch wenn die Differenzen nicht allzu groß sind, gibt es doch kognitive Verschiedenheiten zwischen den zwei Geschlechtern im Alltag. Im untersuchten Zeitraum sind auch diese Geschlechtsunterschiede stabil geblieben, obwohl sie in ihrer Größenordnung je nach geografischer Region unterschiedlich ausfallen und für das verbale episodische Gedächtnis in Kindheit und Alter kleiner sind als in anderen Altersgruppen. Dieses Gedächtnis ist der für das Erleben der eigenen Persönlichkeit wichtigste System des Langzeitgedächtnisses.
Ein Merkmal des episodischen Gedächtnisses ist, dass man irrelevante Ereignisse ziemlich schnell vergisst, denn wer vor einem in der Schlange an der Supermarktkasse gestanden ist, weiß man in der Regel schon nach ein paar Minuten nicht mehr, außer sie oder er hat sich beim Bezahlen so lange Zeit gelassen, dass man sich geärgert hat.
Bei der Erinnerung an solche Erlebnisse sind ist das Gehirn gleichzeitig im Bereich des Stirn- und Schläfenlappens der rechten Gehirnhälfte, die für die Fakten des Erlebten zuständig ist, und Teile des limbischen Systems, in denen das Erlebte emotional bewertet wird, aktiv. Durch dieses komplexe Zusammenspiel verschiedener Regionen sind autobiografische Erinnerungen erst möglich, wobei dieses Gedächtnissystem sehr empfindlich für Störungen durch traumatische Ereignisse ist. Geissmann et al. (2023) analysierten jüngst fMRI-Daten von Erwachsenen, die an einer Bildkodierungsaufgabe teilnahmen, und stellte dabei fest, dass individuelle Unterschiede in der Reaktionsfähigkeit des Hippocampus, des orbitofrontalen Cortex und des posterioren cingulären Cortex für die individuelle Variabilität der episodischen Gedächtnisleistung verantwortlich sind. Während diese Regionen auch in der Analyse auf Gruppenebene auftauchten, standen andere Regionen, vor allem im lateralen okzipitalen Cortex, zwar mit erfolgreicher Gedächtniskodierung, nicht aber mit individuellen Gedächtnisschwankungen in Verbindung. Diese netzwerkbasierter Ansatz zeigte eine Verbindung zwischen der Reaktionsfähigkeit von neun funktionellen Konnektivitätsnetzwerken und der individueller Gedächtnisvariabilität. Die Erkenntnisse helfen daher, besser zu verstehen, wie es zu den Unterschieden in der Gedächtnisleistung zwischen Menschen kommt, wobei aber die Hirnsignale einer einzelnen Person jedoch keine genauen Rückschlüsse auf deren Gedächtnisleistung zulässt.
Griffiths et al. (2019) fanden jüngst, dass sich der Prozess des Erwerbs einer episodischen Erinnerung während des Gedächtnisabrufs umkehrt, wobei ein bidirektionaler Informationsfluss zwischen dem Neocortex und dem Hippocampus von grundlegender Bedeutung für die Bildung und den Abruf episodischer Erinnerungen ist. Die ForscherInnen vermuten nun, dass diese Kopplung den Informationsfluss vom Neocortex zum Hippocampus sich während der Gedächtnisbildung widerspiegelt, und die Vervollständigung des Hippocampus-Musters eine Wiederherstellung der Informationen im Neocortex während des Speicherabrufs bewirkt. Frühen Konzepten nach wurden Informationen einfach im Gedächtnis abgespeichert und dann später abgerufen, doch deuten neuere empirische Belege darauf hin, dass der Inhalt des episodischen Gedächtnisses bis zu einem gewissen Grad erst während des Erinnerns konstruiert wird. Eine Forschungsgruppe versucht daher nun eine Theorie des episodischen Gedächtnisses zu entwickeln, die auf solchen Szenarien basiert. Es gibt große konzeptionelle Unterschiede zwischen den Fachdisziplinen, was das episodische Gedächtnis anbelangt, wobei man nun mit dem Konzept der Szenarien versucht, die verschiedenen Erkenntnisse zusammenzuführen. Szenarien sind dabei mentale Simulationen einer vergangenen Episode basierend auf episodischen Gedächtnisspuren und semantischen Informationen, wobei diese es ermöglichen, fehlende Informationen zu ergänzen und Inhalte anzupassen, etwa an das aktuelle Selbstmodell und soziale Anforderungen in einer Situation. Im Mittelpunkt dieser Forschungen stehen nun vor allem direkte, selbstbezogene und soziale Funktionen des episodischen Gedächtnisses, also die Interaktion zwischen episodischen Gedächtnisspuren und semantischen Informationen, die Mechanismen, durch die das Selbstmodell und soziale Interaktionen die Szenariokonstruktion modulieren, und Enkodierung episodischer Gedächtnisspuren und ihre Abhängigkeiten mit dem semantischen Netzwerk.
Erinnerung ist generell ein dynamischer und kreativer Prozess, denn was aus dem Gedächtnis abgerufen wird, kann sich oft deutlich von dem unterscheiden, was ursprünglich abgespeichert worden war. Dabei ist nach Untersuchungen (Zwissler et al., 2014) das episodische Gedächtnis besonders anfällig für Verzerrungen und Fehler, wobei vor allem Details betroffen sind. Das liegt vermutlich daran, dass das menschliche Gedächtnis eine Balance zwischen dem ökonomischen Umgang mit seiner Speicherkapazität und der benötigten Genauigkeit der Erinnerungen finden muss.
Wichtig bei der Formung der Erinnerungen spielt der Hippocampus, denn hier kommen die Informationen der sensorischen Systeme zusammen und der Hippocampus sorgt als eine Art Pufferspeicher dafür, dass sie nicht gleich wieder verloren gehen. Dabei kommt es zu internen Wiederholungen, wobei der Hippocampus die Informationen aufnimmt und eine Szene bildet mit der Reihenfolge der Ereignisse, den örtliche Gegebenheiten, welche Menschen daran beteiligt waren usw. Dieser memorierende Pufferspeicher sorgt dafür, dass die Inhalte eingespeichert und dann in kleinen Portionen dem Langzeitgedächtnis zugeführt werden, was übrigens bevorzugt in Ruhephasen geschieht.
Bekanntlich werden bei der Erinnerung an Erlebtes die damit verbundenen Sinneseindrücke wie Geruch oder Geschmack im Gehirn wieder reaktiviert, wobei zum großen Teil dieselben Areale aktiv sind wie beim Abspeichern dieser Erlebnisse. Daher ist jede episodische Erinnerung einzigartig und an einen bestimmten Ort und Zeitpunkt gebunden. Neuere Untersuchungen haben nun gezeigt, dass das Gehirn Erinnerungen an Erlebtes weit schneller wieder parat hat als bisher angenommen, wobei die sensorischen Hirnbereiche schon binnen 100 bis 200 Millisekunden aktiv werden. Bisher ging man von etwa einer halben Sekunde aus, was ist in den Dimensionen der Gehirntätigkeit sehr langsam ist, denn man hatte angenommen, dass das Gehirn doch einige Zeit benötigt, um im Hippocampus danach zu suchen. Gerade diese frühen sensorischen Prozesse sind entscheidend für das erfolgreiche Erinnern an Erlebtes, denn hemmte man im Versuch die frühe Reaktivierung mit transkranieller Magnetstimulation, störte das den Abruf der Erinnerungen. Schöpf (2019) untersuchte die Auswirkungen menschlicher Körpergerüche auf das Gedächtnis von sozialen Informationen. Dafür wurden 54 weibliche Probanden und Probandinnen rekrutiert, die randomisiert einer von drei Geruchsgruppen zugeordnet wurden. Im Experiment selbst wurden weibliche Gesichter präsentiert, die zu einem späteren Zeitpunkt wiedererkannt werden mussten. Während der Gedächtnisaufgabe wurden die Gerüche, entsprechend der Gruppenzuteilung, mittels eines Olfaktometers präsentiert. Das gemeinsame Enkodieren von Gesichtern mit Körpergerüchen führte zu schnelleren Reaktionszeiten und weniger verzerrten Antworten bei der Wiedererkennung. Dies wurde begleitet von verstärkter Aktivierung in Gehirnregionen, die in Zusammenhang mit dem Gefühl der Vertrautheit, episodischem Gedächtnisabruf, multisensorischer Integration, sozialer Kognition und sozial- motionaler Verarbeitung stehen. Es scheint, als würden die Körpergerüche ein Gefühl der Vertrautheit hervorrufen, was die Probanden und Probandinnen wiederum dazu veranlasst, ihre Entscheidungen bei der Wiedererkennung auf Grundlage des automatischen und schnelleren Vertrautheitsprozesses zu treffen. Darüber hinaus weisen die Ergebnisse darauf hin, dass dem Gefühl der Vertrautheit ein multimodales neuronales Netzwerk zugrunde liegt.
Die Leistungsfähigkeit des episodischen Gedächtnisses wird in der Psychologie durch das Lernen und anschliessende freie Abrufen zuvor gelernter Wortlisten, Geschichten, Figuren oder Bildern gemessen. Dabei werden verglichen mit jüngeren bei älteren Probanden und Probandinnen deutlich schlechtere Leistungen beobachtet, sodass eine Abnahme des episodischen Gedächtnisses zu den typischen kognitiven Veränderungen im Altersverlauf zählt. Eine weitere mögliche Erklärung, warum sich das Gedächtnis im Zuge des Alterns verschlechtert, stammt von Wåhlin & Nyberg (2019), die vermuten, dass das Gehirn im Alter durch den Herzschlag stärker belastet wird, denn sobald sich die großen Arterien im Laufe der Jahre versteifen, kommt es zu einer Schädigung der kleinsten Blutgefäße im Gehirn. Das Modell liefert eine Begründung dafür, warum bestimmte kognitive Prozesse durch den vorgeschlagenen Mechanismus einem besonders hohen Risiko ausgesetzt sind. Wenn der menschliche Körper altert, versteifen sich große Arterien wie die Aorta und verlieren einen Großteil ihrer Fähigkeit, die Zunahme des Drucks abzufangen, der beim Pumpen von Blut in die Arterien entsteht, sodass es zur Weitergabe an kleinere Blutgefäße wie etwa jenen im Gehirn kommt. Die Kapillaren im Gehirn werden erhöht belastet, die ihrerseits zur Schädigung der Zellen im Inneren und jener der Kapillarwände umgebenden Zellen führt. Sind diese kleinsten Blutgefäße geschädigt, ist das der Fähigkeit abträglich, die Blutversorgung des Gehirns bei anspruchsvollen kognitiven Prozessen zu erhöhen. Vor allem der Hippocampus ist gefährdet, also jenes Areal, das beim episodischen Gedächtnis eine wichtige Rolle spielt. Diese Gefährdung beruht darauf, dass der Hippocampus sich in der Nähe großer Blutgefäße befindet, die früh einer erhöhten Belastung ausgesetzt sind. Während die Pulsation bei einem jungen Menschen sanft ist, kann sie bei einem alternden Menschen so stark werden, dass das Gehirngewebe beeinträchtigt wird und es zur Schädigung der Blutversorgung kommen kann.
Stressbelastung beeinträchtigt bekanntlich die Struktur und Funktion des Gehirns, was zu kognitiven Defiziten und einem erhöhten Risiko für psychiatrische Störungen wie Depression, Schizophrenie, Angstzustände und posttraumatische Belastungsstörungen führen kann. Insbesondere beeinträchtigt Stress die Funktion und Struktur jenes Bereichs des Hippocampus, der für das episodische Gedächtnisses verantwortlich ist. Chenani et al. (2022) haben am Mausmodell optische Längsschnittuntersuchungen angewandt, um den Zusammenhang zwischen Veränderungen in den Aktivitätsmustern und der strukturellen Plastizität der dorsalen Pyramidenneuronen und dem hippocampusabhängigen Lernen und Gedächtnis bei den Tieren zu untersuchen, die Stress ausgesetzt waren. Die Mäuse mussten dabei die Position einer versteckten Plattform in einem kleinen Schwimmbecken erlernen. So führte eine mehrtägige wiederholte Stressbelastung zu einem erheblichen Anstieg der neuronalen Aktivität, gefolgt von einer Störung der zeitlichen Struktur dieser Aktivität und der räumlichen Kodierung. Anschließend verfolgte man die Dynamik der strukturellen exzitatorischen Konnektivität als mögliche Ursache für die durch wiederholten Stress ausgelösten Aktivitätsänderungen, wobei sich zeigte, dass wiederholter Stress zu einer unmittelbaren Abnahme der Spinogenese und anschließend zu einer Abnahme der Stabilität der Wirbelsäule führt. Interessanterweise war der Verlust von Verbindungen in den Neuronen des Hippocampus erst nach mehreren Tagen Hyperaktivität deutlich, und die Desorganisation der Kodierung im Hippocampus zeigte sich erst nach einem erheblichen Kontaktverlust. Akuter Stress hingegen führte eher zu einer Stabilisierung der erregenden Synapsen, die in zeitlicher Nähe zum Stressereignis entstanden. Dies deutet darauf hin, dass Stress nicht gleich Stress ist, und dass die nach akutem Stress stabilisierten Synapsen möglicherweise an der Speicherung der negativen Stress-Wirkung beteiligt sind, nicht aber an der eigentlichen Lernaufgabe.
Allerdings verbessern sich die episodischen Gedächtnisleistungen von älteren Menschen, wenn beim Lernen und Erinnern zusätzlichen Kontextinformationen, eine klare Strukturierung des Lernmaterials oder erleichterten Abrufbedingungen durch Hinweisreize gegeben werden. Vor allem beim Wiedererkennen erbringen ältere Personen meist ähnlich gute wie jüngere Erwachsene, was darauf hindeutet, dass ältere Menschen zumindest in Experimenten neue Informationen weniger effizient enkodieren als jüngere bzw. auch mehr Probleme zeigen, die jüngst gelernten Informationen auch wieder abzurufen. Um übrigen reagieren Frauen auf emotionale Stimuli stärker als Männer, wodurch Frauen im Durchschnitt auch ein besseres episodisches Gedächtnis besitzen, d. h., sie können Erlebnisse und Erinnerungen aus ihrem persönlichen Leben besser speichern als Männer.
Computermodell für das episodische Gedächtnis
Wasabi als Mittel gegen kognitiven Abbau?
Mit körperlichem Training lässt sich das episodische Gedächtnis im Alter verbessern Aerobes Training ist nach wie vor einer der vielversprechendsten Ansätze zur Verbesserung der kognitiven Funktionen im späten Erwachsenenalter, doch seine potenziellen positiven Auswirkungen auf das episodische Gedächtnis sind nach wie vor kaum bekannt. Frühere Metaanalysen haben über minimale Verbesserungen des episodischen Gedächtnisses nach aerobem Training berichtet, waren jedoch durch restriktive Einschlusskriterien und die seltene Untersuchung von Trainingsparametern eingeschränkt. Aghjayan et al. haben nun in einer Meta-Studie von 36 Untersuchungen den Nachweis erbracht, dass regelmäßiger Sport das Gedächtnis älterer Menschen schützt und sogar verbessern kann. Es zeigte sich, dass vor allem frühe Erinnerungen von Bewegung profitieren, wobei man mindestens vier Monate lang dreimal pro Woche trainieren muss, um Vorteile beim episodischen Gedächtnis zu erzielen.
Bekanntlich ist das menschliche Gedächtnis einerseits sehr präzise, d. h., es kann ähnliche Ereignisse trennen, andererseits ist es integrativ, d. h., es kann sich an Gemeinsamkeiten zwischen ähnlichen Ereignissen erinnern. Jüngste Befunde (Koster et al., 2018) stellen nun die damit verbundene Hypothese in Frage, dass der Hippocampus auf das episodische Gedächtnis spezialisiert ist, indem man zeigen konnte, dass er auch die Integration von Informationen über ältere Erfahrungen hinweg unterstützt, sodass das das menschliche Gedächtnis gleichzeitig detailgetreu und integrativ sein kann. Der neue Ansatz geht nun davon aus, dass diese beiden gegensätzlichen Funktionen durch Schleifen erreicht werden. Ultrahochauflösende fMRI-Daten unterstützen diese Annahme, da sie zeigen, dass gewonnenen Informationen als neuer Input auf dem oberflächlichen entorhinalen Cortex präsentiert werden, wobei diese funktionelle Konnektivität zwischen der tiefen und oberflächlichen entorhinalen Schicht gesteuert wird. Darüber hinaus korrelierte die Größe dieser Konnektivität mit der inferenzmäßigen Leistung, was ihre Bedeutung für das Verhalten unterstreicht. Offenbar speichert das Gedächtnis ähnliche Ereignisse zwar erst getrennt ab, speist aber diese getrennten Erinnerungen wieder ins Gedächtnis zurück, damit diese in einem zweiten Schritt miteinander verknüpft werden. Diese Ergebnisse bieten eine neue Perspektive auf die Informationsverarbeitung innerhalb des Hippocampus und unterstützen einen einheitlichen Rahmen, in dem der Hippocampus die Struktur höherer Ordnung über Erfahrungen hinweg erfasst, indem er einen dynamischen Gedächtnisspeicher aus getrennten episodischen Codes für individuelle Erfahrungen schafft.
Untersuchungen haben übrigens gezeigt, dass schon geringfügige Suggestionen ausreichen können, um Erinnerungen aus dem episodischen Gedächtnis durcheinander zu bringen, wobei Menschen mit einem ausgeprägt starken episodischen Gedächtnis genauso anfällig für Erinnerungsverfälschungen sind wie Menschen mit einem normalen Gedächtnis. Die Schwachstelle liegt vermutlich in den Rekonstruktionsmechanismen, denn das menschliche Gedächtnis setzt Erinnerungen aus Informationsbruchstücken und Indizien zusammen, wobei es durch fremde Einflüsse und eigene Idealvorstellungen zur Neuinterpretation von Erlebtem kommen kann. Diese Verzerrungen betreffen auch die Erinnerungen von Menschen mit dem hyperthymestischen Syndrom (Patihis et al., 2013).
Unbewusste Erlebnisse im episodischen Gedächtnis
Bisher ging man davon aus, dass nur bewusst Erlebtes im episodischen Gedächtnis und über den Hippocampus gespeichert wird und auch das Verhalten beeinflusst. Schneider et al. (2021) konnten nachweisen, dass nicht nur bewusste, sondern auch unbewusste alltägliche Erlebnisse von unserem Gedächtnis abgespeichert werden, wobei die unbewussten Erlebnisse im Unterschied zu den bewussten vom Gehirn nicht wieder gelöscht werden. Zudem entdeckte man, dass nur das bewusst gelernte, aber nicht unbewusst gelernte Episodenwissen einem Vergessensprozess unterliegt. In den Experimenten wurden den Teilnehmenden ein, drei oder neun komplexe und für das Bewusstsein unsichtbare Filme hintereinander präsentiert und später das Erinnerungsvermögen getestet. Die filmisch dargestellten, komplexen Szenen wurden nicht nur bewusst, sondern auch unbewusst registriert und im episodischen Gedächtnis langzeitgespeichert. Jedes einzelne Filmbild wurde für nur 17 Millisekunden eingeblitzt, vor und nach einem 17 ms-Filmbild wurden Schwarz-weiss-Pixel-Bilder etwa 200 ms lang dargeboten, die das Gehirn am Weiterverarbeiten der eingeblitzten Filmbilder hinderten, sodass die filmischen Handlungen lediglich unbewusst registriert werden konnten. Dass die Filme dennoch im Detail langzeitgespeichert wurden, erkannte man an den Reaktionszeiten der Rate-Antworten, die die Probanden und Probandinnen in der Testsituation zu den Filmen abgaben. Offenbar können Menschen viele komplexe Sachverhalte unbewusst in ihrem episodischen Gedächtnis langzeitspeichern, was beim bewussten Lernen im episodischen Gedächtnis noch nie beobachtet worden ist, denn was man bewusst gelernt hat, vergisst man zumindest teilweise wieder. Als Erklärung für dieses Phänomen vermutet man, dass im Vergleich zur bewussten Erinnerung weniger Nervenzellen für die Speicherung einer unbewussten Erinnerung herangezogen werden. Beim unbewussten Lernen speichert eine Nervenzelle bloss eine einzige Erinnerung ab und nicht mehrere Erinnerungen wie beim bewussten Lernen, sodass es vermutlich zu weniger Überschneidungen von Gedächtnisspuren beim unbewussten Lernen kommt und daher zu geringerem Vergessen. Von großer Bedeutung könnte dieses Forschungsergebnis für Menschen sein, die an Amnesie- oder Demenzerkrankungen leiden und ein dysfunktionales episodisches Gedächtnis und daher Gedächtnisdefizite anweisen. Für die Betroffenen bedeutet das, dass sie noch immer unbewusst lernen und erinnern können, und sie ermutigen sollte, auf ihr Bauchgefühl zu hören, weil so Informationen aus dem unbewussten episodischen Gedächtnis abgerufen werden und auf das Verhalten einwirken können.
Entwicklungspsychologische Perspektive
Das episodische Gedächtnis beginnt erst, wenn ein Kind vier oder fünf Jahre alt ist. Ein Kind muss erst lernen, was die konstanten Merkmale in der Welt sind, wie Bezugspersonen, Tagesroutinen, Regeln und konzeptuelles Wissen. Erst mit dem Hintergrund dieser schematischen und abstrakten Wissensstrukturen kann man sich auch einzelne Erlebnisse, also Episoden, merken. Diese Struktur muss das Gehirn erst einmal aufbauen. Das episodische Gedächtnis hat viel mit Sprache und Kommunikationsfähigkeiten zu tun. In den ersten Lebensjahren wird alles visuell oder taktil kodiert, und erst wenn ein Kind, zwei, drei, vier Jahre alt ist, wird das Erleben zunehmend sprachlich abgebildet. Erinnerung bedarf einer verbalen Struktur, denn man fragt man jemanden auch mit Worten nach seinen Erlebnissen. Um sich an Erlebnisse zu erinnern, braucht man schließlich ein Selbstkonzept, d. h., eine Vorstellung vom Ich. Das Selbstkonzept entwickelt sich im Alter von etwa zwei Jahren und lässt sich mit dem Spiegeltest nachweisen, bei dem einem Kind unbemerkt ein Punkt auf die Stirn gemalt und dann soll es in einen Spiegel schauen. Tippt das Kind auf den Spiegel oder fasst es sich an die Stirn? Zu dieser Zeit entsteht auch die Theory of Mind, d. h., man erkennt, dass andere Menschen etwas anderes fühlen, wissen und denken können als man selbst. Nur mit dieser Vorstellung kann man seine Erlebnisse mit sich als Bezugspunkt abspeichern. Dieser Entwicklungsabschnitt ist auch der Ursprung des autobiografischen Gedächtnisses. Zusätzlich muss natürlich das Gehirn erst reifen. Daher erinnert sich niemand so wirklich an seine ersten zwei Lebensjahre, wobei bei den meisten die Erinnerung erst ab dem 4. oder 5. Lebensjahr einsetzt.
Je jünger ein Kind ist, desto weniger behält es demnach Episoden von Ereignissen im Kopf, denn bevor ein Kind sein Erleben in Sprache fassen kann, gibt es nur sehr wenige konkrete Erinnerungen. Das Gehirn eines Kindes ist noch zu sehr damit beschäftigt, die Ressourcen bereitzustellen, die es braucht, um Erinnerungen überhaupt verlässlich festhalten zu können. Man geht heute davon aus, dass es vor dem dritten Lebensjahr keine sicheren eigenen autobiografischen Erinnerungen gibt, denn dazu muss das Netzwerk von Nervenzellen im Gehirn so weit ausgebildet sein, dass Ereignisse in vielen Gehirnarealen gleichzeitig verarbeitet werden können. Auch muss die Fähigkeit sprachlich zu denken vorhanden sein verbunden mit einem Minimum an Selbstbewusstsein, denn nur wenn man weiß, wer man ist, kann man Erinnerungen als sich zugehörig wahrnehmen und abspeichern (autobiografisches Gedächtnis).
Das autobiografische Gedächtnis funktioniert auch später, wenn ein Kind bereits sicher seine Muttersprache spricht, etwas anders als bei einem Erwachsenen, denn Kinder erinnern sich weniger an konkrete Situationen, sondern eher an wiederkehrende Episoden oder Routinen in ihrem Alltag. Allerdings werden Ereignisse, die als sehr emotional erlebt wurden und manche Erfahrungen, die das Kind zum allerersten Mal macht, wie auch bei Erwachsenen oft ein Leben lang intensiv und detailreich in Erinnerung, was daran liegt, dass das Gehirn versucht, mögliche zukünftige Gefahren oder Bedrohungen zu vermeiden. Aus diesem Grund sind frühe Erinnerungen meist eher Erinnerungen unerfreulicher Art.
Übrigens sorgt das gemeinsame Erinnern von Erlebnissen und Erfahrungen von Eltern mit ihren Kindern oft dafür, dass sich auch die Erinnerungen selbst verändern, was auch daran liegt, dass Gedächtnisinhalte bei jedem Abruf verändert werden. Untersuchungen haben gezeigt, dass gemeinsame Erinnerungen die Entwicklung eines Kindes fördern, wobei Kinder, die sich regelmäßig mit ihren Eltern an gemeinsam Erlebtes erinnern, emotional sicherer an gebunden und emotional ausgeglichener und zufriedener sind. Offensichtlich hilft das Kindern, ihre Erfahrungen zu strukturieren und vor allem unangenehme Gefühle, die sie weiterhin beschäftigen, im Nachhinein zu regulieren.
Episodisches Gedächtnis bei Tieren
Bis vor kurzem waren Verhaltensforscher und Psychologen noch überzeugt, dass die Fähigkeit zu einer Vorstellung von Zukunft und Vergangenheit Menschen vorbehalten ist und dass Tiere ausschließlich in der Gegenwart leben – angebunden am Pflock des Augenblicks. Echtes Planen für die Zukunft erfordert hingegen, dass ein Tier weiß, welche Bedürfnisse es einmal haben wird. Im Gehirn des Menschen gibt es einen Zusammenhang zwischen der Fähigkeit, Zukunftspläne zu schmieden, und der Erinnerung an vergangene Erlebnisse. Voraussetzung für beides ist das episodische Gedächtnis, in dem persönliche Erfahrungen gespeichert werden, etwa wann ein Mensch irgendwo etwas erlebt hat. Josep Call und Nicholas Mulcahy zeigten nun in komplexen Experimenten, dass auch Bonobos und Orang-Utans ebenfalls dazu in der Lage sind, Zukunftspläne zu schmieden. Man vermutet deshalb, dass diese Tiere, die in gewissem Ausmaß für die Zukunft planen können, auch eine Art episodisches Gedächtnis besitzen müssen.
Panoz-Brown et al. (2018) brachten Ratten bei, sich eine Vielzahl von Gerüchen einzuprägen, wobei sie diesen nacheinander bis zu zwölf Duftstoffe präsentierten. Anschließend sollten sie die Duftproben wiedererkennen, und zwar nur jenen Duft, der ihnen zuvor entweder als vorletzter oder als viertletzter präsentiert worden war. Welche dieser beiden Düfte richtig war, zeigten die ForscherInnen mit unterschiedlich gemusterten Testumgebungen an. Nachdem die Tiere das Prinzip verstanden hatten, lagen sie in fast neunzig Prozent der Fälle richtig, wobei auch zeitliche Abstände beim Präsentieren der einzelnen Düfte, unterschiedliche Reihenfolgen oder eine Ablenkung zwischen Präsentation und Test daran nichts änderten. Man schließt daraus, dass die Ratten tatsächlich ein episodisches Gedächtnis für die Aufgabe nutzten. In einem weiteren Experiment hemmte man auf neuronaler Ebene das episodische Gedächtnis, wonach die Ratten an der Erinnerungsaufgabe scheiterten.
Forscher überprüften auch das Zeitgefühl von Ratten: Die Tiere wurden täglich mehrere Male in ein Labyrinth gesetzt, das nicht nur mit den üblichen Getreide-Pellets, sondern in einem Gang auch mit einem Käsestück ausgestattet war, wobei es nicht in jedem Versuchsdurchlauf Käse gab, sondern manchmal an dieser Stelle nur ein normales Futter-Pellet. In einer Gruppe wurde der Käse immer zu einer bestimmten Tageszeit angeboten, in einer zweiten nach einer bestimmten Zeitspanne im Anschluss an den letzten Durchgang, und in einer dritten wurden beide Methoden miteinander kombiniert. Nach mehreren Versuchsläufen liefen nur jene Tiere zielstrebig in den Käse-Gang, die man nach der Zeitspanne abgerichtet hatte. Ratten können sich offenbar nicht unmittelbar daran erinnern, dass ein Ereignis zu einem bestimmten Zeitpunkt stattgefunden hat, dennoch behielten sie das Ereignis im Kopf und zeigten ein Gefühl dafür, ob es vor fünf Stunden oder fünf Tagen geschehen war.
Claudia Fugazza von der Universität Budapest am Lehrstuhl für Verhaltensforschung hat eine Methode entwickelt, um in einem Experiment zu überprüfen, ob Hunde über episodisches Gedächtnis verfügen. Sie trainierte Hunde zuerst darauf, auf den Satz „Do it!“ hin nachzuahmen, was ihr Trainer tut, also etwa auf einen Sessel zu klettern, wenn dieser auf einen Sessel geklettert ist. In einem zweiten lernten die Hunde, sich auf den Befehl „Lie down!“ niederzulegen, nachdem ihr Trainer eine Handlung vollführt hatte, egal welche. Wenn sie auch das beherrschten, wurden sie mit dem geläufigen Befehl der ersten Trainingsphas „Do it!“, also der Aufforderung zur Imitation aufgefordert. Sie befolgten diese tatsächlich, obwohl sie die Aufforderung „Do it!“ nicht erwartet hatten, sich vielmehr spontan, offensichtlich das „Lie down!“ erwartend, niederlegten. Und zwar imitierten sie die Handlung des Trainers eine Minute, nachdem dieser sie vorgeführt hatte, und auch, wenn auch weniger zuverlässig, eine Stunde danach. Daraus folgert man, dass sich die Hunde die Handlungen des Trainers von sich aus episodisch einprägen und nicht nur für eine Belohnung nachahmen. Offensichtlich ist das episodisches Gedächtnis nicht einzigartig und hat sich nicht nur bei Primaten entwickelt.
*** Hier KLICKEN: Das BUCH dazu! *** Claudia Fugazza hat die Ergebnisse dieser Studie in ein Trainingsprogramm umgesetzt, mit dem HundehalterInnen ihrem Hund beibringen können, Verhalten nachzumachen. In vier Schritten wird dem Hund beigebracht, Verhalten zu imitieren, so dass neue Verhaltensweisen sehr schnell erlernt werden können. Dazu ist es zuerst einmal nötig, dass Hunde mindestens sechs Verhalten auf ein Wortsignal hin beherrschen. Dem Hund wird dann die Imitationsregel beigebracht, die es zu generalisieren gilt. Hat der Hund das verstanden, wird ihm neues Verhalten vorgemacht. Er imitiert dieses Verhalten und im Anschluss wird für dieses Verhalten ein Signal eingeführt, d. h., ein Hund erwirbt neue Verhaltensweisen nicht über operante Konditionierung sondern über Imitation. Nach einigen Wiederholungen kann der Hund dann das Verhalten eigenständig auf das Signal hin ausführen.
Anmerkung: Es gibt viele Beispiele von Hunden und anderen Tieren, die sich etwa an Gestern erinnern. Man denke nur an Hunde und andere Tiere, die extrem misshandelt wurden. Hunde, die sich erinnern wo ihre Freunde und Feinde leben, Hunde die ihr Verhalten Gelerntem anpassen können, Hunde die sich erinnern, wo sie gefüttert werden und wo sie Futter und andere Dinge versteckt haben.
Kurioses: In der Zeitschrift DIE WELT wird dieses Forschungsergebnis übrigens unter dem Titel „Dein Hund weiß, was du letzten Sommer getan hast“ kolportiert 😉 Und im TagesAnzeiger unter dem Titel „Ich weiss mehr, als du denkst“ 😉
Dass auch Eichelhäher über ein episodisches Gedächtnis verfügen, zeigte eine Studie (Davies, 2024), in der untersucht wurde, ob sich Eichelhäher an den Aufbewahrungsort von Futter erinnern können. In dem Experiment beobachteten die Vögel, wie Futter unter einem Becher in einer Reihe von vier identischen Bechern platziert wurde, und wurden dann für die richtige Wahl des mit einem Köder versehenen Bechers belohnt. Trotz der veränderten Position der Becher und der zusätzlichen Zeitverzögerung identifizierten die Vögel den mit dem Köder versehenen Becher immer noch in 70% der Fälle korrekt anhand seiner visuellen Merkmale. Die Vögel waren also in der Lage, sich an zufällige Details vergangener Ereignisse zu erinnern, wie z.B. an die visuellen Eigenschaften der Becher, die im Experiment zum Verstecken des Futters verwendet wurden. Dieses Ergebnis deutet darauf hin, dass das episodische Gedächtnis nicht auf den Menschen beschränkt ist, sondern auch Eichelhähern beim Auffinden von Futter helfen kann.
Das episodische Gedächtnis, d. h. die Erinnerung an vergangene Erfahrungen auf der Grundlage eindeutiger Was-Wo-Wann-Komponenten, nimmt beim Menschen mit zunehmendem Alter ab, ebenso wie das episodische Gedächtnis bei nichtmenschlichen Säugetieren. Im Gegensatz dazu bleibt das semantische Gedächtnis, d. h., die Erinnerung an gelerntes Wissen ohne eindeutige Was-Wo-Wann-Merkmale, mit zunehmendem Alter relativ intakt. Der altersbedingte Rückgang des episodischen Gedächtnisses wird dabei auf die nachlassende Funktion des Hippocampus im Gehirn zurückgeführt. Ob das episodische Gedächtnis bei Arten wie Tintenfischen, die keinen Hippocampus besitzen, mit dem Alter nachlassen kann, war bisher unbekannt. Schnell et al. (2021) überprüften sowohl das semantische als auch das episodische Gedächtnis bei subadulten und alten adulten Tieren, die kurz vor der Seneszenz (Als Seneszenz bezeichnet man das biologische Phänomen, dass die meisten Zellen von Wirbeltieren nach einer bestimmten Zahl von Zellteilungen ihr Wachstum einstellen) stehen. Bei der semantischen Gedächtnisaufgabe mussten die Tintenfische lernen, dass der Standort einer Nahrungsquelle von der Tageszeit abhängt. Die Leistung, gemessen als Anteil der richtigen Versuche, war in allen Altersgruppen vergleichbar. Bei der episodischen Gedächtnisaufgabe mussten die Tintenfische eine Futtersuchaufgabe lösen, indem sie Was-Wo-Wann-Informationen über ein vergangenes Ereignis mit eindeutigen räumlich-zeitlichen Merkmalen abrufen sollten. Bei dieser Aufgabe waren die Leistungen der verschiedenen Altersgruppen vergleichbar; allerdings erreichten die älteren Erwachsenen das Erfolgskriterium (8/10 richtige Entscheidungen in aufeinanderfolgenden Versuchen) deutlich schneller als die jüngeren Erwachsenen. Im Gegensatz zu anderen Tieren bleibt das episodische Gedächtnis bei älteren Tintenfischen offenbar erhalten, was darauf hindeutet, dass die Verschlechterung des Gedächtnisses bei dieser Art verzögert ist. Anders als der menschliche Hippocampus bleibt der Vertikallappen der Tintenfische, also jener Ort in ihrem Gehirn, der das Gedächtniszentrum beherbergt, verblüffend jung und funktionsfähig, selbst im hohem Alter, obwohl sie durchaus Alterserscheinungen zeigen, denn so verlieren greise Tiere ihren Appetit, leiden unter Muskelschwund und auch das Gehirn baut im Alter ab. Alte Tintenfische zeigen auch zahlreiche Anzeichen für eine Degeneration in den Gehirnstrukturen, die für das Einlagern und Abrufen von Erinnerungen zuständig sind. Im Gegensatz dazu ist aber ihr Vertikallappen, das Zentrum fürs Lernen und die Gedächtnisverarbeitung, hochgradig resistent gegenüber der altersbedingten Degeneration. Erst in den zwei bis drei Tagen vor dem Tod eines Tintenfisches hört er auf zu fressen und dann setzt auch im Vertikallappen der schnelle Abbau ein.
Episodisches Gedächtnis bei Robotern?
In Experimenten mit lernenden Robotern versucht man, Roboter wie Babys lernen und allmählich ein episodisches Gedächtnis entwickeln zu lassen, d. h., diese führen zunächst rein zufällige Bewegungen aus. Wenn man dann ein bestimmtes Kommando auf den Arm gibt, lernt der Roboter, an welcher Stelle er anschließend seine Hand sieht. Will de Roboter dann seine Hand an eine bestimmte Stelle bewegen, weiß er schon ungefähr, welche Bewegung dafür nötig ist. Mit diesem erlernten Wissen kann der Roboter dann auch Handlungen mental simulieren, denn so kann er etwa prüfen, welchen Arm er bewegen sollte, um einen Gegenstand zu ergreifen, oder ob er dazu ein Werkzeug benützen muss. Darüber hinaus sollen Roboter so wie Kinder einfach aus Interesse neue Dinge ausprobieren und ihre konkreten Handlungen aus einem Wertesystem ableiten. Roboter sollen dann allmählich lernen, ihre eigenen Ziele zu verfolgen. So besitzt ein Roboter an die 200 Sensoren für Kraft, Bewegung, Geschwindigkeit, Spannungen, Ströme, Klänge, aber auch die Kamera liefert jede Menge Informationen Gespeichert wird dabei aber nur das, worauf der Roboter seine Aufmerksamkeit gelenkt hat, also vor allem neue Sinneseindrücke, Dinge und Personen, die der Roboter bisher noch nicht gesehen hat.
Zwei-Wege-Modell des episodischen Gedächtnisses
Das episodische Gedächtnis ermöglicht es, dass Menschen Erfahrungen, die sie in einer bestimmten Situation zu einem bestimmten Zeitpunkt gebildet wurden, abrufen können. Im episodischen Gedächtnis werden die persönlichen Erlebnisse kodiert, also alles, was man irgendwann irgendwo gemacht hat, jedoch muss es uns stark berührt haben, damit es in Erinnerung bleibt. Dabei wird das Was und Wo von Erlebnissen durch separate Pfade im Gehirn abgespeichert (Zwei-Wege-Modell), das jedoch die zeitliche Dimension nicht mit einbezieht, denn es basiert auf der Annahme, dass räumliche und zeitliche Informationen im Hippocampus systematisch integriert werden. Nach Ansicht von Beer et al. (2018) ist dieses Konzept nicht vollständig, denn Verhaltensexperimente mit Mäusen, bei denen räumliche und zeitliche Komponenten eine Rolle spielten, zeigten, dass im Hippocampus zwar beide Unterregionen (CA1 und CA3) an der Bildung des episodischen Gedächtnisses beteiligt waren, jedoch auf unterschiedliche Art, denn zeitliche Informationen wurden nur in einem Bereich der Unterregion und räumliche Informationen aber in den beiden Unterregionen gespeichert.
Episodisches Gedächtnis in der Literatur
Ein berühmtes Beispiel für die Detailgetreuheit einer episodischen Erinnerung schildert Swann, der Erzähler in Marcel Prousts „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“: „In der Sekunde nun, als dieser mit dem Kuchengeschmack gemischte Schluck Tee meinen Gaumen berührte, zuckte ich zusammen und war wie gebannt durch etwas Ungewöhnliches, das sich in mir vollzog. Ein unerhörtes Glücksgefühl, das ganz für sich allein bestand und dessen Grund mir unbekannt blieb, hatte mich durchströmt.“ Der Erzähler entdeckt in diesem berühmten Beispiel, dass er den Geschmack aus seiner Kindheit kennt und mit ihm die Fähigkeit, dort erlebte Zeiten innerlich zum Leben zu erwecken, mit allen Bildern, Klängen, Geschmäckern und Gerüchen.
Episodischer Gedächtnisverlust
In Homers „Odyssee“, einem der berühmtesten Epen der Antike, wird berichtet, dass der griechische Held Odysseus nach dem Trojanischen Krieg so schnell wie möglich zu seiner Frau Penelope heimkehren möchte, doch haben die Götter andere Pläne mit ihm. Er wird gezwungen, über die Meere zu irren und zahlreiche Abenteuer zu bestehen, schließlich strandet er ausgehungert und ohne Gedächtnis im Reich des Königs Alkinoos. Kurz vor seiner Hochzeit mit dessen Tochter erlangt er aber sein Gedächtnis zurück und erzählt von seinen Abenteuern, von den Sirenen, vom einäugigen Riesen Polyphem, von seinem Aufenthalt bei der Zauberin Circe. Und schließlich erinnerter sich wieder an seine Gattin Penelope und setzt seine Reise in die Heimat fort. Dort angekommen, muss er mit den aufdringlichen Freiern seiner Frau abrechnen, die sich in den Jahren seiner Abwesenheit in seinem Hause breitgemacht haben.
Siehe auch: Wie Menschen ihre Erinnerungen konstruieren.
Literatur
Aghjayan, Sarah L., Bournias, Themistokles, Kang, Chaeryon, Zhou, Xueping, Stillman, Chelsea M., Donofry, Shannon D., Kamarck, Thomas W., Marsland, Anna L., Voss, Michelle W., Fraundorf, Scott H. & Erickson, Kirk I. (2022). Aerobic exercise improves episodic memory in late adulthood: a systematic review and meta-analysis.Communications Medicine, 2, doi:10.1038/s43856-022-00079-7.
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